Der Sanddornmörder. Ostfrieslandkrimi
Von Ele Wolff
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Über dieses E-Book
Der letzte Schluck ihres geliebten Sanddornlikörs war tödlich. Wenig später findet man nur noch Camilla Breedes Leiche in ihrem Haus im ostfriesischen Leer. Elsa, die Schwester der Toten, beauftragt die Privatdetektivin Henriette Honig mit der Lösung des Falls. Wer hat die toxische Blausäure unbemerkt in das Lieblingsgetränk des Opfers gemischt? Führt das gewaltige Erbe, das Camilla einen unerwarteten Geldsegen beschert hatte, zum Motiv für die Tat? Oder muss die Detektivin noch viel tiefer graben? Henriette ist sich sicher: Der Sanddornmörder muss aus dem näheren Umfeld des Opfers stammen, denn er kannte Camillas Gewohnheiten ganz genau. Keiner jedoch rechnet damit, dass der Täter nach kurzer Zeit erneut zuschlägt...
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Buchvorschau
Der Sanddornmörder. Ostfrieslandkrimi - Ele Wolff
Kurz-Ostfrieslandkrimi
1.
Nach dem Duschen schlang Camilla Breede ein Handtuch um ihre nassen Haare und klemmte ein Ende des Tuchs in ihrem Nacken unter den Turban. Mit dem Ärmel ihres Bademantels wischte sie über die vom Dunst blinde Scheibe des Badezimmerspiegels und blickte in das Gesicht einer verbitterten Frau. Eine Weile stand sie mit leicht geneigtem Kopf da und betrachtete sich. Mit beiden Händen strich sie behutsam die Haut ihrer Wangen nach hinten. Die Falten waren jetzt zwar zum größten Teil verschwunden, aber sie sah jetzt einem Clown ähnlicher als einer Frau, die vor ein paar Monaten ihren sechzigsten Geburtstag gefeiert hatte.
Sie lächelte. Der Gedanke an das rauschende Fest anlässlich ihres vierzigsten Hochzeitstags erfüllte sie mit Dankbarkeit. Gefeiert hatten sie bis in den frühen Morgen im Gemeindesaal der Kirche. Liebevoll hatten die Nachbarn einen Kranz aus Efeu und Papierblüten um ihre Haustür drapiert. Man hatte sie und Konrad hochleben lassen und mehrmals auf das Jubelpaar angestoßen. Vier mal zehn Jahre, sinnierte sie, das war eine lange Zeit. Mit täglichen Ritualen, langweiligen Alltagstätigkeiten und immer häufigeren Streitereien.
Seit Konrad Frührentner war, hatten sich die Auseinandersetzungen zwischen ihnen von heute auf morgen verschärft. Camilla konnte noch nicht einmal einen konkreten Grund nennen, weshalb sie mit ihrem mürrischen Ehemann immer öfter aneinandergeriet.
Müde ließ sie sich auf dem Rand der Badewanne nieder und dachte über diese negative Veränderung in ihrem ehelichen Zusammenleben nach.
Heftig fuhr sie mit der Nagelfeile an ihren Nägeln entlang und biss dabei zornig die Lippen zusammen. Natürlich, es hatte genau an dem Tag begonnen, als sie in Begleitung ihres Ehemanns in der Kanzlei des Notars Rittmeister gesessen und vom Tod ihrer Tante Theodora erfahren hatte. Diese Mitteilung hatte keinerlei Trauer bei ihr ausgelöst, da sie besagte Tante nur dem Namen nach kannte. Aber dann eröffnete der Notar ihr, dass sie knapp dreihunderttausend Euro von der Schwester ihres Vaters geerbt hatte.
Konrad hatte vor Aufregung angefangen zu husten und sie selbst hatte nach Luft geschnappt.
Ja, genau seit diesem Tag war ihr Mann noch garstiger und unzugänglicher. Noch während der Heimfahrt hatte er einen Großteil des Geldes im Geiste schon ausgegeben, ohne die Belange der rechtmäßigen Erbin überhaupt in seine Überlegungen mit einzubeziehen.
Mit ihrer linken Hand bearbeitete Camilla jetzt ihr Dekolleté, obwohl wohl niemand von ihren Bemühungen, das Alter in seine Schranken zu weisen, Notiz nehmen würde, vor allem Konrad nicht. Er sah durch sie hindurch, seitdem sie seinen Wunsch nach dem Erwerb eines Wohnmobils in der gehobenen Preisklasse abschlägig beschieden hatte.
Damit die Creme gut in ihre Haut einziehen konnte, schlang sie ein weiteres Frotteetuch um ihren Hals und stopfte die Enden ineinander. Unschlüssig sah sie aus dem Fenster. Die abendliche Maisonne tauchte den Garten in ein warmes Licht und weckte in ihr das Verlangen, sich entspannt auf ihre Gartenliege zurückzuziehen.
Im Erdgeschoss klapperte etwas. Camilla erschrak und lauschte mit angehaltenem Atem. War ihr Mann schon zurück? Es hörte sich an, als würden Schubladen aufgezogen und anschließend wieder heftig geschlossen werden. Oder täuschte sie sich?
Seit geraumer Zeit zuckte Camilla bei jedem Geräusch erschrocken zusammen. Seitdem sie die Sache mit … nein, noch nicht einmal in ihren Gedanken wollte sie ihren Verdacht formulieren. Aber dennoch durchforstete sie fast täglich ihr Gedächtnis nach Einzelheiten. Immer wieder erschienen die gleichen Sequenzen vor ihrem inneren Auge. Hatte sich vielleicht doch ein falsches Bild in ihr Gehirn geschmuggelt? Bildete sie sich nur ein, dass jemand ihr etwas Böses wollte? Hatte sie eventuell bestimmte Worte, die sie in den letzten Wochen gehört hatte, falsch interpretiert, und es war alles doch ganz harmlos? War ihre Furcht berechtigt? Die Unsicherheit blieb. Camilla war sich aber ganz sicher, dass sich alle Dinge, an die sie sich erinnerte, genau so vor langer Zeit abgespielt hatten.
Eilig schlüpfte sie in ihre Hausschuhe, schlich aus dem Badezimmer und hielt sich etwas vornübergebeugt am Geländer fest. »Konrad? Bist du das?«, rief sie zaghaft, um sofort wieder zu verstummen.
»Da stimmt doch etwas nicht«, raunte sie, raffte ihren Bademantel und stieg die steile Holztreppe herunter. Mit einem Blick auf die nostalgische Wanduhr im Flur stellte sie fest, dass sie, wollte sie pünktlich zu ihrer abendlichen Verabredung kommen, spätestens in einer halben Stunde aufbrechen musste.
»Konrad?« Sie durchstreifte den Flur und öffnete die Tür zum Wohnzimmer. »Konrad, hör auf mit dem Quatsch«, rief sie verärgert. »Für solche Spielchen habe ich jetzt keine Zeit.«
Ein leichter Luftzug ließ sie sich umdrehen. Wie ein Pfeil schoss der schwarze Kater an ihr vorbei. »Du sollst mich doch nicht so erschrecken«, rief Camilla dem Tier hinterher und legte ihre Hand auf ihr stark klopfendes Herz. Ihre Nerven waren auch nicht mehr die besten, stellte sie fest. Vielleicht würde sie sich besser fühlen, wenn sie noch etwas trinken würde.
Sie öffnete das Barfach des Wohnzimmerschranks und nahm eine Flasche Sanddornlikör heraus. »Mist, schon wieder die Letzte«, murmelte sie. Trank sie vielleicht doch zu viel von dem Zeugs, wie Konrad immer behauptete? Camilla beschloss, ein andermal darüber nachzudenken. Ihre Hände zitterten und es dauerte eine Weile, bis sie den Verschluss der Flasche richtig greifen konnte. Voller Vorfreude goss sie die orangefarbene Köstlichkeit in ein Likörglas. Mit spitzen Lippen nippte sie an dem Glas und verzog sofort das Gesicht. Irgendwie schmeckte es anders als sonst, wunderte sie sich und hielt einen Moment inne. Das kam sicher daher, dass sie sich gerade die Zähne geputzt hatte. Egal, es ging in diesem Fall um Entspannung, nicht um Genuss des Alkohols. Mit zurückgelegtem Kopf ließ sie die Flüssigkeit durch ihre Kehle rinnen. Noch bevor sie das Glas abstellen konnte, spürte sie ein Brennen in der Speiseröhre und einen starken Druck in der Magengegend. Mit geöffnetem Mund sog sie die Luft ein, aber der lebenserhaltende Sauerstoff gelangte nicht mehr in ihre Lungen. Camilla ließ das Glas fallen und spürte nicht mehr, wie sie vornüberstürzte. Als sie mit der Schläfe auf die marmorne Tischplatte des Couchtisches aufschlug, war sie schon tot.
2.
Riesige Kristalllüster erhellten den großen Konferenzraum im Hotel Hafenblick im ostfriesischen Leer und tauchten ihn in ein angenehmes weiches Licht.
»Danke, Henriette«, strahlte Elsa Kinsley. »Du hast unser Klassentreffen exzellent organisiert.«
Henriette Honig lächelte ihre ehemalige Klassenkameradin an. »Ich habe das gerne gemacht. Neben all den beruflichen Herausforderungen war das direkt eine Erholung.«
»Ich habe gehört, du führst die Detektei deines Vaters weiter?«, sagte Elsa und beugte sich etwas nach vorne, um trotz des Geräuschpegels durch die vielen Anwesenden die Antwort ihres Gegenübers zu verstehen. »Ich bin ja noch nicht lange wieder hier. Der Umzug von London hierher, die ganzen Kisten. Du kannst dir das ja vorstellen.«
Henriette nickte. »Das kann ich mir sehr gut vorstellen.«
Elsa winkte ab. »Es ist ja geschafft. Aber um nochmal auf deine Firma zurückzukommen. Das ist bestimmt irre aufregend in so einer Detektei. Ich habe deinen Vater früher immer mit großem Respekt gesehen. Na ja«, sie zuckte mit den Schultern, »als Kind sieht man das natürlich ganz anders. Wolltest du nie etwas anderes machen?«
»Nein, eigentlich nicht. Es hat sich so ergeben.« Henriette trank einen Schluck aus dem schlanken Weinglas. »Mein Vater hat mich hin und wieder bei Ermittlungen eingebunden und so ist es ganz automatisch gekommen, dass ich, als er älter wurde, das Geschäft übernommen habe. Er hat mir eine Menge beigebracht und mir manches Geheimnis verraten.«
»Was für Geheimnisse denn?«
»Nicht das, was du denkst«, lachte die Detektivin. »Es waren die Geheimnisse für eine erfolgreiche Ermittlung. Du musst die Menschen beobachten, hat er mir gepredigt, so erfährst du viel über einen Fall, denn alles, was geschieht, passiert durch Personen, die in etwas verwickelt sind.«
»Manche Leute meinen, dass ein Detektiv immer auf der Lauer liegt und dann dem Verbrecher hinterherjagt.«
»Das ist alles viel ruhiger. Wir beobachten und forschen im Umfeld einer Tat. Das ist meistens sehr leise und unauffällig.«
»Und wer ist wir?«
»Meine Nichte Jantje arbeitet als freie Mitarbeiterin für mich. Sie ist sehr talentiert. Als Journalistin ist sie es gewohnt, mit Menschen umzugehen. In unserem Fall ist das von Vorteil.«
»Das ist wirklich interessant. Ich glaube, ich muss mal in einer ruhigen Minute mit dir sprechen. Seitdem ich wieder hier bin … aber das muss ich dir später erzählen.« Elsa drehte sich um. »Es geht los. Da vorne geht einer auf die Bühne. Kennst du den?«
Henriette kniff ein wenig die Augen zusammen. »Das müsste Johann de Buhr sein. Er ist eben auch älter geworden, genau wie wir.«
»Kein Wunder«, sagte Elsa, »seit unserem Abi sind vierzig Jahre vergangen.«
Die beiden Frauen lauschten gespannt den Begrüßungsworten des Redners.
»Komm, wir mischen uns ein bisschen unters Volk«, schlug Elsa vor. »Du könntest mir behilflich sein, den einen oder anderen wiederzuerkennen. Schließlich warst du nie weg aus Ostfriesland.«
»Wenn das so einfach wäre«, schränkte Henriette ein. »Viele habe ich auch jahrelang nicht gesehen, auch wenn sie hier in der Gegend wohnen. Und einige sind von weit her angereist.« Unauffällig sah sie sich um. »Ach ja, dahinten ist Hinricka Wohlgemut mit ihrem Mann. Du kennst doch Hinricka? Sie hieß früher de Vries.« Sie nahm Elsa am Arm und steuerte auf Hinricka zu.
Nachdem sich Elsa und Frau Wohlgemut wortreich begrüßt und nach dem jeweiligen Befinden erkundigt hatten, überlegten die drei Frauen, welches Gesicht im Saal zu welchem Namen der ehemaligen Klassenkameraden passen würde.
»Hinten mit dem roten Jackett, das ist Wilbert Janssen«, erklärte Elsa. »Ich habe vorhin schon mit ihm gesprochen. Er lebt in Los Angeles in den Staaten.«
»Und da ist er extra zu unserem Klassentreffen hier rübergekommen?« Erstaunt blickte Henriette zu dem kräftigen Mann, der gerade über einen Witz lachte, den einer der Umstehenden erzählt hatte.
»Nein, nicht deshalb. Er wollte sowieso seine Mutter besuchen, hat er mir vorhin erzählt. Sie wird nächste Woche achtzig«, informierte Elsa die beiden Frauen. »Da hat das alles gerade gepasst. Amerika ist ja nicht um die Ecke und deshalb …« Sie stockte, öffnete ihre Handtasche und nahm ihr Mobiltelefon heraus.
»Kinsley?« Sie legte ihre flache Hand auf das andere Ohr. »Ach, du bist das? Was ist denn los?«
Mit Besorgnis registrierte Henriette, wie das Gesicht von Elsa grau wurde und sie ein paar Mal lautlos den Mund öffnete, ohne