Seufzer aus Österreich und seinen Provinzen
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Seufzer aus Österreich und seinen Provinzen - Charles Sealsfield
Erste Abtheilung.
Inhaltsverzeichnis
Erstes Kapitel.
Inhaltsverzeichnis
Ankunft in Deutschland — Reise über Karlsruhe, Stuttgart, Cassel, Leipzig, Dresden, Karlsbad und Töplitz nach Prag — östreichische Polizei — Bäder — Parallele zwischen Preußen und Oestreichern — Böhmen — die böhmischen Bauern — Charakter des Volks — Religion.
Wir verließen Alt-England, und gingen über Paris und die Straßburger Brücke auf deutschen Grund und Boden. Das erste deutsche Reich, welches wir jenseit des Rheins fanden, war das Großherzogthum Baden. Die Landeshauptstadt Karlsruhe ist groß und regelmäßig, und besitzt ein prachtvolles Palais und einen schönen Park. Der Menschenschlag ist herrlich, das Land fruchtbar; es besitzt auch, was man in Deutschland eine Konstitutionelle Verfassung nennt. Was soll man weiter davon sagen? Etwa daß das arme Volk dort wie anderswo von Kartoffeln und schwarzem Brode lebt, das an Farbe den alten abgetragenen Hüten auf seinen Köpfen gleicht?
Aufhalten in diesem Ländchen war unser Vorsatz nicht; noch desselbigen Tages kamen wir in das Königreich Würtemberg. Das Königliche Residenz-Schloß in Stuttgart ist vielleicht das Schönste in Deutschland, und übertrifft die Tuilerien bei Weitem. Bis nach Heidelberg gab es keinen erfreulichen Anblick. Dort herum gewann das Land ein besseres und romantischeres Ansehn; die Bewohner schienen sich in besseren Verhältnissen zu befinden.
Einige Stunden genügten, um uns in die dritte Hauptstadt auf deutschem Gebiete, nach Darmstadt zu versetzen. Hier fanden wir ein schönes Theater, eine Ständeversammlung à la Würtemberg, und ein Heer von zehntausend Soldaten, die mit Freuden wieder einen Kreuzzug gegen die Yankee's machen möchten, wie uns gesagt wurde.
Eine halbe Tagereise, und wir waren in Frankfurt, dem Sitze des deutschen Bundestages. Mit einem gutem Pferde kann man von hier aus in Zeit von einer Stunde durch das Gebiet von drei Souverainen reiten, nämlich durch das der Churfürsten von Hessen, des Herzogs von Nassau und des Landgrafen von Hessen-Homburg.
Der Churfürst von Hessen-Cassel ist der reichste aller deutschen Fürsten. Sein Land und seine Unterthanen sind Zeugen. Seine Schätze verdankt er seinem Großvater und seinem Vater, zweien Fürsten, welche besser wußten wie die andern deutschen Prinzen, was Souverainetät zu bedeuten habe. Der Erste verkaufte seine getreuen Landeskinder nach Amerika, der Andere brachte die Privilegien der vorigen Fürsten und Edelherren wieder in Schwung.
Da sich seine Schätze hauptsächlich von den Soldaten seines Ahnherrn herschrieben, so widmete er auch den seinigen alle mögliche Aufmerksamkeit. Nach der Restauration fiel ihm nichts Geringeres ein, als daß sie wieder Zöpfe tragen sollten, wie zu den Tagen Friedrich des Großen. Da man aber durchaus kein Verfahren ausfindig machen konnte, wie die befohlenen Zöpfe am Kopfe festgemacht werden sollten, die Ungeduld aber nicht erwarten konnte, bis den Leuten die Haare gewachsen sein würden, so ward entschieden, daß der Zopf am Kragen befestigt werden möchte. Die Göttinger Studenten machten sich darüber weislich lustig; sie banden sich Schweinsschwänze an, und zogen so durch's Land. Es kam auch vor, daß alte Kriegsleute, welche dem Churfürsten in's Exil gefolgt waren und ihre eigenen Zöpfe behalten hatten, um dem Befehle zu genügen, sich noch den falschen Zopf an den Kragen hängen mußten, und nun mit zweien herumgingen.
Frankfurt am Main ist eine berühmte und alte Stadt, wo sich ziemlich durch alle Klassen ein ansehnlicher Wohlstand verbreitet findet. Nebst Wien ist es der einzige wirklich reiche Platz im südlichen Deutschland. Sind auch die größten Reichthümer in den Händen einiger Juden, so kommt doch den Bewohnern genug von dem zu Gute, was jene an russischen und andern Papierchen profitiren.
Schmerzlich ist es, daß der edle Charakter der Deutschen und seine Tugenden im Ganzen so wenig gekannt ist, und so gering geachtet wird. Sie besitzen eine Innigkeit des Gefühls, welche aus dem Gemüthe kommt und zum Herzen spricht. Als ich durch Heidelberg kam, trat der unglückliche Exkönig Gustavsohn von Schweden in demselben Hotel ab, wo ich wohnte. Er hatte so eben den Postwagen verlassen, und erschien im Speisesaal des sogenannten Posthofes, den Mantelsack unter dem Arme, in einfacher, selbst nachlässiger Bekleidung und ohne alle Bedienung.
Der Saal war voll Reisende und Studenten, und es herrschte eine zwar nicht sehr geräuschvolle, doch sehr belebte Unterhaltung, die sich aber beim Eintritte des Exmonarchen in ehrfurchtsvolles Schweigen verwandelte. Die Studenten hörten auf zu rauchen, und der Gast, welcher den obersten Platz an der Tafel inne hatte, stand auf, um ihn dem ausgezeichneten Reisenden abzutreten. Der Wirth, näherte sich ihm und fragte, ob ihm nicht unangenehm sei, die Musik einer so eben eingetretenen Musikbande anzuhören und nachdem er seine Zufriedenheit damit zu erkennen gegeben halte, duldete man nicht, daß er wegen seines persönlichen Beitrages von den Musikanten angesprochen werde; man wußte, daß er in Basel seinen Mantelsack hatte verpfänden müssen. Kein Anwesender erlaubte sich zu lachen, ja nur ein spöttisches Gesicht gegen die herabgekommene Majestät zu schneiden. Eine allgemeine Achtung, gleichweit entfernt von serviler Unterthänigkeit wie von Geringschätzung, sprach sich in der ganzen Gesellschaft gegen den Unglücklichen aus.
Der Deutsche verbindet mit einer unglaublichen Bildung und Erfahrung gewöhnlich große Bescheidenheit und eine Einfachheit des Betragens, die einen Maaßstab seines Geistes abgiebt.
Unter den bessern Klassen der Gesellschaft haben sich in Frankfurt am Main allerliebste Vereine gebildet, welche aus jungen Leuten von beiderlei Geschlechtern bestehn. Unter funfzehn davon würde man nicht fünf ausfindig machen, die mit der englischen Literatur nicht vertraut wären. Walter Scott, Moore, Cooper sind ihre Favorit-Schriftsteller. In ihren Zusammenkünften werden ihre Romane und Gedichte vorgelesen, man unterhält sich mit Musik und übt andere gesellige Unterhaltungskünste. Nach dem Thee begiebt man sich in den Cäcilienverein, eine für Frankfurt höchst ehrenvolle Gesellschaft. Hundert junge Leute beider Geschlechter und aus den ersten Familien, kommen hier regelmäßig zweimal in der Woche zusammen, um unter Leitung eines geschickten Musikers die klassischen Werke eines Haydn, Händel, Graun und andrer berühmter Meister aufzuführen. Die Kosten werden von den Mitgliedern durch Subscription gedeckt.
Die Räume, welche zur ehemaligen Kaiserkrönung benutzt wurden, würden ein kostbares Denkmal abgeben, sollten sie nichts weiter thun, als der Zukunft die Herrlichkeit der Vorzeit verkünden. Der Saal, in, welchem die Ceremonie vor sich ging, ist ein Oblongum, oder gleicht vielmehr einer Schloßkapelle der mittleren Art, in England. Die Kaiserbilder, davon die ältesten mehrmals restaurirt worden, von Alter ganz vergraut, die Oede im ganzen Gebäude, kann als ein treffendes Bild der gegenwärtigen Lage des heiligen römischen Reiches gelten.
Bis Leipzig bietet die Tour, Gebirge und einige kleine Residenzen der sächsischen Herzöge abgerechnet, nichts sonderlich Merkwürdiges. Ich besuchte bei Leipzig den Punkt, wo der tapfere Poniatowski, das Idol und die Hoffnung seiner Landsleute, seine ruhmvolle Laufbahn beschloß. Romantisch und enthusiastisch gesinnt, wie die Polen bekanntlich sind, darf man sich nicht wundern, wenn sie mit so vielem Feuer an der Idee hingen, jenen Prinzen auf dem Throne der Sobiesky und Casimire zu sehn. Als ich später in Töplitz war, machte ich eines Tages eine Partie in Gesellschaft von polnischen Familien. Zufällig kam das Gespräch auf den Prinzen Poniatowski, und die schöne S— äußerte unter andern: „Wenn Sie jenen Prinzen gesehen hätten, wie er allein und stehend, seinen mit acht wilden Rossen bespannten Phaeton durch die Straßen von Warschau lenkte, so würden Sie den Eindruck kennen, welchen seine Erscheinung auf alle Welt hervorbrachte."
In Bezug auf des Fürsten tragisches Ende wird eine merkwürdige Anekdote erzählt, deren Authenticität übrigens von mehreren Augenzeugen bestätigt worden ist. Etwa sechs Jahr vor seinem Tode, besuchte nämlich Poniatowski Verwandte in Schlesien. Es war eine kleine Gesellschaft in einem Pavillon versammelt, als man vor demselben plötzlich eine klagende aber wohlklingende Stimme vernahm. Es fand sich, daß sie von einer Zigeunerin herrührte; man ließ das Weib sofort eintreten und forderte sie zum Wahrsagen auf: Poniatowski kam zuerst an die Reihe. Nachdem das Weib seine Hand lange und aufmerksam besehen hatte, murmelte sie bedeutungsvoll: „Prinz, eine Elster wird Ihr Tod sein."
Der Doppelsinnigkeit wegen fiel diese Prophezeihung der Gesellschaft vorzugsweise auf, und wurde zu Papier gebracht und von den Anwesenden beglaubigt. Dieses Aktenstück soll noch vorhanden sein.
Sachsens Wohlstand scheint trotz seiner Zerstückelung und den Verheerungen eines Krieges, welcher zu verschiedenen Malen eine Million Soldaten auf seinem Gebiete vereinigte, wenig gelitten zu haben. Ueberall sieht man das väterliche Walten der Regierung. Mochte man dem greisen Fürsten, der nur treu an seinem geleisteten Eide und der damit besiegelten Alliance hielt, was andere nicht für nöthig hielten, vorwerfen was man will, er hat mehr wie dafür gebüßt. Seine edelmüthige Redlichkeit hat unerschütterlich fest gestanden im Sturme der Zeit, und er that was er konnte, die blutenden Wunden seines Landes zu heilen.
Dresdens Schätze, denen es den Namen des deutschen Florenz verdankt, sind bekannt genug. Prächtige Bauten sieht man in Dresden nicht; das Königliche Schloß, die katholische Kirche, das Marcolinische Palais, haben nichts Imposantes. Der Gesammtanblick der Stadt ist aber prächtig. Ohne gerade romantisch zu sein, ist ihre Lage schön. Eine Brücke in einem edlen Style gebaut, vereinigt die beiden Stadttheile.
Wir verließen Dresden mit Bedauern auf der Straße nach Böhmen, dieselbe, auf welcher vor vierzehn Jahren die östreichischen, russischen und preußischen Adler vor dem Korsischen Helden zurückwichen. Hier war der letzte Schauplatz seines Ruhmes. Nach zweien Tagen unaufhörlichen Kampfes und Regens kehrte er, von den Anstrengungen ganz erschöpft, in die Stadt zurück. Seine Kleider trieften, der Rand seines Hutes hing herab, da grüßte ihn der Ruf des seinen Muth bewundernden Volkes mit dem lauten: „es lebe der Kaiser!"
Mit nassen Augen wendete der Held sich zu Berthier, und sprach: „das klingt aufrichtig." Dann rasch nach den Tausenden gefangener Oestreicher blickend, die ihm folgten, umdüsterten sich seine Blicke und nahmen einen Ausdruck an, den sie nicht mehr verloren.
Zwischen Peterswalde und Nollendorf schlug das Wort Halt! an unsere Ohren. Ein großer Schlagbaum, gelb und schwarz bemalt, versperrte die Straße, und erinnerte uns daran, wo wir waren. Aus einem dabeistehenden Hause, über dessen Thür ein Doppeladler thronte, trat ein Zollbeamter in Begleitung eines Unterofficiers und zweier Soldaten. Mein Reisegefährte hatte es für angemessen gefunden, meine Bücher und Papiere unter seine unmittelbare Obhut zu nehmen; diese Vorsicht war indessen überflüssig. Nach respektvollen Begrüßungen fragte ihn der Zollbeamte, wer ich sei. Nachdem er davon unterrichtet worden, wollte er wissen, ob ich keine fremden Bücher bei mir habe, und machte sich an mein Gepäck, als ihm mein Begleiter mit gleichzeitig arrogantem und boshaftem Lächeln zurief: „ich nehm' es auf mich und will seinen Paß selbst ausfertigen; es ist ein Freund von mir. Schicken Sie nur zu E., und lassen Sie sich in meinem Namen eine Hirschkeule und ein Faß Bier geben."
Der Beamte gab seine Dankbarkeit durch einen ehrfurchtsvollen Handkuß zu erkennen, und die Soldaten zogen ein abscheuliches Gesicht.
Jetzt ging es in die Defileen von Nollendorf hinab, berühmt durch den Widerstand, weichen hier dem Heere Vandamme's drei Tausend Preußen unter dem General Kleist (später von Nollendorf genannt) entgegen setzten. Aus dieser Defilee kommt man in ein tiefes, von allen Seiten mit hohen Bergen eingeschlossenes Thal, dessen bewaldete Abhänge vor vierzehn Jahren Zeugen der blutigen Schlacht von Maria Culm waren. Zwei Monumente erinnern den Wanderer an diese Waffenthat; das eine hat der König von Preußen, das andere der böhmische Adel errichten lassen.
St. Maria Culm, Residenz des edlen Grafen von Thun, in geringer Entfernung von dem Flecken gleiches Namens gelegen, ist die erste schone Wohnstätte, welche auf dieser Seite der Straße in's Auge fällt. Das Hauptgebäude, von Gärten, Parks und von dem Gute abhängigen Wohnungen umgeben, ist im eleganten und modernen Styl gebaut. Von hieraus kamen wir in Zeit von