Die letzten Stimmen des Holocaust: 12 Überlebende erinnern sich
Von Louis Pawellek
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Rezensionen für Die letzten Stimmen des Holocaust
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Buchvorschau
Die letzten Stimmen des Holocaust - Louis Pawellek
Eva Szepesi
Durch einige sehr informative Medienbeiträge und ein Interview, welches die Holocaust-Überlebende Eva Szepesi bei einem süddeutschen Radiosender gab, wurde ich auf ihre Lebensgeschichte aufmerksam. Ich fasste den Entschluss, einen möglichen Kontakt zu Eva Szepesi herzustellen. Im Internet recherchierte ich nach der geeignetsten Möglichkeit für einen Kontaktaufbau und entdeckte, dass ihre Tochter Anita Schwarz gemeinsam mit ihrem Mann ein Pelzwarengeschäft in Frankfurt am Main weiterführte, welches Eva Szepesi im Jahr 1971 mit ihrem im Jahr 1993 verstorbenen Mann Andor eröffnet hatte. Ich verfasste eine E-Mail mit meinem Anliegen und erhielt wenige Tage später eine Antwort. Ich war sehr erfreut, denn in all den Tagen zwischen meiner versendeten E-Mail und der jetzt erhaltenen Antwort ließ mich die Familien- und Lebensgeschichte von Eva Szepesi gedanklich nicht los. Wir führten ein erstes längeres Telefonat und vereinbarten einen gemeinsamen Interviewtermin.
Nach dem Telefonat kam mir die Idee, dass wir dieses Gespräch in einer besonderen Räumlichkeit durchführen müssten. So schrieb ich den „Frankfurter Hof, ein Hotel der „Steigenberger Hotel Group
, an. Ich bat schriftlich um eine ruhige und sehenswerte Räumlichkeit für das Interview. Es dauerte nur wenige Stunden, bis ich eine positive Rückantwort via E-Mail erhielt und ich dann ein Telefonat mit dem Manager für Marketing und Communication führte. Er bedankte sich für meine E-Mail und sagte mir eine entgeltfreie Räumlichkeit für den Tag und die Durchführung des Interviews zu. An dieser Stelle möchte ich meinen besonderen Dank dem Hotel sowie dem gesamten Team des „Frankfurter Hofs" für die Unterstützung widmen.
Meine Zugfahrt führte mich in den frühen Morgenstunden von Hannover aus zum Frankfurter Hauptbahnhof. Dort angekommen stieg ich in ein Taxi um, mit dem ich auch Eva Szepesi von zuhause abholte. Anschließend fuhren wir gemeinsam in den „Frankfurter Hof. Dort angekommen erhielten wir das „Lesezimmer
, welches sehr edel und gemütlich, mit großen und gut ausgestatteten Bücherregalen gestaltet und eingerichtet war.
Hochzeitsfoto von Karoly und Valeria Diamant
Eva Szepesi wurde am 29. September 1932 in der ungarischen Hauptstadt Budapest geboren. Sie wurde in eine jüdische Familie hineingeboren, die den jüdischen Glauben und das Brauchtum im Alltag sehr pflegte. Ihre Eltern waren Karoly (Vater) und Valeria (Mutter) Diamant. Sie lebten im Budapester Vorort Pesterzsebet. Heute ist dieser im Süden von Pest gelegene Vorort mit seinen rund 60.000 Einwohnern einer der 23 Bezirke, in die die ungarische Hauptstadt unterteilt ist. Anfangs bewohnte die Familie gemeinsam mit den Großeltern, der Tante und den beiden Cousinen einen Hof mit Hühnern und Kaninchen. Mit den Eltern lebte sie im vorderen Bereich des Hofes.
In der Hauptstraße besaßen die Eltern ein Geschäft für Herrengarderobe. Eva erinnert sich daran, wie sie die anderen Ladenbesitzer in der Straße stets freundlich grüßten. Sie beschreibt ihre frühe Kindheit als glücklich, liebevoll und unbeschwert. Viele Freundschaften bestimmten ihren Alltag. Gemeinsam wurde mit anderen Kindern mit viel Freude und Spaß gespielt. Zum damaligen Zeitpunkt war es noch überhaupt nicht wichtig, ob die anderen Kinder den jüdischen oder christlichen Glauben hatten, so wurden auch Feste wie Chanukka gemeinsam gefeiert. Im Jahr 1936 kam der kleine Bruder Tamás auf die Welt und bereicherte fortan das Familienleben.
Im September 1938 wurde Eva mit sechs Jahren eingeschult. Sie liebte das Lernen und war mit hoher Motivation am Unterricht beteiligt. Sie fand schnell Kontakt zu Kindern mit und ohne jüdischen Glauben. Neben ihr besuchten vier jüdische Mädchen die Schulklasse. Ab 1938 und 1941 traten in Ungarn immer schärfere Rassengesetze in Kraft. Dies bemerkte auch Eva in der Schule und in ihrer Klassengemeinschaft. Sie wurde in die dritte Klasse versetzt und erhielt eine neue Lehrerin. An einem Tag stellte sich die Lehrerin, die sich durch das strenge und raue Verhalten keiner großen Beliebtheit unter den Schülerinnen und Schülern erfreute, mit einer Liste vor die Klasse. Sie las die Namen der fünf jüdischen Kinder vor. Anschließend befahl sie, dass die jüdischen Kinder mit den christlichen Kindern aus der letzten Reihe die Plätze tauschen müssten. Ein jüdisches Mädchen erkundigte sich bei der Lehrerin, warum gerade sie als Kinder mit jüdischem Glauben in die letzte Reihe mussten. Die Antwort der Lehrerin war, dass sie als „freches und stinkendes" Judenkind kein Recht auf eine Erklärung habe. Diese Aussage und diese Situation setzte die Schulklasse unter Schockstarre, denn niemand wusste eine angemessene Reaktion oder Verhaltensweise. Die Eltern der betroffenen Kinder bekamen von den Kindern erzählt, was während der Schulzeit vorgefallen war. Gemeinsam gingen sie zum Direktor und es folgte ein Gespräch mit der Lehrerin. Am nächsten Tag wurde die Klasse von einer neuen Lehrerin geleitet.
Mutter Valeria mit Tochter Eva auf dem Arm
Evas Bruder Tamás
Eine weitere Situation, die Eva in der Kindheit erleben musste, ereignete sich an einer Wasserpumpe vor dem Haus. Hier verbrachte Eva an den warmen Sommertagen viel Zeit und spielte mit den befreundeten Kindern an der Wasserstelle. Eines Tages schickte der Vater seine Tochter los, um Zigaretten einzukaufen. Sie ging an der Pumpe vorbei, an der zu diesem Zeitpunkt mehrere ihrer Freunde spielten. Sie wollte Blickkontakt zu ihren Freunden herstellen und sich bemerkbar machen und näherte sich der Pumpe. Dann stockte ihr der Atem, denn zwei der Kinder hielten ein rohes, blutendes Stück Fleisch unter den Wasserstrahl. Die anderen Kinder beobachteten, wie das Fleisch gewaschen wurde und das abgewaschene Blut in den Abfluss lief. Eines der Kinder drehte sich um und sagte zu Eva, warum sie als Saujüdin so blöd glotzen würde. Ein weiteres Kind rief, dass ihr Vater bald genauso bluten würde wie das Stück Fleisch. Unter Schock und in Panik rannte Eva weg. Der Weg führte sie in den kleinen Laden, um die Besorgung für den Vater zu erledigen. Im Anschluss ging es zurück nach Hause. Unter Tränen und völlig aufgelöst berichtete Eva dem Vater die Situation. Er entgegnete, dass ihre Freunde gegen sie aufgehetzt wurden und gar nicht wüssten, was sie redeten.
Eva im Jahr 1942
Der Vater wurde im Jahr 1942, als Ungarn am 27. Juni gegen die Sowjetunion in den Krieg zog, zum Dienst einberufen. Er erhielt ein Schreiben mit dem Inhalt, dass er in ein rund 80 Kilometer weit entferntes Städtchen mit dem Namen Nagykata musste. Vor Ort kam er in ein Arbeitslager. Die Familie brachte den Vater zum Bahnhof, verabschiedete ihn und gemeinsam mit vielen anderen Männern, die das gleiche Schicksal teilten, fuhr der Zug los. Die Familie durfte den Vater ein einziges Mal besuchen. Es war eine große Freude, als Eva ihren Vater wieder bei sich hatte, wenn auch nur für kurze Zeit. Alle hatten die Hoffnung, dass sie sich schon bald wieder in den Armen liegen könnten und der Vater den Krieg unverletzt überstehen würde. Der Kontakt brach ab und die Mutter machte sich große Sorgen, so stellte sie beim Roten Kreuz eine Vermisstenanzeige. Nach dem Krieg erfuhr Eva, dass der Vater nach seiner Zeit im Arbeitslager Nagykata und einer Umlegung in die Sowjetunion im Jahr 1943 als verschollen galt.
Immer wieder bekam Eva mit, wie ihre Mutter mit einer Tante, die Piri hieß, redete. Piri floh vor Angst und Sorge bereits im Jahr 1942 aus der Slowakei nach Ungarn, denn in der Slowakai liefen bereits die ersten Pogrome und Deportationen. Sie kam bei Evas Familie unter und hoffte auf Schutz und Sicherheit. Die Gespräche zwischen den beiden Frauen geschahen stets unter vier Augen und als Eva den Raum betrat, wurde das Gespräch unterbrochen. Das Leben der jüdischen Bevölkerung änderte sich schlagartig, so durften die Juden keine Geschäfte und keinen Handel mehr betreiben. Evas Mutter führte nach dem Weggang des Vaters das Geschäft alleine bis zu dem Tag, als sie es schließen musste. Einige Waren konnte die Mutter in der Waschküche des Wohnhauses unterbringen und heimlich weiterverkaufen. Der Kundenstrom brach aber ab, sodass mit der Zeit keine Geschäfte mehr möglich waren. Die Einschränkungen verschärften sich, so musste die Familie das Radio abgeben. Die Freizeitgestaltung fiel dieser Verschärfung ebenfalls zum Opfer, es gab fortan das Verbot, ins Kino, auf die Eisbahn oder ins Theater zu gehen. Selbst die Bänke in den Parkanlagen durften nicht mehr von den Juden als Sitzplatz benutzt werden. Eva zog sich zurück und verbrachte die meiste Zeit zuhause, im geschützten Umfeld bei der Mutter und dem kleineren Bruder. Am 19. März 1944 besetzte die deutsche Wehrmacht das Land Ungarn. Wenige Wochen später wurde der jüdischen Bevölkerung befohlen ein neues Erkennungszeichen, den „Judenstern, auf die Bekleidung aufzunähen. Es gab keine Erklärungen seitens der Mutter, denn sie wollte der Tochter keine Angst machen. Die Tante wollte zurück in die Slowakei gehen, da sie vermutete, die Lage habe sich vor Ort wieder verbessert. Eva erfuhr nun auch den Inhalt dieser Gespräche zwischen Tante Piri und der Mutter. Beide hatten miteinander abgesprochen, dass Eva mit in die Slowakei geht. Die Mutter organisierte im Vorfeld bereits die Pässe und Papiere. Zudem wurde auch der ganze Ablauf dieser „Reise
, die eigentlich eine Flucht war, organisiert. Eva erwähnt, dass die Mutter ihr, vermutlich um Sorgen und Ängste zu ersparen, nie die Wahrheit sagte, was der eigentliche und richtige Grund gewesen war, Tante Piri in die Slowakei zu begleiten. Heutzutage kann sie sich vorstellen, dass die Mutter sie vor der Deportation und den Folgen beschützen wollte.
Der Plan und die erste Etappe der Flucht waren, dass die Tante zusammen mit Eva in einem Zug an die ungarisch-slowakische Grenze fahren würde. Dort angekommen wartete ein junger Mann, um beide abzuholen. Am Tag der Abreise gingen alle gemeinsam zum Bahnhof und es folgte der Abschied von der Mutter und Tamás. Eva erinnert sich, wie die Mutter sie bei der letzten Umarmung fest an sich drückte. Sie bekam kaum mehr Luft. Zudem kullerten der Mutter viele Tränen die Wangen herunter. Eva fragte ihre Mutter, warum sie weinen würde. Die Mutter entgegnete nur, sie verspreche ihr in die Slowakei nachzukommen. Heute vermutet Eva, dass die Mutter wusste, dass es der letzte Augenblick und die letzte Umarmung mit der Tochter gewesen war. Die Worte der Mutter nahm sie sich sehr zu Herzen und hatte fortan jeden Tag die Hoffnung, dass die Mutter mit Tamás bald nachkommen würde. Zudem sagte die Mutter zu Eva, dass sie kein Wort erzählen und sich taubstumm stellen solle, daran hielt sie sich auch. Der Zug fuhr los und gemeinsam waren sie drei bis vier Stunden unterwegs. Nach dem Aussteigen gingen alle drei vor Ort zu der Mutter des jungen Mannes. Eva wurde gesagt, dass sie schnell ins Bett gehen müsse, da die Nacht sehr kurz wird. Nach wenigen Stunden Schlafenszeit wurde sie gegen ein Uhr in der Nacht geweckt. Gemeinsam mit der Tante kleidete man sie in alte Bauernkleider ein. Der junge Mann nahm die mitgebrachten Koffer an sich. Zum Abschied entgegnete die Mutter des Mannes, dass der liebe Gott beide Frauen auf dem weiteren Weg schützen solle. Sie drückte Eva und gab ihr einen Apfel als Proviant mit. Ein langer Fußmarsch von zehn bis elf Stunden folgte und führte in der Dunkelheit durch dichte Wälder. Unterwegs wollte Eva die Tante fragen, wann die Mutter nachkommen würde. Leider kam sie nicht dazu, da der junge Mann sie böse anschaute. Nach Ankunft in der Slowakei kamen die Tante und Eva in einem Krankenhaus unter. Der junge Mann stellte das Gepäck ab und die Tante gab ihm die Pässe und Papiere zurück. Eva vermutet, dass der Mann im Anschluss die Papiere und Pässe an die Mutter zurückschickte, damit sie wusste, dass beide am „Ziel" angekommen waren. Im ersten Stock des Krankenhauses erwarteten sie mehrere Krankenschwestern. Gezeichnet von Müdigkeit und Kraftlosigkeit, schlief Eva in einem zugeteilten Bett sofort ein. Nach einigen Stunden weckte sie die Tante und sagte, dass sie etwas essen und danach mit einer Dame mitgehen müsse. Diese Dame brachte sie nach dem Abschied von der Tante zu einem Bahnhof und gemeinsam fuhren sie mit einem Zug in eine andere Stadt. Dort angekommen, ging die Dame mit ihr zu einem Rabbiner. Er sprach auch die ungarische Sprache, sodass eine Verständigung möglich war. Er erzählte Eva gleich am ersten Abend, dass sie nur für drei Tage bei ihm bleiben würde und der Weg dann weitergeht. Sie wurde in diesen Tagen mit Essen und Trinken versorgt und kam wieder zu Kräften. Am dritten Tag kam sie morgens in der Früh zu einer anderen Familie. Der Rabbiner erwähnte, dass Eva sich dort wie zuhause fühlen würde, da sie bereits ein Mädchen, mit dem Namen Marika, in ihrem Alter hatten. Eva wurde herzlichst von der Familie empfangen und der Rabbiner verabschiedete sich. Zu Marika hatte Eva einen harmonischen Kontakt, es wurde zusammen gespielt und gelacht. Alles, was die Eltern von Marika für die eigene Tochter kauften, wie beispielsweise Sandalen, erhielt auch Eva. Gemeinsam gingen sie oft in die Stadt zum Eisessen oder ins Kino. Eva lebte ungefähr fünf Monate bei dieser Familie. Am Ende bekamen die Eltern ihrer Gastfamilie große Angst, dem Krieg selbst zum Opfer zu fallen, und sie entschieden sich für eine Flucht. Da die Gefahr zu groß war, auf eine weitere Person während der Flucht zu achten, konnte Eva nicht mitkommen. Dies wurde Eva während eines Frühstücks mitgeteilt. Sie suchten eine andere Familie, in der Eva unterkommen könnte, und fanden zwei ältere Damen.
Eines Nachmittags fuhren alle gemeinsam für ein Kennenlernen zu diesen Damen. Eva empfand die beiden Damen als sehr streng und kalt. Sie fing bitterlich an zu weinen, sodass die Familie vorerst den Besuch abbrach und zurückfuhr. Am Ende kam sie bei zwei anderen Damen, Zwillingen, in Obhut. Marika besuchte Eva noch dreimal und brachte auch Geschenke wie Himbeersirup, Puppen oder Bücher mit. Schlussendlich endete der Kontakt abrupt nach diesen Besuchen, eine richtige Verabschiedung gab es nicht. Eva fühlte sich bei den Zwillingen sehr wohl, sie half im Alltag mit und erlernte auch viele Dinge wie das Stopfen von Socken. Damit sie die Sorgen und Ängste für kurze Zeit vergessen konnte, bekam sie häufig Märchen vorgelesen. Insgesamt verblieb Eva nur wenige Wochen in dem neuen Zuhause, denn in einer Nacht sollte sich ihr Leben verändern. Es klopfte und klingelte an der Tür des Hauses. Eva lag in ihrem Bett und hörte an den Stimmen, dass Männer in das Haus eintraten. Es waren Soldaten, die lautstark fragten, wer noch in den anderen Zimmern des Hauses sei. Eva zog sich die Decke über den Kopf und wollte die lauten Schreie nicht mehr hören. Eine der beiden Damen kam in ihr Zimmer, rüttelte an ihrer Schulter und sagte, dass alle drei mit den Männern mitgehen müssten. Es wurden hektisch noch einige Beutel oder Koffer gepackt. Als Eva vor der Zimmertür stand, fiel ihr auf, dass sie ihre Lieblingspuppe Erika vergessen hatte. Sie fragte die Soldaten, ob sie nochmal in das Zimmer dürfte. Die Soldaten verneinten. Die drei mussten in einen alten Bus einsteigen, in dem schon andere Juden saßen. Sie wurden in ein Altenheim gebracht. Diese Einrichtung diente dazu, slowakische Juden für einen Weitertransport beziehungsweise die Deportation in die Konzentrations- und Vernichtungslager zu zentrieren.
Nach der Ankunft vergingen nur drei Tage, bis die ersten Deportationen organisiert und durchgeführt wurden. Es wurden täglich Listen mit Namen verlesen, Namen, die für die am selben Tag abgehenden Transporte zugeteilt wurden. An diesem dritten Tag fielen die Namen der beiden Damen, bei denen Eva untergekommen war. Sie rannte weinend zu ihnen und wollte mit, doch trennten sich fortan ihre Wege. Sie wurden über einen Zwischenstopp im westslowakisch gelegenen Arbeits- und Konzentrationslager Sereď in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz gebracht. Eva sollte das gleiche Schicksal mit dem letzten Zug, der nach Sereď abfuhr, ereilen. Einige Soldaten brachten die für den letzten Transport zugeteilten Juden zum Bahnhof und dort stand ein Viehwaggon für die Weiterfahrt bereit. Eva konnte erst gar nicht glauben, dass sie dort einsteigen musste, vermutete einen großen Irrtum. Leider führte der Weg in einen dieser Waggons. Kurz vor der Abfahrt ereignete sich eine für Eva sehr schockierende Situation. Eine Frau, Stella, zu der Eva während der kurzen Zeit in Sereď den einzigen Kontakt pflegte, wurde nachträglich kurz vor der Abfahrt noch in ihren Waggon gebracht. Sie hatte ihr Kind in einem Keller versteckt, wurde verraten, und die Soldaten erschossen ihr Kind. Dies geschah vor ihren Augen. Nach der Abfahrt hielten beide stetigen Augenkontakt und wurden so aufeinander aufmerksam.
In Sereď angekommen, mussten alle Menschen, die in den Viehwaggons waren, diese sofort verlassen. Stella nahm ihre Hand und so schafften sie es, beide in der gleichen Baracke und nebeneinander auf einer Holzpritsche unterzukommen. Eva zog sich aus dem Tagesgeschehen zurück, sprach sonst mit niemandem und wartete voller Angst und Sorge ab, wie es weitergehen würde. Der Aufenthalt in Sereď war nur von kurzer Dauer.
Der weitere Weg führte sie in einen nächsten Viehwaggon und auf eine längere Zugfahrt in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Eva erinnert sich daran, wie einige Menschen während der Fahrt voller Angst und Sorge weinten und beteten. Die Eimer waren voll mit der Notdurft der Menschen und es roch streng. Keiner in dem Waggon wusste, wie lange die Fahrt ging und welches Ziel die Zugfahrt hatte. Eine Versorgung mit Nahrung gab es nicht. Plötzlich endete die Zugfahrt und die Schiebetüren des Waggons wurden aufgeschoben. Eva bekam einen ersten Eindruck von dem Zielort. Es herrschte eine eisige Kälte mit Schnee und Wind. Deutsche Soldaten der SS, gekleidet in Uniform und Stiefeln, begleitet von aggressiv bellenden Schäferhunden, erwarteten die Juden. Mit lautstarkem Gebrüll wurden die ankommenden Menschen, so auch Eva, aufgefordert, die Viehwaggons über die sogenannte „Judenrampe zu verlassen. Den Juden wurde befohlen, alles an Gepäck und Habseligkeiten in den Waggons zurückzulassen. Plötzlich schnappte jemand nach ihrer Hand, es war Stella. Beide blieben fortan in dem neuen Lager zusammen. Die Menschen aus diesem Transport hatten großes Glück, denn an diesem Abend des 3. November 1944 fand keine Selektion durch die SS-Ärzte auf der Rampe statt. Sie wurden auf direktem Wege in das Arbeitslager auf der rechten Seite des Lagers Auschwitz-Birkenau getrieben. In dem Lagerabschnitt angekommen führte der weitere Weg in eine Baracke, die den Namen „Sauna
trug. In dieser Baracke mussten sich alle neuen Häftlinge nackt ausziehen. Eva zögerte und hörte nicht auf den Befehl, denn sie hatte eine Strickjacke der Mutter an. Diese Strickjacke diente als letzte Erinnerung an die Mutter. Eine Aufseherin schrie sie wütend mit einer erneuten Aufforderung zum Ausziehen an. Eva zog die Jacke daraufhin aus und legte sie sorgfältig zusammengefaltet hinter sich hin. Die Aufseherin marschierte auf Eva zu und schleuderte die Jacke mit dem Fuß davon. Eva kämpfe mit den Tränen, doch konnte sie die Situation nicht ändern.
Es ging nun in den Duschraum. Da an diesem Abend keine Selektion stattfand, hatten die Menschen aus dem Transport nicht den direkten Weg in die Gaskammern gehen müssen. Nach dem Duschen ging es in einen weiteren Raum, hier wurden die Haare abgeschnitten. Eva verlor ihre geliebten Zöpfe, die auf einen großen Haufen mit anderen Zöpfen geworfen wurden. Der nächste Schritt war, dass Eva komplett kahl geschoren wurde. In diesem für Eva sehr schrecklichen Moment dachte sie an die Mutter und daran, dass sie sich fortan wohl alleine zurechtfinden müsse. An diesem Abend wurden sie nach dem Abschneiden der Haare in Häftlingskleidung eingekleidet, die aus einer gestreiften Hose und einem mantelartigen Oberteil bestand. Zudem gab es Holzpantoffeln, die sie ohne Socken bei dem eisigen Wetter tragen mussten. Anschließend wurden sie in eine Holzbaracke gebracht. Stella fand in der mittleren Pritsche neben Eva einen Schlafplatz. Sieben bis acht Menschen mussten auf einer Pritsche schlafen und drehte sich eine Person um, mussten sich alle Personen ebenfalls umdrehen, daran erinnert sich Eva heute noch ganz genau. Es gab an diesem Abend noch eine Suppe aus einem großen Kessel. Völlig entkräftet und mit starker Müdigkeit schlief Eva danach auf ihrer Pritsche