Die Puppenflüsterin
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Über dieses E-Book
Patricia Eckermann
Patricia Eckermann wurde in Bielefeld geboren. Nach einer Handwerkerlehre wurde sie Beamtin, kämpfte dort für die Gewerkschaft und studierte dann in Köln Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft, Pädagogik und Anglistik. Heute arbeitet sie als Fernsehautorin und engagiert sich für mehr Diversität in den Medien. In den Sozialen Medien findet man sie unter @feireficia. Mehr Infos gibt’s auf www.antagonisten.de
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Buchvorschau
Die Puppenflüsterin - Patricia Eckermann
8
1
»Ich will aber, dass du mit mir spielst«, maulte Mara und stampfte trotzig mit dem Fuß auf. »Mama hat gesagt, du musst dich um mich kümmern!«
Larissa schüttelte genervt den Kopf und setzte sich auf. Für eine Fünfjährige hatte ihre kleine Schwester einen ziemlichen Dickkopf.
»Ich muss mich ausruhen und sonst gar nichts«, brummte sie. »Außerdem bin ich zu alt für deine blöden Puppen.« Sie sprang von ihrem Bett und schob ihre widerstrebende kleine Schwester aus dem Zimmer.
»Das sag ich Mama, dass du nicht mit mir spielst und die ganze Zeit im Bett liegst und telefonierst«, empörte sich Mara.
Larissa nickte gleichgültig. »Mach das.« Sie knallte die Tür zu und drehte den Schlüssel um. Mara konnte sich sehr gut selbst beschäftigen. Sie hatte ein eigenes Zimmer vollgestopft mit Spielzeug und unzähligen Puppen. Wenn es sein musste, konnte sie wahrscheinlich jeden Tag mit einem anderen Gegenstand spielen und hätte mit achtzehn immer noch nicht alles in der Hand gehabt.
Draußen im Flur stapfte Mara schimpfend in Richtung Kinderzimmer. Larissa warf sich zurück aufs Bett und schnappte sich ihr Handy.
»Katharina? Bist du noch dran?«
Ihre beste Freundin am anderen Ende der Leitung lachte. »Macht Mara mal wieder Stress?«
»Die nervt wie ein Loch im Zahn«, stöhnte Larissa. »Seit mein Vater nach Neustadt bei Coburg gezogen ist, benimmt sie sich wieder wie ein Kleinkind.«
»Er war ja auch immer da für euch, auch nach der Trennung von eurer Mutter. Ist doch klar, dass Mara ihn jetzt vermisst.«
»Ich versteh das ja«, räumte Larissa ein, »aber er wohnt jetzt schon fast ein halbes Jahr nicht mehr in Köln. Irgendwann muss Mara damit doch klarkommen.«
Larissa warf einen Blick auf den Familien-Schnappschuss an der Wand über ihrem Bett. Das Foto war knapp drei Jahre alt, aufgenommen auf einem Campingplatz an der Ostsee. Damals waren ihre Eltern noch glücklich gewesen. Oder besser gesagt: Damals hatte Larissa noch geglaubt, dass ihre Eltern glücklich waren. Doch kurz nach dem Urlaub hatte ihre Mutter die Scheidung eingereicht und ihr Vater war ausgezogen. Streit hatte es zwischen den beiden nie gegeben – zumindest hatte Larissa davon nichts mitbekommen. Eine Zeit lang hatte ihr Vater in einer kleinen Wohnung ganz in der Nähe gelebt, aber dann hatte er einen Job in seiner Heimatstadt Coburg angenommen und die Stadt verlassen. Seitdem sahen Larissa und Mara ihn nur noch sehr selten.
»Wie geht’s dir denn damit, dass dein Vater jetzt in Bayern wohnt?«
»Keine Ahnung.« Larissa hatte keine Lust, über ihren Vater zu reden. Sie hatte weiß Gott andere Probleme, als ihrem Papi hinterherzuheulen. Sie stemmte ihre Füße gegen die Wand und gab dem Familienfoto einen kleinen Stoß mit ihrem großen Zeh. Das Bild wackelte bedenklich, fiel aber nicht runter. »Ich find’s viel schlimmer, dass du jetzt auch noch weggezogen bist. Kannst du deine Eltern nicht überreden, wieder zurück nach Köln zu ziehen? Hannover ist doch …«
»… viel schöner, als du denkst«, fiel ihr Katharina ins Wort. »Außerdem hab ich echt Glück mit meiner neuen Klasse. Da ist kein Idiot dabei, alles nette Leute. Sogar die Lehrer hier sind in Ordnung.«
»Na toll. Du hast alles und ich hab nichts.« Larissa biss sich auf die Lippe. Sie wollte gar nicht so eifersüchtig klingen, sie freute sich ja für Katharina. Es tat nur so weh zu wissen, dass sie jetzt in einer neuen Stadt ein neues Leben mit neuen Freunden hatte, während Larissa jeden Tag aufs Neue die schmerzhafte Lücke fühlen musste, die Katharinas Wegzug in ihr Leben gebombt hatte.
»Wie läuft’s eigentlich mit Adrian?«, betrat Katharina gleich das nächste emotionale Minenfeld. »Hast du Fortschritte gemacht?«
»Er ist immer noch mit Doreen zusammen«, sagte Larissa kopfschüttelnd. Bei dem Gedanken an Adrian machte ihr Herz einen Sprung. Sie war so sehr verliebt in ihn, dass es wehtat.
»Du solltest ihm sagen, dass …«
»Nein«, unterbrach Larissa ihre Freundin, »ich misch mich auf keinen Fall in seine Beziehung ein. Ich kann warten. Irgendwann erkennt er schon, dass ich die Richtige für ihn bin.«
»Und bis dahin willst du ihm weiter die beste Freundin vorspielen? Ich find die Idee immer noch … sub-optimal.«
Draußen im Flur öffnete sich die Haustür.
»Ich muss auflegen, meine Mutter kommt. Ich meld mich wieder, okay?«
Larissa drückte das Gespräch weg und steckte ihr Handy in die Hosentasche, als es auch schon an ihrer Tür klopfte. Gleichzeitig wurde die Klinke heruntergedrückt.
»Larissa?« Die Stimme ihrer Mutter klang gestresst. »Larissa! Warum schließt du dich denn ein?«
Larissa beeilte sich, die Tür zu öffnen. Wenn die Stimme ihrer Mutter diesen schneidenden Unterton annahm, war es ratsam, aus der Schusslinie zu gehen und sie nicht noch mehr zu reizen. Ansonsten drohten Handyverbot, Internetverbot, Ausgehverbot und alle anderen Verbote, mit denen man den Spaß aus dem Leben einer Sechzehnjährigen verbannen konnte. Ihre Mutter schüttelte genervt den Kopf.
»Ich kann nicht verstehen, was man an ›Passt du bitte auf deine kleine Schwester auf‹ missverstehen kann«, sagte sie.
Larissa ballte die Fäuste und schluckte ihren Kommentar runter. Ihre Mutter sah schlecht aus, vermutlich hatte sie mal wieder Stress in ihrem Job. Seit sie ihren Arbeitsplatz als Grafikerin verloren hatte und dafür in zwei Kneipen kellnern musste, war sie immer öfter so schlecht gelaunt wie heute. Und sie sah dementsprechend aus: Ihre schulterlangen, brünetten Haare waren zu einem nachlässigen Zopf gebunden, ihre Augen lagen in tiefen, dunklen Höhlen und die grellgelbe Farbe ihrer Kellnerin-Uniform ließ ihre Haut vampirleichenblass erscheinen. Sie war ungeschminkt, nicht mal Lipgloss hatte sie aufgetragen und die Haut über ihrer Oberlippe war von vielen tiefen Falten durchzogen. Diese zwei Jobs waren definitiv keine Dauerlösung.
»Larissa, wenn du mir versprichst, auf Mara aufzupassen, dann muss ich mich auch darauf verlassen können!«
»Ich hab aufgepasst.« Larissa verschränkte die Arme vor ihrem Körper und presste die Zähne aufeinander. »Aber ich bin nicht ihr persönliches Kindermädchen. Mara kann sich auch mal ein paar Minuten allein beschäftigen.«
Larissas Mutter zog das Haargummi von ihrem Pferdeschwanz und fuhr sich mit den Fingerspitzen über den Kopf.
»Ich verstehe ja, dass das für dich nicht einfach ist. Papa ist weg, Katharina ist weg, ich bin kaum zu Hause … Aber du musst endlich begreifen, dass das Leben kein Wunschkonzert ist. Werd endlich erwachsen!«
Larissa fühlte die Wut in sich aufsteigen. »Du machst es dir verdammt einfach«, fauchte sie ihre Mutter an. »Abends ausgehen darf ich nicht, weil ich zu jung bin. Aber die Verantwortung für eine Fünfjährige, die sich wie ein Kleinkind benimmt, die soll ich übernehmen?«
»Du sollst doch nur auf deine Schwester aufpassen, wenn ich nicht da bin«, erwiderte Larissas Mutter gereizt. »Wo ist das Problem?«
»Das Problem ist, dass ich keinen Bock habe, stundenlang mit Maras dämlichen Puppen zu spielen. Ich will die Dinger nicht mehr windeln, nicht mehr anziehen oder kämmen. Und ich will schon gar nicht so tun, als ob ich mit ihnen spreche, nur damit Mara endlich Ruhe gibt. Ich muss für die Schule lernen, verdammt noch mal, ich hab keine Zeit für Babyspielchen!«
Larissas Mutter verzog das Gesicht, als ob ihr jemand auf den Kopf gehauen hätte.
»Larissa-Schatz«, sagte sie in einem versöhnlicheren Ton, »bitte. Ich schaff das nicht allein. Es tut mir leid, dass ich dich so einspannen muss. Aber momentan geht das nicht anders.«
Larissa schwieg. Sie verstand ja, dass ihre Mutter es gerade nicht leicht hatte.
»Es wird auch wieder besser«, versprach ihre Mutter. Allerdings klang sie nicht besonders zuversichtlich. »Sobald ich meine Schichten tauschen kann, wird alles wie früher.« Sie drückte Larissas Hand. »Aber bis dahin hilfst du mir mit deiner Schwester, okay?«
Larissa hatte widerwillig zugestimmt und ihrer Mutter