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Held und Kaiser
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eBook742 Seiten10 Stunden

Held und Kaiser

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Über dieses E-Book

Dieses eBook: "Held und Kaiser" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen.
Aus dem Buch:
"In düsterem Schweigen, aber höflich, artig und bereitwillig fügten sich die Beamten des Barons Rothschild, – der seine Stellung als preußischer Generalkonsul niedergelegt und sogar seine deutsche Köchin entlassen hatte, um den Franzosen seinen Patriotismus zu beweisen, – den Anordnungen der Fouriere, und bald war das große, prachtvolle Schloß von all dem regen, waffenklirrenden Leben erfüllt, welches das Hauptquartier des königlichen Oberfeldherrn der deutschen Armeen umgab."
Oskar Meding (1828-1903) war ein deutscher Diplomat und Schriftsteller.
SpracheDeutsch
Herausgebere-artnow
Erscheinungsdatum13. Nov. 2017
ISBN9788026871248
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    Buchvorschau

    Held und Kaiser - Oskar Meding

    Erstes Kapitel

    Inhaltsverzeichnis

    Die große Katastrophe von Sedan war vorüber, das kaiserliche Frankreich war niedergeworfen, aber die Hoffnung, welche die deutschen Truppen erfüllt hatte, als sie den gefangenen Kaiser über das Schlachtfeld dahinziehen sahen, diese Hoffnung, welche die Zurückgebliebenen in Deutschland teilten, daß ihnen nun endlich nach so furchtbarem Ringen zweier großen Nationen der Friede wiedergegeben werden würde, – sie hatte sich nicht erfüllt.

    Die Regierung der nationalen Verteidigung organisierte überall den Krieg bis aufs Messer. Der Fanatismus des Volks wurde auf das Höchste entzündet, indem man überall wiederholen ließ, daß der König von Preußen nur gegen den Kaiser Napoleon Krieg geführt habe, und daß er nun, nachdem der kaiserliche Thron zusammengestürzt, nicht gegen das französische Volk weiter kämpfen werde, – daß aber, wenn er dies doch tun sollte, wenn er Ländergebiet oder Festungen von Frankreich verlangen möchte, das deutsche Volk sich erheben werde, um über den König und die Generale hin dem zur demokratischen Republik wiedererstandenen Frankreich die Hand zu reichen.

    So war das Losungswort, welches man überall ausgab und an welches wohl kaum einer der so plötzlich entstandenen neuen Souveräne Frankreichs glaubte, welches aber in den Massen mit jener dem französischen Volk eigenen, oft so unbegreiflichen Naivität Glauben fand. Man hatte mit kleinlichem Eifer alle Embleme und Chiffern des Kaiserreichs von den öffentlichen Gebäuden entfernt, und jedermann tat in Paris, als ob dies Kaiserreich, das zwanzig Jahre lang so stolz und glänzend dagestanden, dem noch vor so kurzer Zeit so viele Millionen ihr zustimmendes Votum im Plebiszit gegeben hatten, – als ob dies Kaiserreich nie bestanden hätte und nur ein flüchtig vorüberrauschender Traum gewesen sei.

    Der König von Preußen war siegreich in Rheims, der alten Krönungsstadt der französischen Könige, eingezogen und seine Armeen näherten sich der Hauptstadt, dem »heiligen« Paris, wie man nach Viktor Hugos Vorgang diese merkwürdige Stadt zu nennen begann, die man früher so oft als das moderne Babel bezeichnet hatte, solange sie die glänzende, fröhliche, lachende und übermütige Residenz Napoleons III. war. Das Spartanertum wurde Mode, wie ja in Paris alles, auch der leidenschaftlichste Aufschwung, bis zu einem gewissen Punkt Modesache ist und sein muß, wenn es überhaupt für einige Zeit Bestand und Bedeutung gewinnen will.

    Der Kaiser Napoleon war nach Wilhelmshöhe gekommen, nachdem er von Donchery aus unter preußischer Kavalleriebedeckung in wildem Unwetter, unter zuckenden Blitzen und rollendem Donner die französische Grenze überschritten hatte, dieselbe Grenze, welche er schon dreimal flüchtig hinter sich zurückgelassen. Zum erstenmal als Kind, nach dem Sturz seines großen Oheims, dann nach seiner Begnadigung durch Louis Philipp, als er ins Exil nach Amerika ging, und endlich in der Verkleidung des Maurergesellen Badinguet, als er das Schloß von Ham verließ, in welchem er während langer, einsamer Jahre über seinen Zukunftsplänen gebrütet hatte.

    Damals, das letztemal, war er davongezogen unbeachtet und unerkannt, aber mit stolzer Zuversicht im Herzen, erfüllt von dem Glauben an seinen Stern. Dann war er zurückgekommen, um den Thron aufzurichten, von welchem herab er der lauschenden Welt seine Orakel verkündete.

    Jetzt zog er in das Ausland, mit allem kaiserlichen Pomp umgeben; seine Piqueurs ritten ihm voran, seine Adjutanten folgten ihm in den glänzenden Equipagen des kaiserlichen Marstalls, die feindlichen Truppen rührten das Spiel und präsentierten die Waffen, wenn er an ihnen vorbeikam, und mit allen kaiserlichen Ehren wurde er an den Bahnhöfen empfangen.

    Aber hinter ihm her schallten die Verwünschungen seiner Feinde aus allen Teilen Frankreichs. Seine Freunde schwiegen in dumpfer Bestürzung und viele, die sich am lautesten seine Freunde genannt hatten, stimmten jetzt am eifrigsten in das Verdammungsurteil über ihn ein.

    Und in ihm selbst, – in ihm, der früher so fest an seinen Stern und sein Glück glaubte, lebte keine Hoffnung mehr, die Flamme war erloschen, die Kraft gebrochen und nur eine Sehnsucht erfüllte ihn, die Sehnsucht nach Ruhe und Stille, welche ihm die Gefangenschaft in Wihelmshöhe fast wie eine Erlösung erscheinen ließ.

    Die Kaiserin Eugenie, welche so kühn und siegesgewiß die Regentschaft übernommen hatte, als Napoleon zu diesem Feldzug voll so unerhörter Niederlagen auszog, war auf dem gastlichen Boden Englands angekommen und hatte ihren Aufenthalt im Marinehotel in Hastings genommen, am Fuß des hochragenden Felsens, zu welchem die Wellen des Meeres heranrollen. Und während der müde Imperator in durstigen Zügen die duftige Waldluft von Wilhelmshöhe einatmete, blickte die Kaiserin hinaus auf die rollenden Wellen, und tausendfältig, wie diese, wogten die Gedanken in ihr auf und nieder, Entwürfe durch Entwürfe verdrängend und zuweilen aufschäumend in der Sturmflut wilder Verzweiflung.

    In Hastings hatte sich auch der kaiserliche Prinz zu seiner Mutter gefunden, dies arme Kind, das so ganz betäubt war von den Schlägen, die urplötzlich die Welt zertrümmert hatten, in welcher er geboren und aufgewachsen war und welche ihm so unerschütterlich fest begründet geschienen hatte.

    So schienen in dieser kurzen Zeit fast die Spuren und Erinnerungen des Kaiserreichs verweht und vergessen.

    Und doch gab es einen Punkt in Frankreich, der noch nicht berührt war von der gewaltigen Wendung des Völkerschicksals. Dieser Punkt war Metz, hinter dessen Wällen sich der Marschall Bazaine mit einer Armee von hunderttausend Mann auserlesener Truppen, mit dieser ganzen prächtigen kaiserlichen Garde befand, welche so oft die Bevölkerung von Paris mit Stolz und Bewunderung erfüllt hatte und welche den fremden Souveränen vorgeführt worden war als ein schimmerndes Bild der französischen Waffenmacht.

    Metz, diese alte, noch nie genommene Festung, stand da wie ein hochragender Felsen in dem ringsum flutenden Meer der feindlichen Armee, und jedermann fühlte, daß hier ein großer Teil der Entscheidung über die Zukunft Frankreichs läge.

    Auf Metz richteten sich daher die Blicke von allen Seiten her, teils mit Angst und Besorgnis, teils mit Mut und Hoffnung.

    Der siegreiche König von Preußen und sein großer, schweigsamer Generalstabschef blickten nach Metz zurück auf ihrem schnellen Vormarsch nach Paris, denn für den endlichen Erfolg des Krieges war es von der höchsten Wichtigkeit, diese jungfräuliche Festung durch den festen Eisengürtel, mit dem der Prinz Friedrich Karl sie einschloß, zur Übergabe zu zwingen.

    Nach Metz blickten die regierenden Advokaten in Paris hin, denn sie trauten dem festen und entschlossenen Marschall nicht und Gerüchte drangen von dort her, daß in der eingeschlossenen Festung noch immer die Fahnen des Kaisers wehten, – des Kaisers, den auch der Feind noch immer ausschließlich als die einzige legale Regierung Frankreichs betrachtete.

    Nach Metz richteten sich hoffnungsvoll die Blicke der Kaiserin von Hastings aus. Sie kannte den starren, entschlossenen Sinn des Marschalls Bazaine, und wenn irgendeine Transaktion zum Frieden führen konnte, so würde diese einzige organisierte und intakte Armee, die Frankreich noch besaß, der kaiserlichen Regierung gehören.

    Und der gefangene Kaiser? – Schwer wäre es zu sagen, was er dachte. Er ging in den Alleen des Parks von Wilhelmshöhe spazieren. Auf dem Tisch in seinem Kabinett lag eine Kriegskarte ausgebreitet. Sein vertrauter Sekretär Pietri studierte alle Zeitungen, welche Nachrichten vom Kriegsschauplatz brachten, und wenn der Kaiser von seinem Spaziergang zurückkehrte, so markierte er mit Nadeln die Bewegungen der Truppen und besprach mit den Generalen seiner Umgebung die strategische Lage des Marschalls Bazaine.

    Aber er tat dies alles mit einer so kalten, fast gleichgültigen Ruhe, als ginge ihn das Schicksal des Krieges, der dort geführt wurde und noch immer Tausende und Tausende von Menschenleben verschlang, gar nichts an, als wäre er ein einfacher Privatmann, der lediglich mit der Neugier eines interessanten Studiums die Ereignisse seiner Zeit verfolgte.

    So war die Lage am 14. September, etwa zwei Wochen nach der Schlacht von Sedan.

    Aus dem Vormittags von London in Hastings ankommenden Eisenbahnzug stieg ein Mann im Alter von etwa fünfzig bis sechzig Jahren in einem einfachen, saubern Reiseanzug. Das regelmäßige, scharf und kräftig geschnittene Gesicht dieses Mannes war gesund und voll, sein Mund und sein Kinn, von einem starken Schnurr- und Knebelbart bedeckt, zeigten willenskräftige Entschlossenheit, seine Augen blickten unter krustigen Brauen hervor, mehr mit dem Ausdruck eines schlichten, klaren Verstandes, als mit dem Licht hoher, außergewöhnlicher Intelligenz.

    Doch lag in dem Blick dieser Augen eine gewisse unstäte fast ängstliche Bewegung, welche nicht ganz mit der ruhigen Physiognomie und Haltung des Mannes zusammenpaßte. Einen ganz besondern Charakter gab dieser Erscheinung die weißgraue Farbe des Haares und des Bartes, welche so eigentümlich gemischt war, daß es schien, als läge weißer Puder über dunklem Haar, – der ganze Mann sah aus wie der Haushofmeister eines alten, vornehmen Hauses.

    Während die übrigen Angekommenen sich nach verschiedenen Seiten verteilten, übergab dieser Mann sein einfaches Handgepäck einem Kofferträger und ließ sich von demselben nach dem großen Marinehotel führen, in welchem die Kaiserin Eugenie ihr vorläufiges Quartier genommen hatte.

    Der Fremde fragte einen der auf dem Vestibül wartenden kaiserlichen Lakaien nach Madame Lebreton, der Vertrauten der Kaiserin.

    Der Lakai betrachtete ihn prüfend und entfernte sich mit der Karte, welche der Unbekannte ihm reichte.

    Nach einigen Augenblicken kehrte er zurück und führte den Fremden durch den Korridor in einen im hintern Teil des Gebäudes liegenden Salon, in welchem unmittelbar darauf Madame Lebreton erschien, eine Dame von mittlerem Alter, aber noch jugendlich frischen, regelmäßigen Gesichtszügen mit scharfen, klugen Augen.

    Sie hielt noch die Karte, welche der Lakai gebracht hatte, in der Hand und sprach mit einer artigen Verneigung gegen den Fremden:

    »Sie sind selbst gekommen, Herr Regnier, – das freut mich. Es wird mir besonders angenehm sein, mich mit Ihnen zu unterhalten, da Sie an dem Schicksal Frankreichs und des Kaisers ein so großes Interesse nehmen.«

    »Ich wünsche«, erwiderte Herr Regnier, »das Unglück, das mit so erschütterndem Schlage unser Vaterland getroffen, auf das möglichst geringste Maß einzuschränken und zugleich Frankreich die Regierung zu erhalten, unter welcher es zwanzig Jahre lang glücklich gewesen ist, unter welcher es nach meiner Überzeugung für die Zukunft allein glücklich sein und an seine innere und äußere Wiederaufrichtung denken kann.«

    »Die Regierung zu erhalten?« erwiderte Madame Lebreton ein wenig erstaunt. »Es muß Ihnen doch bekannt sein, daß diese undankbaren Pariser die kaiserliche Regierung für abgesetzt erklärt haben –«

    »Das ist gleichgültig!« rief Herr Regnier, »was in Paris in diesem Augenblick wilder Trunkenheit geschehen ist, hat keine verbindende Kraft für das Volk, für die Armee und für die Flotte,« fügte er mit Betonung hinzu. »Auch für die auswärtigen Mächte besteht in diesem Augenblick nur die kaiserliche Regierung. Aber es muß schnell, schnell gehandelt werden,« fuhr er mit einer Art nervöser Unruhe fort, »wenn nicht die vollendete Tatsache sich befestigen und unüberwindlich werden soll. Haben Sie meinen Brief Ihrer Majestät der Kaiserin mitgeteilt?«

    »Gewiß, mein Herr,« erwiderte Madame Lebreton, »wie hätte ich wagen können, ein so wichtiges Schreiben der Kenntnis meiner Gebieterin vorzuenthalten!«

    »Und was hat die Kaiserin gesagt? Wie hat sie meine Vorschläge aufgenommen?« fragte Herr Regnier, zitternd vor Ungeduld.

    »Die Kaiserin,« erwiderte Madame Lebreton, indem sie sich auf einen kleinen Lehnstuhl niederließ und Herrn Regnier ersuchte, neben ihr Platz zu nehmen, »die Kaiserin hat Ihren Brief zweimal durchgelesen und lange Zeit über den Inhalt desselben ernstlich nachgedacht, aber ich muß Ihnen sagen, daß sie nicht imstande gewesen ist, sich vollständig Ihre Ideen anzueignen. Sie hat in denselben die Interessen der Dynastie zu sehr betont gefunden, und es widerstrebt dem Gefühl Ihrer Majestät, diesen Interessen der Dynastie den Vorzug vor denjenigen Frankreichs zu geben. Die Kaiserin ist mit ihrem ganzen Herzen Französin, und gerade, weil sie es durch die Geburt nicht ist, möchte sie sich auch nicht dem Verdacht aussetzen, aus persönlicher Rücksicht für die Dynastie einen Schritt zu tun, der leicht zu einem Bürgerkrieg führen könnte, ja einen solchen Bürgerkrieg, das höchste Unglück, das Frankreich in seiner jetzigen Lage noch treffen könnte, fast wahrscheinlich macht.«

    Herr Regnier sprang auf.

    »Mein Gott!« rief er, »welch' ein Unglück, welch' ein Unglück! – Wenn die Kaiserin nicht handeln will, wer soll dann in diesem Augenblick etwas tun, um Frankreich zu retten, das sich in sichern Ruin stürzt, während die siegreichen Heere des Feindes auf Paris marschieren! – Und der Kaiser ist in Gefangenschaft auf Wilhelmshöhe, – er hat den Frieden nicht schließen wollen, durch den er sich und Frankreich hätte retten können, – was ich nicht habe begreifen können, – aber es ist geschehen, er ist für den Augenblick nicht in Berechnung zu ziehen, – also muß die Kaiserin für ihren Gemahl, für ihren Sohn handeln, sie hat ja die Vollmacht der Regentschaft, – hat denn Ihre Majestät nicht erwogen, wie ich in meinem Brief vorgestellt habe, daß die französische Flotte französischer Boden ist, und daß sie von einem Kriegsschiff aus ebensogut Frankreich regieren, ebensogut Frieden schließen kann, als wenn sie sich in den Tuilerieen befände? Ein ebenso sicherer Zufluchtsort als die Flotte würde Korsika sein, wo sich jede Hand zum Schutze der Kaiserin und der kaiserlichen Rechte erheben würde.«

    »Aber, mein Herr,« sagte Madame Lebreton, »glauben Sie denn, daß die Kaiserin mit voller Sicherheit auf die Flotte würde zählen können? – auf Korsika vielleicht, aber was würden Dekrete, was würden Verhandlungen von Korsika aus nützen?«

    »Sie würden das nützen,« rief Herr Regnier, »daß die Kaiserin sich auf französischem Territorium befände und also alle ihre Dekrete, alle ihre Verhandlungen völkerrechtliche Gültigkeit hätten. Man müßte den General Fleury benachrichtigen. Sobald die Kaiserin auf französischem Boden sich befindet, würde der Kaiser Alexander mit ihr verhandeln, seine Vermittlung eintreten lassen, und ich bin fest überzeugt, daß der König von Preußen – selbst ohne die Vermittlung des ihm befreundeten russischen Kaisers – lieber mit der kaiserlichen Regierung Frieden schließen würde, als den Krieg gegen jene Wahnsinnigen in Paris fortsetzen.«

    »Aber wenn Frankreich«, erwiderte Madame Lebreton, welche von den bewegten Worten des Herrn Regnier lebhaft berührt zu sein schien, – »wenn Frankreich einen solchen Frieden nicht anerkennen und gutheißen würde, wenn Paris –«

    »Paris!« rief Herr Regnier. »Was ist Paris? Haben wir nicht Metz? Haben wir nicht Bazaine mit seiner Armee und mit der kaiserlichen Garde, diesem einzigen großen Truppenkörper, der noch fest dasteht? Wenn die Kaiserin Frieden schließt, wird Bazaine frei, sie und der Prinz können' sich in die Mitte dieser Armee begeben und alles wird wieder zur ruhigen und festen Ordnung zurückkehren, – zweifeln Sie an der Treue und Ergebenheit des Marschalls Bazaine?«

    »Nein,« sagte Madame Lebreton; »die Kaiserin ist überzeugt,« fügte sie hinzu, »daß der Marschall dem Kaiser ergeben ist und als ein einfacher Soldat streng an der Fahne hält, zu der er geschworen.«

    »Nun denn,« rief Herr Regnier, »wo ist eine Schwierigkeit? Wo ist ein Grund der Zögerung? Wenn die Kaiserin über einen Marschall von Frankreich, über eine große Armee gebieten kann, – wer wollte ihr Widerstand leisten? Wer wollte ihr vorwerfen, die Interessen des Landes hinter diejenigen der Dynastie zurückgestellt zu haben? O, ich bitte Sie, Madame, ich bitte Sie, gehen Sie noch einmal zu Ihrer Majestät, machen Sie, daß sie mich anhört. Meine Überzeugung steht felsenfest, daß noch alles gerettet werden kann. Mein feuriger Eifer, dem Kaiser und dem Lande zu dienen, verzehrt mich. Oft schon hat ja die Vorsehung in der Weltgeschichte geringe Personen ausgewählt, um Großes zu vollbringen –«

    »In der Tat, mein Herr,« sagte Madame Lebreton, ein wenig zögernd, »Ihre Zuversicht muß auf einer sehr festen Überzeugung beruhen, und ich glaube es nicht verantworten zu können, die Sache damit beendet sein zu lassen. Wollen Sie mich einen Augenblick hier erwarten, ich will noch einmal mit Ihrer Majestät über die Sache sprechen.«

    »Tun Sie das, Madame,« rief Herr Regnier, »tun Sie das und geben Sie mir, wenn ich Sie bitten darf, einen Bogen Papier und eine Feder, damit ich meine Gedanken noch einmal niederschreiben kann; hoffentlich wird es mir gelingen, eine noch klarere und überzeugendere Form für dieselben zu finden.«

    Madame Lebreton öffnete einen neben dem Fenster stehenden Schreibtisch, legte einen Bogen Papier auf denselben und verließ das Zimmer.

    »Der gute Genius Frankreichs gebe Ihren Worten Kraft!« rief Herr Regnier, indem er wie beschwörend die Hand gegen sie ausstreckte.

    Dann ging er in heftiger Bewegung auf und nieder, leise Worte vor sich hinsprechend.

    Nach einigen Augenblicken setzte er sich an den Schreibtisch, ergriff die Feder, und in hastiger Eile flog seine Hand über das Papier hin.

    Es mochte eine halbe Stunde vergangen sein, als Madame Lebreton wieder eintrat, begleitet von Herrn Fillion, dem Erzieher des kaiserlichen Prinzen, einem noch jungen Mann mit bleichem, regelmäßigem Gesicht von ernstem, fast strengem Ausdruck, und zwei anderen Herren in eleganter Zivilkleidung, aber von militärischer Haltung.

    Der eine derselben mochte etwa dreißig Jahre alt sein, war hoch und schlank gewachsen, sein schönes, regelmäßiges Gesicht mit militärischem Bart und sorgfältig frisiertem Haar war leicht gebräunt und der Blick seiner dunklen Augen streifte hochmütig über Herrn Regnier hin.

    Der andere war älter, sein Haar und Bart begann leicht zu ergrauen und seine Züge zeigten den Ausdruck gleichgültig verschlossener Höflichkeit, den man häufig bei höheren Hofbeamten findet.

    Madame Lebreton stellte Herrn Regnier vor und sagte dann: »Herr Fillion, der Erzieher des kaiserlichen Prinzen, ist von Ihrer Majestät mit diesen Herren beauftragt, mit Ihnen über Ihre Ansichten und Pläne zu sprechen. –«

    Und diese Herren?« sagte Herr Regnier, etwas betroffen, in fragendem Ton.

    »Namen tun nichts zur Sache,« erwiderte der jüngere der beiden Eingetretenen, »kommen wir auf den Gegenstand, der Sie hierher geführt.«

    Der ältere der beiden Herren nickte bestätigend.

    Herr Regnier zuckte zusammen. Eine heftige Entgegnung schien auf seinen Lippen zu schweben.

    Herr Fillion trat zu ihm heran und sprach mit einer wohltönenden, ruhigen und sanften Stimme:

    »Sie sind hieher gekommen, mein Herr, um, von treuem Eifer für das kaiserliche Haus und für Frankreich geleitet, Ihrer Majestät der Kaiserin Ratschläge zu geben und Ihre Dienste zu Ausführung derselben anzubieten –«

    »Guter Rat und gute Dienste,« fiel Herr Regnier mit einem scharfen Seitenblick auf die beiden Herren ein, finden nicht immer Anerkennung und vielleicht ist es besser, mit denselben zurückzuhalten.«

    »Jede gute Absicht findet die Anerkennung, die sie verdient,« sagte Herr Fillion freundlich, »Sie werden aber auch begreifen, daß ein jeder Rat in einer so ernsten Lage, wie die gegenwärtige, auf das Sorgfältigste und Vorsichtigste geprüft werden muß, denn jede Übereilung kann die verderblichsten Folgen haben –«

    »Und die Zögerung führt sicher in das Unheil!« rief Herr Regnier.

    »Kommen wir also zur Sache!« rief der ältere der beiden Herren, die Herrn Fillion begleiteten, im Ton ruhiger, kalter Höflichkeit. »Sie haben, mein Herr«, fuhr er fort, »Ihrer Majestät den Vorschlag unterbreitet, sich auf die Flotte oder nach Korsika zu begeben und von dort aus, kraft ihrer Vollmacht als Regentin, mit den Feinden über den Frieden zu unterhandeln. Wir haben über die Sache eingehend mit Ihrer Majestät gesprochen und können der Kaiserin nicht dazu raten, Ihre Vorschläge zu genehmigen. In der augenblicklichen Lage weiß ich nicht, ob man mit Sicherheit auf die Flotte rechnen könnte. Die neue Regierung, welche sich allerdings eigenmächtig eingesetzt hat, der aber die Armee von Paris gehorcht, hat auch an die Flotte bereits ihre Befehle gesendet, und Herr Duperré ist nicht mehr Kommandant des Taureau –«

    »Aber, mein Gott«, rief Herr Regnier, »wenn auch Herr Duperré nicht mehr Kommandant des Taureau ist, so wird er doch irgendein Schiff zu seiner Verfügung haben! Und wenn die Kaiserin auf dem Verdeck eines französischen Schiffes ist, so ist sie in Frankreich. Die Befehle und Ernennungen der neuen Regierung werden nicht ermangeln, unter den Admiralen Eifersucht zu erregen, und das wird gerade dem Unternehmen, das ich der Kaiserin anrate, förderlich sein.«

    »Das wäre der Bürgerkrieg,« erwiderte der ältere der beiden Herren ruhig und kalt, »und gerade die Wahrheit Ihrer Bemerkung muss nach meiner Ansicht die Kaiserin vor allem abhalten, den durch Ihre Vorschläge angedeuteten Weg zu betreten.«

    Herr Regnier blickte wie Hülfe suchend zu Herrn Fillion, der sinnend und ernst dastand, während Madame Lebreton flüchtig das Papier überlas, das Herr Regnier beschrieben hatte.

    »Mein Gott«, rief dieser, »so soll denn alles verloren sein, so soll denn durchaus nichts geschehen, um das Kaisertum zu retten gegen den Angriff dieser verwegenen Abenteurer, welche in der allgemeinen Bestürzung sich der Regierung bemächtigt haben! Ich bitte Sie, meine Herren,« sagte er, indem er schnell das Papier aus der Hand der Madame Lebreton nahm, »ich bitte Sie um Frankreichs willen, um des Kaisers willen, dem Sie ja ergeben sein müssen, da ich Ihnen in diesem Augenblicke hier begegne: bestimmen Sie Ihre Majestät, noch einmal über die Sache nachzudenken, bestimmen Sie die Kaiserin, wenigstens dies Resumé noch zu lesen, das ich soeben niedergeschrieben habe.«

    Er reichte das Papier dem ältern der beiden Herren.

    Dieser nahm es nach kurzem Zögern und sagte:

    »Ich werde nicht ermangeln, Ihr Resumé der Kaiserin zu übergeben. Ich glaube Ihnen jedoch sagen zu müssen, dass ich nicht voraussetzen kann, Ihre Majestät werde ihren Entschluß ändern, – ich wenigstens«, fügte er, sich kalt verneigend, hinzu, »werde derselben nicht dazu zu raten imstande sein. Sollte aber Ihre Majestät in den Ausführungen, die Sie mir geben, etwas finden, was sie bestimmen möchte, aus ihrer wohlerwogenen und festbeschlossenen Zurückhaltung herauszutreten, so werden Sie darüber Nachricht erhalten.«

    Mit artigem Gruß verließ er das Zimmer. Sein junger Begleiter folgte ihm mit leichtem Neigen des Kopfes gegen Herrn Regnier, der den beiden traurig nachsah und wie gebrochen in einen Lehnstuhl zusammensank.

    »Ist es denn der Fluch aller sinkenden Dynastien«, rief er in tiefer Traurigkeit, »dass sie in ihrer Umgebung keine klaren Gedanken und keinen kräftigen Willen finden und dass sie den Rat und die Dienste ergebener Freunde zurückwerfen?«

    Madame Lebreton blickte den zusammengebrochenen Mann teilnehmend an.

    Herr Fillion, der bisher fortwährend in tiefem Nachdenken dagestanden hatte, trat zu ihm und sprach freundlich:

    »Es tut mir aufrichtig leid, mein Herr, dass Ihr Eifer und Ihre Ergebenheit für eine von so vielen verlassene und aufgegebene Sache keinen Raum zur Tätigkeit findet. Es liegt in Ihren Gedanken vieles«, fuhr er fort, »was mich anzieht. Oft schon sind große Dinge geschehen durch eine kühne Benützung des Augenblicks. Aber ein solch' kühnes, rücksichtsloses Erfassen des Moments ist zum Erfolg nötig, und Sie werden begreifen, wie ich es anerkenne, dass die Kaiserin so zu handeln kaum imstande ist. Bedenken Sie die Verantwortlichkeit Ihrer Majestät, – würde das Unternehmen, das Sie anraten, üble Folgen haben, so würde alle Welt, auch die Freunde des Kaiserreichs, die Kaiserin verurteilen, welche die Vollmacht der Regentschaft doch nur für die ruhige Fortführung der Regierung erhalten hat und es nicht wagen darf, Schritte zu tun, welche in einem kühnen und vielleicht gefährlichen Spiel die Zukunft ihres Gemahls und ihres Sohnes einsetzen. – – Ja, – wenn der Kaiser frei wäre,« fügte er sinnend hinzu, »wenn er hier wäre, er könnte –«

    »Welch' ein Gedanke!« rief Herr Regnier, plötzlich aufspringend, »der Kaiser, – ja, das ist es, – wenn er meinen Gedanken billigte, – wenn er seine Ausführung guthieße –«

    »Dann würde Ihre Majestät«, fiel Madame Lebreton ein, »gewiss keinen Augenblick zögern, auf Ihre Ideen einzugehen, in denen sie vieles findet,« fügte sie rasch hinzu, »was ihr sympathisch ist und ihrem zum entschiedenen Handeln geneigten Charakter entspricht.«

    »Dann zum Kaiser!« rief Herr Regnier. »Es ist keine Zeit zu verlieren. Eine innere Stimme sagt mir, dass noch alles gerettet werden kann, wenn nur eine Autorität da ist, um die sich die Treuen scharen können und welche der angemaßten Regierungsgewalt in Paris entgegentreten kann. Doch«, sagte er plötzlich innehaltend und wieder ganz niedergeschlagen vor sich hinstarrend, »wie kann ich zum Kaiser gelangen? Werden mir dort nicht dieselben Schwierigkeiten entgegentreten, die sich hier unüberwindlich vor mir aufrichten?« fügte er mit bitterem Hohn hinzu. »O, mein Herr«, sagte er, die Hand auf den Arm des Herrn Fillion legend, »wenn Ihre Majestät die Kaiserin mir wenigstens Eingang zum Kaiser verschaffte, wenn sie mir einen Auftrag erteilte –«

    »Das wird schwer sein,« sagte Herr Fillion kopfschüttelnd, »der Kaiser ist Gefangener und seine Lage erfordert dass die Kaiserin so zu handeln kaum imstande ist. Bedenken Sie die Verantwortlichkeit Ihrer Majestät, – würde das Unternehmen, das Sie anraten, üble Folgen haben, so würde alle Welt, auch die Freunde des Kaiserreichs, die Kaiserin verurteilen, welche die Vollmacht der Regentschaft doch nur für die ruhige Fortführung der Regierung erhalten hat und es nicht wagen darf, Schritte zu tun, welche in einem kühnen und vielleicht gefährlichen Spiel die Zukunft ihres Gemahls und ihres Sohnes einsetzen. – – – Ja, – wenn der Kaiser frei wäre,« fügte er sinnend hinzu, »wenn er hier wäre, er könnte –«

    »Welch' ein Gedanke!« rief Herr Regnier, plötzlich aufspringend, »der Kaiser, – ja, das ist es, – wenn er meinen Gedanken billigte, – wenn er seine Ausführung guthieße –«

    »Dann würde Ihre Majestät«, fiel Madame Lebreton ein, »gewiss keinen Augenblick zögern, auf Ihre Ideen einzugehen, in denen sie vieles findet,« fügte sie rasch hinzu, »was ihr sympathisch ist und ihrem zum entschiedenen Handeln geneigten Charakter entspricht.«

    »Dann zum Kaiser!« rief Herr Regnier. »Es ist keine Zeit zu verlieren. Eine innere Stimme sagt mir, dass noch alles gerettet werden kann, wenn nur eine Autorität da ist, um die sich die Treuen scharen können und welche der angemaßten Regierungsgewalt in Paris entgegentreten kann. Doch«, sagte er plötzlich innehaltend und wieder ganz niedergeschlagen vor sich hinstarrend, »wie kann ich zum Kaiser gelangen? Werden mir dort nicht dieselben Schwierigkeiten entgegentreten, die sich hier unüberwindlich vor mir aufrichten?« fügte er mit bitterem Hohn hinzu. »O, mein Herr«, sagte er, die Hand auf den Arm des Herrn Fillion legend, »wenn Ihre Majestät die Kaiserin mir wenigstens Eingang zum Kaiser verschaffte, wenn sie mir einen Auftrag erteilte –«

    »Das wird schwer sein,« sagte Herr Fillion kopfschüttelnd, »der Kaiser ist Gefangener und seine Lage erfordert ist eine photographische Ansicht von Hastings, unter welche der Prinz einige Worte geschrieben hat, welche völlig harmlos sind, aber doch – und vielleicht gerade dieser Harmlosigkeit wegen – imstande sein werden, Ihnen Gehör beim Kaiser zu verschaffen. Ich darf bemerken, fügte er hinzu, »dass ich Ihnen dies Blatt mit der Zustimmung der Kaiserin gebe, muss Ihnen aber auch ebenso sagen, dass Ihre Majestät mich dabei nochmals beauftragt hat, Ihnen zu bemerken, dass die Ausführung Ihres Vorhabens höchst gefährlich sei, und dass die Kaiserin Sie deshalb bitte, doch lieber von der ganzen Sache abzustehen.«

    Herr Regnier ergriff hastig die Photographie und las atemlos die darunter stehenden Worte:

    »Mon cher papa, je vous envoie ces vues de Hastings, j'espère, quelles vous plairont.

    Louis Napoleon.«

    j'espère, quelles vous plairont, wiederholte Herr Regnier mit freudigem Ton, – »das genügt, das wird mir den Weg öffnen. Diese Worte seines Sohnes werden zum Herzen des Kaisers dringen. Er wird verstehen, dass der Gedanke, der mich erfüllt, unter seinem guten Stern entstanden ist. Ich danke Ihnen, mein Herr,« rief er, Herrn Fillions Hand drückend, »augenblicklich werde ich mich auf den Weg machen, sagen Sie Ihrer Majestät, dass sie bald von mir hören soll.«

    Er ergriff seinen Hut und eilte hinaus, während Herr Fillion ihm halb teilnehmend, halb verwundert nachblickte.

    Herr Regnier ließ sich sein kleines Reisegepäck wieder nach dem Bahnhof tragen. Dort angekommen, löste er sein Billet zur Rückkehr nach London und ging, die Abfahrt des Zuges erwartend, auf dem Perron auf und nieder.

    Soeben wurden die neuesten Zeitungen ausgeboten. Herr Regnier trat zu einem Verkäufer heran und kaufte eine Nummer des »Special Observer«. Flüchtig und gleichgültig überflog er die Spalten des Blattes, mehr mit seinen Gedanken als mit dem beschäftigt, was er las.

    Plötzlich fuhr er zusammen.

    »Mein Gott!« rief er so heftig, dass einige der mit ihm auf dem Perron Wartenden erstaunt aufblickten, – »das kann alle meine Pläne zerstören,« sprach er leiser weiter, »das böse Verhängnis Frankreichs überholt mich. Jules Favre soll eine Zusammenkunft mit dem Grafen Bismarck zu Meaux haben, – findet dort eine Verständigung statt, – die Anbahnung des Friedens, – dann ist das Kaiserreich verloren, – dann ist Frankreich auf lange hinaus der Anarchie preisgegeben, – die Zeit der Reise nach Wilhelmshöhe und hierher zurück kann alles wieder in Frage stellen. Was tun?« sagte er düster, das Zeitungsblatt in der Hand zerknitternd.

    Nach einigen Augenblicken schien ein Gedanke in ihm aufzublitzen, er richtete sich empor. Mutiger Entschluß lag auf seinen Zügen.

    »Ich muss diesem Sendboten der Pariser Regierung zuvorkommen. Ich will allein handeln, ich will mitten hinein in die Armeen der Feinde, zu diesem unbeugsamen Mann, der heute das Schicksal Frankreichs in seinen Händen hält. Das Blatt, das mir den Weg zu dem gefangenen Kaiser öffnen sollte, wird mich auch beim Grafen Bismarck einführen; und er wird mich verstehen, er wird begreifen, dass die kaiserliche Regierung die einzige ist, welche Garantien für einen sichern Frieden bieten kann. Jetzt ist mir leicht,« sagte er, tief aufatmend, »jetzt liegt klar vorgezeichnet in meinem Geist da, was ich zu tun habe. Ich habe nur mit mir allein, mit meinem Willen, mit meiner Kraft zu rechnen, und meine Kraft wird aushalten, mein Wille wird nicht matt werden!«

    Der Zug fuhr zur Abfahrt an den Perron. Herr Regnier stieg ein, und einige Augenblicke darauf tönte das Pfeifen der Lokomotive.

    Während die deutschen Armeen immer fester ihren eisernen Gürtel um die alte Festungsstadt Metz zusammenzogen und siegreich immer näher nach der Hauptstadt Frankreichs vordrangen, während in Paris der General Trochu die Verteidigung organisierte und hinter der Regierung der Herren Jules Favre und Gambetta die finsteren Gestalten der Faubourgs St. Antoine und Belleville langsam heraufstiegen, während ganz Europa in angstvoller Spannung auf den gewaltigen Völkerkampf blickte, dessen Flammen in immer neuer Lohe aufschlugen, fuhr einsam und schweigend dieser einfache Mann, dessen Namen niemand vorher genannt, der fernab von dem Treiben der großen Welt gestanden hatte, auf dem brausenden Eisenbahnzug dahin, um mit seiner Hand in das gewaltige Rad der Völkerschicksale zu greifen, das in seinem vernichtenden Umschwung Heere von Tausenden niederwirft, das aber oft auch durch ein Atom in rätselhaft unerforschlicher Fügung aufgehalten und gewendet werden kann.

    Zweites Kapitel

    Inhaltsverzeichnis

    In der Nähe der Bergschluchten, welche die Kampagne bei Rom begrenzen, fuhr im Strahl der sinkenden Abendsonne ein offener Reisewagen mit vier Postpferden bespannt langsam die große Straße entlang, welche, von der Ebene aufsteigend, sich durch immer dichtere Waldpartien hinzieht und nur selten, außer den größeren Stationen, einen Flecken oder ein bewohntes Gehöfte berührt.

    Der Postillon saß auf dem Sattelpferd, ein alter Diener in dunkler Reiselivree, eine Mütze von Wachstuch auf dem Kopf, nahm allein den breiten und bequemen Bock ein und schien nur mit Mühe der einschläfernden Wirkung der warmen Luft widerstehen zu können, denn von Zeit zu Zeit nickte er, das Haupt auf die Brust gesenkt, vornüber, und erst, wenn die Neigung seines Körpers so bedenklich wurde, dass sie den Verlust des Gleichgewichts auf dem hohen Sitze drohte, fuhr er schnell empor und saß einige Augenblicke kerzengerade da, mit großen Augen verwundert in die Gegend hineinschauend, um in kurzer Zeit wieder ebenso wie vorher in müder Selbstvergessenheit zusammenzusinken.

    Auf dem hintern Trittbrett des Wagens war ein Koffer aufgeschnallt, dessen feste Solidität, auch ohne daß man sein Fabrikzeichen sah, das reisekundige England als seinen Entstehungsort verriet, und in dem Wagen selbst saß, leicht in die weichen und elastischen Kissen zurückgelehnt, ein alter Herr in einem hellgrauen Reiseanzug, das Haupt mit einem Hut von weißem Leinen bedeckt. Seine Züge hatten in ihrem scharfen Schnitt eine Jugendfrische, welche mit dem fast weißen Haar und Bart nicht übereinstimmte, und seine Augen von wunderbarem Glanz und unbestimmbarer Farbe blickten scharf und forschend in die Schatten der Baumgruppen, welche immer dichter an den Weg herantraten, ohne daß man hätte bestimmen können, ob seine aufmerksamen Blicke der wunderbar pittoresken Naturschönheit galten oder ob er in diesem dunklen Waldesgrün irgend etwas anderes suchte und erwartete.

    Ein solcher Reisewagen auf der einsamen Landstraße im sinkenden Abenddunkel hätte an sich nichts Auffallendes gehabt; zu dieser Zeit und an dieser Stelle aber hätte er jeden, der ihm begegnet sein würde, mit Erstaunen erfüllt, denn schon seit längerer Zeit waren die Landwege in der nähern und weitern Umgebung von Rom vom Fremdenverkehr gemieden, da die Waldschluchten von kühnen und verwegenen Räubern wimmelten, und namentlich in der letzten Zeit, seit die französische Besatzung Rom verlassen hatte, wagten es selbst die kaltblütigsten englischen Touristen nicht mehr anders, als mit starker Bedeckung hier ihre Exkursionen zu machen. Aber selbst eine solche Bedeckung bot keine Sicherheit, denn es war vorgekommen, daß sie, von Briganten in überlegener Anzahl angegriffen, die Waffen gestreckt und ihre Schutzbefohlenen ihrem Schicksal überlassen hatte, wobei dann die Reisenden nicht nur alles dessen beraubt wurden, was sie mit sich führten, sondern noch obendrein nur gegen ein sehr hohes Lösegeld, das in kurzer Frist herbeigeschafft werden mußte, ihr Leben und ihre Freiheit retten konnten.

    Alles dies schien dem alten Herrn im bequemen Reisewagen völlig unbekannt zu sein, denn er fuhr ohne jede Bedeckung allein mit seinem Diener und dem Postillon so ruhig auf dem steil ansteigenden Wege dahin, als befände er sich in der allersichersten Gegend des geordnetsten Staates der Welt.

    Die ruhig und sicher vorschiebenden, schwer atmenden Pferde, der halbschlafende Diener auf dem Bock – das alles bot in der friedlichen Stille, unter dem Schatten der Bäume, deren Wipfel immer höher hinauf von dem Strahl der zum Horizont herabsinkenden Sonne vergoldet wurden, ein Bild der ruhigsten und sorglosesten Sicherheit.

    Der Postillon allein blickte zuweilen halb ängstlich, halb neugierig umher, als sei er verwundert, daß die Fahrt bis hierher so ruhig und ohne Unterbrechung fortgesetzt worden sei.

    Der Weg hatte eine ziemlich steile Anhöhe erreicht, von welcher aus sich ein Blick von wunderbarer Schönheit über einen steil abfallenden Abhang hin nach der in dem eigentümlichen violetten Abendschimmer daliegenden Ebene öffnete. Die Straße senkt sich nun, leise und unmerklich absteigend, in ein dichtes Gehölz hinab, das im Gegensatz zu der von dem letzten Sonnenstrahl beschienenen Lichtung in fast nächtlich dunklem Schatten dalag.

    Der Reisende im Wagen richtete sich ein wenig empor und atmete mit tiefem Zuge die erfrischende Kühle ein, welche ihm aus dem schattigen Waldesdunkel entgegenstieg.

    Auch die Pferde schienen den Einfluß der frischen Temperatur zu empfinden und zogen, ohne einen Antrieb vonseiten des Postillons, im kurzen Trab den Wagen auf der Straße fort.

    Man hatte ungefähr zehn Minuten auf dieser Straße zurückgelegt, als man an eine hölzerne Brücke kam, welche über einen die Straße durchschneidenden Waldbach führte, der von der seitswärts aufsteigenden Höhe rauschend und schäumend herabstürzte. Der Postillon hielt mit einem scharfen Ruck die Pferde an, um sie in langsamem Schritt über die etwas morsche und schadhafte Brücke gehen zu lassen.

    In demselben Augenblick erschien auf der andern Seite dieser Brücke eine hohe Gestalt in einem dunklen, über die Schulter geworfenen Mantel, einen Hut mit breiter Krempe tief in die Stirn gedrückt, und rief mit einer lauten Stimme, welche in mehrfachem Echo von den Bergwänden widerhallte, den Reisenden ein gebieterisches »Halt!« zu.

    Im Nu war der Postillon vom Pferde gesprungen, sank neben demselben auf die Kniee und rief, den Kopf auf die Brust gesenkt, die Hände flehend emporstreckend, in lautem Jammerton um Gnade.

    Der alte Diener auf dem Bock erwachte und schickte sich an, ebenfalls herabzusteigen.

    Nur der Herr im Wagen blieb ruhig und unbeweglich sitzen und blickte erwartungsvoll, aber ohne jede Spur von Furcht und Schrecken, um sich her.

    In einem Augenblick war der Wagen von ungefähr zwanzig Banditen in Blusen mit wettergebräunten Gesichtern und funkelnden Augen umringt. Blitzschnell wurden einige Fackeln entzündet. Man sah Dolchklingen blitzen, Karabinerläufe richteten sich von allen Seiten gegen den Wagen, von welchem in unglaublicher Schnelligkeit die Pferde abgeschirrt waren, die, sofort zur Seite gefühlt, unter den Bäumen neben der Straße verschwanden.

    Der Mann, welcher auf der Brücke den Wagen zuerst angerufen, trat an den Schlag und sprach in einem deutlichen und verständlichen, aber sehr fremd akzentuierten Englisch:

    »Ich bedaure, mein Herr, daß ich Sie veranlassen muß, Ihre Reise zu unterbrechen und mir auf eine kurze Zeit zu folgen. Ich zweifle nicht,« fügte er mit einer gewissen ironischen Höflichkeit hinzu, »daß wir uns bald und leicht verständigen werden, und daß Sie uns in die Lage setzen werden, Ihrer Reise weiter kein Hindernis in den Weg zu legen.«

    Der Reisende hörte die an ihn gerichteten Worte so ruhig an, als wäre diese Begegnung das natürlichste und gleichgültigste Ereignis von der Welt. Er bog sich ein wenig über den Wagenschlag hinaus und blickte prüfend in das vom schimmernden Fackelschein beleuchtete Gesicht des Banditen, als forsche er nach bekannten Zügen. Dann fragte er mit einem Ton von fast befehlender Überlegenheit im reinsten akzentlosen Italienisch:

    »Führt nicht Barbarino Falcone den Befehl in diesen Wäldern?«

    Betroffen fuhr der Räuber zurück. Diese unerwarteten Worte aus dem Munde des Reisenden, den er nach seiner ganzen Erscheinung für einen Engländer hatte halten müssen, dieser kurze, scharfe Ton, welcher fast derjenige eines Vorgesetzten gegen seinen Untergebenen war, ließen ihn einen Augenblick seine Fassung verlieren. Auch er blickte jetzt seinerseits forschend in das Gesicht des Reisenden, aber dasselbe schien keine Erinnerungen in ihm zu erwecken.

    »Ich habe keine weiteren Erklärungen zu geben, Signor,« sprach er dann mürrisch und ungeduldig, »und bitte Sie, mir ungesäumt zu folgen. Sie werden sich bald über die Persönlichkeit unseres Chefs vergewissern können,« fügte er mit einem finstern, drohenden Seitenblick hinzu.

    Der Reisende stieg aus. Einer der Banditen schritt mit einer Fackel voran, derjenige, welcher die Abteilung befehligte und an den Wagen herangetreten war, ging neben ihm, die Hand am Dolch, den gespannten Karabiner im Arm. Zwei andere hatten den Diener in die Mitte genommen. Der Postillon verkehrte freundschaftlich mit den Räubern und bot ihnen seine Feldflasche zum Trinken.

    Mit sicherem Schritt drang der Führer in den Wald hinein, überall hinter Bäumen und vorspringenden Felsen schmale Wege und Durchgänge betretend, welche sich in dem scheinbar unwegsamen Dickicht öffneten.

    Nach einer halben Stunde kam man an einen breiten Wasserfall, der von einer ziemlich bedeutenden Felshöhe herabstürzte und dessen Rauschen man bereits von weither vernommen hatte. Dieser breite, schäumende Fall fiel in einen kleinen Bergsee, der nach der andern Seite hin in mehreren Bächen seine Wasser weiterhin in die Ebene herabfließen ließ.

    Der Fackelträger schritt bis unmittelbar an die Seite des Wasserfalls vor. Unter der mächtigen, schäumend herabstürzenden Wassermasse war ein bogenförmiger, freier Raum, über den der Fall wie eine Wölbung dahinströmte. Der Führer trat auf die Spitze des Felsvorsprungs, welcher sich bereits unter dem Wasserbogen befand, führte einen Finger an die Lippen und ließ ein scharfes, eigentümliches Pfeifen ertönen.

    Sogleich antwortete, wie aus der Tiefe heraufklingend, ein ganz ähnlicher Ton, und über die bewegte, mit weißem Schaum bedeckte Flut unter dem Wassersturz schob sich ein schmales Brett von der gegenüberliegenden Seite her.

    Der Führer legte den Rand desselben fest auf den Felsen und schritt auf dem leicht schwankenden Stege voran, seine Fackel, zuweilen von den herabfallenden Tropfen rasch aufzischend, beleuchtete von unten herauf den gewölbten Wasserstrahl mit wunderbaren, in diamantenem Farbenspiel schimmernden Lichtern.

    Der Reisende folgte, ohne einen Augenblick zu zögern, auf diesem schmalen und unsichern Weg und schien ohne ein Spur von Furcht oder Besorgnis sein Auge an den unnachahmlich schönen Reflexen zu weiden, welche das rote Fackellicht an dem herabstürzenden Wasser bildete.

    Nach wenigen Schritten hatte man die andere Seite erreicht. Unter überhängenden, mit dichtem Gestrüpp bewachsenen Felsstücken hervor trat man in eine große, runde, von hohen Bäumen umgebene Lichtung, welche ein romantisches, pittoreskes Bild darbot. An der einen Seite derselben brannte ein helles Feuer, an welchem mehrere Banditen beschäftigt waren, in Kesseln, die auf eisernen Gestellen über der Flamme hingen, eine Mahlzeit zu bereiten, deren Duft kräftig und einladend den Ankommenden entgegendrang. Ringsumher sah man beim Licht in die Erde gesteckter Fackeln andere Gruppen, auf ihren Mänteln am Boden gelagert, teils mit Karten- und Würfelspiel beschäftigt, teils unter Lachen, Scherzen und Singen den Inhalt strohumflochtener Flaschen schlürfend, welche jedenfalls einer andern Bestimmung zugedacht gewesen waren.

    Im Hintergrund des freien Platzes öffnete sich der Felsen, der hier zwischen Bäumen hervortrat, zu einer Art von Portal, das mit schweren, kostbaren Teppichen verhängt war.

    Zwei Fackeln auf hohen, in die Erde gerammten Pfählen erleuchteten diesen Eingang, vor welchem einer der Briganten, den Karabiner im Arm, langsam auf und ab schritt.

    Der Fackelträger, welcher den Zug hierher geleitet hatte, trat zur Seite. Der Begleiter des Reisenden wechselte mit dem Wachthaltenden einige leise Worte und trat dann, mit einer gewissen scheuen Ehrerbietung den Teppich aufhebend, in das Innere des durch denselben verdeckten Raumes, während der Reisende ruhig und unbefangen die verschiedenen malerischen Gruppen betrachtete, welche ihrerseits die Ankommenden mit einem freudigen Ruf begrüßt hatten, sich aber nun weiter in ihren Beschäftigungen nicht stören ließen.

    Nach wenigen Minuten kam der Führer der Expedition, welche den eben eingebrachten Fang gemacht, wieder zurück und führte den Reisenden an dem Wachtposten vorbei hinter den Vorhang, den er sofort wieder schloß.

    Der Fremde stieß einen leichten Ruf des Erstaunens aus und blickte dann lächelnd in dem sich vor ihm öffnenden Raum umher, der in der Tat geeignet war, hier in der einsamen, abgelegenen Waldschlucht einige Verwunderung zu erregen.

    Es war eine tiefe und hohe, vollkommen geschlossene und mit zackig ausgebrochenen Felsen gewölbte Höhle. Der Boden derselben war geebnet und mit dichten, mehrfach übereinander gelegten weichen Matten bedeckt. Die Seitenwände waren hoch hinauf mit schweren dunkelroten Teppichen behangen, deren tiefe, volle Farben noch prächtiger und glühender erschienen im Licht einer schön gearbeiteten Ampel, welche an silbernen Ketten von einer der Felszacken der Deckenwölbung herabhing.

    Ein schwerer Tisch von schwarzem Ebenholz, reich mit Gold, Elfenbein und Perlmutter ausgelegt, stand in der Mitte des Raumes. Kleinere Tische von Marmor und kostbarem Holz standen an den Seitenwänden umher und trugen mannigfache goldene und silberne Gefäße von herrlicher Arbeit, mit blitzenden Edelsteinen besetzt. Prächtige Dolche und Stoßdegen lagen daneben.

    Ein Teil der Höhle im Hintergrunde war mit einem seidenen Vorhang verdeckt, und vor dem großen Tisch in der Mitte stand ein breites Ruhebett mit schwellenden seidenen Kissen. Von diesem Ruhebett erhob sich beim Eintritt des Fremden ein kräftig und schlank gewachsener junger Mann in einem weiten und bequemen Anzug von schwarzem Samt, dessen etwas phantastischer Schnitt mit der ganzen Umgebung in Übereinstimmung stand. Ein weites, faltiges Wams, von einem ledernen Gürtel zusammengehalten, umschloß seinen schlanken und geschmeidigen Oberkörper. Faltenreiche Beinkleider fielen über glänzende, bis zum Knie hinaufreichende Stiefel herab. Das tiefschwarze, leichtgelockte Haar umgab ein gebräuntes Gesicht, dessen weiche und zarte Züge weder mit dem Ausdruck kalten, feindlichen Hohnes, der auf den Lippen des Mannes lag, noch mit den düsteren, wilden Blicken seiner dunkel brennenden Augen harmonierten.

    Der junge Mann trat dem Fremden einige Schritte entgegen und blickte ihn prüfend an, als wolle er aus seiner Erscheinung einen Anhaltspunkt dafür gewinnen, wie hoch er ihn bei der unter diesen Verhältnissen üblichen Lösegeldbesteuerung zu taxieren habe.

    Der Fremde nahm langsam seinen Hut, dessen Schatten sein Gesicht bedeckte, vom Kopf und stand im vollen Licht der von der Decke herabhängenden Ampel da. Seine großen, glänzenden Augen richteten sich mit einem eigentümlich strahlenden und durchdringenden Blick auf den jungen Mann, und mit einer tiefen, klaren Stimme sprach er:

    »So hat man mich nicht getäuscht, als man mir sagte, daß ich hier in diesen Gründen Barbarino Falcone finden würde?«

    Der junge Mann war, als das Gesicht des Fremden im hellen Lampenlicht vor ihm erschien, zuerst wie erschrocken zusammengefahren, als sei er in Zweifel, ob der Blick seiner Augen ihn nicht täusche. Dann war ein Schimmer der Freude über sein finsteres Gesicht geflogen. Er hatte die Arme ausgebreitet, als wolle er den Fremden an seine Brust drücken, aber schnell seine Bewegung bemeisternd, neigte er sich tief und ehrfurchtsvoll und sprach:

    »Welche Freude und welches Glück für mich, daß Ihr, mein großer Meister, mich hier aufsucht und mich würdig findet, mir einen Auftrag zu erteilen, – denn ich setze voraus, daß unsere heilige Sache meiner Dienste bedarf und daß Ihr kommt, um mir zu sagen, was ich zu tun habe. – Und zugleich wird mir Gelegenheit,« fügte er mit warm leuchtendem Blick hinzu, »Euch meinen Dank auszusprechen für die Befreiung aus dem Kerker der Tyrannei, einen Dank, dessen ganze Empfindung nur der kennen kann, der die Luft und das Licht der Freiheit entbehrt und den schimpflichen Tod unmittelbar vor sich gesehen hat.«

    »Ich kenne das,« erwiderte der Fremde, »aber wer zu dem Bunde der Rächer gehört, wird, solange mein Arm Macht hat, nicht in den Kerkern festgehalten werden. Ich habe dich gerettet, weil du treu zu unserem Bunde gehalten, und ich komme jetzt, um deine Kraft zu einem Dienst in Anspruch zu nehmen, der Geschicklichkeit und Gewandtheit erfordert, wie ich sie stets an dir bemerkt und anerkannt habe.«

    »Ich bin Eures Befehls gewärtig,« sagte Barbarino.

    Und ehrfurchtsvoll sich verneigend, führte er den Fremden nach dem Divan.

    »Aber Ihr werdet ermüdet sein, Meister. Darf ich Euch eine Erfrischung anbieten?«

    »Ein Glas Wein und ein Stück Brot,« erwiderte der Fremde, »das genügt mir, – es bedarf nur wenig, um meine Kräfte zu erhalten.«

    Barbarino ließ einen scharfen Pfiff auf einer kleinen silbernen Pfeife ertönen, die er an einer Kette um seinen Hals trug.

    Fast unmittelbar darauf erschien einer der Briganten am Eingang, und nach einigen Minuten stand auf dem Tisch, auf einer silbernen Platte, eine schön geschliffene Kristallkaraffe mit jenem goldgelben Wein von Monte Fiascone, den der weinkundige Kellermeister eines reisenden Kardinals einst mit den Worten Est, Est, Est« bezeichnete. Daneben einige vortreffliche Früchte, etwas Weißbrot, eine kalte Pastete und ein Stück des vortrefflichen Stracchinokäses.

    Barbarino nahm zwei hohe Kristallkelche von einem der Seitentische, füllte diese bis zum Rande und sprach:

    »Untergang der Tyrannei!«

    Er leerte sein Glas bis auf den Grund, während der Fremde nur leicht die Lippen benetzte, eine Schnitte Weißbrot in seinen Wein tauchte und einige Bissen davon aß.

    »So höre denn nun, um was es sich handelt. Die Sache erfordert schnelle Tätigkeit, Vorsicht und Gewandtheit.

    Barbarino hing mit gespannter Aufmerksamkeit an den Lippen des Sprechenden.

    »Wie du weißt, ist geschehen, was wir erstrebt und vorausgesehen haben. Dieser französische Imperator auf seinem innerlich unterhöhlten Flitterthron ist dahin getrieben worden, den Krieg gegen Deutschland zu führen, und seine Macht ist unter schnellen Schlägen, schneller noch, als ich selbst es erwartete, zusammengebrochen. Er hat seine Hand von Rom, diesem Sitz der päpstlichen Tyrannei, zurückziehen müssen. Nun ist er gestürzt, seine Armeen sind zertrümmert, und nimmer wird er wieder diesen dreifach gekrönten Priester gegen den Willen Italiens, gegen den Willen der denkenden Menschheit auf seinem Stuhle halten können.«

    »Ich weiß es, Meister,« erwiderte Barbarino. »Und ich weiß auch, daß in wenigen Tagen die Truppen Italiens in dieses Asyl finsterer Priesterherrschaft einbrechen werden, welches man das Erbteil Petri nennt, um das alte Rom für immer der Freiheit wiederzugeben, damit es in Zukunft für die Welt ebenso der Mittelpunkt des Lichtes werde, wie es bis jetzt der Mittelpunkt der Finsternis war. Kommt Ihr,« rief er mit flammensprühenden Blicken, »um mir einen Platz in diesen Kämpfen anzuweisen – o, so laßt mich in dieser Stunde aufbrechen, damit ich, und wäre es an der untergeordnetsten Stelle, mit diesem Arm dazu beitragen könne, Rom zu befreien von der tausendjährigen Herrschaft blutiger und schimpflicher Tirannei.«

    Ruhig schüttelte der Fremde den Kopf.

    »Nicht deshalb bin ich gekommen,« sagte er; – »um Rom zu befreien, um die päpstliche Herrschaft zu stürzen, bedarf es jetzt unseres Bundes nicht. Wir können unsere Kräfte für weitere, für größere Aufgaben sparen. Der König Viktor Emanuel, welcher es zu allen Zeiten so vortrefflich verstanden hat, die Früchte zu pflücken, die andere für ihn gezogen haben, wird das, was für den Augenblick zu tun ist, allein vollführen. Seine Truppen stehen bereit, und in wenigen Tagen wird der Papst ein Gefangener in der ewigen Stadt sein, in welcher er sich bis jetzt in übermütigem Stolz für den Herrn der Welt hielt.«

    Barbarino blickte finster zu Boden.

    »Und doch muß ich dabei sein,« sagte er dumpf, »ich muß meinen Teil haben an diesem Werk gerechter Rache.«

    »Deiner wartet eine höhere Aufgabe,« sagte der Fremde. »Was einfache Söldner tun können, daran dürfen wir unsere Zeit und Kraft nicht verschwenden.«

    »Aber wenn Rom befreit ist,« rief Barbarino, – »wenn die päpstliche Herrschaft gestürzt ist –«

    Ein fast mitleidiges Lächeln spielte um die Lippen des Fremden. Mit einer Handbewegung unterbrach er Barbarino und sprach:

    »Höre mich weiter. Rom wird befreit werden, die päpstliche Herrschaft wird gestürzt werden, aber es wird befreit werden nicht für uns, nicht für das Volk, nicht für die Menschheit. An der Stelle des päpstlichen Thrones wird der Thron Viktor Emanuels aufgerichtet werden, dieses Königs, der zwar durch das Volk emporgehoben ist und die demokratische Phrase im Munde führt, der aber darum nicht minder ein König ist, der darum nicht minder zu jener Rasse gehört, deren Blut sie zwingt, die Völker zu unterdrücken wie die Raubtiere, die sie in ihren Wappenschildern führen. Das Volk und die Freiheit werden nichts dabei gewinnen, als daß wir später im Augenblick der letzten Vollendung unseres Werkes hier in Italien nur einen Streich zu führen, nur einen Thron niederzuwerfen haben,« fügte er mit einem wild aufleuchtenden Blick seines sonst so klaren und ruhigen Auges hinzu. »Um aber diesen Augenblick der letzten Vollendung vorzubereiten, dazu bedürfen wir nicht Italiens allein, wir bedürfen auch Frankreichs. Wir müssen die Stütze zertrümmern, welche hier in Italien die königliche Tyrannei, welche der päpstlichen folgen wird, bei Frankreich gefunden hat und später wieder finden kann. Das Kaiserreich ist niedergeworfen, unser Ziel bei diesem Krieg ist erreicht. Frankreich darf nicht weiter besiegt, nicht weiter geschwächt werden. Es muß stark genug bleiben, um gegen die militärische Monarchie in Deutschland das Gegengewicht zu bilden, stark genug, um bei der großen Revolution der Zukunft – einer hoffentlich nahen Zukunft – Italien die Hand zu reichen und mit uns gemeinschaftlich den Völkern der Welt auf dem Wege der Freiheit voranzugehen.«

    Barbarino wollte sprechen.

    Der Fremde legte die Hand auf seinen Arm und fuhr fort:

    »Was wir bedürfen, ist ein starkes Frankreich und zugleich ein rein demokratisches Frankreich. Und um den Ereignissen diese Wendung zu geben, dazu müssen wir in diesem Augenblick eingreifen, wenn wir nicht die Früchte des großen Kampfes, der den brütenden Despoten von seinem Thron gestürzt, verlieren wollen. Sie haben eine Republik in Paris proklamiert,« fuhr er in höhnischem Ton mit leichtem Achselzucken fort, – »eine Republik, – aber wer führt diese Republik? Herr Jules Favre und seine Genossen, die Vertreter der feigen, hinterlistigen Bourgeoisie, welche die frühere Regierung nur gestürzt haben, um sich an ihre Stelle zu setzen und in ihre Fußstapfen zu treten. Rochefort ist ein Tor, und Gambetta, – seine Eitelkeit wird ihn verblenden, und er wird gegen die anderen ohnmächtig sein. Sie haben eine nationale Verteidigung organisiert, aber es ist kein Nachdruck, keine Kraft, kein Wille in dieser Organisation, und selbst wenn sie es erreichen könnten, das Glück der Waffen wieder zu wenden, so wird aus dieser Republik doch nichts anderes hervorgehen als eine neue Monarchie, eine neue Stütze des Despotismus, die unter anderem Namen die alten Zustände wieder wird erstehen lassen, während bei uns in Italien das Königtum und das Papsttum trotz ihres jetzigen Streites sich wieder zusammenfinden werden, um das Volk und seine Freiheit zu unterdrücken. Dies zu verhindern ist unsere Aufgabe, wir müssen Frankreich zu Hilfe kommen, um mächtiges Leben und kühnen Aufschwung in seine Verteidigung zu bringen. Aber diese Hilfe muß von der reinen und wahren Demokratie ausgehen, so daß, wenn Frankreich sich wieder erhebt, wenn es die Deutschen aus seinen Grenzen vertreibt, die wahre und reine Demokratie dort für immer ihre feste Herrschaft aufrichtet.«

    »Ich verstehe, Meister, ich verstehe,« sagte Barbarino in zitternder Erregung. »Voll Bewunderung folge ich Euren so großen, so weit blickenden Gedanken. Aber wie kann ich in so hohen Dingen helfen, der ich nur gelernt habe und nur verstehe, den bewehrten Arm mit Verachtung der Gefahr und des Todes für unsere Sache zu erheben?«

    Ohne seine Worte zu beachten, fuhr der Fremde fort:

    »Frankreich kann nur gerettet werden, wenn das ganze Volk sich in einmütiger Begeisterung erhebt und wie eine flammende Flut über den deutschen Heeren zusammenschlägt. Solche Flammen aber werden die Proklamationen des Generals Trochu und des Herrn Jules Favre nicht entzünden, und weder die Generale aus der Schule des Kaiserreichs noch die neugeschaffenen Strategen der gegenwärtigen Regierung werden eine solche Erhebung mit Nachdruck und wahrem Feldherrnblick leiten können. Einen Mann nur gibt es, der dazu imstande ist, einen Mann, dessen Name und dessen Ruf das ganze französische Volk in seinen Tiefen erwecken kann, der imstande ist, den Krieg so zu führen, wie es jetzt not tut, und der uns zugleich die Bürgschaft bietet, daß sein Sieg ein Sieg der wahren und reinen Demokratie sein wird, – und dieser Mann, der zugleich die Brüderschaft der Völker von Frankreich und Italien bedeutet, – dieser Mann ist Garibaldi, der traurig und still in Caprera sitzt, seufzend unter dem Schmerz der Wunde, die des Königs von Italien Dankbarkeit ihm geschlagen hat. Er muß seine Fahne erheben, er muß nach Frankreich gehen und seinen Ruf an das Volk erschallen lassen. Er allein kann Frankreichs Feinde über ihre Grenzen zurückdrängen, er allein kann wahres Leben und wahre Dauer der französischen Republik geben, welche einst dem Volk von Italien die Hand reichen wird, um den König und den Papst, die sich heute um die Herrschaft Roms streiten, für immer zu vertreiben.«

    Barbarino sprang auf.

    »O Meister,« rief er, »wie klein sind wir alle gegen Euch! In Eurem Geist lebt die Welt, unter Eurer Führung müssen wir siegen! – Aber noch immer,« fuhr er dann fort, »sehe ich nicht, wie ich –«

    »Dich habe ich ausersehen,« fiel der Fremde ein, »um die Feder in Bewegung zu setzen, welche das Räderwerk unserer Maschine vorwärts treiben soll. – Du bist imstande«, fragte er dann, »einen Stamm von kühnen und unerschrockenen Leuten zu bilden, welche nach Frankreich zu gehen bereit sein würden, um Garibaldi in der Bewaffnung und Organisation des französischen Volksaufstandes zu unterstützen?«

    »Fast alle meine Leute,« erwiderte Barbanno, »haben früher unter Garibaldi gefochten, – ebenso einzelne Banden, welche hier in der Umgegend zerstreut sind, sie verstehen alle den Guerillakrieg und scheuen vor keiner Unternehmung zurück. Ein Wort von mir wird genügen, um sie alle dem General zur Verfügung zu stellen.«

    Er sagte dies mit einem sichern, festen Ton. Doch plötzlich fuhr ein trüber Schatten über sein Gesicht, als erweckten die Ideen, die sich vor ihm öffneten, eine gewisse Verstimmung in seinem Innern.

    »Du hast meine Gedanken und meine Pläne klar erfaßt?« fragte der Fremde weiter.

    »Vollkommen,« erwiderte Barbarino.

    »So wirst du sogleich mit mir abreisen und dich nach Caprera begeben, um alles, was ich dir gesagt habe, dem General Garibaldi zu wiederholen. Du wirst hinzufügen, daß du über eine Schar tüchtiger, kriegsgeübter und unerschrockener Menschen verfügen kannst, um ihm die Herstellung von freiwilligen Legionen aus der französischen Bevölkerung, welcher eine solche Kampfesart noch neu ist, zu erleichtern, – es wird nur dieses Anstoßes bedürfen, um den alten Löwen, in dem, wie ich überzeugt bin, ähnliche Gedanken bereits aufzusteigen beginnen, zu erwecken und in den Kampf zu rufen für die Sache, welche ja auch stets die seinige gewesen ist. Eile ist nötig. Von der schnellen und sichern Ausführung deines Auftrages hängt

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