Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Ab $11.99/Monat nach dem Testzeitraum. Jederzeit kündbar.

Dichter Leben
Dichter Leben
Dichter Leben
eBook328 Seiten5 Stunden

Dichter Leben

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

In seiner ältesten historischen Novelle vermittelt Tieck ein facettenreiches Bild der Stadt London im 16. Jahrhundert. Die beiden Dichter und Schriftsteller Marlowe und Greene führen ein vorwiegend unbeschwertes Künstlerleben, arbeiten an ihrem dichterischen Nachlass und halten auch sonst nicht viel von bürgerlichen Konventionen. Dafür verbreiten sie sich intensiv über Literatur und leben vom Zuwendungen ihrer Gönner und Auftraggeber, die vertröstet werden: "Die Musen sind nicht zu allen Zeiten willig." - Am Schuss der Novelle tritt ein Shakespeare auf, der als Schreiber für die beiden Dichtern tätig war und nunmehr sein eigenes Werk vorlegt.
Erster und Zweiter Teil
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum12. Dez. 2022
ISBN9783756899050
Dichter Leben
Autor

Ludwig Tieck

Johann Ludwig Tieck war ein deutscher Schriftsteller und Dichter. Er wurde geboren am 31. Mai 1773 in Berlin und verstarb dort am 28. April 1853.

Mehr von Ludwig Tieck lesen

Ähnlich wie Dichter Leben

Ähnliche E-Books

Thriller für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Dichter Leben

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Dichter Leben - Ludwig Tieck

    Inhalt

    Einleitung des Herausgebers

    Dichterleben

    Dichterleben. Zweiter Theil.

    Der Dichter und sein Freund. 1831.

    Einleitung des Herausgebers

    Es ist bekannt, daß unsern Dichter sein ganzes Leben hindurch der Plan beschäftigt hat, in einem großen umfassenden Werke seine durch die vielseitigsten Studien erlangten Urteile über Shakespeare und seine Zeit niederzulegen, und ebenso bekannt ist es, daß er niemals dazu gekommen ist, diesen Plan auszuführen. Nur einige Entwürfe und kurze Fragmente konnte Köpke aus des Dichters Nachlaß veröffentlichen, und bei Lebzeiten hat Tieck die Resultate seiner wissenschaftlichen und ästhetischen Beschäftigung mit dem großen Dramatiker in einzelnen Aufsätzen, Vorreden ec. nur sehr teilweise bekannt gemacht. In unsrer allgemeinen Einleitung ist näher ausgeführt, inwiefern Tieck, trotzdem er uns das verheißene Shakespeare-Werk schuldig geblieben, durch Wort und Schrift für ein besseres Verständnis des englischen Dichters in Deutschland gewirkt hat. Bei weitem das Schönste und Bleibendste aber, das seiner Liebe zu Shakespeare entquoll, ist nicht ein wissenschaftliches, sondern ein poetisches Werk, die Novelle, welche die nachfolgenden Blätter unsern Lesern darbieten. Das »Dichterleben«, dem 1824 zwei andre Novellen: »Die Gesellschaft auf dem Lande« und »Pietro von Abano«, vorausgingen, ist noch 1824 begonnen, und am 20. August des folgenden Jahres konnte der Verfasser seinem Freunde Karl Förster die vollendete Dichtung vorlesen.¹ Sie erschien zuerst in »Urania, Taschenbuch auf das Jahr 1826«². und ist bei Lebzeiten des Dichters noch dreimal gedruckt worden.³. Schon am 4. April 1809 hatte A. W. Schlegel, der auf Tieck wegen seiner Shakespeare-Kritik nicht ohne eine gewisse Eifersucht blicken mochte, dem Freunde geschrieben: »Auch über Shakespeare ... wolltest Du schreiben. Ich gestehe, ich bestellte mir von Dir lieber etwas als über etwas.«⁴. Sechzehn Jahre später kam Tieck diesem Wunsche gleichsam nach, indem er Shakespeare schrieb, nicht über Shakespeare, d. h. er faßte, wie Minor⁵. sagt, » dichterisch zusammen, was er kritisch in seinem Buche nicht loswerden konnte und auch später niemals mehr losgeworden ist. Was er in jener Rezension des Correggio⁶. verlangt: daß der Künstler in seiner ganzen Eigenart, wie er sich in seinen Werken zeige, erscheine – das hat er auf Grund der Ansichten, welche er sich eigentümlich und nicht frei von subjektiven Einflüssen über Shakespeare gebildet hatte, in großem Stile ausgeführt.

    Und wie jenes kritische Werk auch das ganze Zeitalter der Elisabeth in demselben Lichte, in welchem er es einst dem Aufklärungszeitalter gegenübergestellt hatte, schildern sollte, so wird auch hier die Person des Dichters nicht isoliert, sondern auf dem breiten Hintergrund seines ganzen Zeitalters hingestellt.« Sehr richtig hatte der Dichter am 27. April 1818 an Solger⁷ geschrieben: »Shakespeare ist nur der Mittelpunkt des englischen Theaters und der neuen Kunst; kennt man nicht genau, was vor ihm war, so bleibt er ein Rätsel, und man schreibt ihm am leichtesten das zu, was er mit allen gemein hat; seine Zeit und Nachwelt muß man auch studieren, um erst vollständig überzeugt zu sein, wie er uns der Schlüssel unsrer Welt und aller unsrer Zustände ist. Leider bleibt er so vielen immer nur noch eine Rarität.« Diese Überzeugung Tiecks gibt uns die Erklärung an die Hand, warum in der ersten und besten seiner Shakespeare-Novellen der große Dichter selbst »gleichsam nur im Hintergrund vorübergeht«⁸, während im Vordergrund seine dichterischen Vorgänger und Mitstreber stehen: der geniale, aber maßlose Marlow und der weichliche, leichtsinnige und selbst-quälerische Green. Nur durch die Wirkung der Gegensätze konnte es ihm gelingen, »die innige Harmonie, die wahre Regel«, in welcher Shakespeare »uns ewig Muster bleiben« müsse, »diese tiefste Wahr-heit, die durch sich selbst Poesie« werde, die »große Vernunft, die den Shakespeare so himmlisch und echt human«⁹ mache, dem Leser zu deutlicher Empfindung zu bringen. Die herrliche, tief ergreifende Erzählung machte auf die poetisch fühlenden Zeitgenossen des Verfassers einen mächtigen Eindruck. »Hinreißend« nannte sie A. W. Schlegel¹⁰ und meinte, ins Englische übersetzt, müsse sie Furore machen; und viel später, als er mit Tieck nicht ohne Grund wegen dessen eigenmächtiger Behandlung der von ihm übersetzten Shakespeare- Stücke grollte, bezeichnete er in einem vertraulichen Briefe¹¹, der im übrigen voll Bitterkeit gegen den Jugendfreund ist, das »Dichterleben« als eine »unvergleichliche Darstellung« und rief aus: »Es sind Porträte, aus der Idee gemalt, aber von einer so individuellen Wahrheit, daß man schwören sollte, die Personen hätten ihm dazu gesessen.« Der geistvolle Immermann¹² erklärte in einem Briefe vom 18. Juli 1831, hier sei ihm »das geheimnisvolle Schaffen von Tiecks wunderthätiger Phantasie am klarsten geworden«, er könne den Eindruck, den sie auf ihn gemacht, nicht anders be-zeichnen, als indem er sage: wenn es nicht so zugegangen ist, hätte es doch notwendig so zugehen müssen. Die feinsinnige Tochter des Dichters, Dorothea, schrieb am 31. Mai 1832 an Üchtritz¹³:. »Ich muß gestehen, daß unter allen Novellen meines Vaters mir keine so hoch steht als der erste Teil des ›Dichterlebens‹¹⁴; so schön die andern auch sind, so kommt mir diese doch immer als einzig und unerreicht vor.« Hebbel¹⁵,. der an der Charakterzeichnung Shakespeares (aber wohl mehr in Bezug auf die Fortsetzung der Novelle von 1829) zu tadeln fand, urteilte doch: »Die Situationen sind unvergleichlich ersonnen und dargestellt; Marlow ..., insonderheit aber Robert Green, dieser zum fliegenden Fisch degradierte Halbadler, sind meisterhaft gezeichnet.« Niemand aber hat den Sinn des Dichters und sein poetisches Verdienst klarer erkannt als die geniale Adelheid Reinbold, die in einem Briefe an Tieck vom 19. Juni 1829 unter anderm schreibt¹⁶: »Dieses Werk muß vor allen andern, die ich von Ihnen kenne, so recht aus Ihrem Innersten geflossen sein; denn so nah', so sichtbar möchte ich sagen, hat Sie noch keines vor meinen Geist gestellt. Wie herrlich zeichnen Sie den Kampf der wilden chaotischen Kraft mit dem Menschlichen, den Kampf der Götter mit den Titanen, wie lernen wir Ihren Dichter lieben und bewundern, wie trifft er so wahr und so entschieden immer das Rechte, und doch können wir dabei auch dem Titanen Marlow unsre Liebe und Bewunderung nicht versagen, ja er reißt sie gewissermaßen noch mehr an sich als Shakespeare, den Sie mehr als die ruhige Kritik auftreten lassen, er erobert unsre Zuneigung, wie der Handelnde es immer thut, während der andre sie von Rechts wegen gewinnt. Ich finde in dieser Novelle den Stoff zu einem Trauerspiel, welches Sie Marlow nennen könnten, und über welches ich Goethes Motto schreiben möchte:

    ›Auch ohne Parz' und Fatum, spricht mein Mund,

    Ging Agamemnon, ging Achill zu Grund‹,¹⁷

    und dem es nur noch an Handlung fehlte, denn den ganzen innern Gehalt eines Trauerspiels, die Gedanken, welche sich untereinander verklagen und nicht aufs reine kommen können, ja es ihrer Grundlage nach vielleicht nie können, hat Ihre Novelle schon¹⁸. Es ist eine Göttergestalt, dieser Marlow, der an nichts als an sich selbst hätte zu Grunde gehen können. Und wie schön ist nun wieder der Kontrast des sanften, weichen Green, der eben in der süßen Milde seines Gemütes uns doch wieder auf dem Sterbebett die poetische Beruhigung zeigt, die sein Leichtsinn ihm auf immer zu entreißen droht.« Auch dieser Novelle liegt eine sittliche Wahrheit zu Grunde, die für Tieck charakteristisch ist: sie zeigt, wie Kultus des Genies sowohl als Kultus der Empfindung in ihrer Einseitigkeit ihre Vertreter ins Verderben führen, und anderseits, wie der Mensch, vor allem aber der Dichter, nur des wahren innern Glückes teilhaft werden und das Höchste erreichen kann, wenn er sich die volle Harmonie aller Geistes- und Seelenkräfte zu eigen macht. Auf einzelne Schönheiten – wie auf die prächtige Einführung Shakespeares oder auf die milde Rührung, die das schreckliche Ende Marlows verklärt – kann hier nicht näher eingegangen werden. Wir verweisen auf die feine Würdigung der Meisternovelle, nebenbei bemerkt, der ältesten historischen Novelle Tiecks, durch Jakob Minor¹⁹. Am Schlusse seiner Betrachtung sagt Minor sehr treffend: »Alles ist darauf angelegt, zu zeigen, wie Shakespeares Stern im Hintergrund aufgeht, während sich seine Vorgänger zu Grabe neigen. Es will uns als eine große Geschicklichkeit des Dichters erscheinen, daß er das dürftige Vorleben Shakespeares umgeht; auch was er als Schreiber war, wird nicht gesagt; er tritt nur mit seinen Gedanken in die Handlung ein und ist, während uns Green und Marlow im Vordergrund beschäftigt haben, bereits als großer Dichter aufgestanden ... In diesem Teile erscheint Shakespeare als eine halb mythische, heilige Person; wie Pallas springt er fertig aus dem Haupte Jupiters hervor. Seine Schwäche, Unwürdigkeit, Niedrigkeit wird uns erlassen; besonders die drückenden Verhältnisse seiner Kindheit und Jugend werden übergangen. Auch mit dem unausstehlichen Herkules in den Windeln werden wir verschont.« Man möchte fast bedauern, daß Tieck dieser »weisen Absicht« später untreu geworden ist. Im Jahre 1828 schrieb er einen »Prolog zum Dichterleben«: » Das Fest zu Kenelworth«²⁰ in welchem eine Episode aus Shakespeares Knabenjahren anmutend erzählt wird.

    Adelheid Reinbold spricht in dem oben angeführten Briefe nicht mit Unrecht von dem »heitern, kindlich-lieblichen Prolog mit seinen schlummernden Gefühlen und Blütenknospen«, wenn auch leider, wie Minor bemerkt, der Knabe »etwas altklug ausgefallen« ist und »zu oft und absichtlich den künftigen großen Dichter« verrät. Weit schwächer aber als dieser Prolog, der immerhin einen gefälligen Eindruck hinterläßt, ist eine im Jahre 1829 verfaßte Fortsetzung des »Dichterlebens«²¹, als »zweiter Teil« bezeichnet, später auch unter dem Titel: » Der Dichter und sein Freund«²² Adelheid Reinbold hatte als Aufgabe des Dichters sehr richtig erkannt, daß Tieck nun »seinen eigentlichen Helden und Liebling einmal im Kampfe mit sich selbst zeige, und wie er sich das Ungeheuere und die nach allen Seiten überströmende Kraft durch das Menschliche und in diesem Sinne Göttliche bändigt«²³. Aber diesem gewaltigen Problem gegenüber erlahmte des Dichters Kraft; dieser »zweite Teil« ist nicht nur in Bezug auf Komposition weit schwächer als der erste, auch die Charakteristik Shakespeares entspricht nicht dem Bilde, das wir uns von dem fertigen großen Manne machen müssen, und der Schluß, der in einen recht schmutzigen Liebeshandel und daraus entspringenden Zwist zwischen Shakespeare und seinem Freunde Southampton ausläuft, ist durchaus unbefriedigend. Daß sich in Einzelheiten, z. B. in dem meisterhaft gezeichneten Charakterbild von Shakespeares Vater, die poetische Kraft des Verfassers in glänzendem Lichte zeigt, kann freilich nicht geleugnet werden.

    Zum Schlusse sei bemerkt, daß die Haupthandlung dieser ersten historischen Novelle Tiecks (und auch die des zweiten Teils) eine geniale Erweiterung der verschiedenen Traditionen ist, die uns über Shakespeares und seiner dichterischen Zeitgenossen Leben und Treiben überkommen sind, und daß die auffallend frische und kräftige Lokalfärbung aller drei Novellen sich nicht nur durch Tiecks gründliche Studien, sondern auch durch seine mit Burgsdorff 1817 unternommene englische Reise, auf der er alle für seinen Liebling Shakespeare bedeutsamen Örtlichkeiten selber in Augenschein nahm, erklärt. Bewundernswerter als diese äußere historische und geographische Treue will uns der geschichtliche Sinn des Dichters erscheinen, der uns das geistige Leben der geschilderten Kreise, das seltsame Treiben der damaligen poetischen Genies und nebenbei der religiösen Schwärmer in so knapp bemessenem Raume mit voller Deutlichkeit und Wahrheit vorführt, wogegen wenig in Betracht kommt, daß Tieck in den Gesprächen zwischen Green, Marlow und Shakespeare dem letztern zuweilen Kunsturteile in den Mund legt, die im Grunde die des Verfassers selbst sind.


    ¹ Vgl. »Biographische und litterarische Skizzen aus dem Leben und der Zeit Karl Försters« (Dresden 1864), S. 319 f.

    ² Leipzig, bei Brockhaus, 1826 (Spätjahr 1825), S. 1-139

    ³ 1828 im 6. Bande der »Novellen« (Berlin), 1844 im 18. Bande der »Schriften« und 1853 im 2. Bande der »Gesammelten Novellen«

    ⁴ »Briefe an Tieck«, Bd. 3, S. 296

    ⁵ In dem vortrefflichen Aufsatz »Tieck als Novellendichter« (»Akademische Blätter«, 1884, S. 150)

    ⁶ Von Öhlenschläger, f. das chronologische Verzeichnis unter 1827

    ⁷ Solgers »Nachgelassene Schriften und Briefwechsel«, Bd. 1, S. 623.

    ⁸ Minor a. a. O.

    ⁹ Tieck an Solger a. a. O.

    ¹⁰ »Briefe an Tieck«, Bd. 3, S. 296.

    ¹¹ An Georg Reimer; s. M. Bernays in den »Preußischen Jahrbüchern«, Bd. 68, S. 549.

    ¹² »Briefe an Tieck«, Bd. 2, S. 52 f.

    ¹³ »Erinnerungen an Fr. von Üchtritz«, S. 164

    ¹⁴ Die 1825 vollendete Novelle »Dichterleben«.

    ¹⁵ »Tagebücher«, Bd. 1, S. 122

    ¹⁶ »Briefe an Tieck«, Bd. 3, S. 125 f.

    ¹⁷ Aus dem Gedächtnis citiert. In Goethes »Prolog zur Eröffnung des Berliner Theaters im Mai 1821« sagt die Muse des Dramas: »Und ohne Zeus und Fatum, spricht mein Mund, Ging Agamemnon, ging Achill zu Grund.«

    ¹⁸ Ernst von Wildenbruch, der hochbegabte Dramatiker, hat 1884 ein Trauerspiel, »Christoph Marlow«, veröffentlicht, das Tieck viel verdankt. So reich an einzelnen Schönheiten das Drama auch ist, so hat es der ältern Novelle die Palme der Meisterschaft doch nicht entwinden können.

    ¹⁹ A. a. O., S. 150 ff.

    ²⁰ Im 6. Bande der »Novellen«, Berlin, Reimer, 1828.

    ²¹ Zuerst 1830 gedruckt in Tiecks »Novellenkranz« auf das Jahr 1831.

    ²² Seitdem erhielt die ursprüngliche Novelle »Dichterleben« (1825) auf dem Titel den Zusatz: »Erster Teil«. gedruckt.

    ²³ A. a. O., S. 126.

    Dichterleben

    »Ha! meine lieben täglichen Gäste!« rief der runde Wirt Die Szene ist das besonders durch Shakespeare und Walter Raleigh weltbekannt gewordene Wirtshaus » at the mermaid« (zum Meermädchen) in London- Southwark, Bread Street. mit seiner tönenden Stimme; »seid mir gegrüßt, werte, geehrte Herren! der Platz ist schon für euch zubereitet.«

    Zwei Männer waren in den geräumigen Saal getreten, dessen Kühlung ihnen bei der zunehmenden Hitze der Sommertage angenehm dünkte. Der Tisch stand am großen Fenster, welches um einige Schuhe in die Straße hinaus gebaut war; das Morgenlicht glänzte durch die runden, in Blei gefaßten Scheiben und malte sich auf dem Boden, den man mit frischen grünen Binsen bestreut hatte. Der älteste von den Fremden war ein Mann von mittlerer Größe, mit schönen braunen Augen, einer fein gebogenen Nase und kräftigen, freundlichen Lippen. Der jüngere Mann war höher und schlanker, seine Augen glänzten feuriger, und seine Gebärden sowie sein Gang waren rasch und heftig. »Ist der fremde Mensch, der immer da hinten sitzt, noch nicht wieder erschienen?« fragte dieser mit hochfahrendem Ton.

    »Seitdem nicht wieder«, antwortete der Wirt, »als Ihr ihn neulich etwas hart angelassen habt. Er wird sich wohl haben wegschüchtern lassen, denn er scheint eine stille Seele.«

    »Das sollte mir leid thun«, sagte der heroische junge Mann, »sowohl um ihn als um Euch. Ich spreche auch manchmal selbst gern mit dergleichen mittelmäßigen Gesellen, denn man lernt auch von diesen furchtsamen Geistern. Und ich muß keine Vogelscheuche für Eure Gäste werden. – Aber wer ist er denn eigentlich?«

    »Darauf kann ich Euch nicht dienen«, sprach der Wirt mit unterdrückter Stimme, indem er sich furchtsam umsah, ob auch der Fremde, von dem die Rede war, nicht unbemerkt eintrete; »denn er läßt sich nicht ausfragen. Ich kann nur so viel melden, daß ich ihn schon so ein sechs oder sieben Jahre über die Straßen wandeln gesehn; und wenn ich mich nicht sehr irre, so ist er eine Zeitlang Schreiber und Gehülfe bei einem Sachwalter gewesen, und dieselbe Würde mag er auch wohl noch bekleiden,«

    »Wie? neugierig! Freund Christoph,« Christopher Marlowe ( Marlow, 1564 – 93), der bedeutendste Vorläufer Shakespeares auf dem Gebiet der Tragödie, kraftvoll und leidenschaftlich, aber auch oft roh und geschmacklos. sagte der ältere Mann, der sich indessen schon behaglich niedergesetzt hatte; »es freut mich, daß doch auch eine weibliche Tugend Eure männliche heroische Kraft etwas mildert und mäßigt.«

    »O Robert! Robert Greene ( Green, ca, 1560–92), nächst Marlowe der begabteste, englische Dramatiker vor Shakespeare, anmutig und oft voll lyrischer Zartheit aber ungleich und zu schwach, um zur Vollendung emporzudringen trinklustiger Robert!« rief der jüngere, indem er sich zu ihm setzte; »dir währt es zu lange, den Wein im Becher rieseln zu hören. Dein Gemüt ist ganz auf die Flasche gerichtet, und die Nachrichten, die sie dir mitteilen kann, scheinen dir die einzig wichtigen. – Aber ist sonst nichts Neues vorgefallen?« so wandte er sich wieder an den Wirt, der das Zimmer schon verlassen wollte.

    »Ein reicher Squire aus Jorkshire York oder Yorkshire, die größte englische Grafschaft, zwischen der Nordsee im Osten und Lancaster und Westmoreland im Westen. ist gestern abend angekommen, mit Pferden und Leuten«, antwortete der Wirt, »und hat meine besten Zimmer da droben gemietet. Übrigens ein vernünftiger Mann, der mit allen Dingen zufrieden ist. Er sagt, er sei schon vor vier Jahren hier in London gewesen, damals, als wir mit der unüberwindlichen spanischen Armada bekanntlich 1588 durch die Engländer (Drake) vernichtet. zu thun hatten; er will sogar hier gewohnt haben, aber ich kann mich seiner nicht erinnern. Ein Patriot ist er, wie es nur einen geben kann; denn von unserer Königin Elisabeth Elisabeth von England (geb. 1533) regierte 1558–1603. spricht er nur mit Verbeugungen und der Hand auf dem Herzen.«

    »Das muß ein echter Engländer sein«, sagte Robert, als der Wirt hinausgegangen war. »Aber trinkt doch, Christoph, Ihr scheint mir heut' nicht so heiter als gewöhnlich.«

    »Ich bin es auch nicht«, sagte jener, indem er den vollen Becher nachdenkend erhob. »Ist es dir wohl schon vorgekommen, daß du das Ende eines Gedichtes nicht finden konntest, welches du mit Begeisterung angefangen hattest?«

    »Nein«, sagte Robert, »denn ich kann gar nicht schreiben, wenn es mir nicht leicht wird, und von allen Dingen ist mir der Schluß am leichtesten, ich fange gewissermaßen mit ihm an, denn er ist fast das Erste, worüber ich mit mir selber einig werden muß, und so strebt denn nachher alles von selbst diesem Ziele zu.«

    »So ist es nicht gemeint«, sagte der heftige Mann, »und du hast die Gabe, mich mißzuverstehn. So im wachen Schlummer weiter dichten und das Ding nun endlich auch schließen, je nun, das kann ich wohl ebenfalls, wenn ich diesen schläfrigen Fleiß einmal in Anspruch nehmen will. Aber neu zu sein am Schluß, mit großen Gedanken zu endigen, mit Gefühlen und Erschütterungen, die bis dahin in der Tragödie selbst noch nicht auftraten, und die doch in der Sache liegen, so ein Gemälde hinzustellen, das nun noch endlich, nach allen vorhergegangenen Rührungen die ganze Seele umwühlt und das Herz wie zerschmettert: das Bild dieser erhabenen Angst steht mir so lebhaft vor Augen, daß ich mich selbst verwundern muß, wie ich es nicht schon längst viel mächtiger irgendwo habe abzeichnen können.«

    »Ja, ja«, sagte Robert wie gerührt, »dies verwünschte Theaterwesen, das uns unsre Bemühungen doch so wenig dankt und belohnt, es reibt unsere besten Kräfte auf; und dich nun gar mit deiner Teufelstragödie, diesem Faust, Marlows dramatische Bearbeitung des deutschen Volksbuchs von »Doktor Faustus entstand wahrscheinlich 1588, ward aber erst 1604 gedruckt: übersetzt wurde sie von Wilhelm Müller, Adolf Böttiger u. a. den dir selbst ein böser Geist als Arbeit hingeschoben hat. Du bist seit dieser Anstrengung, die dich quält, niemals wieder so übermütig gewesen wie im Frühjahr. Ich erlebe es noch, daß er sich vor seinen eignen Teufeln fürchtet und von den Mißgeburten seiner Phantasie bekehren läßt.«

    »Wenn ich Robert Green hieße!« erwiderte jener; »o du zerknirschter Sünder. Eine merkwürdige Schrift Greenes, die Tieck vielfach für die Reden desselben benutzt hat: »Eines Pfennigwertes Witz, erkauft mit einer Million Reue« (1592), enthält die kläglichsten Selbstvorwürfe, die, ebenso wie ein erhaltener Brief von ihm an seine treulos verlassene Gattin, einen schwachen, unmännlichen Charakter verraten. der du immer nur in dem Eise der Untugend und im Auftauen der Reue und Buße lebst, wie Aprilwetter, Schnee und Sonnenschein im unbefestigten Gemüt, der sich nur im Hin- und Herschwanken seiner selbst bewußt wird, der nur davon weiß, daß er lebt, alle Morgen die besten Vorsätze zu fassen und sie alle Mittage beim ersten Glase Wein in schlaffer Begeisterung zu vergessen. Deine Tugend ist ein Tagesschmetterling, der das Abendrot nicht leuchten sieht. Wenn ich dich noch einmal stark und konsequent sehen sollte, so würde ich ohne Bedenken alle Wunder glauben.«

    Robert lachte herzlich, indem er sagte: »Du bist noch niemals zur Reue und Buße reif geworden, deine Verstocktheit hältst du für Kraft, und doch ist sie eben die schlimmste Schwäche. Wenn dein Herz einmal aufginge und sich zerknirschen lernte, so würdest du über die Macht und Fülle erstaunen, die von dort aus dein ganzes Wesen kräftigte. Aber der gebrechliche Mensch hält den Felsenstein für stärker als die Blüte der Pflanzen, und doch sind es die Wurzeln des Baumes, die jenen sprengen, wenn dieser allgemach und unmerklich in die Klippe hinein wächst. Doch laß deinen Hohn, ich schweige und will durch meine Worte den Teufel nicht um sein rechtmäßiges Eigentum bringen.«

    »Wenn er sich noch um mich bemüht«, sagte jener laut auflachend, »so hat er dich schon vergessen, und das ist es eben, was dich kränkt, so daß du ihn täglich bettelnd anläufst und ihn mit Thränen anflehst, er möge dich doch nicht ganz verschmähen, du seist ja ein ganz gutes Stück Menschenwesen und ein trefflicher Kopf, wie sie alle sagen, und tragest Inklination zu ihm und Liebe; er möge sich also durch das bißchen Reue und Frömmigkeit, das du der schwachen Gesundheit wegen alle Morgen beim Frühstück zu dir nehmen müssest, nicht irre machen lassen, denn es sei so böse nicht gemeint; kenne er doch selbst dein beständiges Herz, das von seiner alten Liebe nicht lasse. Nicht wahr, du Dreiviertel-Epikuräer und Einachtel-Puritaner, so ist dein Verhältnis zu deinem Lehnsherrn, der höchstens einmal mit dir mault, wenn er an dich denkt?«

    Als sie sich umsahen, hatte sich der junge Mann, den sie für einen Schreiber hielten, wieder still mit seinem Wein in den Hintergrund des Zimmers gesetzt. »Glaubt Ihr auch einen Teufel?« rief der Redende zu jenes Tisch hinüber.

    Der Unbekannte, nachdem er den Fragenden erst anständig begrüßt hatte, antwortete mit einem stillen Lächeln: »Herr Marlow, wenn man ihn glaubt, muß man sich nur hüten, nicht an ihn zu glauben, und wenn man ihn leugnet, daß er es nicht selber sei, der uns die Worte in den Mund legt,«

    »Sieh, lieber Green«, sagte Marlow, »da hat uns der gute junge Mann eine nachdenkliche Rede zur Antwort gegeben.«

    »Eines Doktors nicht unwürdig«, antwortete Green, »ob sie gleich deiner Frage nicht genug thut.«

    Das Gespräch wurde unterbrochen, indem sich oben im Saal die Glasthür öffnete, die einen Altan verschloß. Der Wirt zeigte sich oben und mit ihm ein fein gekleideter Mann, der auf die Gesellschaft unten mit großer Aufmerksamkeit herniedersah, sie dann höflich begrüßte und sich mit dem Wirt wieder entfernte. Man hörte hierauf im obern Zimmer sprechen. Nicht lange, so erschien unten ein zierlich gekleideter Page, der auf einem silbernen Teller eine Flasche alten Rheinwein, Zucker und eingemachte Früchte trug. Der junge Mensch sah sich verlegen im Saale um, musterte die Sitzenden und ging dann mit bäurischem Wesen auf den jungen unbekannten Mann am Nebentischchen zu, indem er stotternd sagte: »Mein gnädiger Herr, der Squire Wallborn von Eschentown in Yorkshire, empfiehlt sich und bittet in dieser geringen Gabe um die Erlaubnis, mit dem werten Herrn durch Besuch und Gespräch eine Bekanntschaft anzuknüpfen.«

    »Mit mir?« sagte der Mann im schwarzen Kleide; »Ihr irrt Euch, junger Freund.«

    »Gewiß nicht«, antwortete der Page, »mein Herr hat mir Euch deutlich beschrieben und mir noch obenein gesagt: ich könnte gar nicht fehlen, denn der Herr sei gemeint, der solch edles königliches Wesen habe«

    Die beiden Freunde am Fenster, die das Mißverständnis sogleich begriffen, konnten ein lautes Lachen nicht unterdrücken, und der Fremde, der darüber weder verlegen noch beleidigt schien, ergötzte sich ebenfalls an demselben. Nur der Squire, den das Gelächter, welches er nicht erwartet hatte, wieder auf den Altan lockte, teilte die frohe Stimmung nicht, sondern rief mit lauter Stimme von oben herab: »Dummkopf!« und winkte mit heftiger Gebärde, so daß der Page, noch verlegener, stumm und unentschlossen in der Mitte des Saales stand, indem sein Herr fortfuhr: »Dorthin! zum Herrn im roten Mantel sollst du gehn, zu dem großen majestätischen Mann!« Der Page folgte, im ganzen Gesichte blutrot, der ungestümen Anweisung, konnte aber jetzt kein Wort mehr hervorbringen, sondern setzte zitternd das Silbergeschirr mit allem, was darauf stand, auf den Tisch und entfernte sich dann mit einer stummen Verbeugung. Beschämt über die eigne Heftigkeit, hatte indessen auch der Squire den Altan wieder verlassen, er trat jetzt zu den übrigen in den Saal und nahte sich der Gruppe am Fenster, indem er sagte: »Verzeiht, meine geehrtesten Herren, die Ungeschicklichkeit meines jungen, noch unerfahrenen Dieners und haltet es für keine Anmaßung, wenn ein Fremder, der keine Verdienste für sich kann reden lassen, von dem Rufe so ausgezeichneter Geister angezogen, den Wunsch hegt, mit Männern in Bekanntschaft zu treten, die ihrem Vaterlande so große Ehre machen.«

    Green verbeugte sich stillschweigend, und Marlow, der wohl gesehen, daß nur ihm eigentlich die Botschaft des Edelmannes gegolten hatte, nahm das Wort und drückte mit Beredsamkeit die große Freude aus, die ein Dichter empfinden müsse, wenn es seinen Versuchen gelänge, ihm auch in der Ferne und unter angesehenen und ausgezeichneten Männern Freunde zu erwerben, unter denen der Beifall Eines Verständigen das unbestimmte Urteil Unzähliger aus der unwissenden Menge aufwiege.

    Der Squire, der ein Mann von Erziehung war, hielt es für notwendig, auch jenem Unbekannten eine kleine Entschuldigung zu sagen; doch dieser kam ihm, als er seine Rede eben erst begonnen hatte, mit Freundlichkeit zuvor, indem er sprach: »Bemüht Euch nicht, Sir! Mir thut nur der arme junge Mensch leid, den Ihr beschämtet; laßt Euch nicht stören, ein Gespräch fortzusetzen, das Euch zu wichtig sein muß, um die Zeit mit einem Unbekannten zu verlieren.«

    Diese Worte, höflich, aber sorglos hingesprochen, vermochten den Edelmann, auch diesen Unbekannten mit an jenen Tisch zu laden, welchen die Aufwärter von neuem mit Wein und Früchten besetzten. Der gleichgültige Green machte dem Schreiber, wie man ihn nannte, freundlich an seiner Seite Platz; doch Marlow rückte mit einer kleinen Empfindlichkeit weiter zurück und dem Edelmanne näher. Diesem entging diese Unart nicht, und er sagte gutmütig: »Wer sich nicht selber als Dichter zeigen kann, der wird wenigstens dadurch geadelt, wenn er die Werke edler Geister versteht und liebt; und darum dränge ich mich mit halbem Vertrauen in eure Gesellschaft und bitte diesen jungen Mann, sich uns zu nähern, da seine Worte und sein Wesen wohl deutlich verraten, daß er die Dichter seines Landes zu würdigen weiß.« Der Wein und heitere Gespräche machten bald alle, die sich bis dahin fremd gewesen waren, miteinander bekannt. Der hochfahrende Marlow vergaß es endlich,

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1