Asche und Blüten: Ein Liebeslied an das Leben
Von Janine Spirig
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Buchvorschau
Asche und Blüten - Janine Spirig
Prolog
Ausgangslage
Vor Urzeiten landete
jenseits des Fassbaren,
aus dem grossen Ganzen heraus,
ein winziger Stern
goldenen Lichts
in unserem Menschsein.
Jene grosse Liebe,
die das Leben
mit unsichtbaren Fäden zusammenhält,
wartet seit je auf ihren Tag,
und wagt man mutig,
durch die Welt des Gegenständlichen
hindurchzublicken,
so leuchtet sie
hinter jeder Erscheinung der Form
ihr strahlendes Geheimnis.
Form und Formlosigkeit
in der Wiege des Lebens –
eine Begegnung im Dunkeln,
ein Pfad ins Ungewisse,
eine Brücke ins Jetzt,
ein Steg ins Sein.
Im Gefäss der Stille,
im Lichte der Wachheit
ist es gut behütet,
das Nichtwissen.
Und hie und da leuchtet es auf,
um einen winzigen Moment lang
unser Dasein zu erhellen.
Spät abends,
wenn das endlos drehende Alltagskarussell zur Ruhe
kam und die Hektik aus dem Atem schwand,
feierte der Glanz der Zeitlosigkeit sein Freudenfest.
Fern vom Getöse des Tageslärms,
jenseits von Müssen und Sollen,
verankert im Raum der Mitte,
wartete die Stille, gehört zu werden.
Wenn die äussere Realität
fast nicht mehr auszuhalten war,
schien der einzige Halt
jener stille, innere Ort zu sein,
jene Mitte, in der das Schreckliche,
in ein geheimnisvolles Licht getaucht,
erträglich war.
Die Mitte,
der Landeplatz
jenes winzigen Sterns,
wo nicht die Gesetzmässigkeit der Form
Neues begrenzte,
sondern die Unendlichkeit der Essenz
Neues erschuf.
Von dieser Mitte ging ich aus,
zu dieser Mitte kehrte ich zurück,
und so schrieb ich …
… oft bis in den frühen Morgen hinein.
Für meine Kinder
Es wurde darüber geschrieben
in Zeitungen und Illustrierten;
die Geschichte wurde
hin- und hergezerrt,
auch als sie schon längst
vorbei war.
Es wurde im Radio
und im Fernsehen
diskutiert und debattiert,
im Internet ist alles verzeichnet.
Es wurde
geredet,
vermutet,
geurteilt,
gerechtfertigt,
getrauert,
bedauert.
Das war ihre Geschichte,
ich selbst hatte dazu nie etwas zu sagen.
Dies nun
ist meine Seite des Erlebten,
ich habe sie für euch aufgeschrieben.
Zum Schutz aller Betroffenen habe ich keine Namen
genannt,
auch habe ich nur ausgewählte Vorkommnisse aufgeführt,
und mein Augenmerk liegt bewusst auf dem Dahinterliegenden.
Denn, ob wir ein Abendessen zum Fest machten
oder, alle eingehüllt in warme Decken,
eine ausgewählte DVD zusammen schauten;
ob eine Schneewanderung zum Seealpsee
wegen donnernder Lawinen kurzfristig
abgebrochen werden musste,
oder ob ich inmitten sirrender Papierjets Apfelmus
einkochte;
ob wir miteinander an unseren wilden Strand in die
Ferien fuhren
oder, trotz Schulalltag, Gespräche bis spät in die Nacht
hinein führten –
immer war da dieses Leben als kostbare Essenz,
das es kunstvoll zu gestalten galt.
Diesem Abenteuer schenkte ich mein ganzes Sein,
mit allem, was dazugehörte.
Unser Weg war kein gerader,
hatte viele Kurven und Stolpersteine,
und oft war es eine Gratwanderung.
Er führte durch manche Schlucht,
wir überquerten hohe Pässe und eisige Gletscher
und begegneten dem Leben
und uns selbst.
Wir weinten, und wir lachten.
Wir stritten, und wir liebten,
und manchmal haben wir ein wenig gezaubert
und immer wieder viele selbst erfundene Geschichten
erzählt, … und wenn sie nicht gestorben sind,
so leben sie noch heute.
Diese Geschichte jedoch ist nicht erfunden.
Es ist meine Lebensgeschichte,
die auch Teil der euren ist.
Sie ist traurig und wunderbar zugleich.
Ich habe sie für euch aufgeschrieben.
In Liebe,
Mama
Erster Teil
Einbruch
Ich wollte etwas anderes
Eigentlich wollte ich ja nie Kinder haben. Ich hatte es mir auch nie vorstellen können, Hausfrau zu werden. Das alles erschien mir zu unspektakulär. Mein Leben sollte nicht so normal werden wie das der vielen anderen. So hatte ich tausend phantastische Visionen, was ich mit meinem Leben anstellen könnte. Ich wollte reisen, andere Länder und Sitten kennenlernen, die Beziehungen zwischen den Menschen studieren, das Leben in all seinen Facetten erfahren und erleben, aber vor allem sehnte ich mich nach Weite, Freiheit und Atem.
Ich hatte schon immer den starken Drang, das Leben zu verstehen. Mich faszinierten Kunst, Theater, Musik, Malerei, und mich interessierte die Seele, die allem Lebendigen innewohnt. Hinter dem Sichtbaren vermutete ich etwas «anderes», und dahin wollte ich immerzu vorstossen. In diesen Tiefen lag meiner Meinung nach das wahre Sein, dort galt es, den Sinn des Lebens zu entdecken.
Schon als kleines Mädchen verbrachte ich mehr Stunden in der Natur als hinter den Schulaufgaben, betrachtete die Struktur der Kieselsteine oder nahm die Bewegungen der Baumkronen in mich auf, ganz versunken in meiner magischen Welt. Ich fühlte mich eingebettet in ein grosses, unendliches Mysterium, das voller freudiger Überraschungen war, und diesem Unbekannten wollte ich auf die Spur kommen. So durchstreifte ich Wälder, lauschte dem See, fühlte die Sterne und sang mit dem rauschenden Bach.
Allem und jedem trotzte ich, was meiner Empfindung nach dieses Geheimnis verletzte. Von nichts liess ich mich beeindrucken, von niemandem etwas sagen, und niemanden liess ich an mich heran. Zielstrebig und unbeirrt ging ich meinen Weg. Über allem stand meine Freiheit. Zu heiraten, Kinder zu haben und mich zu binden, das passte wirklich nicht in meinen Lebensplan.
So schnell man Vorstellungen kreiert, so schnell werden sie auch über den Haufen geworfen. Im März 1992, mitten in meiner Ausbildung – ich hatte Ferien und weilte zu Besuch bei meiner Mutter – erzählte sie mir von Paul, den ich unbedingt kennenlernen sollte, wie sie meinte.
Paul quälte sich schon lange mit Sportverletzungen herum, die er in der Körpertherapiepraxis meiner Mutter behandeln liess. So kam es, dass ich zufällig bei einer dieser Gelegenheiten in Mutters Küche sass und schrieb, als sie den schönsten Mann, den ich je gesehen hatte, eben Paul, «Pol New-Man», wie sie ihn lachend nannte, aus dem Praxiszimmer schob. Unter langen dunklen Locken wollte sich etwas räuspern, aber ich kam dem zuvor und sagte spitz: «Aber für Paul Newman hat er einen recht zerzausten Wuschel auf dem Kopf!»
Schallendes Gelächter, kurzes gegenseitiges Vorstellen, Blicke, und ich wusste blitzartig, dass er es war, jener «Pol New-Man», der meine Pläne eines freien Lebens über den Haufen werfen sollte.
Einladung
Kurz danach beauftragte mich meine Mutter, Paul, der drei