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Unternehmensnachfolge: Die Kunst des Loslassens
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eBook320 Seiten3 Stunden

Unternehmensnachfolge: Die Kunst des Loslassens

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Über dieses E-Book

Mehr als eine halbe Million Familienunternehmen müssen in den kommenden Jahren eine Nachfolgelösung finden und aktiv angehen. Doch eine Unternehmensnachfolge ist etwas Hochemotionales, denn Familienunternehmer haben zu ihrem »Baby«, ihrer Firma, eine ganz besondere Beziehung: Das Unternehmersein hat eine Identität und ein wärmendes Feuer geschaffen, egal, ob es von Erfolgen oder auch von Misserfolgen gekrönt war. Wer sein Unternehmen an einen Nachfolger übergibt, sei es innerfamiliär oder durch einen Firmenverkauf, wagt den mutigen Schritt ins Dunkel. Doch ein neuer Funke, der entfacht werden will, wartet schon auf ihn! Davon ist der frühere Familienunternehmer und jetzige Nachfolgespezialist Nils Koerber überzeugt, denn er hat dies alles selbst erlebt. Mit seinem Leitfaden und konkreten Beispielen und Ideen macht er Mut zum Loslassen – der Schlüssel für eine erfolgreiche Unternehmensnachfolge.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum8. Juni 2020
ISBN9783647999661
Unternehmensnachfolge: Die Kunst des Loslassens

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    Buchvorschau

    Unternehmensnachfolge - Nils Koerber

    1

    Wertschätzung des Firmenfeuers

    Über das Feuer, die Frage nach dem Warum und die Tatsache, dass Sie etwas ganz Besonderes sind

    Draußen schüttet es, der Regen schlägt gegen die Fenster. Drinnen sitze ich dann am liebsten mit meiner Familie am Kaminfeuer. Meistens schimmert der Wein rot und satt in den Gläsern, der Geruch von Holz und Harz macht die Luft schwer, es liegt eine Atmosphäre von Ruhe und Gelassenheit auf unseren Gesprächen, wie sie nur die Wärme eines brennenden Kamins schaffen kann.

    Das Feuer ist seit Jahrtausenden Sinnbild für einen Ort, an dem man sich in einer sicheren Gemeinschaft versammelt, um Geschichten zu teilen. Wir sitzen im verbindenden Kreis um eine wärmende und nährende Quelle, Heldengeschichten werden erzählt, Richtungen gezeigt, Werte gesetzt. Am Feuer konnte der Jäger mit stolzgeschwellter Brust seine Beute präsentieren und allen anderen klarmachen, wo er sie gefunden hatte: Dort gibt es mehr davon, geht selber hin!

    Wo ist Wasser, wo wird es gefährlich, wo lauert der Säbelzahntiger? Nur am Lagerfeuer gab es »latest news«. Die Geschichten der Alten vermittelten den Jungen, worauf es ankam. Die Geschichten der Jungen boten den Alten Gelegenheit zu staunen oder nachsichtig die Köpfe zu schütteln. Schon lange bevor es eine Schrift gab, bevor Gesetze aufgeschrieben wurden oder ein Gesellschaftsvertrag uns Regeln auferlegte, markierte das Feuer den Ort, an dem Geschichten sowohl Information als auch Orientierung boten. Ein Ort, an dem ein Wert vermittelt und eine Gemeinschaft gestärkt wurde. Daran hat sich heute, tausende Jahre später, nichts geändert. Noch immer sitzen wir am Lagerfeuer und fühlen eine besondere, nährende Qualität der Gemeinschaft.

    Ich liebe die archaische Vorstellung des Feuers als Sinnbild für Unternehmertum. Das Firmenfeuer ist es, dass Sie als Unternehmer entfacht und weitergetragen haben. Denn auch ein Unternehmen bietet all das, was ein Lagerfeuer bietet: Sicherheit und Schutz, es wärmt durch Gemeinschaft, es nährt durch Verdienst. Allerdings ist es viel zu kurz gesprungen, wenn wir als Unternehmer sagen, dass es auf den Verdienst ankommt, wir hauptsächlich einen monetären Nutzen aus der Unternehmung ziehen oder gezogen haben. Dieser Aspekt ist nur ein Teil des großen Ganzen und nicht einmal der relevanteste. Wir haben viel mehr aus dem Unternehmen gezogen, das Firmenfeuer hat unsere Identität geprägt: All das, was Sie als Person, als Persönlichkeit ausmacht, hat Ihnen das Firmenfeuer beschert – Ihre gesamte Entwicklung in sozialer oder intellektueller Hinsicht, Ihre Identität als Familienunternehmer. Alles, was Sie sagen, was Sie tun, passiert Ihnen, während Sie das Feuer hüten und weiter anfachen.

    Den meisten von uns mag es nicht bewusst sein, aber die Firma hat unsere Entwicklung befeuert und dafür gesorgt, dass wir heute sind, was und wer wir sind. Eine Unternehmerpersönlichkeit kann man vielleicht durch bestimmte Aus- und Weiterbildungen stärken, aber vor allem wächst sie mit dem Verhalten, mit dem unternehmerischen Handeln, dem Übernehmen und Übertragen von Verantwortung. Verbunden damit ist auch eine Aufgabenstellung, die Sie als Unternehmer angenommen haben. Als Hüter des Firmenfeuers sind Sie Vorbild und Mentor, gleichermaßen in der Firma wie in der Familie. Sie stiften soziale Bindungen und profitieren zugleich davon, zeigen Integrität und leben ein Miteinander. Ich kenne viele Unternehmer, die sich gerade in Stunden der Not mit ihren Mitarbeitern verbunden fühlen. Sei es eine Krankheit oder ein Todesfall – Unternehmer nehmen Anteil am Leben und Leid ihrer Mitarbeiter. In Familienunternehmen mit beständig loderndem Firmenfeuer geht es fast nie anonym zu, so zumindest habe ich es als Unternehmer immer erlebt und erlebe es auch heute in meinen Beratungen so. Deswegen ist für mich das Feuer das perfekte Symbol für unternehmerisches Handeln: Es symbolisiert gemeinschaftliches Leben, es verbindet, zieht uns eng zusammen, damit wir gemeinsam von seinem Schutz und seiner Wärme profitieren können.

    Seltener als Autofahrer, die E10 tanken

    Sie haben mit Ihrem Unternehmen über Jahrzehnte so ein Feuer am Brennen gehalten, an dem nicht nur Sie sich genährt haben, sondern auch Ihre Familie, Ihre Mitarbeiter und deren Familien. Diese Leistung und diesen gesellschaftlichen Wert gilt es zu sehen und zu honorieren. Denn mit dieser Lebensleistung gehören Sie zu einer privilegierten Minderheit, sind ein besonderer Leistungsträger. Sie haben etwas auf sich genommen, was nur ein verschwindend geringer Prozentsatz der beruflich Tätigen schafft. Zumindest bei uns Deutschen, wo die Risikofreude noch nie besonders ausgeprägt war. Die weitaus meisten Menschen arbeiten hierzulande als abhängig Beschäftigte. Gemäß BMAS (siehe Abbildung) waren im Jahr 2016 gerade einmal zehn Prozent der Erwerbstätigen selbstständig. Damit können Sie sich einreihen in die Autofahrer mit Seltenheitsgrad, die an der Tankstelle tatsächlich den Rüssel mit dem E10-Biosprit⁸ nutzen: sehr seltene Art, extrem gefährdet. Noch trüber wird das Bild des Unternehmertums in Deutschland, wenn man von den Selbstständigen die Solopreneure, also die Selbstständigen ohne Mitarbeiter, abzieht. Dann sind es noch etwas über vier Prozent in Deutschland, die unternehmerische Verantwortung für andere übernehmen und tragen.

    Im globalen Vergleich hinken wir weit hinterher – Deutschland ist nicht gerade bekannt als das Land, in dem Menschen leichten Herzens und frohen Mutes ein Unternehmen gründen oder übernehmen. Ist es eine historische oder gesellschaftliche Prägung, Bürokratie oder ein bisschen von beidem? Während die USA als das Eldorado der Selfmade-Unternehmer gelten, sind wir hier vorsichtig – oder feige?

    Umso mehr gilt es, Ihren Mut zu würdigen. Sie haben Verantwortung übernommen und etwas geschafft, das nur wenige im Leben erreichen. Ihre Leidenschaft, Ihre Motivation und vielleicht sogar eine bestimmte Mission haben Sie langfristig motiviert, all das zu lernen und weiterzugeben, was für die Umsetzung des unternehmerischen Handelns (und damit für den Umsatz) wesentlich ist.

    Quelle⁹: nach Forschungsbericht BMAS, 2018, Maier und Ivanov, S. 14

    Der goldene Kreis – frag nach dem Warum

    Bevor (und damit) wir verstehen, warum wir loslassen sollen, schauen wir uns doch einmal an, warum wir festhalten. Und was.

    Stellen Sie sich vor, Sie sind auf einer Party. Man steht so rum, das Glas in der Hand und unterhält sich. Sie schauen sich die Gäste an, lernen jemanden kennen und es folgt im Gespräch irgendwann die obligatorische Frage: »Und, was machst du so?« Und dann erzählen Sie – von Ihrem Unternehmen, von den Produkten, vielleicht ein bisschen von der Historie und von den aktuellen Herausforderungen. Was man halt so erzählt, wenn man auf Interesse stößt und interessant sein möchte. Und dann stellt Ihr Gegenüber plötzlich eine seltsame Frage: »Und warum? Warum tust du das?« Ich glaube nicht, dass viele Partygäste hier spontan eine Antwort abrufbar haben. Ja, warum eigentlich …? Hätten Sie eine? Spannend, oder?

    Wir wissen, was wir tun, und wir wissen zumeist auch, wie wir es tun. Wir kennen unsere Ausbildung, unsere Laufbahn, wir können (vielleicht) von unseren Fähigkeiten erzählen, aber: Warum tun wir das, warum sind wir Unternehmer? Und auf das Unternehmen bezogen: Warum produziert und leistet es genau das, was es leistet? Warum kommen die Mitarbeiter jeden Tag dorthin, warum leisten sie, was sie leisten? Sollte die Frage nach dem »Warum« nicht eigentlich ganz oben stehen, statt nur Teil eines Partygesprächs zu sein? Sie ist es, die über Motivation und Innovation entscheidet – darüber, ob Sie jeden Tag freudig beginnen oder sich zur Arbeit schleppen. Darü ber, ob Kunden nur etwas kaufen, weil es oben im Regal liegt und billig ist, oder ob sie einen Wert kaufen – ein »Darum«.

    »Menschen kaufen nicht, was man macht, sie kaufen, warum man etwas macht.« Das ist eine der Thesen, die Simon Sinek¹⁰ in seinem Buch »Start with Why« (Deutsch: »Frag immer erst: warum«) vertritt. Der US-amerikanische Journalist, Autor und Redner beginnt das Buch mit der Geschichte über den ersten Motorflug. Warum waren es die Gebrüder Wright mit ihrer Fahrradwerkstatt, die den ersten erfolgreichen Flug absolvieren konnten? Warum nicht Samuel P. Langley, obwohl er die besseren Forscher und Ingenieure hatte, mehr Budget und Material? Warum ist Apple Jahr für Jahr so viel innovativer als andere IT-Unternehmen? Sie alle haben doch Zugriff auf die gleichen Informationen und Ressourcen? Warum war es gerade Martin Luther King, der zum Vorreiter der Bürgerrechtsbewegung in den USA wurde? Es gab Millionen andere, die wegen ihrer Hautfarbe ebenso diskriminiert wurden. Sinek sagt, dass diese Persönlichkeiten und Unternehmen eines gemeinsam haben: Sie ticken anders als der Rest der Welt. Ihr Denken und Handeln startet mit einem starken Warum, nicht mit dem Wie oder dem Was.

    Um diese andere Denkweise zu erklären, hat Sinek den »golden circle«, den goldenen Kreis, entwickelt. In ihm sind das Warum, das Wie und das Was in konzentrischen Kreisen angeordnet. Er erläutert, dass die meisten Menschen oder Unternehmen vom äußeren Kreis – dem Was – zum inneren Kreis – dem Warum – kommunizieren. Innovative, motivierende und damit erfolgreiche Unternehmen oder Unternehmer machen es anders: Ihr Ausgangspunkt aller Überlegungen ist das Warum. Das Warum ist der Kern des Unternehmertums – ganz nah an unserer Persönlichkeit. Hier wird entschieden, ob wir etwas als wertvoll erachten oder nicht, ob wir einen Sinn sehen. Das Warum beeinflusst unsere Gefühle: unsere Motivation, unsere Kaufentscheidungen oder unsere Vision. Das Warum ist die Kreisebene des menschlichen Verhaltens, der Überzeugungen.

    All das wird nur am Rande beeinflusst von rationalen Überlegungen, die wir entsprechend im äußeren Kreis finden: die »hard facts«, das Produkt, die Zahlen, die Daten. Oder Ausbildung, Karriere, Kompetenzen. Diese Ebene ist mit der Ratio des Menschen verbunden. In der Mitte des Kreises liegt das Wie: Es beschreibt die Art und Weise, wie wir etwas tun, wie wir führen, produzieren und verkaufen, wie wir unsere Leistung erbringen.

    Simon Sinek führt aus, dass durch die Motivation aus dem inne ren Kreis Inspiration entsteht. Inspirierte Unternehmen zeigen offensiv, woran sie glauben und warum sie tun, was sie tun. Sie realisieren einen inneren Zweck, haben klare Werte und geben ihrem unternehmerischen Wirken einen expliziten Sinn. Das ist es, was sie motiviert, tagtäglich Großartiges zu leisten. Durch diese Schaffenskraft mit Herz und Seele werden die Gefühle der Menschen angesprochen – die der Mitarbeiter, die der Kunden. Während herkömmliche Unternehmen großartige Produkte produzieren können, mit perfektem Styling und coolen Gadgets, verkaufen die anderen ein Lebensgefühl. Durch das Warum entsteht der Sinn des Handelns, daraus ergeben sich das Was und das Wie. Damit beeinflusst die Definition des Warums übrigens auch maßgeblich die Rekrutierung neuer Mitarbeiter. Intrinsisch – also durch einen Sinn – motivierte Mitarbeiter sind in den heutigen komplexen Zeiten besonders wichtig. Durch ihr eigenverantwortliches Handeln helfen sie Organisationen dabei, mit komplexen Problemen umzugehen.

    Quelle¹¹: nach »The golden circle«-Buch von Simon Sinek

    Ein Warum ist nicht nur erforderlich, um dem Unternehmen einen Sinn zu geben. Jeder Unternehmer benötigt es, um sich selbst und andere zu inspirieren. In einem TEDx-Vortrag sagt Sinek (sinngemäß): Martin Luther King hielt die »Ich habe einen Traum«-Rede, nicht die »Ich habe einen Plan«-Rede. Sonst hätten ihm wahrscheinlich nicht 250.000 Menschen zugehört. Wir folgen inspirierenden Persönlichkeiten wie Martin Luther King nicht, weil wir müssen, sondern, weil wir wollen. Wir kaufen inspirierende Produkte nicht, weil sie griffbereit auf Augenhöhe liegen oder nur einen Klick vom Warenkorb entfernt sind. Für solche Produkte klappern wir sogar ganz analog die Läden ab. Das Warum, der Sinn, macht den Unterschied.

    Endlich Wochenende

    Starte mit dem Know-why, das Know-how kommt von allein. Mit diesem Satz konfrontiere ich neue Mitarbeiter und Partner, die bei der Unternehmensgruppe KERN einsteigen möchten. Mir ist es extrem wichtig, dass jeder von ihnen mir ein Warum nennen kann. Warum wollen sie Unternehmensnachfolgen begleiten?

    Trotzdem ist mir natürlich klar, dass es den Menschen mehrheitlich sehr schwerfällt, ein Warum in ihrem Leben zu definieren. Noch schwerer ist es, wenn sie schon in beruflichen Situationen oder in einem festen Lebensplan etabliert sind. Die meisten von uns wissen und hinterfragen gar nicht, warum sie etwas machen, freuen sich nur auf »endlich Wochenende«. Ich finde das schade, denn diese »sinnlos« vertane Zeit verbraucht viel unserer kostbaren Energie, unserer Lebenszeit. Wenn wir Woche für Woche nur tun, was wir tun müssen, und nie nach dem Warum fragen, dann ist es doch ein bisschen so, als würden wir gar nicht richtig leben? Wir leben für das Wochenende, für das Morgen – für den Ruhestand? Aber was dann? Was machen wir, wenn uns der Rahmen des »Ich bin Unternehmer« plötzlich fehlt? Haben wir im Ruhestand plötzlich einen Sinn, dem wir folgen können, oder wird uns der Wunsch nach Flucht – nach »endlich Wochenende« – auch hier verfolgen? Nur ist das Wochenende plötzlich kein Ziel mehr, da jeder Tag ein freier Tag ist.

    Ein Warum zu definieren, muss vielleicht gar kein großes Ding sein. Manchmal reicht es schon zu sagen: »Ich mach das, weil es für meine Familie wichtig ist.« Auch ein kleines Warum bietet einen Halt, eine Orientierung, einen Sinn. Viel wichtiger, als den »Knallersinn« zu finden, ist es, sich überhaupt mit der Frage zu beschäftigen – sowohl für das Selbstverständnis als Unternehmer und Mensch als auch (und gerade) für das Unternehmen und den Prozess der Nachfolge.

    Ich bin, also mache ich

    Zugegeben, es ist eher selten, dass die Frage nach dem Warum auf einer Party gestellt wird. Deswegen hatte ich Sie weiter oben gebeten, nicht so schnell abzuwinken, als es um den Wert dessen ging, was Sie geschaffen haben und immer noch schaffen. Und deswegen greife ich die Frage nach dem Warum hier auf, denn es ist die wesentliche Frage, wenn wir uns mit dem Loslassen beschäftigen wollen. Wenn Sie das Warum in Ihrem Leben und Wirken nicht geklärt haben, dann wird auch das Warum der Nachfolge schwierig werden. Ihr Selbstverständnis als Unternehmer wird auch den Prozess des Loslassens bestimmen und deswegen werden wir jetzt beginnen, das ans Tageslicht zu holen, was Sie und Ihre Familie all die Jahrzehnte vielleicht nur unbewusst geleistet haben. Wir schauen uns im weiteren Verlauf dieses Kapitels genau an, welchen Einfluss Sinn und Werte auf das Handeln und damit auch auf das Loslassen haben. Wir finden ein Warum, denn sonst können die tollsten Was und Wie im Nachfolgeprozess angeführt und entwickelt werden, sie werden aber alle nicht funktionieren.

    Ach, das war mir nie so wichtig

    Finden Sie es nicht interessant, dass den meisten Unternehmern ihre unternehmerischen Tugenden und Qualitäten gar nicht bewusst sind? Wir erbringen tagtäglich Höchstleistungen, gehören zu einer absoluten Minderheit von circa vier Prozent der Erwerbstätigen, die es geschafft haben, ein Unternehmen so aufzustellen, dass es ihnen, ihrer Familie und ihren Mitarbeitern ein nährendes und wärmendes Feuer bietet.

    Wir sollten diese Leistung viel stärker in unser Bewusstsein überführen, damit das unbewusste »Wurschteln« zu einem bewussten Schaffen wird. Ich lade Sie (und alle Familienmitglieder und vielleicht auch Mitarbeiter) hiermit zur Reflexion ein: Werden Sie sich klar darüber, was Sie da tun. Ich mache immer wieder die Erfahrung, dass es sehr erleichternd ist, sich Klarheit zu verschaffen, sich sozusagen geografisch zu verorten. Wenn ich meine Koordinaten kenne, dann weiß ich, wo ich bin, und es wird klarer, wo ich hinlaufen könnte. Die Optionen kommen dabei aus dem diffusen Nebel ins Licht der Straßenlaterne. In welche Richtung weisen meine Koordinaten? Was macht mich jetzt gerade aus – als Mensch, als Unternehmer? Und in welche Richtung kann und soll es von hier aus gehen?

    Wenn Sie für sich Ihren Standort bestimmt haben und dann die jüngere Generation übernimmt (oder auch jemand von außen kommt), dann haben Sie mit diesen Koordinaten ein wertvolles Funda ment geschaffen! Sie als Übergeber können mithilfe der Standortbestimmung dem Übernehmer das bestehende System klarmachen. Sie können es gemeinsam hinterfragen: Bleiben das unsere Koordinaten, können wir uns darauf verlassen? Gibt es neue Ko ordinaten, an denen wir unseren Weg ausrichten können oder müssen?

    Und Sie können sicher sein, dass es neue Koordinaten geben wird. Schlagworte wie Digitalisierung oder Disruption geistern durch die Medien. Auch wenn wir als Unternehmer sehr gut wissen, dass die heutige Zeitung morgen nur noch für den Fisch reicht, sollten wir diese Themen nicht auf die leichte Schulter nehmen. Unsere Wirtschaft wird sich weiter verändern, und schneller, als sie das bisher getan hat. Der Handlungs- und Entscheidungsrahmen für Unternehmen wird immer globaler und komplexer. Alles ist mit allem verbunden. Wohin die Reise geht, können wir zum jetzigen Zeitpunkt nur ahnen, nicht wissen. Was wir wissen: Technologie wird eine wichtige Rolle spielen, denn alles, was automatisiert werden kann, wird automatisiert werden. Technische Neuerungen könnten schon morgen dafür sorgen, dass Ihre Produkte, Ihre Dienstleistungen, so wie sie jetzt sind, nicht mehr gebraucht werden. Das bedeutet Disruption. Und in diesem schnellen, beweglichen, unsicheren und komplexen Umfeld sind die Unternehmen glasklar im Vorteil, die ihre Koordinaten kennen. Denn durch eine klare Standortbestimmung wird es möglich zu erkennen, wohin die Reise geht.

    Ein Versicherungsmakler kann resignieren, weil Algorithmen und Portale seine Dienstleistung übernehmen. Er kann sein Unternehmen an den Nagel hängen und angeln gehen. Oder er macht eine Standortbestimmung, fragt sich, was er da genau tut und warum trotz der Portale immer noch Menschen zu ihm kommen. Er erarbeitet sich seine Koordinaten und wird feststellen: Die Menschen kommen nicht zu mir, weil sie schnell und günstig irgendeine Versicherung haben wollen. Sie wollen das, was sie im Internet nicht bekommen: eine fundierte Beratung sowie die Sicherheit, im Schadensfall schnell und unbürokratisch durch ein bekanntes Gesicht Hilfe zu erhalten. Sie wollen keine 15 Wahloptionen, sondern einen authentischen Menschen, der einen Rat gibt, auf den man vertrauen kann. Wenn der Makler dann feststellt, dass er das alles nicht bieten kann, kann er ja trotzdem noch angeln gehen. Petri Heil! Was ich mit diesem Beispiel zeigen will: Mit den richtigen Koordinaten hat jeder Unternehmer die Möglichkeit, sich durch Sinn und Werte eine breite Handlungsbasis zu schaffen, von der aus er und jeder seiner Mitarbeiter verstehen kann, was der Zweck des Unternehmens ist.

    Das allererste Mal

    »Ich soll also meine Koordinaten bestimmen, hat der Koerber gesagt. Der hat leicht reden!« Warum fällt eine Stärken-Schwächen-Analyse womöglich Ihnen als Unternehmern schwerer? Ich habe eine Vermutung: Anders als die übrigen 90 Prozent der Erwerbstätigen hatten Sie es noch nie nötig, sich und anderen Ihre Stärken bewusst zu machen. Sie haben nie ein Bewerbungsgespräch aus Bewerbersicht führen müssen, nie ein Stärken-Schwächen-Profil ausarbeiten müssen, nie einem Personaler die dämliche Frage »Was würden Sie als Ihre größte Schwäche bezeichnen?« beantworten müssen. Sie waren einfach immer Sie selbst, ohne sich erklären zu müssen – eine Unternehmerpersönlichkeit. Das ist so selbstverständlich, dass Sie nie darü ber nachgedacht haben.

    Aber warum gerade Sie? Wie sind Sie dahin gekommen, wo Sie jetzt sind? Warum sind genau Sie einer von den 4,4 Prozent, die unternehmerische Verantwortung erfolgreich übernommen haben? Ist es Ihre »Unternehmerpersönlichkeit«? Und was ist das eigentlich ganz genau: eine Unternehmerpersönlichkeit?

    Gibt es eine bestimmte Persönlichkeit, mit der man oder frau als Unternehmer erfolgreich sein kann? Und wenn ja, wie sähe die wohl aus? Verschiedene Studien scheinen darauf hinzuweisen, dass bei erfolgreichen Unternehmern einige Persönlichkeitsmerkmale besonders stark ausgeprägt sind: Durchhaltevermögen, Flexibilität, Risikobereitschaft, Eigenmotivation, soziale Kompetenz und Leidenschaft, heißt es dort, seien Merkmale erfolgreicher Unternehmer. Ich halte diese Vorstellung einer »Unternehmerpersönlichkeit« für überholt und glaube, wir sollten damit aufräumen. Für mich ähnelt diese Vorstellung der ewig unbeantworteten Frage nach Henne versus Ei: Hatte ich schon eine hohe soziale Kompetenz, bevor ich Unternehmer wurde, oder habe ich sie mir angeeignet, weil ich Unternehmer

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