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Die Schatten des Löwen: Ein Ritterroman
Die Schatten des Löwen: Ein Ritterroman
Die Schatten des Löwen: Ein Ritterroman
eBook323 Seiten4 Stunden

Die Schatten des Löwen: Ein Ritterroman

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Über dieses E-Book

Das Schicksal von Burg Wildstein im Schatten des Löwen.

An einem eiskalten Januartag ersucht der halbwüchsige Knabe Tankred um Quartier auf Burg Wildstein. In seinem Besitz befindet sich eine geheimnisvolle Botschaft seiner verstorbenen Mutter, die ausschließlich für den Burgherrn Markward, dem einstigen Vertrauten von Richard Löwenherz, bestimmt ist.
Die Begegnung mit Tankred weckt in dem Ritter alte Erinnerungen, weshalb er dem Jungen erlaubt, auf seiner Burg zu bleiben. Er soll von Markwards einstigem Kreuzzug-Gefährten, dem Sarazenen Malik, zum Knappen ausgebildet werden.
Doch in der Festung brodelt es: Rainald, Markwards leiblicher Sohn, sieht seinen Anspruch auf das Erbe Wildsteins bedroht. Doch während er verzweifelt versucht, seinen Platz zu behaupten, wird Tankred mehr und mehr vom dahergelaufenen Landstreicher zu einem edlen Ritter.
Zwischen Verrat, Intrigen und der schweren Last der Vergangenheit könnte Tankreds mysteriöse Botschaft das Machtgefüge der Burg Wildstein für immer verändern - wäre da nicht Rainalds Hass auf alles, was mit dem Herrschergeschlecht der "Welfen" zu tun hat ...
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum21. Nov. 2023
ISBN9783758357176
Die Schatten des Löwen: Ein Ritterroman
Autor

Al Steiger

Der Autor, 1954 im bayerischen Voralpenland geboren, war mehrere Jahre im Staatsdienst tätig, ehe sich ihm die Möglichkeit bot, seiner Passion nachzugehen: dem Schreiben. Der Herausforderung gehorchend, legt er sich jedoch auf kein bestimmtes Genre fest. Nach seinen Vorlieben befragt, würde er wohl antworten: Die Mystik und das Hochmittelalter. Bisher von ihm erschienen: Rückkehr nach Ganat (1998), Schuwenburg (2018) und Anno 2095 (2021).

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    Buchvorschau

    Die Schatten des Löwen - Al Steiger

    Für Gundola

    INHALT

    Der Knappe

    Der Ritter

    Der Erbe

    Epilog

    Nachwort und Glossar

    DER KNAPPE

    1.

    Als wollte er all dies mit Blicken schier zertrümmern, stierte Ritter Markward auf Platten und Schüsseln samt Fleisch und Brot und allerlei Gebäck, die auf der gedeckten Tafel vor ihm reich platziert standen.

    Mit der Rechten hielt er seinen silbernen Weinbecher gepackt, und der Duft des mit Honig gesüßten Weins stieg ihm in die Nase – doch selbst jener vermochte seinen wachsenden Grimm nicht annähernd zu besänftigen. Denn ihm gegenüber hockte Adalbert von Aue, Nachbar und auch Gefährte vor langer Zeit auf dem Zug ins Heilige Land – und der Anlass für seinen Grimm.

    Trotz des prasselnden Feuers im hohen, offenen Kamin war es bitterkalt an jenem Abend im Januar des Jahres 1206; doch Markward spürte die Kälte nicht. Er knallte den Becher auf die Tafel, erhob sich und versetzte seinem Hocker einen Fußtritt, der das Möbel ans Ende des Rittersaals bis vor den Kamin schleuderte. Die Flammen der Fackeln an den Wänden aus groben Feldsteinen fingen an zu züngeln, so als fürchteten sie den Grimm des alten Ritters mit den wallenden, eisgrauen Haaren und den dunklen Augen.

    Mit klobigen Händen stützte der sich nun schwer auf den Rand der Tafel und musterte den Nachbarn mit finsterem Blick aus schmalen Augenlidern. »Nehmt Euer Schandwort zurück, Adalbert«, mahnte er mit leiser Stimme. »Ich warte, Adalbert.«

    Die hagere Gestalt aber blieb ohne Regung. Nur ein spöttisches Lächeln spielte über das schmale Antlitz mit der langen Hakennase. »Sucht Ihr Streit? Wollt Ihr Feindschaft um der alten Geschichten wegen?«, und das Lächeln verschwand. »Doch was wahr ist, darf gesagt werden: Es war einzig die Schuld von Richard Löwenherz, dass wir Jerusalem nicht erstürmen durften. Da er zauderte, blieb uns die Heilige Stadt verwehrt. Nur er allein vermochte den Angriff zu befehlen.«

    Ungestüm stieß Markward sich von der Tafel ab, und seine massige Gestalt richtete sich drohend auf. »Unsinn!«, dröhnte die tiefe Stimme sodann durch den Saal. »Richard durfte den Angriff nicht wagen, da der feige Philipp von Frankreich ihn im Stich gelassen hatte! Johanniter, Templer, die Barone: Alle hatten sie gezaudert, keiner hatte sich getraut. Und mit solch verkommenem Haufen hätte der König einen Angriff wagen sollen? Ich danke Gott, dass Richard dereinst kein solcher Narr gewesen ist, wie Ihr nun einer seid.« Markward spürte sein Herz pochen. Nahezu vierzehn Jahre waren seither vergangen, doch immer noch sah er König Richards Abbild so klar und lebendig vor sich, als sei all dies erst vor Jahresfrist geschehen …

    Malik, der Sarazene, der an einer der Längsseiten der Tafel saß, hatte bisher zu allem geschwiegen und nur immer wieder von einem zum anderen geblickt. Das dunkle, von einem schwarzen Vollbart umrahmte Antlitz zeigte keine Regung. »Ritter Markward hat recht«, wandte er sich nun an Adalbert. Er gebrauchte die ihm fremde Sprache fehlerlos, doch klangen die Worte rau und hart. »Richard durfte nicht angreifen. Bedenkt: Nach Philipps Abzug war er alleiniger Befehlshaber; seine Entscheidungen und seine Erfolge der einzige Halt für die Truppen. Was, hätte er versagt?«

    Abschätzig verzog Adalbert die Mundwinkel. »Ihr verteidigt ihn, Malik – Ihr? Ihr ward doch unter den Gefangenen, denen Richard den Schädel abschlagen ließ. Allein durch Markwards Fürsprache seid Ihr am Leben, sonst hätte man Euch geköpft wie all die anderen.«

    Maliks Gestalt straffte sich, und die große Narbe auf der rechten Wange schien dunkel werden zu wollen gleich den Augen. »Es war Krieg, Adalbert. Solche Dinge geschehen, selbst wenn sie nicht geschehen sollten. So schmälert denn mit Eurem Gerede nicht das edle Ansehen eines des größten Eures Standes.

    Dies legt Euch ein Sarazene ans Herz, der gegen Richard und seine aufrechten Ritter gefochten hat.«

    Sogleich fingen Markwards Augen an zu leuchten. »Gut gesprochen, Malik!«, und er warf Adalbert einen abfälligen Blick zu. »Im kleinen Finger vereint Ihr mehr Ritterlichkeit als so mancher, für den dies bloß ein hohles Wort ohne jeden Wert sein mag.«

    »Welfenpack!«

    Aller Blicke richteten sich zugleich auf den bald fünfzehnjährigen Rainald, der Malik gegenüber saß, und nun Markward, seinen Vater, anschaute, ohne eine Miene zu verziehen. »Heinrich, den sie den Löwen nannten. Richard, kein Welfe, doch wiederum ein Löwe – und just Otto, der Sohn des Heinrich. Dein halber König, den man dereinst allenfalls Otto, der zahnlose Kater heißen wird. Deine Herren, mein Vater.«

    Zufrieden ruhte Adalberts Blick auf seinem jungen Knappen. Nun wies sich, Rainald war nicht nur im Umgang mit den Waffen sein gelehriger Schüler. Groß war er für sein Alter, beinah so groß wie sein Vater, und von kräftiger Statur, mit der die weichen Gesichtszüge, die ihm nahezu engelgleiches verliehen, nicht so recht zusammenstimmen wollten.

    Dichtes blondes Haar, in Locken bis weit über die breiten Schultern fallend, verstärkten dies Bild noch.

    Gebieterisch hob Markward die Rechte. »Dass du mein Sohn bist und seit geraumer Zeit Knappe dieses … dieses Ritters da, gibt dir noch lange nicht das Anrecht, derartig über König Richard und das Geschlecht zu reden, mit dem er verschwägert ist. Es wäre besser …« Hinter ihm hatte es an die alte Eichentür geklopft, und Markward wandte sich um.

    »Tritt ein!« Knarzend schwang die Tür zur Seite hin auf, und Thomas, der junge, wohlbeleibte Kaplan der Burg, trat in den Saal, tief und heftig schnaufend.

    Gewogen nickte Markward ihm zu. »Was wünscht du dringliches?«

    »Verzeiht, ihr Herren, falls ich störe. Draußen vor dem Tor wartet ein frierender Knabe im tiefen Schnee. Er bittet um Quartier und überdies um ein Gespräch mit Euch, Herr. Er meinte, er habe eine wichtige Botschaft.«

    »Ich erwarte aber keinen Knaben mit wichtiger Botschaft«, brummte Markward. »Lass ihn ein und gib ihm zu essen und zu trinken. Und sodann möge er die Nacht hier verbringen. Bei dem Wetter scheucht man keinen Hund vor die Tür. Und sage ihm, ich werde morgen früh mit ihm reden.«

    »Ja Herr.« Thomas nickte, machte kehrt, watschelte schnaufend aus dem Saal und ließ die Tür weit offen stehen.

    »Streunendes Gesindel«, murmelte Rainald nun und trommelte mit den Fingerspitzen der Rechten auf die Tafel. »Man sollte sie mit Fußtritten in den Schnee treiben.«

    Doch Markward hatte es sehr wohl vernommen. »Bringt dir solches dein Meister bei?«, brauste er auf.

    Adalbert jedoch lächelte Rainald zu. »Mir scheint, als habe dein Vater eine Schwäche für Gesindel, Knappe. Wie eigenwillig er eben noch Richard und seine …«

    »Kein Wort!«, tobte Markward weiter. »Oder ich werde Euch die Antwort nicht schuldig bleiben!«, und er fasste mit der Rechten hurtig an den leeren Schwertgurt.

    Adalbert fuhr von seinem Hocker auf. »Wolltet Ihr das Schwert ziehen, Nachbar …? Nur zu, holt es. Ich bin geneigt, gegen Euch zu fechten, obgleich wir einst Waffengefährten waren und Nachbarn sind.«

    Nun stand auch Malik auf und hob die Arme zur Seite. »Genug jetzt! Ich bitte Euch – wozu der unselige Streit um längst Vergangenes? Lasst es doch ruhen, es gibt reichlich hier und jetzt, um das sich zu kümmern lohnt!«

    »Schweig, schwarzer Heide!«, fuhr Adalbert ihn an. »Ein verfluchter Sarazene hat mir nicht zu gebieten – geh dorthin zurück, von wo du hergekommen bist!«

    Da fing Markward jäh an zu schnauben, packte dann die Tafel mit beiden Händen an der Kante, hob an und schleuderte sie zur Seite. Rainald hatte gerade noch hastig aufstehen und zurückweichen können, ehe Schüsseln, Platten, Trinkgefäße, Brot und Fleisch verteilt auf dem Fußboden gelandet waren.

    Schnellen Schrittes war Markward sogleich bei Adalbert, baute sich drohend vor ihm auf und ballte die Hände.

    Der jedoch starrte ihn nur erhobenen Hauptes an.

    »Höre, du edler Herr«, knurrte Markward sodann. »Du hast Malik geschmäht, der mein Gast ist und Freund – somit hast du auch mich geschmäht. Meine Ehre lässt nicht zu, dich noch zur Stunde hinaus in Nacht und Kälte zu jagen. Doch vor Sonnenaufgang bist du fort von hier, andernfalls werfe ich dich an ihrer höchsten Stelle eigenhändig über die Mauer.«

    Er schaute zu seinem Sohn, der bis zur Wand des Saales zurückgewichen war. »Ich mag dir nicht verwehren, ihm ferner als Knappe zu dienen. Entscheide also hier und jetzt, ob du mit ihm ziehst – oder fortan einem anderen Ritter als Knappe folgen willst.«

    Rainald stieß sich mit dem Rücken von der Wand ab und nickte Markward zu. »Wir leben in einem Land, in dem man zwischen zwei Königen wählen darf«, und er spuckte zur Seite hin aus. »Otto auf der einen, und Philipp von Schwaben auf der anderen Seite. Trete ich dereinst in den Ritterstand, werde ich an der Seite Philipps stehen. Und darum will und muss ich mit Ritter Adalbert ziehen, der gewiss eher kalt und tot sein wollte, als je einem Welfen zu gehorchen.«

    Markward zog die Stirn in Falten. »Zanken wir nicht über den wahren Herrschaftsanspruch. So wirst du morgen zusammen mit diesem Ritter da die Burg verlassen«, und er schaute abermals zu Adalbert. »Ihr geht mir rasch aus den Augen, ehe ich meine Entscheidung bedaure und Euch sogleich davonjage.«

    Ohne ein Wort schloss Adalbert den Gürtel seines blauen Mantels, wandte sich von Markward ab und ging mit langen Schritten aus dem Saal, auf dem Fuße gefolgt von Rainald, der die Tür krachend hinter sich zuwarf.

    Wortlos schüttelte Malik den Kopf und bückte sich nach einem der heruntergefallenen Becher auf dem Boden.

    »Lasst es gut sein«, beschied Markward ihm. »Dies können die Mägde am Morgen ebenso verrichten.«

    Er stellte einen der umgestürzten Hocker auf die Beine, ließ sich schwer darauf nieder und holte tief Atem.

    »Was mag bloß sein mit ihm? Ich kenne ihn nicht wieder.«

    Malik ging zum Kamin und legte Holzscheite nach. Das Feuer prasselte auf und Funken stoben nach allen Seiten hin davon. Sodann kam er zurück und blieb vor Markward stehen. »Er ist treuer Gefolgsmann der Staufer, und Ihr seid Gefolgsmann der Welfen. Euer Lehen ist dreimal so groß wie seins. Ihr habt einen Sohn, auf den dieses Lehen übertragbar ist – er nur ein Mündel. Eine Maid, die nur das ihr Eigen nennen durfte, welches sie am Leibe trug, als er sie bei sich aufnahm.«

    »Frühjahr 89 zogen wir gemeinsam gen Regensburg, wo Kaiser Friedrich sein Heer für das Heilige Land sammelte. Als der Kaiser im Fluss Saleph ertrunken war, zerstreute das Heer sich in alle Winde, wir aber zogen mit seinem Sohn Friedrich und dem Rest weiter. All die Jahre danach lebten wir als gute Nachbarn – und nunmehr dies …«

    Malik griff sich einen der Hocker und setzte sich neben Markward. »Mich konnte er nicht kränken. Ihr solltet Euch eher Gedanken darüber machen, weshalb Rainald so verbunden an seiner Seite steht.«

    Markward zuckte mit den Schultern. »Rainald ist ein Knabe, doch kein Kind mehr! Bald schon wird er der Ritterschaft des Reichs angehören, und es ist wohl an der Zeit für ihn, eigene Entscheidungen zu treffen.«

    »Und…?«

    »Morgen früh reiten beide von der Burg – sorgt Ihr dafür?«

    Malik stand auf, reckte sich und gähnte ausgiebig.

    »Wer jener Knabe wohl sein mag, den der Kaplan kundgetan hat«, sinnierte Markward. »Ein Knabe mit einer Botschaft für mich … bringt ihn zu mir, Malik, sowie Adalbert und Rainald fort sind.«

    2.

    Burg Wildstein thronte einsam auf einer baum- und strauchlosen Anhöhe unweit der alten Handels- und Heerstraße, die von Norden her durch Augsburg und weiter über den Brenner bis nach Italien führte. Nach Norden und Osten hin fiel die Anhöhe steil ab, und bot so an zwei Seiten einen natürlichen Schutz vor Angriffen. Zudem führte eine hohe Mauer mit Wehrgängen um die gesamte Burganlage, und ein tiefer Wassergraben um den Hügelgrund herum vervollständigte die Wehranlagen.

    Der Palas mit seinen drei Stockwerken – im mittleren neben anderen Räumlichkeiten auch mit dem Rittersaal – diente mit seiner meterdicken Außenwand zugleich als Teil der Burgmauer.

    Der quadratische, vierstöckige Bergfried inmitten des Burghofs überragte alle anderen Gebäude der Anlage beinah um das Zweifache.

    Reglos stand Markward an einem der Fenster des Rittersaals und starrte hinaus. Trüb und grau hatte er angefangen, der neue Tag, und dicke Schneeflocken schwebten durch die eiskalte Januarluft.

    Die ganze Nacht über hatte er tief in Gedanken auf dem Hocker verbracht, ehe er nach Sonnenaufgang aufgestanden und an das Fenster getreten war.

    Adalbert und Rainald mochten nun wohl fort sein; Malik würde dafür gesorgt haben. Sie würden ihre Rösser treiben müssen, wollten sie denn Adalberts Burg Eck bis Einbruch der Dunkelheit erreichen – das Tageslicht war knapp um die Jahreszeit.

    Von Rainalds Geschicklichkeiten als Knappe hatte er ihm berichten wollen, der Nachbar. Doch was hatte er stattdessen? Einen Streit vom Zaun gebrochen und Malik geschmäht! Aus derlei konnte nichts Wahres entstehen – oftmals gar eine Fehde. Markward indes musste Adalbert nicht fürchten, denn er hatte, zusammen mit den wehrhaften Bauern aus dem Dorf, gut dreißig Krieger an seiner Seite. Adalbert würde sich arg zu mühen haben, zumindest in die Nähe der Hälfte zu kommen.

    Doch wo würde Rainald stehen, sollte es denn gar so weit kommen …?

    Markward wandte sich vom Fenster ab und wollte soeben zum längst erloschenen Kamin gehen, als von draußen jemand laut an die Tür pochte. »Ritter Markward?«

    »Tretet ein.« Die Tür ging auf; Malik kam herein und ließ die Tür offen stehen. »Harrtet Ihr hier die ganze Nacht über – bei der Kälte?«, und er ging prompt weiter zum Kamin, legte Holzscheite nach und machte Feuer.

    Markward schaute indes zur Tür. Dort verharrte ein Knabe und hoffte wohl darauf, jemand möge ihn auffordern, in den Saal zu kommen. Der Knabe war wenig größer noch als Rainald, und von ähnlich kräftiger Statur. Unter dem langen, rötlichen Haarschopf wiesen Kinn und auch Mundpartie männliche Linien auf gleich denen eines Erwachsenen. Dieses Antlitz … Markward schien es vertraut; doch wie wohl, sah er es ja zum ersten Mal. Der Knabe trug nur noch Lumpen, die ihm in Fetzen vom Leib hingen – und gewaschen hatte er sich wohl seit Wochen nicht mehr. Malik kam vom Kamin zurück und blieb neben der umgeworfenen Tafel stehen. »Adalbert und Rainald sind fort. Die Verpflegung, die ich ihm reichte, hat Euer Nachbar in den Schnee fallen lassen. Eher wolle er am Hunger sterben, denn von Wildstein etwas anzunehmen«, und er zuckte mit den Schultern. »Wir würden noch von ihm hören, drohte er, ehe sie in den Schnee hinausritten.« Er wies mit der Rechten zur Tür. »Dort ist der Knabe, den ich zu Euch bringen sollte. Tritt näher, Tankred.

    Du wolltest mit dem Herrn der Burg reden – so komm und sprich.«

    Bescheiden zögernd schritt Tankred nun in den Saal. Sein Blick wanderte dabei über das rußgeschwärzte Dachgebälk bis hin zu den bunten Teppichen an den Wänden. Sodann verharrte er wenige Schritte vor Markward und schaute ihn erwartend an.

    »Dein Name ist Tankred?«

    »So hieß mich meine Mutter.«

    »Und wer ist deine Mutter, und wer dein Vater?«

    »Meine Mutter war Agnes von Hagenau, meinen Vater kenne ich nicht«, und er griff in die Falten des zerlumpten Rockes und holte einen versiegelten Brief hervor. »Diese Botschaft schrieb meine Mutter kurz vor ihrem Hinscheiden. Sie gab sie mir und schickte mich, sie Euch zu übergeben. Entsiegeln und lesen jedoch sollt Ihr sie erst am Tag meiner Schwertleite. Dies war ihr ausdrücklicher Wunsch.«

    Erst schaute Markward Tankred aus großen Augen an, alsdann holte er tief Atem. »Gemach, Knabe, gemach! Wer bürgt dafür, dass du nicht ein hergelaufener Landstreicher bist, der sich behaglich hier einnisten will? Du redest wie selbstverständlich von deiner Schwertleite, als ob du längst mein Knappe wärst. Du wirst mir noch so manches zu erklären haben – oder ich jage dich auf der Stelle davon!«

    Tankreds Gestalt straffte sich, und seine Augen funkelten. »Ich sagte doch, meine Mutter war Agnes von Hagenau! Hier der Brief, und hier der Siegelring dazu.« Er streckte Markward die rechte Hand mit dem Brief entgegen, damit der den Ring am Mittelfinger sehen konnte. »Es ist das Siegel derer von Hagenau«, fuhr Tankred fort. »Und ich bin von edler Herkunft.

    Es war dies der letzte Wunsch meiner Mutter selig, Ihr mögt mich als Knappe in Eure Dienste nehmen und dereinst in den Ritterstand erheben. Danach werdet Ihr alles verstehen, meinte sie …«

    Markward nickte stumm, trat zu seinem Hocker, ließ sich darauf nieder und rieb die kalten Hände. »Weshalb hat deine Mutter dich stracks zu mir gesandt? Ich kenne deine Mutter nicht, und auch nicht euren Namen.«

    »Die Antwort wird Euch dereinst der Brief geben.«

    »Hast du Verwandte, Geschwister, oder sonst jemanden?«

    Tankred schüttelte den Kopf. »Mutter und ich haben bis zu ihrem Ende allein gelebt. Es gab nur ein paar Nachbarn.«

    »Wo habt ihr gelebt?«, forschte Markward weiter.

    »Nahe der Stadt Worms. Mutter nannte dort ein kleines Gut ihr Eigen. Einst gehörte ihrem Geschlecht ein gar großes Lehen; später jedoch haben sie beinah alles durch die Fehde mit einem Nachbarn verloren.«

    »Durch eine Fehde mit einem Nachbarn also … Aha.« Markward schaute nun Malik an. »Was meint Ihr?«

    Malik lächelte – und spielte wie nebenbei mit einem kurzen, gekrümmten Dolch, den er zuvor aus dem Gurt unter dem langen Mantel gezogen hatte. »Was habt Ihr zu verlieren, wenn Ihr ihm glaubt? Ist er ein Schelm, wird er sich verraten. Sagt er die Wahrheit, werdet Ihr später den Brief lesen und wissen, weshalb er just zu Euch gesandt wurde. Lasst ihn bleiben.« Er machte ein paar Schritte hin zum Kamin, verharrte kurz, ging wiederum zurück, ließ Tankred nicht mehr aus den Augen und spielte beharrlich mit dem Dolch. Und wie gebannt hing Tankreds Blick seinerseits am Dolch in Maliks Händen. Zugleich aber folgte der Blick jeder Bewegung Maliks – und Tankred schlich prompt geradeso wie dieser hin und her, geschmeidig und lautlos gleich einem sprungbereiten Raubtier.

    Ratlos dagegen Markwards fragender Blick zwischen beiden.

    Just bewegte Tankred sich zwischen der Tür zum Saal und Malik. Und dann ging alles ganz schnell … Maliks Rechte mit dem Dolch zuckte nach vorne – zugleich duckte Tankred sich weg und warf sich zur Seite hin auf den Boden. Ganz nah zischte der Dolch an ihm vorbei und bohrte sich sodann federnd in den Türrahmen.

    Wie von einem Schwarm Hornissen gestochen fuhr Markward von seinem Hocker auf. »Seid Ihr wirr, Malik?«, tobte er los. »Beinahe hättet Ihr ihn abgeschlachtet!«

    Malik jedoch schaute zu Tankred, der soeben auf die Beine kam, den Brief, der ihm entfallen war, wieder an sich nahm, und danach mit der linken Hand die rechte Schulter rieb. »Harte Böden habt ihr«, meinte er nun, und sein Antlitz verzog sich zu einem breiten Grinsen.

    Malik erwiderte es. »Wir werden draußen üben, sobald der Winter vergangen ist. Im Gras fällst du weicher.«

    Nun aber trat Markward entschlossen zwischen die beiden. »Noch einmal: Was sollte das eben? Ihr müsst mir mein Urteil, welches diesen Knaben hier angeht, nicht abnehmen, indem Ihr ihn schlachtet.«

    Doch Malik schüttelte gleichmütig den Kopf. »Peinlich verfolgte er die geringste meiner Regungen. Er wusste gar, wann ich den Dolch werfe und wohin. Hätte er mich angestarrt wie ein Lamm, welches zur Schlachtbank trottet – nie hätte ich den Dolch geworfen. Dies war wie ein … wie ein geheimer Austausch: Er wusste, was ich tun, und ich wusste, wie er dem begegnen würde. Er wird Euch weder als Knappe, denn früher oder später als Ritter Schande bereiten.«

    »Ich bin um etliches zu betagt für die Erziehung eines Knappen – übernehmt Ihr das? Ihr seid weit mehr als zwanzig Jahre jünger und ein ungleich besserer Streiter, als ich je einer im Leben hätte sein können.«

    Malik warf Tankred einen Blick zu. »Was hältst du davon?«

    Wieder funkelten Tankreds Augen. »Ich vermag mir keinen trefflicheren Lehrmeister zu wünschen, Herr!« »Nicht Herr, bloß Malik. Unsere gemeinsamen Anstrengungen sollten darunter wohl nicht arg leiden.«

    »Ich werde ein gelehriger Novize sein, He … Malik.«

    Markward machte einen Schritt auf Tankred zu und schnupperte. »Wann bist du zuletzt mit Wasser in Berührung gekommen, Kerl? Du stinkst wie ein Schweinestall!«

    Tankred senkte das Haupt. »Ich war viele Wochen auf dem Weg zu Euch. Und ich besaß nicht eine Münze, um in Gasthöfen zu nächtigen oder gar ein Bad zu nehmen. Mit dem Schweinestall habt Ihr jedoch recht: Ich musste oftmals dort schlafen und den Viechern ihr Futter stehlen, wollte ich nicht erfrieren und am Hunger sterben …«

    Seite an Seite stiegen Malik und Tankred die breite Steintreppe hinab, die vom Rittersaal aus in die unteren Stockwerke samt den Wirtschaftsräumen führte. Auf einmal fing Malik an, laut und dröhnend zu lachen. »Du stibitzt somit den Schweinen ihr Futter? Dies Angesicht Markwards vergesse ich nie! Hoffentlich hast du dich nicht zu sehr an den

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