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Eiskaltes Sylt: Küstenkrimi - Nordseekrimi
Eiskaltes Sylt: Küstenkrimi - Nordseekrimi
Eiskaltes Sylt: Küstenkrimi - Nordseekrimi
eBook414 Seiten10 Stunden

Eiskaltes Sylt: Küstenkrimi - Nordseekrimi

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Über dieses E-Book

Sylt, Anfang Februar: Auf einer tiefgefrorenen Weide wird die bestialisch zugerichtete Leiche eines Schafzüchters gefunden, inmitten seiner Tiere. Alles spricht für einen Racheakt, denn in der Vergangenheit des Mannes finden sich schnell dunkle Geheimnisse. Hannah Lambert und ihr Kollege Sven-Ole Friedrichsen machen sich umgehend auf die Jagd nach dem Täter. Dabei stoßen sie auf immer mehr schreckliche Details und müssen feststellen, dass hinter beinahe jeder Ecke eine neue Überraschung lauert. Und auch Hannahs Altlasten geben keine Ruhe: Eine italienische Anwältin meldet sich für einen Besuch an und sorgt damit für zusätzliche Turbulenzen. Notgedrungen kämpfen die Ermittler an zwei Fronten gleichzeitig und werden immer tiefer in einen Strudel aus Lügen und abscheulichen Geheimnissen gezogen.
 
»Eiskaltes Sylt« ist Teil 2 der Reihe »Hannah Lambert ermittelt«.
 Jeder Fall ist in sich abgeschlossen. Es kann allerdings nicht schaden, auch die vorangegangenen Fälle zu kennen ;)
 
Bisher erschienen:
"Ausgerechnet Sylt"
"Eiskaltes Sylt"
"Mörderisches Sylt"
"Stürmisches Sylt"
"Schneeweißes Sylt"
"Gieriges Sylt"
"Turbulentes Sylt"
"Düsteres Sylt"
"Funkelndes Sylt"
"Brennendes Sylt"
"Vergangenes Sylt" - JETZT BRANDNEU!

"Hannah Lambert ermittelt" ist mit über 1 Mio. verkauften Exemplaren eine der erfolgreichsten Krimi-Serien der letzten Jahre. Alle Teile sind als eBook und Taschenbuch verfügbar. Band 1-10 auch als Hörbuch … der 11. Teil folgt in Kürze.
SpracheDeutsch
HerausgeberZeilenfluss
Erscheinungsdatum24. Feb. 2022
ISBN9783967141917
Eiskaltes Sylt: Küstenkrimi - Nordseekrimi

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    Buchvorschau

    Eiskaltes Sylt - Thomas Herzberg

    Was man über Sylt wissen sollte …

    »Rüm hart, klaar kiming« (weites Herz – klarer Horizont): Ein Zitat, das den inselfriesischen Kapitänen zugeordnet wird. Damit beschreiben sie – neben der Mentalität der Menschen, die dort zu Hause sind – auch eine in Deutschland einzigartige Landschaft. Sylt ist vermutlich der bekannteste Teil davon. Aber wer glaubt, auf der beliebten Ferieninsel nur Schickimicki vorzufinden, irrt gewaltig. Denn wer genauer hinsieht und einen kleinen Fußmarsch nicht scheut, stößt hier auf einmalige Orte, die man nie wieder vergisst. Es heißt nicht umsonst: »Wer sich in Sylt verliebt, den lässt die Leidenschaft nie wieder los.« Vom Millionär und Gentleman-Playboy Gunter Sachs stammt folgendes Zitat zum anderen Gesicht der Insel: »Ich fühle mich in Kampen auf Sylt ein bisschen wie ein Affe im Zoo … aber mit lieben Besuchern.«

    Klar, wer den Sound neuester Sportwagen, Champagner und teure Boutiquen zum Glücklichsein braucht, wird auf Sylt ebenfalls fündig. Jeder wie er mag … und ich glaube, das beschreibt die Mentalität der Menschen hier am besten.

    Sylt in Zahlen:

    Länge von Nord nach Süd: 38 Kilometer

    Breite von West nach Ost: 12,6 Kilometer (an der schmalsten Stelle sind es weniger als 500 Meter)

    Und weil eben keine Straße nach Sylt führt, erfolgt die Anreise nur per Autozug, Fähre oder Flugzeug. Wer sich auf den Weg macht, dem wünsche ich viel Spaß auf der Insel. Vielleicht laufen wir uns ja zufällig bei Gosch über den Weg und essen zusammen ein Fischbrötchen. Aber Vorsicht: Nicht nur ich, sondern auch die Möwen dort sind verdammt hungrig ;)

    Inhalt

    Sylt, Anfang Februar: Auf einer tiefgefrorenen Weide wird die bestialisch zugerichtete Leiche eines Schafzüchters gefunden, inmitten seiner Tiere. Alles spricht für einen Racheakt, denn in der Vergangenheit des Mannes finden sich schnell dunkle Geheimnisse. Hannah Lambert und ihr Kollege Sven-Ole Friedrichsen machen sich umgehend auf die Jagd nach dem Täter. Dabei stoßen sie auf immer mehr schreckliche Details und müssen feststellen, dass hinter beinahe jeder Ecke eine neue Überraschung lauert. Und auch Hannahs Altlasten geben keine Ruhe: Eine italienische Anwältin meldet sich für einen Besuch an und sorgt damit für zusätzliche Turbulenzen. Notgedrungen kämpfen die Ermittler an zwei Fronten gleichzeitig und werden immer tiefer in einen Strudel aus Lügen und abscheulichen Geheimnissen gezogen.

    Eiskaltes Sylt ist Teil 2 der der Reihe Hannah Lambert ermittelt.

    Jeder Fall ist in sich abgeschlossen. Es kann allerdings nicht schaden, auch die vorangegangenen Fälle zu kennen ;)

    Bisher erschienen:

    Ausgerechnet Sylt

    Eiskaltes Sylt

    Mörderisches Sylt

    Stürmisches Sylt

    Schneeweißes Sylt

    Gieriges Sylt

    Turbulentes Sylt

    Hannah Lambert ermittelt ist mit weit über 600.000 verkauften Exemplaren eine der erfolgreichsten Krimi-Serien der letzten Jahre. Alle Teile sind als eBook und als Taschenbuch verfügbar. Band 1-6 sind bereits als Hörbuch erschienen, Teil 7 folgt in Kürze.

    Weitere Informationen und Bücher findet ihr auf meiner Homepage:

    ThomasHerzberg.de

    Thomas Herzberg auf Facebook

    1

    Hans-Georg Mommsen war für seine Verhältnisse spät dran. Die vollständig von Reif bedeckten Schafweiden erreichte er an diesem besonders kalten Morgen erst gegen neun. Sein Traktor keuchte noch immer wie eine alte Dampflok. Der Motor – ein 40 PS Deutz, der eigentlich ins Museum gehörte – machte schon seit Wochen Probleme, wollte bei dieser Kälte nur unter röchelndem Protest anspringen. Doch jede Reparatur würde Zeit in Anspruch nehmen, die Maschine womöglich tagelang lahmlegen. Ganz davon abgesehen, dass Mommsen, wenn es um Hilfe ging, stets auf Firmen vom Festland zurückgreifen musste. Hier, auf der Insel wollte schon seit Ewigkeiten niemand mehr mit ihm zusammenarbeiten. Nicht mehr, seit ... egal

    Er hasste diese Insel, von der alle schwärmen, als sei sie das Paradies, der Mittelpunkt des Jetsets, an dem sich die Schönen und Reichen nur allzu gern versammeln. Doch er kannte die Insel besser. Ein Ort, der für niemanden eine zweite Chance bereithielt – ganz egal, ob schuldig oder unschuldig; ob man seine Strafe verbüßt hatte oder nicht. Und er wäre längst weg, wenn da nicht seine Tiere wären, die ihn brauchten und deren nächste Station ohne ihn der Schlachthof wäre.

    Mommsen schüttelte den Kopf, um die lästigen Gedanken zu vertreiben. Ein weiterer Blick traf seinen noch immer keuchenden Traktor und sorgte für Kopfschütteln. Wie sollte er denn ohne maschinelle Hilfe das Futter für die Schafe transportieren? Ganz zu schweigen von Wasser, das er seinen Tieren mindestens zweimal täglich bringen musste. Sämtliche Tränken waren schon seit Mitte Januar zugefroren. Dafür war ein Tief aus Skandinavien verantwortlich, das nicht nur Sylt, sondern ganz Norddeutschland mit eisiger Hand umklammerte.

    Mommsen schaute auf und ließ seinen Blick gedankenverloren über die Nordsee schweifen. Die ging am Horizont beinahe nahtlos in einen schiefergrauen Himmel über, der auch heute keinen Sonnenstrahl durchlassen würde. Das Wetter passte bestens zu seiner Stimmung. Dazu wanderten seine Gedanken weit in die Vergangenheit. Was er dort fand, kam ihm wie ein anderes Leben vor. Eines, in dem er am liebsten Arzt geworden wäre, oder wenigstens Tierarzt. Auf jeden Fall ein Leben, in dem er studiert und dieser Insel für alle Zeit den Rücken gekehrt hätte. Alles Träume! Träume, die nicht in Erfüllung gingen.

    Stattdessen beschäftigte sich Hans-Georg Mommsen schon fast sein ganzes Leben lang mit Schafzucht. Als sein Vater starb, hatte er dessen achtzig Tiere einfach übernommen. Heutzutage waren es im Frühjahr, wenn die Lämmer zur Welt kamen, über vierhundert hungrige Exemplare, die keinerlei Verständnis für Wochenenden, Feiertage oder eine Erkältung aufbrachten. Abgesehen von einer fünfjährigen Unterbrechung verbrachte Mommsen schon seit Jahrzehnten beinahe jede wache Stunde auf seinen Weiden und kümmerte sich um seine Schützlinge. Es fragte nur selten jemand. Aber wenn, dann erklärte er jedem Interessierten bereitwillig, dass es sich bei der Schafzucht nicht um einen Job, sondern um eine Lebensaufgabe handle. Wer das anders sehe und nur auf Profit aus sei, der wäre in dieser beschwerlichen Branche völlig falsch aufgehoben.

    Hinter Mommsen, ein gutes Stück entfernt, meldete sich der Autozug mit schrillem Pfeifen zu Wort. Selbst dessen wenige Anhänger waren nur spärlich besetzt. Lediglich ein paar Transporter und Lkw kamen zu dieser Jahreszeit regelmäßig nach Sylt, um die Bewohner der Insel mit den notwendigen Dingen des Lebens zu versorgen. Im Frühjahr, spätestens wenn die Osterferien nahten, erwachte alles rundherum aus dem Winterschlaf. Danach würde es vielen der Inselhopper nur noch um Luxus und Konsum gehen. Jede Herberge platzte wahrscheinlich bis zum nächsten Saisonende aus allen Nähten. Bis dahin blieb den Einheimischen aber noch ein wenig Zeit zum Durchatmen. Die Gelegenheit, Normalität zu inhalieren, die es hier nur außerhalb der Saison gab.

    Der Autozug war weitergerumpelt und würde schon bald seine Endstation in Westerland erreichen. Einer der Lkw darauf dürfte spätestens am Nachmittag auf Mommsens Hof haltmachen, um neues Kraftfutter für die Schafe zu liefern. Die Wiesen waren schockgefroren, teilweise schneebedeckt. Ein eisiger Januar hatte erst vor Kurzem den Staffelstab an einen ebenso kalten Februar überreicht. Alle Wetterberichte waren sich darüber einig, dass der Winter noch lange nicht vorüber sei. Im Klartext hieß das: Während Mommsen sich einen Buckel schuftete, fraßen seine Schafe auch den letzten Rest eines vermeintlichen Gewinns auf. Und während die EU beinahe jeden Bauern in Rumänien, Griechenland oder Polen mit Subventionen überhäufte, durften sich die einheimischen Viehzüchter glücklich schätzen, wenn die Erträge am Ende all der Arbeit wenigstens die Kosten deckten.

    Mommsen hatte vor dem Mittagessen noch einiges zu tun. Wobei er sich schon jetzt nach Andreas Kohlrouladen sehnte. Schließlich machte die niemand besser als seine einzige Tochter.

    In der riesigen Kiste, die er auf der Gabel seines Traktors bis auf die Weide transportiert hatte, steckte alles, was er heute für seine Arbeit brauchte: fünf neue Zaunpfähle, zwei Rollen Stacheldraht und eine Gasflasche mit Brenner, der das Eis der Tränken zumindest vorübergehend in Wasser verwandeln sollte. Um den Verschluss der Kiste zu öffnen, musste er seine Handschuhe ausziehen. Sofort nagte eisiger Wind an jedem einzelnen Finger.

    ›Finger‹, flüsterte Mommsen in Gedanken. Dabei betrachtete er die – auch etliche Jahre später noch – verkrüppelten Kuppen und spürte neue Verbitterung in sich aufsteigen. Er hatte für die Fehler seiner Vergangenheit bezahlt! Sicherlich mehr als jeder andere.

    Nicht zum ersten Mal an diesem Tag wünschte er sich in die gemütliche Stube, am besten direkt vor den Kamin, wo er die letzten Weihnachtskekse vertilgen könnte. Dazu einen steifen Grog, mehr brauchte er für sein Verständnis vom Glück nicht.

    Die meisten seiner Schafe standen ein Stück entfernt, ihre schneebedeckten Hinterteile in Windrichtung gedreht. Zwei besonders mutige Exemplare, deren dichtes Fell Schneegriesel und Eis in einen regelrechten Panzer verwandelt hatten, näherten sich und schnupperten neugierig an den Utensilien, die Mommsen gerade erst vor der Kiste ausgebreitet hatte. Er wollte schon etwas sagen, die übermütigen Tiere mit Worten vertreiben, als ihm der Deckel der Kiste aus der Hand rutschte und krachend herunterfiel.

    Mommsen schaute den beiden jungen Böcken hinterher und lachte. Im Falle von Schafen brauchte es nicht viel, um überschäumenden Mut oder Tatendrang in einen Fluchtreflex zu verwandeln. Als die beiden Ausreißer den Rest der Herde erreichten, wurden sie dort begrüßt und umfangreich beschnuppert.

    Der Bauer hatte sich bereits zwei Zaunpfähle und die erste Rolle mit Stacheldraht geschnappt, wollte endlich loslegen, da hörte er, wie sich hinter ihm der Deckel der Kiste wieder öffnete; ein unverwechselbares Geräusch, denn dessen Scharniere knarrten bei eisiger Kälte.

    ›Das kann nicht sein!‹, schoss es ihm durch den Kopf. Selbst ein noch so neugieriges oder kräftiges Schaf wäre nicht imstande, den Deckel auch nur einen Millimeter zu bewegen. Zumindest nicht ohne menschliches Dazutun.

    Unter seiner Last tat sich Mommsen mit einer spontanen Drehung schwer. Seine schmerzenden Knie machten es ihm auch nicht leichter. Davon abgesehen, glaubte er sowieso noch daran, den Deckel nicht richtig verriegelt zu haben, denn der machte sich bei mancher steifen Böe gerne mal selbstständig. Diese Vermutung löste sich jedoch in Luft auf, als er hinter sich jemanden atmen hörte.

    Zwei Zaunpfähle, die er sich unter den linken Arm geklemmt hatte, krachten zu Boden. Als denen die Stacheldrahtrolle folgen sollte, fühlte sie sich plötzlich wie schwerelos an und entglitt seiner Hand samt Handschuh. Auf ein Wiedersehen musste er nicht lange warten. Nachdem er auf vereistem Untergrund endlich eine Drehung absolviert hatte, sah er die eisernen Zinken der Stacheldrahtrolle auf sich zurasen. Deren Ziel war eindeutig: sein Gesicht! Und es bestand auch kein Zweifel daran, dass die Zinken ihr Ziel erreichen würden.

    Doch Mommsen schaffte es im letzten Moment, ein winziges Stück zurückzuweichen. Ansonsten hätte gleich die erste Attacke für verheerende Konsequenzen gesorgt. Und obwohl sein Gesicht eiskalt war, fühlte es sich an, als wolle es explodieren. Er taumelte, hielt sich jedoch auf den Füßen. Aus einer Stirnwunde lief Blut in seine Augen und raubte ihm immer mehr einen der wichtigsten Sinne. Unter diesen Voraussetzungen war es unmöglich, die zweite Attacke auch nur zu erahnen. Vielleicht besser so, denn die Stacheldrahtrolle würde beim nächsten Treffer für weit mehr als ein paar Schnittverletzungen sorgen ...

    2

    »Deine Mutter hat mir erzählt, dass du neuerdings regelmäßig bei ihr vorbeischaust.« Gerd Hoffmann, seines Zeichens Chef der Landespolizei Schleswig-Holstein, saß mit gönnerhafter Miene hinter seinem Schreibtisch. »Und du beschäftigst dich auch immer mehr mit Felix. Scheint so, als würde sich das Verhältnis zwischen dir, deiner Mutter und deinem Sohn langsam normalisieren – find ich klasse!«

    Hannah Lambert nickte, schüttelte aber im nächsten Moment schon den Kopf. Und sie hatte offensichtlich auch etwas gegen diesen inoffiziellen Ritterschlag in Sachen Familie einzuwenden. »Mal ernsthaft: Bin ich deshalb von Niebüll nach Kiel gefahren – bei dem Schietwetter? Um mir Dinge anzuhören, die ich längst weiß?«

    Gerd Hoffmann wollte antworten, doch Hannah kam ihm zuvor: »Du bist mein Chef und warst früher Papas bester Freund – trotzdem sollten wir professionell bleiben. Es wenigstens versuchen. Was meinst du?«

    Hoffmanns Miene veränderte sich dramatisch. Von einem Moment zum nächsten sah er nicht mehr wie ein besorgter Mentor, sondern wie ein ranghoher Polizeibeamter aus. Nur sein Mund wollte sich nicht an diesem rapiden Kurswechsel beteiligen. »Früher hast du vor meinem Schreibtisch gehockt und mit Modellautos darauf gespielt.«

    »Hab heut leider keine dabei«, erwiderte Hannah grinsend.

    »Sei’s drum – du bist und bleibst mein Krümel. Wenn ich was mit Hauptkommissarin Lambert zu besprechen habe, kann ich auch zum Telefon greifen. Und es ist doch hoffentlich nicht zu viel verlangt, wenn du dich alle paar Monate mal hier in Kiel blicken lässt – Schietwetter hin oder her.«

    »Du hast ja recht«, gab Hannah mit zusammengebissenen Zähnen zu. »Und ja: Ich wollte dich auch schon lange mal wieder besuchen – privat ... war eben viel zu tun in letzter Zeit.« Nach dieser Feststellung fischte sie ein kleines Päckchen aus ihrer Manteltasche. Das Geschenkpapier sah mitgenommen aus, die winzige rote Schleife war kaum mehr als solche zu erkennen. Dazu setzte Hannah die Miene eines kleinen Mädchens auf. »Ich hatte sogar was zu Weihnachten für dich. Hab gedacht, es würde mich ein paar Wochen früher nach Kiel verschlagen.«

    Hoffmann nahm das kleine Päckchen entgegen und platzierte es vor sich auf seiner Schreibunterlage. »Danke! Ich wollte für deine Mutter, Felix und dich eigentlich auch ... hab’s nicht geschafft.« Das Resultat war ein Grinsen, klares Anzeichen eines schlechten Gewissens. »Ende Januar ist es wohl ein bisschen zu spät dafür, oder?«

    Hannah winkte ab.

    Diese Steilvorlage fing ihr Gegenüber auf und nutzte sie für einen Themenwechsel: »Für mich ist nur wichtig, dass du gut klarkommst: mit Niebüll, Sylt, der Arbeit und …«

    »… auch mit dem Wetter«, beendete Hannah schelmisch. »Wie sollte es auch anders sein? Du hältst mir doch alle Probleme vom Hals, bevor sie es überhaupt so weit in den Norden schaffen.«

    »Soll ich das in Zukunft lieber lassen?«

    Hannah biss sich auf die Unterlippe, um eine Antwort zu verhindern.

    Und sie tat gut daran, denn auf der anderen Schreibtischseite hellte sich die Miene wieder deutlich auf. Die Stimmung wirkte plötzlich ganz unbeschwert. »Du, deine Mutter und Felix – wenn ich überhaupt noch eine Familie habe, dann seid ihr das. Und falls du’s genau wissen willst: Ich habe deinen Paps immer um sein Glück beneidet. Um all das, was man mit Geld nicht kaufen kann.«

    Hannah mühte sich um ein Lächeln. Das Ergebnis war hoffentlich einigermaßen überzeugend. »Das kleine Glück hat Weihnachten fast anderthalb Tage gehalten«, begann sie leise mit einer Erklärung. »Erst als Mama irgendwann nicht mehr damit aufhören konnte, von Papa zu reden, hab ich die Flucht ergriffen. Zufrieden?«

    »Jetzt sag schon: Bist du denn zufrieden?« Gerd Hoffmanns Lächeln sah wesentlich überzeugender aus. »Ich meine, insgesamt? Mit deinem neuen Posten, deinem Kollegen ... wie heißt der noch?«

    »Ole! Also: Sven-Ole Friedrichsen. Und ja: Wir kommen sehr gut miteinander aus.«

    »Den Mordfall kurz vor Weihnachten auf Amrum habt ihr zwei ja beinahe im Vorübergehen aufgeklärt«, sagte Hoffmann mit bewundernder Stimme. »Hatte schon Angst, der bereitet uns auch im neuen Jahr noch Kopfzerbrechen. Das war gute Arbeit – die Sache davor, auf Sylt, sowieso. Nach solchen Leistungen kann sich auch niemand mehr beschweren …«

    »Worüber sollte sich denn jemand beschweren?«

    Hoffmanns Gesicht machte klar, dass er auf eine Antwort lieber verzichtet hätte. Aber da war ein bohrender Blick, der ihm keine Wahl ließ. »Ich hab dich auf den Posten in Niebüll gehievt, um dich aus der Schusslinie zu ziehen. Und es gab sicherlich zehn Kollegen, die vor dir dran gewesen wären – mindestens.«

    Hannah bedankte sich mit einem Nicken. Ihr Hinterteil entwickelte von Zeit zu Zeit ein seltsames Eigenleben. Insbesondere dann, wenn jemand nicht zu Potte kam. Genauso, wie es gerade bei ihrem obersten Chef der Fall war.

    Der ahnte wohl schon etwas und fuhr eilig fort: »Jetzt willst du doch bestimmt wissen, warum ich dich hergerufen habe, richtig?«

    »Hat das etwa noch andere Gründe als Familie und Vergangenheit? Doch nicht etwa was Berufliches?«

    Gerd Hoffmann war lange genug Polizist, um den sarkastischen Unterton gepflegt zu überhören. Als er fortfuhr, sah er trotzdem ein wenig gequält aus. »Dein Team da draußen in Niebüll funktioniert so gut, dass ich euch gerne eine weitere Planstelle zuteilen würde. Verstärkung, damit du dich noch ein bisschen mehr um familiäre Dinge kümmern kannst.«

    Hannahs Gesicht verzog sich. »Ist das dein Ernst?«

    »Hört es sich so an?«

    »Leider ja«, erwiderte Hannah stöhnend. »Da hab ich mich – wie du selbst sagst – gerade erst an meinen neuen Posten gewöhnt, darf mich über erste Erfolge freuen und du hast nichts Besseres zu tun, als in Niebüll umzugraben. Habt ihr hier oben auch irgendwann mal die Schnauze voll von den ständigen Veränderungen?«

    »Ich will deine Dienststelle nach und nach aufwerten«, erklärte Hoffmann unbeirrt. »Und wenn du Wert auf dauerhafte Unterstützung legst, dann sollte das auch in deinem Interesse liegen. Ich sitze noch zwei, höchstens drei Jahre auf diesem Stuhl – danach kommt ein Neuer, der sich vermutlich für nichts anderes als Zahlen interessieren wird. Mal darüber nachgedacht?«

    Hannah holte tief Luft. Um ein wenig Zeit zu gewinnen, ließ sie ihren Blick durch den Raum schweifen, bis der beinahe im wörtlichen Sinne an den Fensterscheiben festfror. »Es schneit schon wieder. Warum fängt der Winter neuerdings immer erst so spät an?«

    Hoffmann zuckte mit den Schultern. »Vielleicht können wir das Rätsel beim Mittagessen lösen. Ich hatte gehofft, wir gehen nachher zusammen in die Kantine und du fährst erst danach zurück.«

    »Nur, wenn du mir ein paar Schlittenhunde leihst.«

    »Wieso? Wohnt deine Katze immer noch bei deinem Nachbarn?«

    »Bei uns oben ist das Chaos aus Schnee und Eis nachmittags am schlimmsten«, erwiderte Hannah halbwegs belustigt. »Willst du, dass ich mit vollem Bauch in irgendeiner Schneewehe stecken bleibe?«

    »Natürlich nicht!«, wiegelte Gerd Hoffmann lachend ab. »Dann kommen wir eben gleich zum springenden Punkt: Solltest du es unbeschadet und ausgehungert bis nach Niebüll schaffen, dann wartet dort nicht nur dein Kollege Ole auf dich, sondern auch ein ...«

    »… neuer?«, fragte Hannah erschrocken nach. Sie musste feststellen, dass sie ihre Mimik nicht mehr im Griff hatte. »Ist das dein Ernst? Hast du mich deshalb hergelockt?«

    Hoffmann hob abwehrend die Hände. »Also ›hergelockt‹ finde ich jetzt in diesem Zusammenhang unpassend. Ich würde gerne ...«

    »Wir sitzen hier, reden über die Familie, über Weihnachten – und in der Zwischenzeit macht sich ein neuer Kollege in meinem Büro breit. Wie soll ich das denn sonst nennen?«

    »Ich hatte dir doch erklärt, dass ich Niebüll aufwerten will. Dafür muss ich zuerst eure Personalstärke erhöhen und danach darfst du dich vielleicht auch über neue Kompetenzen freuen.«

    »Neue Kompetenzen?«, wiederholte Hannah mit gerümpfter Nase. »Sind wir hinterher auch für Raub, Diebstahl und Brandstiftung zuständig?«

    »Wieso? Reichen dir Mord und Totschlag etwa nicht mehr?«

    Hannah war in ihrer Wut aufgesprungen und merkte erst jetzt, dass sie vor dem Schreibtisch stand und sich darauf abstützte. Ihr Mund klappte auf, schloss sich jedoch unverrichteter Dinge wieder.

    »Ich glaube, es ist wirklich besser, wenn du fährst«, stellte Gerd Hoffmann mit trauriger Stimme fest. »Und wenn du dich wieder beruhigt hast, darfst du mich gern anrufen – um Einzelheiten zu besprechen.«

    »Einzelheiten?«

    »Wenn Niebüll in Sachen Kriminalpolizei wächst, dann muss ich irgendwann die ganze Dienststelle neu strukturieren. Und ich könnte mir vorstellen, wen ich zur Leiterin ernenne, bevor ich hier meinen Hut nehme.«

    Hannah zeigte auf sich selbst. »Mich?« Ihr Kopfschütteln verhieß, was sie von diesem Vorschlag hielt. »Ich gehöre nicht an einen Schreibtisch, sondern an die Front.« Sie lachte höhnisch. »Und jetzt weiß ich auch endlich was dahintersteckt. Besser gesagt: wer!«

    Gerd Hoffmann wusste genau, wie es weitergehen würde, beschränkte sich allerdings auf einen erwartungsvollen Blick.

    »Meine Mutter! Ihr zwei habt euch zusammen ausgemalt, wie euer Krümel die Dienstwaffe ein für alle Mal an den Nagel hängt und Bürodienst schiebt.« Hoffmanns Mund öffnete sich für eine Verteidigung, aber Hannah kam ihm ein weiteres Mal zuvor: »Sag mir, dass ich unrecht habe! Sag es, und ich höre sofort auf.«

    »Wäre es denn so schlimm, wenn du nicht mehr jeden Tag dein Leben riskierst?«, fragte Gerd Hoffmann nach längerem Überlegen. »Du hättest auch mehr Zeit – insbesondere für Felix.«

    »Was ich mit meiner Zeit anfange, bestimme ich immer noch selbst!«

    Hannahs Chef zeigte mit Blicken zur Tür. »Ruf mich an, wenn du dich wieder beruhigt hast.«

    »Ich will mich aber nicht beruhigen! Ich will wissen, warum ihr ...«

    Plötzlich stand auch Gerd Hoffmann auf seinen Füßen. Es folgte ein Fingerzeig in Richtung Tür und auch eine weitere unmissverständliche Aufforderung ließ nicht auf sich warten: »Fahr nach Niebüll und ruf mich an ... irgendwann!«

    3

    »Wo kommst du her?«, fragte Sven-Ole Friedrichsen seinen neuen Kollegen, nachdem der sich als Kommissar-Anwärter namens Ralf Jansen vorgestellt hatte. »Und davon mal abgesehen: Weiß Hannah überhaupt, dass wir Verstärkung bekommen?«

    »Wer ist Hannah?«, erkundigte sich Ralf ein wenig misstrauisch.

    »Deine zukünftige Chefin! Und bevor du es von anderen erfährst: Die ist am Anfang vielleicht ein bisschen gewöhnungsbedürftig. Du wirst schon merken, was ich meine.«

    Ein fragendes Gesicht reichte für Oles Fortsetzung.

    »Hannah – aber für dich natürlich Hauptkommissarin Lambert – ist erst seit Mitte letzten Jahres wieder hier in Niebüll. Ne Rückkehrerin.«

    »Von wo zurückgekehrt?«

    »Das soll sie dir lieber selbst verraten – also, falls sie will.«

    Ralf Jansen sah immer verwirrter aus. In seiner Not fuhr er mit der Erklärung zu seiner eigenen Person fort: »Ich bin gebürtiger Flensburger, hab dort mein Abi gemacht und war bis gestern der Polizeidirektion in Flensburg unterstellt.«

    »Hast du da auf die Punkte aufgepasst?«

    »Darum kümmert sich doch das KBA«, erklärte Ralf kopfschüttelnd. »Aber wieso fragst du? Haben die in deinem Fall so viel zu tun?«

    Ole winkte ab. Er wollte schon mit einem neuen Thema anfangen, als sein Handy klingelte. »Sorry, da muss ich ran.«

    Ralf nickte nur und blieb auf seinem Weg durchs Büro vor einer Pinnwand stehen. An der hingen Nachweise über die bisherige Arbeit der Mordkommission: Zeitungsartikel, einer davon mit Foto. Darauf waren Ole und eine kleine – man könnte auch sagen: winzige – Frau zu sehen. Der Unterschied hätte kaum größer sein können. Links eine nordische Eiche, mit ehrlichem Lächeln, das vermutlich so gut wie jedes Herz im Sturm zu erobern imstande wäre. Rechts daneben ein Eisblock: Eine Frau – gar nicht mal unattraktiv – die Haare streng nach hinten gekämmt und zum Zopf geflochten. Ungeschminkt, das war sogar auf dem Zeitungsbild zu erkennen. Dazu ein aufgesetztes Lächeln, von dem sich nicht mal ein Vorschüler hätte täuschen lassen.

    Ralf beugte sich nach vorne, um die Namen unter dem Foto lesen zu können. Danach wusste er wenigstens, wie seine zukünftige Chefin aussah.

    Gegenüber war Ole offensichtlich in privater telefonischer Mission unterwegs. Seiner Stimme nach zu urteilen, handelte es sich um einen Notfall. »Heut Abend wird das nichts«, haspelte er. »Ja ... gestern war schön, aber ...«

    Auf dem zweiten Schreibtisch klingelte das Telefon. Ralf warf einen Blick in Oles Richtung, um zuerst ein gequältes Lächeln und dann ein halbes Nicken zu ernten. Also fuhr seine Hand zum Hörer. »Kripo Niebüll.«

    Am anderen Ende war die Stimme einer jungen Frau zu hören. »Moment, bitte ... ich verbinde Sie mit Francesca Rossi.«

    Nach einem Knacken erklang die nächste Frauenstimme, älter und souverän dazu. »Guten Morgen. Spreche ich mit Hannah Lambert?«

    Ralf wusste zuerst gar nicht, was er sagen sollte. Doch dann erinnerte er sich an seine Ausbildung zum Polizisten. In deren Verlauf hatte er – aufgrund akuter Personalnot – ein paar Wochen in der Vermittlung beim Landeskriminalamt in Kiel gesessen. Er musste also nur in einen altbekannten Routinemodus umschalten. »Jansen hier, einer von Frau Lamberts Mitarbeitern. Was kann ich für Sie tun?«

    »Das würde ich gerne persönlich mit Frau Lambert besprechen«, kam es unterkühlt zurück. »Wäre das möglich?«

    »Sie ist nicht da.«

    »Dann hat sie doch bestimmt eine Handynummer. Oder etwa nicht?«

    »Moment bitte!«

    Gegenüber entwickelte sich Oles Gespräch offensichtlich in die falsche Richtung. Auf jeden Fall sah er mittlerweile nur noch genervt aus. Und auch, dass sein neuer Kollege wild gestikulierte, schien seine Laune nicht nachhaltig zu verbessern. »Was gibt’s denn?«, fragte er, während er sein Telefon mit der freien Hand abschirmte.

    »Hier will jemand die Handynummer von Frau Lambert haben?«

    »Wer?«

    »Ne Frau ... schätze, aus Italien.«

    »Die soll noch mal anrufen!«

    »Ich habe mitgehört«, erklärte Francesca Rossi, als sich Ralf kurz darauf wieder seinem Telefongespräch widmete. »Wann erreiche ich Ihre Chefin denn am besten?«

    »Keine Ahnung«, erwiderte Ralf wahrheitsgemäß. »Probieren Sie’s doch heut Nachmittag noch mal.«

    »Hat die Frau auch gesagt, was sie wollte?«, erkundigte sich Ole, sofort, nachdem auch sein eigenes Telefonat beendet war.

    Ralf schüttelte lediglich den Kopf.

    »Auf jeden Fall geben wir Hannahs Handynummer nur weiter, wenn’s wichtig ist – oder ein Bekannter.«

    »Ist okay, aber ...«

    Ole fuhr gleich mit der nächsten Frage dazwischen: »Bist du dir sicher, dass am anderen Ende ’ne Italienerin war?«

    »Vorwahl ›0039‹ ... und der Name Rossi klingt ja auch nicht unbedingt nach friesischem Landadel. Was meinst du?«

    »Und sie hat nicht gesagt, was sie wollte?« Ole hatte seine Stimme nur noch mit Mühe im Griff. »Kein Hinweis?«

    »Sie wollte ausschließlich mit Frau Lambert reden.«

    »Und das ist alles?«

    »Wieso?« Mittlerweile hörte sich auch Ralf ein wenig genervt an. »Was hat unsere Chefin denn mit Italien zu tun?«

    Oles Gesicht verzog sich. Ein Anzeichen dafür, dass er mit sich selbst rang. Seine ersten Worte klangen mehr wie eine Drohung, als eine Frage: »Kann ich mich darauf verlassen, dass du die Klappe hältst? Von nichts weißt?«

    Ralf nickte vorsichtig, sah beinahe ängstlich aus. »Klar! Ich kann schweigen wie’n Grab.«

    Ole lieferte die Fortsetzung dennoch mit gesenkter Stimme. »Hannah war früher mal verheiratet. Als sie seinerzeit irgendwann auf ’ner Schulung beim BKA war, hat sich ihr Mann nicht um den gemeinsamen Sohn gekümmert. Seitdem ist der arme Junge geistig behindert und wird niemals ohne fremde Hilfe leben können.«

    »Und was hat das alles mit Italien zu tun?«

    »Hannahs Exmann ist Italiener. Ole verdrehte die Augen. »Und seit der Sache von damals ist er auf Nimmerwiedersehen verschwunden.«

    »Wie lange ist das her?«

    »Über zehn Jahre.«

    Ralf zeigte auf den Telefonapparat neben sich. »Meinst du, der Anruf eben kann damit was zu tun haben? Nach so langer Zeit?«

    »Ich hoffe nicht. Und wenn, dann können wir uns

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