Frauen, Männer, Mikropolitik: Geschlecht und Macht in Organisationen
Von Daniela Rastetter und Christiane Jüngling
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Über dieses E-Book
Wissen über Gender, organisationale Machtstrukturen und weitere Dimensionen von Ungleichheit ist in der Aus- und Weiterbildung von Coaches und Supervisor*innen noch nicht sehr verbreitet. Daniela Rastetter und Christiane Jüngling schließen diese Lücke. Kompakt und fokussiert zeigen sie anhand von Fallbeispielen, wie die verschiedenen Dimensionen in mikropolitischen Handlungsfeldern zusammenwirken und Erfolgschancen prägen. Denn Beratende brauchen mikropolitische Kompetenz und Genderkompetenz, um auch in Beratung und Supervision mehr Geschlechtergerechtigkeit zu realisieren. Die mikropolitische Perspektive betont, dass unterschiedliche Interessen und Ziele von Einzelpersonen und Gruppen in Organisationen alltäglich sind und Interaktionen beeinflussen. Gender und Merkmale wie Hautfarbe, sexuelle Orientierung, Herkunft, Sprache oder Religion wirken im Kontext der jeweiligen organisationalen »Innenpolitik«. Wie kann dieses Verständnis von Strukturen und Prozessen der Ungleichheit und Macht in die Beratung eingebracht werden? Das erklären die Autorinnen, denn strategische Beratung unterstützt Klientinnen und Klienten darin, Kompetenzen zu entwickeln, um im beruflichen Kontext passende Lösungen zu finden.
Daniela Rastetter
Prof. Dr. Daniela Rastetter, Jg. 1961, ist Professorin für Personal und Gender an der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität Hamburg. Ihre Arbeitsbereiche sind: Frauen in Führungspositionen, Emotionsarbeit im Dienstleistungsbereich, Mikropolitik in Organisationen, betriebliche Gleichstellungspolitik, Diversity Management.
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Buchvorschau
Frauen, Männer, Mikropolitik - Daniela Rastetter
1 Einleitung: Wozu dieses Buch?
Noch ein Beratungsbuch für Beraterinnen und Berater, noch dazu über Themen, die seit Langem im Zentrum einschlägiger Veröffentlichungen stehen: Macht und Politik in Organisationen, Gender, Diversität und Geschlechtergerechtigkeit. Warum? Diskussionen über Chancengleichheit, Quoten, mehr Frauen in Vorständen und Aufsichtsräten, Diversity Management oder Gender Mainstreaming werden nach wie vor sehr kontrovers geführt, zum Teil mit den gleichen Argumenten wie vor dreißig Jahren. Dennoch ist das Wissen über die vielen Facetten der Genderthematik und ihre Verknüpfung mit organisationalen Machtstrukturen und anderen Bedingungen gesellschaftlicher Ungleichheit in de Aus- und Weiterbildung von Coaches und Supervisorinnen/Supervisoren¹ noch nicht sehr verbreitet. Erst seit Kurzem gibt es Literatur zu Gender- und Diversity-Kompetenz in Beratung, Coaching und Supervision. Wir selbst beschäftigen uns seit geraumer Zeit mit den Erfahrungen bei der Einführung von Frauenförderungs- und Gleichstellungsmaßnahmen und weiterführenden Forschungsansätzen zur erfolgreichen Gestaltung von organisationalen Veränderungsprozessen (Jüngling u. Rastetter, 2011b).
Der Begriff Gender bezeichnet in den Sozialwissenschaften die durch Gesellschaft und Kultur geprägten Geschlechtseigenschaften einer Person in Abgrenzung zu ihrem biologischen Geschlecht (engl. »sex«). Er wird in diesem Kontext meist mit »soziales Geschlecht« übersetzt und dient unter anderem zur analytischen Kategorisierung.
Wir sind davon überzeugt, dass nur ein organisationspolitischer Ansatz die in einer Organisation auftretenden Interessenkonstellationen, Konflikte und Widerstände angemessen reflektieren kann, denn Menschen in Organisationen handeln nicht sachrational, sondern in erster Linie sozial rational. Eine organisationspolitische Perspektive kann auf allen Ebenen mit ganz unterschiedlichen Zielen nützlich sein: Auf der Makroebene kann es z. B. darum gehen, ein gleichstellungspolitisches Projekt unternehmensweit realistisch zu planen und in verschiedenen Bereichen strategische Koalitionspartner zu identifizieren. Auf einer mittleren Ebene gilt es, auf der Basis dieser strategischen Analyse mittels einer passenden Projektplanung verschiedene Akteure und Akteurinnen in Unternehmensbereichen und Abteilungen einzubinden, um dann in konkreten Kontexten geplante Umsetzungsschritte erfolgreich zu realisieren. Auf einer Mikroebene kann es das Ziel sein, als Protagonist/-in organisationalen Wandels – z. B. als Gleichstellungs- oder Diversity-Beauftragte/-r – erfolgreich zu sein (vgl. Edding, 2000), sich mit einem bestimmten Anliegen in Projektgruppen oder betrieblichen Gremien besser durchzusetzen oder – ganz individuell gedacht – die eigene berufliche Weiterentwicklung zu befördern.
Das Besondere unserer Herangehensweise ist also die organisations- und mikropolitische Sicht: Wir betrachten Beratungsanliegen unter einer mikropolitischen Lupe. Dieser Fokus hebt hervor, dass unterschiedliche Interessen und Ziele von Einzelpersonen und Gruppen in Organisationen normal und alltäglich sind und alle Interaktionen beeinflussen. Inwieweit diese Interessen durchsetzbar sind, hängt von den jeweiligen Machtpotenzialen ab. Gender und weitere Dimensionen von Ungleichheit wie Hautfarbe, sexuelle Orientierung, Herkunft, Sprache oder Religion wirken im Kontext dieser je spezifischen organisationalen »Innenpolitik«. Dies gilt sowohl für die Verfolgung individueller Ziele als auch für strukturelle Veränderungen in Unternehmen. Wir stellen deshalb zwei Thesen auf:
1) Alle Beraterinnen und Berater brauchen mikropolitische Kompetenz
Beratung mit mikropolitischer Perspektive heißt, die Bedeutung von Macht, Interessen und individuellen Zielen stets mit zu bedenken, auch wenn sie auf den ersten Blick keine Rolle zu spielen scheinen. Dies könnte so aussehen:
Ein Klient möchte mit dem Coach zusammen seine weitere Laufbahn im Unternehmen planen und beschreibt dafür seine Qualifikationen, bisherigen Erfahrungen und zukünftigen Ziele. Der Coach lenkt den Blick des Klienten auf die Machtkonstellationen im Unternehmen, die dieser noch nicht bedacht hatte: Welche unterstützenden Personen hat oder braucht der Klient, wenn er eine bestimmte Position anstrebt? Welche Netzwerke muss er sich erschließen? Welche Erfolge muss er wie und bei wem herausstellen, um als Aufstiegskandidat bei seinen Vorgesetzten Beachtung zu finden?
Wenn nun eine Klientin dasselbe Anliegen hat und ihre Aufstiegsperspektiven reflektieren und verbessern will, spielen noch weitere, genderspezifische Aspekte eine wichtige Rolle. Hier müsste die Beraterin weitere Dimensionen erkunden, die auf die Aufstiegschancen von Frauen besonderen Einfluss haben. Das mikropolitische Feld wird komplexer (vgl. Jüngling u. Rastetter, 2012).
Wichtige zusätzliche Fragen für eine weibliche Klientin wären: Welche Einstellung hat der unmittelbare Vorgesetzte gegenüber aufstiegsmotivierten Frauen (Frauen wird oft weniger Aufstiegsmotivation zugetraut als Männern)? Wie nimmt die Klientin die Unternehmens- und Abteilungskultur wahr (frauenfreundlich oder eher ablehnend)? In welchem Verhältnis stehen Frauen und Männer in ihrem Arbeitsbereich (Mehrheit–Minderheit)? Wie sind die unternehmensinternen Angebote und Gepflogenheiten hinsichtlich der Vereinbarkeit von Beruf und Familie (Präsenzkultur oder flexible Arbeitszeiten)? Gibt es für die Klientin Mentorinnen/Mentoren und Vorbilder im Unternehmen, die sie motivieren und fördern könnten?
Natürlich kann (Mikro-)Politik auch explizit im Auftrag enthalten sein, etwa wenn ein kleineres Unternehmen oder eine Abteilung in einem Fusionsprozess befürchtet, Einfluss zu verlieren und seine wesentlichen Strukturen und Prozesse erhalten will.
–Eine Gruppe von Psychotherapeutinnen will sich beraten lassen, um die Interessen ihrer Berufsgruppe gegenüber der Klinikleitung, bestehend aus einem Chefarzt und dem Geschäftsführer eines großen Klinikkonzerns, besser durchsetzen zu können.
–Die Gleichstellungsbeauftragte einer Behörde sucht Beratung, um verschiedene Gleichstellungsprojekte erfolgreich umsetzen zu können. Der Berater muss erfragen und reflektieren, welche Aufgaben und Machtressourcen sie hat, welche Rollen sie ausfüllen kann und mit welchen Blockaden, Widerständen und entgegengesetzten Interessen sie bei verschiedenen Projekten zu kämpfen haben wird.
In den beiden letzten Beispielen mischen sich – wie so oft – politische und Genderaspekte: berufliche Statusunterschiede, Interessen der Geschäfts- oder Behördenleitung, Interessen verschiedener Verwaltungsabteilungen, Berufsgruppen- oder Geschlechterunterschiede können relevant sein.
Damit kommen wir zu unserer zweiten These:
2) Alle Beraterinnen und Berater brauchen Genderkompetenz
Beraterinnen und Berater müssen sich darüber bewusst sein, dass Einstellungen und Verhalten von Frauen und Männern mit sozialen Festlegungen im privaten, beruflichen und betrieblichen Alltag verbunden sind. Dementsprechend existiert eine Vielfalt von Lebensentwürfen und Lebenslagen. Auch Organisationen sind durch Geschlechtsrollen (und -bilder) und die damit verbundenen gesellschaftlichen Zuschreibungen und Geschlechterverhältnisse geprägt und bilden entsprechende tief verankerte und zum Teil auch benachteiligende Strukturen aus. Genderkompetenz umfasst dieses Wissen über die soziale Konstruktion von Geschlechterrollen und ungleichen Geschlechterverhältnissen, ebenso wie die Fähigkeit, diese zu erkennen und so zu beraten, dass benachteiligende Strukturen verändert werden können und allen an einer Beratung Beteiligten neue Entwicklungsmöglichkeiten eröffnet werden. Dazu sind Kenntnisse über geschlechterpolitische Strategien notwendig sowie die Fähigkeit, Instrumente und Verfahren zur Verwirklichung von Gleichstellung und Chancengleichheit anzuwenden.
Auch in Interaktionen spielt Geschlecht als soziale »Masterkategorie« eine zentrale Rolle, selbst wenn das eigentliche Thema, das in der Beratung besprochen wird, ein ganz anderes ist. Interaktionen finden dabei auf zwei Ebenen statt: Zum einen sind sie Gegenstand der Beratung, z. B. ein Konflikt mit dem Vorgesetzten oder der Umgang mit einer schwierigen Mitarbeiterin. Zum anderen findet die Interaktion in der Beratung selbst statt. Für die Beratungsinteraktion ist es ein Unterschied, ob ein Berater eine Gruppe von Erzieherinnen supervidiert oder ob eine Karriereberaterin eine männliche Führungskraft coacht. Beratende und Supervidierende sollten diese Unterschiede reflektieren und sich möglichst geschlechtergerecht verhalten (siehe Möller u. Müller-Kalkstein, 2014; Abdul-Hussain u. Baig, 2009; Gröning, Kunstmann u. Neumann, 2015; Pannewitz, 2012).
Genderkompetenz bedeutet, dass Supervisoren/Supervisorinnen und Coaches in Beratungen je nach Auftrag flexibel verschiedene Reflexionsebenen einbeziehen (vgl. Schigl, 2014, S. 100):
–Die Mikroebene: Sie umfasst die individuelle Entwicklungsgeschichte und das Selbstverständnis der Klientinnen und Klienten, die davon geprägte Kommunikation und Interaktion, die individuelle Bereitschaft zur geschlechtstypischen oder untypischen Rollenübernahme etc.
–Die Mesoebene: Zu ihr gehört die Bedeutung von Gender und Genderdynamik in den jeweils relevanten Teams, Abteilungen, Organisationsbereichen und Organisationen.
–Die