Isabelle: BsB Historischer Liebesroman
Von Marie Cordonnier
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Über dieses E-Book
„Marie Cordonniers Romane heben sich nicht nur durch das weniger übliche Set sondern dadurch von der Masse ab, dass die Autorin es wie kaum eine andere versteht, Stimmung zu erzeugen und dem Leser zu vermitteln. Deswegen wirken ihre Romane immer glaubwürdig.Außerdem sind sie so spannend wie unterhaltsam - aber immer ernsthaft.“ Leserstimme
Marie Cordonnier
Schreiben und Reisen sind Marie Cordonniers Leidenschaft. Immer wenn sie unterwegs ist, bekommt ihre Phantasie Flügel. In den Ruinen einer mittelalterlichen Burg hört sie das Knistern der Gewänder, riecht Pechfackeln und hört längst verstummte Lautenklänge. Was haben die Menschen dort gefühlt, was erlitten? Zu Hause am Schreibtisch lässt sie ihrer Phantasie freien Lauf. Der Name Marie Cordonnier steht für romantische Liebesromane mit historischem Flair. Marie Cordonniers bürgerlicher Name ist Gaby Schuster. Sie schreibt auch unter den Pseudonymen Valerie Lord und Marie Cristen. Mehr über sie gibt es auf www.marie-cordonnier.de zu lesen.
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Buchvorschau
Isabelle - Marie Cordonnier
Pate.«
1. Kapitel
März 1480
Die bewundernd eindeutigen Blicke der Soldaten jagten eine flüchtige Röte in Isabelles Wangen. Sie versuchte, sich weder ihre Furcht noch ihre Empörung anmerken zu lassen. Nur die weißen Fingerknöchel, die bewiesen, dass sie den Henkel des kräutergefüllten Weidenkorbes mit aller Kraft umklammerten, hätten einem geübten Beobachter verraten, wie es um sie stand.
Den Männern von Königin Jeanne fehlte dieser Scharf blick. Sie führten einen Befehl aus, mehr nicht. Was sie aber nicht daran hinderte, die junge Zigeunerin mit den wallenden schwarzen Haaren und der goldenen Haut anzustarren, als stände sie ohne jedes Kleidungsstück vor ihnen. Nicht einmal das unförmige, sackartige Gewand, das ein schmaler Gürtel um die Hüften hielt, konnte verbergen, dass darunter eine biegsame, schlanke Gestalt steckte. Ein wohlgerundeter Busen wölbte das Oberteil, und die nicht sehr sauberen Füße waren zierlich und klein.
Der Befehl der Königin war es auch, der das wütende Gezeter der Kräuter-Mariette augenblicklich zum Verstummen gebracht hatte. König René war schwer krank, und die Ratlosigkeit seiner Ärzte führte dazu, dass Jeanne de Laval jeden Heilkundigen des Landes an sein Bett befahl. Woher sie Kunde von Mariette hatte, konnte Isabelle nur vermuten.
Der Anführer des Trupps, ein mürrischer, älterer Hauptmann, hatte nur eines im Sinn, die einsame Hütte in den Bergen schnellstens wieder zu verlassen. Es war keine Zeit für überflüssiges Getändel mit einem Mädchen, und sei es noch so hübsch. Barsch wandte er sich an Mariette.
»Macht voran, Frau. Bei Einbruch der Dunkelheit müssen wir in Tarascon sein.«
Mariette hob die Schultern und brummte etwas Unverständliches. Erstaunt stellte Isabelle fest, dass auch in ihrem Gesicht die Angst stand. War es nicht eine Ehre, dem König helfen zu dürfen? Warum wirkte die Mutter so zornig und erbittert, wie sie jetzt die graugesträhnten, dunklen Haare mit einer einfachen Leinenhaube bedeckte und ihrem Bündel mehrere geheimnisvolle Säckchen und Tonschalen beifügte.
»Mach deine Arbeit, wie ich es dich gelehrt habe,wenn ich fort bin«, wies sie Isabelle heiser an. »Bleib in den Bergen, und verlasse nie die Sicherheit dieser Hütte. Verstanden? Wann werde ich zurück sein?«
Die letzte Frage galt dem Hauptmann. Sichtlich widerwillig gab er Antwort.
»Weiß ich’s? Wenn du unserem guten König helfen kannst, bald. Wenn nicht, dann bitte den Schöpfer, dass dich der Zorn der Königin verschont. Sie ist verzweifelt, weil niemand ein Mittel findet, das die Schmerzen ihres Gemahls lindert. Nur diese Verzweiflung erklärt, dass sie Gesindel wie Zigeuner und Hexen um Rat bittet.«
Die hörbare Verachtung in seiner Stimme war mehr, als Isabelle ertragen konnte.
»Meine Mutter ist keine Hexe! Die Kräuter der Natur sind ein Geschenk des Himmels, und jeder kann sich ihrer bedienen!«
Der bullige Bewaffnete schenkte ihr nicht mehr Aufmerksamkeit als den goldgefleckten Eidechsen, die sich neben ihm auf dem Brunnenrand sonnten.
»Sagt mir, wohin Ihr meine Mutter bringt und wann sie wieder nach Hause kommt!«
Erregt setzte sie den Korb ab und packte den Mann am weiten Ärmel seiner Uniform. Er befreite sich fast nachlässig mit einem brutalen Schlag auf ihre Finger. Isabelle unterdrückte einen Schmerzensschrei, aber ihre tränenfeuchten grünen Augen veranlassten ihn endlich doch zu einem freundlicheren Bescheid.
»Nun kratz nicht gleich, kleine Katze. Die Herzogin-Königin Jeanne hat eben gehört, dass deine Mutter eine heilkundige Frau sein soll. Kann sie die Krankheit des Königs heilen, wird sie reich belohnt zu dir zurückkehren. Möglich, dass sie meine Männer sogar begleiten und hoffen, dass du dem einen oder anderen von ihnen freundlich gesinnt bist.«
Das dröhnende Gelächter, mit dem die anderen diesen billigen Scherz aufnahmen, begleitete die heftige Umarmung der beiden Frauen.
»Habe Geduld und warte auf mich«, flüsterte Mariette dem Mädchen zu. »Du hörst, wie gefährlich es ist, wenn Kerle wie diese unterwegs sind. Verbirg dich, wenn sich Fremde nähern.«
Isabelle nickte ergeben.
»Ja, Mutter. Lebe wohl, Mutter …«
Allein zurückbleibend sah sie der grotesk schwankenden Gestalt ihrer Mutter nach, die einfach hinter einem der Bewaffneten aufs Pferd gesetzt worden war. Sie konnte nicht reiten, und so kämpfte sie vergeblich um Halt und wurde von den Stößen des galoppierenden Tieres auf und ab gehoben. Um nicht zu fallen, musste sie sich an die kräftige Gestalt des Soldaten vor ihr im Sattel klammern, ein erneuter Anlass für schmutzige Witze.
Die plötzliche Stille, nachdem der Trupp endlich außer Sichtweite war, hatte etwas ungewohnt Bedrückendes. Einen Atemzug lang schien sogar das ewig zirpende Konzert der Zikaden verstummt. Das Haus, eine geduckte Steinhütte im Schatten von drei mächtigen, alten Eichen, wirkte vor der Kette der schroff aufragenden Felsen der Alpilles abweisend und fremd. Es war das einzige Heim, das Isabelle kannte, und sie hasste die vier Mauern unter dem kühlen Ziegeldach mit aller Leidenschaft, deren sie fähig war. Nie würde sie begreifen, warum sich ihre Mutter so hartnäckig an diesen schäbigen Unterschlupf klammerte.
Das monotone Einerlei der Jahreszeiten in den Bergen, der ewig gleiche Alltag und die wortkarge Mutter bedeuteten eine täglich wiederkehrende Prüfung für Isabelles stürmisches Temperament. Indes, Mariette ließ nicht zu, dass sie in einem der Dörfer rund um Les Baux Abwechslung und Freunde suchte. »Mit diesem Volk hast du nichts gemein«, pflegte sie zu sagen
und Isabelle auf die jährliche Wallfahrt zur schwarzen Sarah
nach Saintes-Maries zu vertrösten. Dabei waren die Bittgesänge
und Gebete nicht gerade die richtige Nahrung für Isabelles rastlosen Geist.
Immerhin, das vergangene Jahr war vom altgewohnten Muster abgewichen. Mariettes gerechte Empörung über den erstaunlichen Verlust ihres Mantels hatte mehr als nur Gesprächsstoff
geliefert. In zornigen Worten zankte die Mutter während des
gesamten Heimweges, und Isabelle wagte nicht einmal, Näheres
über den Inhalt jener geheimnisvollen Prophezeiung zu verraten. Der abenteuerliche Blick in die Zukunft blieb ihr Geheimnis,
der Traum, den sie fast gegen ihren Willen träumte, wenn die
Winterwinde kühl durch die Steinritzen des Hauses zogen und
sie sich fröstelnd nach ihrem Mantel sehnte.
Immer wieder schwirrten die Worte der alten Zigeunerin wie
Schwalben durch ihren Kopf, während sie die wilden Ziegen
molk, das Brot buk oder die Kräuter sammelte, die ihre Mutter
für die Aufgüsse und Salben benötigte, die die Bewohner der umliegenden Dörfer bei der Kräuter-Mariette gegen ein paar Münzen oder einige Nahrungsmittel eintauschten.
Sie hatte genügend Zeit für ihre Gedanken, denn jedes Mal,
sobald einer der Besucher auftauchte, wurde sie mit einem Auftrag in die Berge geschickt. Das galt besonders für die Visiten jener verzweifelten jungen Frauen, die stets einen ganz besonderen
Kräutertrunk forderten.
Isabelle lächelte über die Vorsicht. Sie wusste längst, dass manches Goldstück in Mariettes verstecktem Beutel von einer leichtsinnigen Bäuerin stammte, deren Abenteuer dank dieser Hilfe
ohne Folgen geblieben waren. Konnte es wahr sein, dass der Ruf
dieser Mixtur sogar bis zu den Hofdamen in Tarascon gedrungen
war? Es wäre eine Erklärung für Mariettes Furcht, denn es war bekannt, dass Königin Jeanne Hilfen dieser Art auf das Schärfste verdammte.
In den nächsten Tagen genoss Isabelle zum ersten Male die Einsamkeit. Sie erledigte ihre üblichen Pflichten rein mechanisch und verträumte die Stunden reglos im Schatten der mächtigen Eichen. Es war schön, einmal nicht ständig ermahnt, gescholten und angetrieben zu werden. Sie wusste nicht, wie andere Mütter zu ihren Töchtern standen, aber dass die ihre sie nicht liebte, hatte sie bereits in sehr jungen Jahren begriffen.
Konnte diese Abneigung etwas mit der Person ihres Vaters zu tun haben, über den Mariette hartnäckig schwieg? Alle Fragen Isabelles hatte sie mit unwirschen Worten abgetan.
»Du weißt, was du wissen musst, und alles andere geht dich nichts an!«
Mariettes ständige Antwort auf jedes Problem, das Isabelle beschäftigte. Sie hatte gelernt, in ihrer Mutter eine Frau zu respektieren, die ausschließlich Wert auf Äußerlichkeiten legte. Sie bestand unter anderem darauf, dass Isabelle ihre Haut einmal in der Woche in übel riechenden Kräuterbädern pflegte, und sie massierte selbst die klebrigen Pasten in die dunklen Haare, die Glanz und Kraft bringen sollten.
Es lag eine gehörige Portion Trotz in der Art, wie Isabelle jetzt diese gewohnte Pflege absichtlich vernachlässigte. Was zählte schon die Pracht der Haare und die Makellosigkeit der Haut, wenn beides ewig unter hässlichen Hauben und unförmigen Kleidern versteckt werden musste? Da war es vernünftiger, sich ins struppige Gras zu legen, die Sonne auf den nackten Armen zu fühlen und mit dem Duft des Rosmarins und des Lavendels in die Welt der Träume hinüberzugleiten.
Sie war allein auf der Welt. Eine eigenständige Persönlichkeit, nicht das lästige Anhängsel einer ständig besorgten, unwirschen Mutter. Es war nur noch ein kleiner Schritt bis zum tatsächlichen Auf begehren gegen Mariettes Befehle.
»Warum soll ich hierbleiben, wenn sie die Abenteuer des Hofes in Tarascon genießt?«, fragte sie sich selbst. »Es ist ungerecht.
Ich werde niemals auch nur den Hauch eines Abenteuers erleben, wenn ich nur mit Eidechsen und Ziegen spreche. Ganz zu
schweigen von der Liebe …«
Isabelle hatte nur vage Vorstellungen von diesem Gefühl. Es
musste etwas mit Zärtlichkeit, mit vollkommener Harmonie
und schwerelosem Wohlbefinden zu tun haben. Würde es ihr je
vergönnt sein, diesen Zustand kennen zu lernen?
Ausgeruht und frisch erwachte sie am nächsten Morgen, noch
ehe die Sonne die verwitterten Ziegel des alten Hüttendaches berührte. Mit dem eisig kalten Wasser aus dem tiefen Ziehbrunnen
neben der Türe erfrischte sie Gesicht und Hände. Den letzten
Rest, der noch im Ledereimer war, goss sie über die glimmenden
Glutstücke im Kamin. In aufzischendem Qualm erlosch das
Herdfeuer, und der Gestank kalter Asche reizte ihre Lungen. Sie nahm nicht viel mit. Die wenigen Kleidungsstücke, die sie
ihr Eigen nannte, ergaben nur ein handliches Bündel, dem sie
jetzt ihre klobigen Holzschuhe, einen Rest Brot und die letzte
Kugel Ziegenkäse beifügte. Ohne Bedauern sah sie sich um.
Woher wusste sie nur, dass sie all dieses zum letzten Male erblickte?
Der rohe Holztisch, auf dem die Mutter ihre Kräuter sortierte,
auf dem sie gegessen und gearbeitet hatte, stand, blank gescheuert und grob, beherrschend im Raum. Leise raschelnd bewegten
sich die getrockneten Kräuterbündel unter dem Dachfirst in der
ersten Morgenbrise. Die tönernen Töpfe und Schalen hinterließ
sie sauber auf den Kaminsims geschichtet. Eine Bank, ein Hocker, eine schmucklose Truhe mit den Habseligkeiten Mariettes,
mehr bot das gemeinsame Heim nicht.
Isabelle bekreuzigte sich vor dem Holzkreuz im Winkel, dann
warf sie die Tür hinter sich zu und legte den Balken vor. Ohne
sich ein einziges Mal umzusehen, lief sie den grasigen Hang hinunter. Erst nach geraumer Zeit mäßigte sie das Tempo und hüpfte
vergnügt, mit nackten Sohlen, von einem Stein zum anderen. Es war ein ganz privater Tanz, mit dem sie dem kaum sichtbaren Pfad der wilden Bergziegen hinunter ins Tal folgte.
»Frei! Ich bin frei! Endlich frei!«, jubelte sie im Überschwang ihrer Gefühle und genoss die wärmer werdenden Strahlen der Sonne, die soeben die Spitzen der Berge erreichten. Nie, solange sie denken konnte, hatte sie sich so unbeschwert und glücklich gefühlt. Was würde sie in Tarascon am Ufer der mächtigen Rhône erwarten? Das Schicksal? Die Liebe? Einerlei, wenn ihr Leben nur endlich wert wurde, gelebt zu werden!
»Willkommen in der Stadt Tarascon unseres guten Königs René, Mädchen. Möge Gott unserem gnädigen Herrn seine Gesundheit erhalten und ihm ein langes Leben gewähren.«
Isabelle warf dem gebückten Fuhrknecht, der diese Worte fast andächtig herunterbetete, unter gesenkten Wimpern einen verblüfften Blick zu. Bisher hatte er, in Schweigen gehüllt, seine Ochsen mit dem schweren Holzfuhrwerk über den Staub der Landstraße gelenkt. Auch das Brummen, mit dem er die einsame Wanderin aufforderte mitzukommen, war zwar freundlich, aber kaum verständlich gewesen. Doch nun hatte er, kaum dass sie die dunkle Schlucht des bewachten Stadttores passiert hatten, offensichtlich im hellen Licht der Gassen auch seine Sprache wieder gefunden.
Steif und mit schmerzenden Knochen stieg Isabelle vom Fuhrwagen, der sie Stunde um Stunde durchgerüttelt hatte, sodass sie nun, im Glanz der Mittagssonne, meinte, in viele einzelne Teile auseinanderzufallen. Es widerstrebte ihr ein bisschen, in das verwirrende Gewimmel der Menschen und Tiere einzutauchen, das sie umgab. Der Mann schien ihre Ratlosigkeit zu erahnen und lächelte gutmütig von der Höhe seines Holzgefährtes herab.
»Sei froh, dass heute kein Markttag ist«, tröstete er sie. »Du bist das erste Mal in der Stadt, stimmt’s?«
Sie nickte und bekämpfte den übermächtigen Wunsch, auf der Stelle wieder umzukehren. Da sie dem Manne erklärt hatte, auf dem Wege zu ihrer Mutter zu sein, die in Diensten des königlichen Hofes stand, wies er ihr jetzt ungefragt die Richtung.
»Geh zum Fluss, Kleine, dort findest du, gegenüber unserer Kirche zur heiligen Martha, die Burg des Königs. Und nun gehab dich wohl, die Mönche vom Kloster warten auf mein Brennholz, und ich muss mich sputen.«
Isabelle schenkte ihm ein dankbares Lächeln, dann musterte sie ihre Umgebung, das kleine Bündel fest an ihre Brust gepresst. Unter ihren Füßen spürte sie die warmen Pflastersteine, über die sich knirschend die eisenbeschlagenen Räder der Wagen drehten. Sänftenträger und Reiter drängten sich rücksichtslos durch die Menge, und sie wich an eine Mauer zurück, um nicht umgestoßen zu werden.
Jedermann schien geschäftig einem unbekannten Ziel zuzueilen. Eine dunstige Wolke aus Staub und Lärm raubte Isabelle Atem und Mut. Worauf hatte sie sich nur eingelassen? Nie war es möglich, in diesem Gewühl einen einzigen Menschen aufzuspüren. Und dann erst die Häuser. Isabelles Augen glitten über die kunstvoll verzierten Simse, Fassaden und Fensterstöcke, eine derartige Pracht hatte sie noch nie erblickt.
Sie wusste nicht, wie lange sie dagestanden hatte, aber der Anblick der sauber gekleideten Bürgerinnen von Tarascon in ihren gestärkten, schneeweißen Hauben brachte sie wieder zur Besinnung. Mit wohlgefüllten Körben voller Gemüse oder Brot, mit geheimnisvollen Paketen oder einfach mit hübsch gebundenen Gebetsbüchern in der Hand, fanden sie sogar in diesem Höllentanz unbeschwert Zeit für ein gemächliches Schwätzchen.
Isabelle bewunderte die präzise gefältelten Mieder, die bänderverzierten Röcke, über denen die meisten von ihnen einen leichten ärmellosen Mantel trugen. Selbst die einfachsten Dienerinnen hatten Schuhe und balancierten gelassen haarscharf an Hindernissen und Schmutzrinnen vorbei. Nicht einmal die geringste unter ihnen beachtete das staubige, faszinierte Mädchen.
Vorsichtig wagte sich Isabelle aus dem schützenden Bereich des Stadttores in die Menge. Fast jedes der Bürgerhäuser prunkte mit bleiverglasten Fensterscheiben und prächtigen Vorhängen. Hier und da erhaschte sie durch einen offen stehenden Laden den Schimmer polierter, geschnitzter Möbel, sah glänzendes Zinngeschirr und samtige Portieren. Wie herrlich musste es sein, von so schönen Dingen umgeben zu wohnen.
Erst mit zunehmender Mittagshitze merkte sie, dass in diesen Mauern nicht der Hauch jenes frischen Lüftchens wehte, das auf der Landstraße die Wärme des Tages erträglich gemacht hatte. Schweiß rann ihr in unangenehmen Rinnsalen den Rücken hinunter, und der einzige gute Rock, den sie besaß, aus schwerer brauner Wolle, hing in erstickenden Falten um ihre bloßen Beine. Sie hätte alles für einen Schluck klaren Wassers gegeben. Als sie endlich den großen Platz vor der mächtigen, zinnenbewehrten Burg am Rhôneufer erreicht hatte, war sie so erschöpft und verstört, dass sie nahe daran war, über ihre eigene Torheit in Tränen auszubrechen.
Zwischen der Residenz König Renés und der Kirche der heiligen Martha war ganz Tarascon auf den Beinen. Händler, Bettler, Bauern, Bewaffnete, Mönche, Frauen und Kinder wimmelten zwischen den Häusern. Zwar war das Burgtor weit und einladend geöffnet, doch die Wachen zu beiden Seiten der eisenbeschlagenen Torflügel bewiesen, dass ungebetene Gäste nicht erwünscht waren.
Mehr und mehr wurde sich Isabelle eines unangenehm ziehenden Schmerzes in der Magengegend bewusst. Sie hatte entsetzlichen Hunger. Der Käse und das Brot in ihrem Bündel hatten nicht weit gereicht, und die wenigen staubigen Beeren, die sie am Wegrand gefunden hatte, gaben nicht viel vor. Ein Straßenhändler, der mit schrillen Rufen fetttriefendes, knusprig braunes Gebäck anbot, zog sie wie magisch an. Sie wollte gerade die Hand ausstrecken, als sie die schmutzigen Finger eines kleinen Buben sah, die dem Mann eine Münze hinstreckten. Geld! Du lieber Himmel, sie besaß nicht die kleinste Münze! Wie hatte sie nur so dumm sein können, Mariettes Geldversteck zu vergessen? Hatte sie nicht ebenfalls gearbeitet, um dieses winzige Vermögen zu ersparen?
Sie war so mit sich und ihrem nagenden Hunger beschäftigt, dass sie nicht einmal bemerkte, wie die Menschen rund um sie her zurückwichen. Ein prachtvoller, großer Reitertrupp bahnte sich seinen Weg rücksichtslos über den Platz. Eine fremde Faust stieß Isabelle grob zur Seite, sonst wäre sie unter die Hufe der Pferde geraten. Sie taumelte, versuchte sich wieder aufzurichten und fand sich in einem festen Tross aus Dienern, Bewaffneten, Jägern, Karren und Hunden eingekeilt. Eine Jagdgesellschaft kehrte vom vormittäglichen Vergnügen ermüdet in die Burg zurück. Unter den grünen Zweigen, die die Wagen bedeckten, sah Isabelle die Felle der erlegten Tiere blitzen.
Niemand nahm Notiz von ihr, und so lief sie, wie vom Sog eines kräftigen Flusses gezogen, einfach inmitten der lachenden und fröhlichen Gemeinschaft in den Burghof. Die Wächter traten zur Seite, erwiderten gutmütig die Scherze der Heimkommenden und übersahen das zierliche Mädchen mit den wirren Locken.
Im inneren Burghof kam eine geheimnisvolle Ordnung in den Trubel. Isabelle drückte sich geistesgegenwärtig zur Seite. Sie dankte ihrem Glück für die klobige Steinsäule, hinter der sie sich verbergen konnte, ohne einem der zahllosen Diener und Knechte aufzufallen. Von allen Seiten liefen jetzt Livrierte herbei, um die nervösen, tänzelnden Pferde der Edelleute am Zügel zu nehmen, die in der plötzlichen Enge scheuten und hochstiegen.
Der Lärm übertraf alles, was Isabelle jemals gehört hatte. Das Wiehern der Reittiere, das Bellen der Jagdhunde, Hörnerklang, Stimmengewirr und Gelächter untermalten das farbenprächtige Bild vor ihren Augen. Natürlich erregten die Edeldamen ihre besondere Neugier. Gelassen und beherrscht thronten sie in ihren kostbaren Sätteln und warteten, bis man ihnen herabhalf. Die zartfarbigen Gewänder, die Spitzen, die Stickereien und Juwelen ließen die saubere Einfachheit der Bürgerinnen, die Isabelle noch eben so bewundert hatte, plötzlich schlicht und bedeutungslos erscheinen.
Eine der jungen Frauen erschien ihr wie das Sinnbild dieser Herrlichkeit. Sie konnte nicht viel älter als sie selbst sein. Ihr verschwenderisches Übergewand aus hellgrün-mattem Samt war unter dem Busen mit einem edelsteinbesetzten Gürtel gerafft. An Säumen und Ausschnitten bauschte sich silberfarbiger Pelzbesatz, und in raffinierten Schlitzen war ein hauchzartes, silber besticktes Unterkleid zu sehen. Das helle Haar verschwand fast unter einem perlengeschmückten, hörnerartigen Kopfputz, von dessen Spitzen ein duftiger Schleier über das ganze Mädchen wehte. Das edel geschnittene Gesicht, fein und blass, mit herausfordernd roten Lippen, kam Isabelle seltsamerweise vertraut vor.
»Sei nicht albern«, rief sie sich selbst zur Ordnung und bestaunte doch die Selbstsicherheit, mit der diese junge Frau die Zügel ihrer mattweißen Stute hielt, ohne dass der Jagdfalke auf ihrer Linken auch nur bebte. Wieso glaubte sie zu wissen, dass hinter dem märchenhaften Bild unbeugsamer Stolz und eiskalte Härte verborgen waren? Was konnte sie, ein Zigeunermädchen, schon mit dieser Dame zu schaffen haben? Nichts. Vermutlich war es nur der Hunger, der ihren Verstand verwirrte und sie zu abenteuerlichen Träumen und Hirngespinsten verleitete.
Endlich legte sich die Aufregung, die Pferde verschwanden in den Ställen, die Jagdbeute wurde zur Küche gefahren, und die Damen und Herren verschwanden durch das Portal des Hauptgebäudes. Erschreckt kam Isabelle ihre Lage zu Bewusstsein. Bei Gott, was tat sie hier? Jeden Moment würde sie die Aufmerksamkeit der Wachen erregen. Gehetzt sah sie um sich, nicht genau wissend, was sie suchte. Ein Versteck? Eine Fluchtmöglichkeit? Schon halb in der Bewegung wurde sie von einer kräftigen Hand zurückgerissen.
»Nicht so flink, kleiner Schmutzfink! Was suchst du hier?«
Starr vor Schreck starrte Isabelle in das bartlose Gesicht eines jungen Mannes, der in einer bestrickenden Mischung aus Spott und Charme auf sie herablächelte. Nach den leuchtenden Farben der höfischen Kostüme, die sie eben geblendet hatten, fand sie sein dunkles, stumpfes Wams enttäuschend nichts sagend. Aber das schöne Gesicht mit den tiefschwarzen Augen fand ein Echo in ihrem Herzen, das sie angestrengt nach Luft ringen ließ.
Mühsam zwang sie sich, seinen Blick zu meiden. Erst jetzt erkannte sie, dass im matten Dunkel seiner Kleidung bei jeder Bewegung goldviolette Lichter auf blitzten und dass die kurze Tunika seinen muskulösen Oberkörper und die langen schlanken Beine in den beängstigend engen Beinkleidern erst richtig zur Wirkung brachte. Verlegen sah sie wieder nach oben.
Aus der einfachen, gefältelten Halskrause hob sich der Kopf mit den gelockten, blauschwarzen Haaren wie aus einem Rahmen, der die Schönheit des Bildes noch unterstrich. Noch nie, nicht in ihren kühnsten Träumen, hatte sie einen derart gut aussehenden Mann gesehen. Das schmale, goldgetönte Antlitz, beherrscht von einer geraden Römernase, die feinen, vollen Lippen – konnte das Wirklichkeit sein? Ihre Knie zitterten, und eine ungewohnte Schwäche, die diesmal nichts mit dem Hunger zu tun hatte, ließ sie erbeben.
»Nun, verfügst du auch über eine Stimme? Ich möchte wetten, dass du unter dieser Dreckschicht ganz bezaubernd aussiehst. Aber nachdem unsere Königin Jeanne Schmutz und Schlampigkeit hasst, kannst du wohl kaum in ihren Diensten stehen, mein staubiges Kind?!«
Eine warme, dunkle Stimme, deren Spott deutlich war. Isabelle biss die Zähne zusammen, dass es knirschte. Die Überheblichkeit, mit der er sie in die Reihen der zweifelhaften Jungfern warf, tat weh, wie der unverhoffte Stich mit einem Messer. In ihrer wütenden Antwort lag herrisch aufflammender Stolz. Ein Jähzorn, der in dieser Situation nicht angemessen war.
»Ich möchte nicht wissen, wie Euer feiner Rock aussieht, wenn Ihr über die Landstraßen zieht, Seigneur.« Er lachte amüsiert auf.
»Das Kätzchen verfügt