Das Haus Zamis 10 - Der Dämonenbastard
Von Ernst Vlcek, Uwe Voehl und Dario Vandis
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Über dieses E-Book
Der 10. Band von "Das Haus Zamis".
"Okkultismus, Historie und B-Movie-Charme - ›Dorian Hunter‹ und sein Spin-Off ›Das Haus Zamis‹ vermischen all das so schamlos ambitioniert wie kein anderer Vertreter deutschsprachiger pulp fiction." Kai Meyer
enthält die Romane:
29: "Schwarze Hochzeit"
30: "Die Saat des Dämons"
31: "Der Dämonenbastard"
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Rezensionen für Das Haus Zamis 10 - Der Dämonenbastard
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Buchvorschau
Das Haus Zamis 10 - Der Dämonenbastard - Ernst Vlcek
Der Dämonenbastard
Band 10
Der Dämonenbastard
von Ernst Vlcek, Uwe Voehl und Dario Vandis
© Zaubermond Verlag 2012
© Das Haus Zamis – Dämonenkiller
by Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt
Titelbild: Mark Freier
eBook-Erstellung: story2go
http://www.zaubermond.de
Alle Rechte vorbehalten
Was bisher geschah:
Die junge Hexe Coco Zamis ist das weiße Schaf ihrer Familie. Die grausamen Rituale der Dämonen verabscheuend, versucht sie den Menschen, die in die Fänge der Schwarzen Familie geraten, zu helfen. Auf einem Sabbat soll Coco endlich zur echten Hexe geweiht werden. Asmodi, das Oberhaupt der Schwarzen Familie der Dämonen, hält um Cocos Hand an. Doch sie lehnt ab. Asmodi kocht vor Wut, und das Verhältnis zwischen ihm und der Zamis-Sippe ist fortan von Hass geprägt.
Coco allerdings interessieren die Intrigen ihrer Familie wenig. Sie würde sich aus den Angelegenheiten der Schwarzen Familie am liebsten vollständig heraushalten. Und der Lauf der Ereignisse gibt ihr Recht. Als ihr Vater Michael Zamis den Aufstand gegen Asmodi probt, gerät die Zamis-Sippe prompt in große Schwierigkeiten, aus denen nur Coco sie wieder befreien kann. Trotzdem willigt ihr Vater Michael Zamis ein, Coco auf unbestimmte Zeit zu verbannen – ein Bauernopfer, um den Ruf der Sippe nach dem gescheiterten Putsch zu retten ...
Voller Verbitterung tritt Coco ihre Reise nach Südamerika an – und stößt prompt auf Hinweise, dass auch Skarabäus Toth, der scheinbar ehrenwerte Schiedsrichter der Schwarzen Familie, gegen Asmodi intrigiert. Sein Versuch, eine Armee der Toten gegen das Oberhaupt zu entsenden, scheitert jedoch, weil Coco das Komplott im letzten Moment aufdeckt. Um die Zusammenhänge zu verschleiern, vernichtet Toth seine Armee. Diese Niederlage wird er Coco nicht vergessen ...
Derweil taucht ein anonymer Dämon in Wien auf und meldet Anspruch auf den Besitz und die Herrschaftsrechte der Zamis-Sippe an. Um den Herausforderer zu besiegen, benötigt Michael Zamis die Hilfe des dämonischen Grafen Guy de Guedelon – und es gibt nur einen einzigen Weg, sich diese zu erkaufen ...
Erstes Buch: Schwarze Hochzeit
Schwarze Hochzeit
von Ernst Vlcek
1. Kapitel
Ihm war kalt.
Er fror ganz erbärmlich.
Die Kälte war tief in ihm. Sie wurde in seinem Innersten geboren und breitete sich über den ganzen Körper aus. Bis in die Fingerspitzen und die Zehen. Und sie ließ ihn erstarren.
Es hatte ihn in die Fremde verschlagen, und das allein bescherte ihm Frustration und Gefühlsleere. Es war ihm in diesem fremden Gemäuer unbehaglich, obwohl er, den Umständen entsprechend, nicht so übel untergebracht war. Die Burg, in der er Quartier bezogen hatte, stammte aus dem 12. Jahrhundert, und die Grundmauern aus dieser Zeit waren noch erhalten. Ihre Ausstrahlung bereitete ihm gelegentlich Wohlbehagen. Er liebte es, die geschichtsträchtige Atmosphäre einzuatmen, in sich einzusaugen und sich davon durchströmen zu lassen.
Doch reichte das nicht aus, die Kälte, die ihn schleichend heimsuchte, zu bewältigen. Dieser Frost hatte seinen Ursprung nicht in der fremden Umgebung. Er selbst trug den Quell in sich. Er war alt und spürte seine Energien schwinden. Er konnte das Ende nicht abwenden, nur hinauszögern, indem er sich an Menschen wärmte.
Sie kamen zu ihm, ohne dass er sie zu rufen brauchte. Das war bequem und schonte seine Kräfte. Denn er hatte die Burg nicht für sich allein. Ihm war am Tage nur ein kleiner Bereich vorbehalten, der Rest stand der Öffentlichkeit zur Verfügung. Es fanden jeden Tag mehrere Führungen durch die Burg statt, und das war gut so. Er holte sich von den Touristen Kraft, ohne dass sie es merkten. Dabei war er überaus genügsam, denn er wollte nicht, dass irgendjemand Verdacht schöpfte und ihm auf die Schliche kam. Er war auf Sicherheit bedacht. Er holte sich von den ahnungslosen Leutchen gerade so viel Vitalenergie, damit der Frost aus ihm wich und ihm wieder wohler war.
Die Labung in kleinen Portionen hatte den Nachteil, dass er öfter auftanken musste. Aber die Touristen kamen in Strömen, und so konnte er immer wieder unbemerkt Lebenskraft aus ihnen saugen, sodass sie, wenn überhaupt, bloß unter vorübergehender Übelkeit und Schwindelanfällen litten. Das war jedoch nichts, was sie ins Grübeln brachte.
Der Burg gegenüber lag ein verfallendes Schloss. Dort fanden Penner, Obdachlose und jedwedes Gesindel Unterschlupf. Gelegentlich fand er sich dort des Nachts ein, um sich an diesen zwielichtigen Figuren zu stärken und seine alten Knochen aufzuwärmen. Einmal wäre ihm das beinahe zum Verhängnis geworden. Denn als er sich zu ungestüm auf eine der verlotterten Gestalten stürzte, die im tiefen Schlaf versunken schien, da überfielen ihn mit Urgewalt schreckliche Eindrücke – der Wahnsinn hatte nach ihm gegriffen und zerrüttete seinen Geist.
Bei seinem auserkorenen Opfer hatte es sich um einen Freak gehandelt, um einen Ausgestoßenen, ein früheres Mitglied des Dämonenkreises, das jetzt mit Irrsinn gebrandmarkt war. Eine solche Ausstrahlung bereitete jedem Dämon Übelkeit, ja, man konnte sich mit diesem Wahnsinn sogar infizieren. Und er, mit der Schwäche des Alters geschlagen, war besonders gefährdet.
Er hätte sich aus eigener Kraft nicht retten können und wäre vermutlich elendig zu Grunde gegangen. Zum Glück hatte sein bester Freund seine geistigen Hilferufe gehört und war in diesem Moment der höchsten Not rasch zur Stelle gewesen – schnell genug, um ihn aus dieser verhängnisvollen Lage zu befreien und vor bleibenden Schäden zu bewahren.
Seitdem war er auf der Hut, wenn er das verfallende Schloss besuchte, und ging den Freaks sorgsam aus dem Wege. Sein Freund hatte sogar gemeint, dass er solche Ausflüge besser unterlassen und sich, wenn seine innere Kälte des Nachts übermächtig wurde, besser an ihm wärmen solle. Doch davon wollte der altersschwache Dämon nichts wissen. Er mochte ihre Jahrhunderte währende Freundschaft nicht überstrapazieren, und außerdem hatte er noch einen ausgeprägten Jagdinstinkt, den er nicht ganz verkümmern lassen wollte.
Das alles war natürlich kein Dauerzustand. Er würde Sorge tragen, dass alles zu einem guten und endgültigen Ende kam. Schon bald würde diese Übergangslösung in ein grandioses Finale münden, durch welches er Offenbarung und Erlösung erfahren würde.
Es war alles in die Wege geleitet.
Der Kontakt zu einer einflussreichen Sippe von heimischen Dämonen war hergestellt. Es galt nur noch die Modalitäten auszuhandeln, und er zweifelte nicht daran, dass man rasch Einigkeit erzielen würde. Sein Freund, der Marquis, war ein begnadeter Diplomat und geschickter Unterhändler. Amarquos würde alles zu seinem Besten erledigen. Auf ihn konnte er sich blind verlassen.
Er war voller Ungeduld, konnte es kaum erwarten, dass es endlich so weit war.
Er brauchte unbedingt einen Ableger!
Das war es, was ihn die ganze Zeit beschäftigte. Dieser unabdingbaren Pflicht musste er nachkommen, damit die Erbfolge gesichert war.
Bis es jedoch soweit war, musste er sich mehr schlecht als recht über Wasser halten.
Er spürte während dieser Gedanken, wie ihn wieder die schleichende Kälte des Todes heimsuchte. Der Abend dämmerte bereits, und darum gab es keine Führungen mehr. Er irrte durch die Burg, von innerer Kälte und Schmerz gepeinigt, auf der verzweifelten Suche nach einer warmen Quelle des Lebens. Aber überall fand er nur Leere vor.
Da sah er vom Fenster des Rittersaales am Burgtor eine Gestalt. So schnell er konnte, eilte er über Treppen und durch verwinkelte Gänge, bis er ins Freie gelangte. Die Gestalt wollte gerade hinter sich das Burgtor zuziehen, doch er kam noch rechtzeitig, um seinen Fuß in den Türspalt zu stellen.
Bei der Gestalt handelte es sich um die Verwalterin, die das Burgtor von außen abschließen und sich auf den Heimweg machen wollte.
Sie zuckte bei seinem Anblick zusammen und stotterte: »Herr Graf, haben Sie mich erschreckt.«
»Aber, aber«, sagte er schelmisch tadelnd und betonte dabei seinen französischen Akzent, weil er wusste, dass dies bei den einheimischen Frauen ankam. »Bin ich denn so zum Fürchten?«
»Das nicht, Herr Graf, ganz und gar nicht«, stammelte die Frau unsicher, und man merkte ihr an, dass sie sich wünschte, schleunigst von hier wegzukommen.
Aber so schnell wollte er sie nicht gehen lassen. Er nahm ihre Hand und beugte sich galant darüber, wie um ihr einen Handkuss zu geben.
Und während er seine Lippen auf ihren Handrücken presste, saugte er gierig ihre Wärme in sich auf.
Als sein Lustgefühl dem Höhepunkt zustrebte, löste er sich gewaltsam von ihr.
Er lächelte die Frau freundlich an und entließ sie mit einer graziösen Handbewegung. Er sah ihr nach, wie sie die Straße, die von der Burg wegführte, unsicheren Schrittes entlangwankte, geschwächt von diesem kurzen Aderlass. Als sie hinter der Biegung verschwand, kehrte er in die Burg zurück. Halbwegs gestärkt, aber unbefriedigt.
Nein, das war ganz und gar kein Dauerzustand.
Er musste schleunigst für einen Nachkommen sorgen!
2. Kapitel
»Wir haben ernsthaft miteinander zu reden«, hatte Vater gesagt. Seine gepresste, unheilschwangere Stimme machte mir klar, dass es diesmal nicht mit einer Strafpredigt getan sein würde.
Meine Lage war verdammt brenzlig.
Das Gefühl, in die Enge getrieben zu sein, bestätigte sich dadurch, dass mein Vater und mein ältester Bruder Georg mich in den Keller führten. Vater ging voran, Georg bildete den Abschluss. Als wollten sie mich in die Zange nehmen, mich an einer Flucht hindern. So war es natürlich nicht wirklich, denn solche Vorsichtsmaßnahmen hatten sie nicht nötig. Dadurch erzeugten sie zusätzlichen psychologischen Druck auf mich.
Ich konnte nicht einfach davonlaufen. Wohin hätte ich auch fliehen können? Ich hätte nicht die geringste Chance gehabt, überhaupt nur die Straße zu erreichen – es sei denn, ich hätte mich in den rascheren Zeitablauf fallen lassen. Aber diese Möglichkeit hatten sie sicherlich einkalkuliert und vorgesorgt. Wenn ich es versuchte, würde die Strafe nur umso schlimmer sein.
Ganz zu schweigen davon, dass ich nicht die Kraft zum Davonlaufen hatte. Meine Beine waren wie aus Gummi, und mir war ganz schlecht vor Angst. Ich wusste selbst nicht, was mit mir los war. Ich fühlte mich schlapp, als sei ich während der Nacht von einem schrecklichen Alp gequält worden, der mich zusätzlich in seinen Bann geschlagen und mir die Lebensenergie ausgesaugt hatte.
So fürchtete ich mich jetzt ganz erbärmlich vor dem, was da auf mich zukommen musste – obwohl ich inzwischen doch eigentlich eine selbstbewusste junge Hexe war und kein Problem damit hatte, mich hin und wieder den Anweisungen meines Vaters zu widersetzen.
Ein Blick über die Schulter in Georgs Gesicht bestätigte mir, dass auch er keinen Pardon kennen würde. Ausgerechnet Georg, von dem ich noch am ehesten Verständnis erwartet hätte. Aber es sah ganz so aus, als würde mein Bruderherz mein Vertrauen wieder einmal kolossal enttäuschen.
Wir erreichten den Meditationsraum im Keller, der ausschließlich wichtigen Beschwörungen vorbehalten war. Er war ganz in Schwarz gehalten: schwarze Kerzen, deren fahler Schein kaum Licht spendete, und schwarze, erdrückende Wände, die keine Helligkeit aufkommen ließen. Von hier aus knüpften die Zamis ihre Kontakte zu verbündeten Dämonen, um politische Entscheidungen zu treffen. Hier wurden Schicksale entschieden und Todesurteile gefällt. Und Verbannungen ausgesprochen.
War es das, was mich erwartete? Ein Ausschluss aus der Zamis-Sippe und der Schwarzen Familie generell? Das würde mich nicht besonders hart treffen, denn ich hatte mir schon immer gewünscht, keine Hexe zu sein und als normale Frau unter Menschen zu leben.
Doch mit Verbannungen aus der Schwarzen Familie gingen andere Strafen Hand in Hand. Körperliche und geistige Verstümmelungen zum Beispiel. Und davor hatte ich schreckliche Angst. Ich wollte nicht zum verkrüppelten, wahnsinnigen Freak werden.
Ich redete mir ein, dass ich vielleicht eine Chance hatte, mich aus dieser Misere herauszuwinden. Ich war entschlossen, jede Gelegenheit zu nützen, die sich mir dazu bot. Aber dann war da wieder diese seltsame Schwäche, die jeden Widerstand von vornherein erstickte.
Vielleicht würde Vater doch nicht so gnadenlos sein und zu härtesten Maßnahmen greifen. Ich hoffte es für mich.
Michael Zamis, mein Vater, setzte sich, mit dem Rücken zur Wand, an das eine Kopfende des mit schwarzem Samt überzogenen Tisches, in dessen Mitte die unverzichtbare Glaskugel stand. Georg nahm ihm gegenüber am anderen Ende Platz. Mir blieb nur der dritte Stuhl auf der der Wand zugewandten Längsseite. Ich fühlte mich in die Enge getrieben.
Es herrschte eine Weile lang grausames Schweigen, in der nur mein schwerer Atem zu hören war. Die Übelkeit wurde mit jeder Sekunde schlimmer. Was hatte ich zu erwarten?
»Du hättest eine härteste Bestrafung verdient, Coco«, sagte Vater schließlich mit gestrenger Stimme, aber ohne mich anzusehen.
Wofür? Was hatte ich getan?
War es etwa immer noch die Geschichte mit den Fluchtafeln, die er mir anhängen wollte?
Mein Vater starrte auf die Glaskugel in der Mitte des Tisches. Er fuhr fort: »Du hast in letzter Zeit den Namen unserer Familie immer wieder in Verruf gebracht. Ich will darauf verzichten, deine Verfehlungen im Einzelnen aufzuzählen, denn du weißt selbst, was du dir alles herausgenommen hast. Wir haben immer wieder Nachsicht mit dir walten lassen, weil du von unserem schwarzen Blut bist. Aber damit ist jetzt endgültig Schluss!«
Das hatte er schon oft gesagt, aber ich spürte, dass es ihm diesmal so ernst war wie nie zuvor.
Ich hatte den Blick gesenkt und zitterte vor banger Erwartung. Es war nicht gut für mich, Schwäche zu zeigen. Eine richtige Hexe sollte in jeder Lebenslage Standhaftigkeit beweisen. Auch im Angesicht des Todes. Aber ich konnte gegen den Schüttelfrost einfach nicht ankommen.
»Wir Zamis können es uns nicht mehr leisten, dass du unseren Ruf durch deine Eskapaden schädigst«, fuhr mein Vater mit unerbittlicher Strenge fort. »Darum haben wir einen Beschluss gefasst, der allen Beteiligten zugute kommen soll. Dir, weil diese Verfügung eine erzieherische Maßnahme für dich darstellt. Aber in erster Linie der Familie, der du so großen Schaden zugefügt hast.«
Und was war mit den guten Taten? Hatte ich nicht oft genug die Familie aus brenzligen Situationen gerettet, wenn die Machtgelüste meines Vaters uns wieder mal in große Schwierigkeiten gebracht hatten?
Ich wollte hinausschreien, dass ich mich ungerecht behandelt fühlte, aber kein Wort kam über meine Lippen.
Vater stützte sich mit den Ellenbogen auf den Tisch und verschränkte die Hände ineinander. Dabei sah er mich zum ersten Mal direkt an. Es war kein Zorn oder gar Hass in seinem Blick, aber er brannte sich mir gnadenlos in die Augen. So sah mein Vater immer drein, wenn er zu allem entschlossen war. Was immer er, in Beratung mit meinem Bruder Georg, gegen mich beschlossen hatte, er würde es ohne Rücksicht durchsetzen.
»Du sollst wissen, dass diese Maßnahme nicht primär als Strafe für dich gedacht ist«, fuhr er mit gleichbleibend eiskalter Stimme fort; es war nicht die Spur eines Gefühls darin. »Sieh es als Wiedergutmachung an der Familie. Die Zamis haben in letzter Zeit einiges an Reputation eingebüßt. Die anderen Wiener Familien werfen uns Führungsschwäche vor, und Asmodi ist geneigt, ihnen in dieser Sache zuzustimmen. Nicht zuletzt auch deswegen, weil wir ihn offen angegriffen haben … was leider fehlgeschlagen ist.«
Und diesen Angriff hattest du geplant!, wollte ich ihm entgegenrufen, doch wieder blieb ich stumm.
»Wir haben dem Herrn der Finsternis damit nur einen Grund geliefert, uns zu demütigen. Und dein anmaßendes Verhalten, Coco, hat Asmodi und unseren Feinden weitere Munition geliefert.«
Ich wünschte, Vater würde endlich zur Sache kommen. Ich fragte mich auch, warum er all das zur Sprache brachte, was mir ohnehin sattsam bekannt war – und warum er es noch dazu falsch darstellte. Doch nicht, um sich zu rechtfertigen! Mir erschien es eher so, dass er alle meine Verfehlungen nur aufzählte, um mich auf die Höhe der Bestrafung vorzubereiten.
»Wie auch immer«, sagte er, und es klang, als wolle er zu einem Abschluss kommen, »die Familie hat beschlossen, dich mit einem altehrwürdigen Dämon zu vermählen.«
Altehrwürdig!, dachte ich entsetzt. Das klang stark nach Tattergreis, und es weckte in mir unangenehme Erinnerungen an meine Kindheit.
In meinem Kopf hämmerte es: alt – alt – alt!
Georg schob Vater die Kristallkugel zu, und der umfasste sie mit beiden Händen am Standfuß. Dabei murmelte er unverständliche Beschwörungen.
Ich nahm alles nur unbewusst wahr, es war mir auch egal, was um mich herum ablief. Denn ich hatte keinen Einfluss darauf, konnte die zu erwartenden Schrecken nicht von mir abwenden.
Die Erinnerung übermannte mich. Ich war noch sehr jung gewesen, als Vater mich zu meinem Patenonkel Graf Cyrano von Behemoth geschickt hatte. Dieser sollte mich zu einer richtigen Hexe ausbilden. Aber alles, was ich unter seiner Obhut gelernt hatte, war, ihn zu hassen.
Cyrano von Behemoth war ein hässliches altes Ekel. Statt mich Hexenkünste zu lehren, hatte er mich seelisch gequält und mich für geringste Verfehlungen harter Bestrafung unterzogen. Doch das alles wäre noch zu ertragen gewesen, wenn er nicht auch noch zudringlich geworden wäre. Seine sexuellen Belästigungen waren schlimmer als alles andere gewesen.
Dieser hässliche Lustgreis hatte keinen Zweifel daran gelassen, wie »süß«, »knackig« und »begehrenswert« er mich, die ich noch ein unschuldiges Kind war, fand. Und zum Abschied, als ich dieser Hölle endlich entfliehen durfte, hatte er gemeint, dass er mich eines Tages schon noch kriegen würde.
»Dein Vater würde einer solchen Verbindung nicht im Wege stehen!« Diese seine Worte hallten mir jetzt durch den Kopf.
Und wen sonst als dieses unappetitliche Scheusal konnte mein Vater mit »altehrwürdiger Dämon« meinen! Aber ich würde mir eher das Leben nehmen, als mich diesem Ekel hinzugeben. Dazu war ich in diesem Moment entschlossen.
Die Stimme meines Vaters riss mich aus meinen düsteren Gedanken. Er hatte sie erhoben und rief einen Namen, den ich nicht verstand. Ich vernahm aber ganz deutlich das Wort Comte, also Graf. Doch es war nicht Graf Cyrano von Behemoth, den er anrief.
Ich schöpfte sofort wieder Hoffnung.
Die Glaskugel wurde milchig. Aus dem nebeligen Einerlei bildeten sich Konturen heraus. Und während Michael Zamis weitere Litaneien als Sprechgesang von sich gab, trat der Nebel aus der Glaskugel aus und verdichtete sich vor ihm zu einer annähernd menschlichen Gestalt.
Die Nebelgestalt wuchs rasch, verdichtete sich dabei immer mehr und bekam deutlichere Formen. Als das Gebilde ungefähr 1,60 Meter groß war, hörte der Wachstumsprozess auf. Nun wurden die Konturen rapide deutlicher.
Ein leicht gebeugter Mann mit wallender Perücke von aschgrauer Farbe nahm Gestalt an. Er trug ein Kostüm, das aus dem 18. Jahrhundert stammen mochte. Das Gesicht war noch verschwommen, sodass man darin keine Einzelheiten erkennen konnte. Aber er erschien mir, allein von der Haltung her, als uralt. Und eines war mir alsbald klar: Bei dieser Erscheinung handelte es sich ganz bestimmt nicht um Graf Cyrano von Behemoth. Der war nämlich größer und kräftiger gewesen als dieser Zwerg.
Aber um wen mochte es sich handeln? Ich wusste nicht, ob ich erleichtert sein durfte, weil ich mich in der Person des mir zugedachten Gemahls getäuscht hatte. Immerhin durfte ich hoffen, dass der Fremde kein solches Scheusal wie mein Patenonkel war.
Jetzt kam Bewegung in die krumme Gestalt. Sie wandte sich meinem Vater zu, sodass sie mir den schmalen Rücken zukehrte, und verneigte sich schwungvoll vor unserem Familienoberhaupt. Dabei erklang eine krächzende Stimme, die irgendetwas auf Französisch sagte.
»Die Ehre ist ganz meinerseits, Comte Guy de Guedelon«, erwiderte mein Vater. »Aber wäre es vielleicht möglich, dass wir uns in meiner Sprache unterhalten? Ich bin des Französischen nur bedingt mächtig und möchte vermeiden, dass es zu Missverständnissen kommt. Bisher waren unsere Verbindungen nach Frankreich recht dünn. Das verstehen Sie doch, Graf?«
»Oui, oui, ganz wie belieben«, sagte dieser mickrige Graf mit starkem Akzent. »Ich habe keine Probleme, mich in Deutsch oder anderen europäischen Sprachen zu unterhalten. Ganz wie es gewünscht wird. Stets zu Diensten. Votre serviteur.«
»Sind Sie gut untergebracht, Graf?«, warf Georg ein, als er merkte, dass sich Vaters Stirn vor Missfallen umwölkte. Michael Zamis mochte es gar nicht, wenn viel Wind um nichts gemacht wurde.
»Oui, oui, surtot comfortable!« Der Graf, der mir immer noch den Rücken zukehrte, breitete die Arme in einer großmütigen Geste aus. »Es mangelt mir an nichts. Ich komme auf meine Rechnung. Und habe mich recht gut eingelebt. Ich liebe Moder und altes Gemäuer. Es hat etwas von Unvergänglichkeit an sich …«
»Sparen wir uns solche Übertreibungen«, fiel ihm Vater ungehalten ins Wort. »Dies ist kein Plauderstündchen, Graf. Wir sind hier, um einen Pakt zu besiegeln. Kommen wir also zum Geschäft.«
»Geschäft ist gut!« Der Graf kicherte amüsiert. »Es ist ganz in meinem Interesse, das Geschäftliche rasch zu erledigen.« Er kicherte wieder. »Wo ist denn Euer Einsatz? Eure liebreizende Tochter? Dieses zarte, junge Kind. Mon petit lapin.«
Während er das sagte, blickte er um sich und drehte sich langsam zu mir herum. Und dann stand er mir von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Sein Anblick traf mich wie ein Keulenschlag. Sein Gesicht war runzelig und weiß gepudert. Der Mund war schief, die Lippen waren eingefallen und von einem lüsternen Grinsen geprägt. Die Augen lagen tief in den Höhlen und waren klein wie Murmeln. Als er mich sah, leuchteten sie auf, und mir war, als würde er mich mit seinem Blick entblößen. Seinem Mund entrang sich ein raues, röchelndes »Ahhh!«, und sein Atem wurde keuchend.
Er streckte die gichtige Rechte zitternd nach mir aus, und ich zuckte unwillkürlich zurück, obwohl ich wusste, dass er nicht körperlich anwesend war. Aber als seine Finger mich erreichten und mir über die Brust strichen, da war mir, als bekäme ich einen elektrischen Schlag.
»Toi enfant merveilleux … toi douce fleure … que tu esattrayante«, murmelte er verzückt. Mein Französisch war immerhin gut genug, um zu verstehen, dass er von mir als »liebreizendes Kind« und »zarte Blume« schwärmte und mich »eine Augenweide« nannte.
Er brachte sein Gesicht dem meinen näher. Dabei verzerrte es sich zu einer lüsternen Fratze, und dann redete er auf einmal ganz anders. Über seine spröden, blutleeren Lippen kamen abgründige und obszöne Worte.
»Tu m'exiter tellement«, keuchte er und rieb sich mit der Linken im Schritt. Ja, er schien sich, in der Tat, an meinem Anblick aufzugeilen. »Mon queue se dresse devant toi«. Die Hose spannte sich ihm tatsächlich zwischen den Beinen. »Je veux embrasser ta chatte …palper des seins … et te baiser … te défoncer jusqu'á ce tu perde conscienceque …«
Die Vorstellung, dass er mein Geschlecht küsste, mit meinen Brüsten spielte und mir »die Seele aus dem Leib« penetrieren wollte, erfüllte mich mit Abscheu und Ekel.
»Lassen Sie sich nicht so gehen, Graf!«, erklang da Vaters zurechtweisende Stimme, und der Graf ließ von mir ab.
Mir war allein von dieser trügerischen Berührung übel geworden. Und ich würde es noch weniger ertragen können, wenn dieser Ausbund an Hässlichkeit mich real betatschen würde … oder gar von mir verlangte, ihm zu Willen zu sein.
Genau darauf schien es hinauszulaufen, denn ich hörte Vater sagen: »Noch ist Coco nicht Ihre Braut, Graf. Wir haben vorher noch einige Modalitäten zu erledigen.«
»Das ist nur eine Formsache«, erwiderte Graf de Guedelon mit rauer, erregter Stimme. »Eure Tochter ist so begehrenswert … das lieblichste Geschöpf, das ich je kennen gelernt habe. Sie wird die Mutter meines Erbfolgers sein. Etwas anderes kommt gar nicht in Frage.«
»Darf ich um etwas Zurückhaltung bitten, Herr Graf«, tadelte Vater. »Es ehrt mich, dass Ihnen meine Tochter gefällt. Aber das sollten wir unter vier Augen regeln.« Er sah meinen Bruder an. »Georg! Bring Coco auf ihr Zimmer und sorge dafür, dass sie nichts anstellt. Ich möchte allein mit dem Grafen reden.«
Georg erhob sich von seinem Platz und kam um den Tisch herum zu mir. Er musste mir aus dem Stuhl helfen, denn ich hatte nicht die Kraft, mich allein daraus zu erheben. Georgs magische Ausstrahlung half mir, und ich folgte ihm willenlos, als er mich am Arm ergriff und mich mit sich führte.
Ich spürte die lüsternen Blicke des Grafen im Rücken und hatte das Gefühl, dass sie mich entblätterten. Ich bekam Schüttelfrost von dieser Vorstellung.
Als wir die Kellertreppe hochstiegen, versuchte ich an Georgs Bruderliebe zu appellieren.
»Georg, du musst mir helfen«, verlangte ich eindringlich. »Du darfst nicht zulassen, dass …«
»Halt den Mund, Coco. Du hast keinen Bonus