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Kurpfalzblues
Kurpfalzblues
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eBook363 Seiten69 Stunden

Kurpfalzblues

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Über dieses E-Book

Nebel treibt über dem Neckar, löst sich in Fetzen auf, die wie Geister über dem Wasser tanzen. Im kalten Fluss treibt die Leiche einer jungen Frau. Schon bald bekennt sich der Mörder zu seiner Tat, mit Versen voller Sehnsucht und Leidenschaft. Der wahnsinnige Dichter lässt keinen Zweifel: Er wird wieder töten - und zwar bald. Für Maria Mooser beginnt ein Alptraum: Spuren, die bis in die Heidelberger Romantik zurückführen, und menschliche Abgründe, vor denen sie am liebsten die Augen verschließen würde ...
SpracheDeutsch
HerausgeberEmons Verlag
Erscheinungsdatum12. Dez. 2011
ISBN9783863580193
Kurpfalzblues
Autor

Marlene Bach

Marlene Bach wurde 1961 in Rheydt geboren und wuchs nahe der holländischen Grenze auf. 1997 zog die promovierte Psychologin nach Heidelberg, wo sie seit 2006 als Schriftstellerin tätig ist. Neben Kriminalromanen schreibt sie Kurzgeschichten, mit denen sie u.a. den Walter-Kempowski-Literaturpreis gewann. www.marlene-bach.de

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    Buchvorschau

    Kurpfalzblues - Marlene Bach

    Marlene Bach wurde 1961 in Rheydt geboren und wuchs nahe der holländischen Grenze auf. Sie ist promovierte Psychologin und lebt seit 1997 in Heidelberg. Im Emons Verlag erschienen bereits ihre Romane »Elenas Schweigen«, »Kurpfälzer Intrige« und »Ab in die Hölle«.

    Dieses Buch ist ein Roman. Handlung, Personen und manche Orte sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig.

    Die Eichendorff Gedichte enstammen folgender Quelle: Joseph von Eichendorff: Gedichte. Reclam, Stuttgart, 1997.

    © 2010 Hermann-Josef Emons Verlag

    Alle Rechte vorbehalten

    Umschlagfoto: Joachim Funke

    Bildbearbeitung: Heribert Stragholz

    Umschlaggestaltung: Tobias Doetsch, Berlin

    eBook-Erstellung: CPI – Clausen & Bosse, Leck

    ISBN 978-3-86358-019-3

    Der Badische Krimi

    Originalausgabe

    Unser Newsletter informiert Sie regelmäßig über Neues von emons:

    Kostenlos bestellen unter www.emons-verlag.de

    Goldstrahl durch die Wolken bricht,

    verzaubert die Stadt mit sanftem Licht.

    Oh, Heidelberg, oh heile Welt,

    Fassade, die zum Narren hält –

    denn schon tropft von Idylle pur

    blutrot des Todes Leichenspur.

    Tödliche Träume

    Eine leichte Brise, so sanft auf der Haut, als würde jemand zärtlich darüber streichen. Hohe Palmen, gebeugt vom Wind, mit Kokosnüssen zwischen den grünen Blättern. Feiner weißer Sand. Türkisblaues Meer. Wellen, die ans seichte Ufer plätschern.

    Und ganz am Ende, da, wo Strand und Himmel sich berühren, ein kleines Haus, weiß angestrichen, mit Tischen und Stühlen davor und gelben Sonnenschirmen, die in den blauen Himmel leuchten. An der Hauswand ein Schild, auf dem in großen Lettern »Leas Restaurant« zu lesen ist.

    Die Tür des Hauses öffnet sich, eine junge Frau tritt heraus, barfuß, schlank, mit langem weizenblondem Haar, ein buntes Tuch um den schönen Körper geschlungen. Einen kurzen Moment hält sie ihr Gesicht in die Sonne, dann schaut sie hinaus auf das Meer.

    Auf den Wellen tanzt ein winziger Punkt. Er kommt näher und näher, wird größer und größer, verwandelt sich in die Silhouette eines jungen Mannes. Muskulös und braun gebrannt balanciert er auf einem Surfbrett über das Wasser, die dunkel gelockten Haare flattern im Wind.

    Er lässt sich von den Wellen bis an den Strand tragen, das Surfbrett gleitet noch ein paar Meter über den Sand, dann steigt er ab, geht langsam auf das kleine weiße Haus zu, den Blick auf die junge Frau gerichtet. Er bleibt vor ihr stehen, legt seine Hände um ihre Hüften und zieht sie an sich.

    »Hallo, Lea«, flüstert er.

    Und aus war es. Vorbei.

    Ihr Traum endete immer an der gleichen Stelle, zerplatzte wie eine Seifenblase, die riesig und schillernd schön durch die Luft waberte, um dann am Kühlschrank anzustoßen und nichts als ein paar nasse Spritzer auf dem Boden zu hinterlassen.

    Lea griff nach ihrer Sporthose und schaute unter das Bett. Irgendwo mussten ihre Joggingschuhe doch sein.

    Vielleicht hieß er Tom. Max wäre auch nicht schlecht. Aber wer wusste schon, ob die in Australien ähnliche Namen hatten wie hier. Vielleicht hießen die Jungs da ganz anders. Egal. Auch für den hässlichsten Namen ließ sich irgendeine gute Abkürzung finden. Das sah man ja an Cloe.

    Sie sollte Cloe fragen, ob sie darauf bestand, dass ihr Name mit auf dem Schild stand. »Leas & Cloes Restaurant«. Ging auch noch. Aber »Leas Restaurant« klang einfach schöner, und man konnte es sich besser merken. Cloe würde das schon verstehen.

    Sie musste sich beeilen. Nicht mehr lange, und es würde dunkel werden. Sie hasste diese dämlichen Arbeitszeiten, hasste es, in dieses Korsett gezwängt zu sein.

    Morgens rein in die Apotheke, abends raus aus der Apotheke. Ein Kunde nach dem anderen, hier tat was weh, da tat was weh, ständig das Gejammer, und wenn einer mal nicht jammerte, dann wurde man garantiert angehustet oder angeniest.

    Unter dem Bett waren die Schuhe nicht. Auch nicht in dem winzig kleinen Flur. Aber unter dem Küchentisch wurde sie endlich fündig.

    Zwei Minuten später lief Lea die Treppe hinunter, die blonden Haare zum Zopf gebunden, der hin und her wippte.

    Im Hausflur war das Licht kaputt, wieder einmal. Trotzdem konnte sie im Halbdunkel den weißen Umschlag sehen, der aus ihrem Briefkasten herausschaute. Bestimmt wieder irgendeine blöde Reklame.

    Sie zog den Brief hervor. Es stand keine Adresse darauf.

    Das Papier, das sie in dem Umschlag fand, war sorgfältig gefaltet. Lea strich es glatt und überflog die gedruckten Zeilen:

    Schönste der Schönen, die mein Herz betört,

    befruchtet von der Schlange, die dein Schreien nicht hört.

    Der Einsamkeit Klaue, todbringend die Pein,

    der Bräutigam kann länger nicht ohne dich sein.

    Nun erlischt der Sonne wärmender Strahl,

    erlöst werd’ ich endlich von grausamer Qual.

    Es ist an der Zeit, die Nebel steigen,

    komm, Gottesbraut, komm, zum Hochzeitsreigen.

    Wenn das Reklame war, dann war sie auf jeden Fall voll daneben. Gottesbraut. So ein Schwachsinn.

    Den Brief noch in der Hand, riss Lea die Haustür auf und trat hinaus in die frische Abendluft. Endlich war es abgekühlt. Der Sommer war entsetzlich drückend und schwül gewesen. In den engen Gassen der Altstadt hatten die Mauern die Hitze gespeichert wie in einem Backofen, sodass sie nachts manchmal glaubte, in ihrem kleinen Zimmer ersticken zu müssen.

    Aber das war ihr letzter Sommer in einem Backofen. Ganz bestimmt.

    Sie zerriss den seltsamen Brief und warf ihn in die Mülltonne. Dann lief sie über das Kopfsteinpflaster in Richtung Alte Brücke. Es dämmerte schon, aber sie musste raus, sie brauchte das Laufen, um den Kopf frei zu bekommen.

    Sie konnte arbeiten, Menschen etwas verkaufen und trotzdem die ganze Zeit an etwas anderes denken. Die dunklen Wolken machten sich einfach in ihrem Kopf breit, egal was sie gerade tat. Nur beim Laufen, da lösten sie sich langsam auf.

    Bald würde alles besser werden. Die Wolken würden verschwinden, ewiger Sonnenschein – wenn sie erst einmal weg war von hier. Weg aus dieser verdammten Stadt, weg aus dieser ganzen verdammten Gegend.

    Wenn sie irgendwo erzählte, dass sie in Heidelberg lebte, kamen immer die gleichen Kommentare. Wie schön! Da war ich auch schon mal. So romantisch.

    Bla, bla, bla. Sie konnte es nicht mehr hören.

    Wenn man als Tourist kam, im Sonnenschein auf dem Marktplatz saß und Pizza und Eis in sich reinstopfte, dann war es vielleicht eine schöne Stadt. Für sie nicht.

    Zu viele schlechte Erinnerungen. Zu viele Nächte, die sie in ihrer stickigen kleinen Wohnung unter dem Dach wach gelegen hatte.

    Mit gleichmäßigen Schritten lief Lea über die Brücke, die Stufen hinunter, und bog auf den schmalen Pfad, der am Ufer des Neckars entlangführte.

    Sie würde es schaffen, wegzugehen. Sie wusste, dass sie es schaffen würde. Man musste nur an seine Träume glauben. Australien. Das weiße Haus am Strand. Leas Restaurant.

    Sie rannte über den gepflasterten Weg, an der hohen Sandsteinmauer entlang, unter dem Vorsprung, den die darüberliegende Straße bildete. Über sich konnte sie die Autos hören, die dort entlangfuhren. Aber sonst war es heute still hier.

    Sie kannte die Geräusche am Fluss, sie kam fast jeden Abend hierher. Manchmal rauschte das Wasser des Neckars in hohem Tempo vorbei, ein andermal gluckerte und gluckste es, mal schien es fast zu flüstern. Leise, als ob die Wassergeister etwas erzählen wollten.

    Aber heute schwieg der Fluss. Seine Oberfläche war ganz glatt und dunkel. Fast sah es aus, als habe er aufgehört zu fließen.

    Lea lief, weiter und weiter. Konzentrierte sich auf ihren Atem. Einatmen, ausatmen, Schritt für Schritt, so lange, bis sie den Schweiß an ihren Schläfen spüren konnte.

    Inzwischen waren auch die letzten Spaziergänger verschwunden. Niemand war mehr zu sehen. Nur die Bäume am Ufer streckten wie riesige gebeugte Gestalten ihre knorrigen Arme über den Fluss.

    Ein Geräusch. Lea schaute sich um, blickte suchend in das Dämmerlicht. Aber schon war es wieder still.

    Obwohl sie schwitzte, spürte sie die Kälte, die an ihren Beinen hochkroch, über ihre Schenkel, ihr Gesäß, bis hin zum Rücken. Kälte, die vom Wasser kam.

    Lea drehte um. Es war genug für heute. Sie musste noch Vokabeln lernen.

    Erstaunlicherweise kam sie gut mit. Dabei war sie in der Schule so eine Niete in Englisch gewesen. Restaurant, das hieß auf Englisch das Gleiche wie auf Deutsch. Aber wenn es nur Kleinigkeiten zu essen gab, wie nannte man das? Snackbar?

    Erst im letzten Moment sah Lea den großen Ast, der quer über dem Weg lag. Fast wäre sie darüber gestolpert.

    Aber es lag noch etwas auf dem Boden, schimmerte hell. Eine Geldbörse. Daneben einige Münzen und ein Zwanzigeuroschein. Hatte das schon da gelegen, als sie hergelaufen war? War sie so in Gedanken gewesen, dass sie es nicht bemerkt hatte?

    Lea bückte sich. Es war nicht nur ein Geldschein. Verstreut über dem Weg lag eine ganze Reihe von Scheinen und Münzen, fast so, als habe jemand nach einem Bankraub seine Beute verloren.

    Sie spähte den Weg entlang. Niemand war zu sehen. Dann fing sie an, aufzusammeln, was sie im schwachen Licht entdecken konnte. Münze für Münze, Schein für Schein steckte sie in ihre Hosentasche, folgte der Spur des Geldes, bis sie direkt am Ufer stand.

    Hinter ihr ein Geräusch. Ein Fuß, der aufgesetzt wurde, ein Schritt, leise, voller Vorsicht. Und doch laut genug, dass Lea ihn hören konnte.

    Sie stand da wie erstarrt, den Blick auf die Lichter am anderen Ufer gerichtet. Traute sich kaum zu atmen.

    Bestimmt hatte da eben noch nichts gelegen. Kein Ast und auch kein Geld.

    Wie konnte sie nur so dumm sein.

    Langsam drehte sie sich um.

    Der Schlag traf Lea mit voller Wucht.

    Sie fiel zur Seite, sackte zusammen, ein Stoß, und sie stürzte in den dunklen Fluss hinein. Hände legten sich auf ihre Schultern und drückten sie unerbittlich nach unten. Eiskalt strömte das Wasser in ihre Lunge und holte sie für einen kurzen Moment ins Bewusstsein zurück. Voller Panik schnappte sie nach Luft.

    Vergeblich.

    Bilder stiegen in ihrem Kopf hoch wie die Luftblasen zur Oberfläche des Flusses.

    Die kleine Lea im weißen Kleid unter dem Kirschbaum, eine Puppe auf dem Arm, ein Käfer auf einem Blatt, grüngolden schillernd. Der Vater, am Esstisch, eine halb volle Flasche auf der karierten Tischdecke. Die Mutter, die den Kopf zur Zimmertür hereinsteckt. Was machst du, Lea? Träumst du wieder?

    *

    Es gab so einiges, was Hauptkommissarin Maria Mooser in ihrem Leben lieber nicht gesehen hätte. Die Leiche dieser jungen Frau gehörte ganz sicher mit dazu.

    Sie lag auf dem schmalen Weg am Neckarufer, wo Schlammspuren von einer hastigen, aber leider erfolglosen Rettungsaktion zeugten. Die Kleidung klebte auf ihrem schlanken Körper wie eine zweite Haut. Sie hatte ein ausnehmend hübsches, fast noch kindlich wirkendes Gesicht.

    Ein ganz klein wenig erinnerte Maria die Tote an ihre Tochter Vera, wenn sie früher nach langem Rufen endlich mit blau gefrorenen Lippen aus dem Badeweiher kam.

    Je jünger und unschuldiger ein Mordopfer aussah, umso schwieriger war es, nicht einfach dazustehen und in dumpfes Brüten darüber zu verfallen, wie schlecht die Welt war. Das wusste sie nach über dreißig Jahren bei der Kripo nur zu gut. Trotzdem, sie konnte es ihrem Assistenten nicht durchgehen lassen.

    »Alsberger, ich kann sehen, dass Sie die Augen zu haben.«

    Er stand mit gesenktem Kopf neben ihr, sodass es für alle anderen wohl so aussehen musste, als würde er interessiert auf den Leichnam starren.

    »Machen Sie die Augen auf und schauen Sie hin, sonst rede ich so laut, dass alle mitbekommen, was wir beide hier besprechen.«

    Alsberger schluckte, dann öffnete er die Augen. Mit seinem hellen Mantel und seinem grünlich bleichen Gesicht sah er aus wie ein großes Gespenst.

    »Beschreiben Sie mir, was Sie sehen. Ganz neutral und sachlich. Wie früher in der Schule. Bildbeschreibung, das kennen Sie doch, oder?«

    Es hatte keinen Zweck, wenn sie ihn schonte. Er musste endlich lernen, ein Mordopfer anzuschauen, ohne gleich in Ohnmacht zu fallen.

    Alsberger starrte eine Weile nach unten, auf die Schuhe der Toten, räusperte sich noch zweimal, bevor er zögernd begann.

    »Eine junge Frau … schätzungsweise Anfang zwanzig, blaugrüne Augen, ovale Gesichtsform, circa eins fünfundsiebzig groß. Bekleidet mit Turnschuhen, schwarzer Jogginghose und einem roten T-Shirt. Es ist alles nass. Ihr Gesicht …«, er schluckte noch einmal, »ihr Gesicht ist gräulich blau angelaufen, der Mund steht offen, und die Augen … die Augen sind weit aufgerissen.«

    »Und woran können wir erkennen, dass die junge Dame nicht freiwillig im Wasser gelandet ist?«

    »Die Kordel, am rechten Handgelenk. Die Kordel, mit der sie an dem Ast festgebunden war, der dahinten ins Wasser hängt.«

    Alsberger schaute zum Ufer, wo die Äste der Bäume so tief hingen, dass sie an manchen Stellen schon in den Fluss hineinragten.

    »Das hätte sie zur Not auch noch selbst hinbekommen. Was nicht?«

    »Also Raubmord war es nicht«, war Alsbergers Antwort. »Sie hatte ja Geld in den Hosentaschen. Das können wir wohl ausschließen.«

    »Das habe ich nicht gefragt! Was erzählt uns diese Leiche noch? Die Male an ihrem Nacken, Alsberger! Nun gehen Sie mal was näher ran.«

    Widerstrebend blickte er erneut zur Toten hinunter. Er hatte sich noch keine fünf Zentimeter nach vorn bewegt, als hinter ihnen lautes Geschrei ertönte.

    »Ich warne euch. Wehe, ihr tretet über die Absperrung! Wehe! Hier ist schon genug rumgetrampelt worden!«

    Es war Jantzek, der Leiter der Spurensicherung, der mit hochrotem Kopf in einigen Metern Entfernung stand. Er war in einen weißen Schutzanzug eingehüllt, so wie seine Mitarbeiter, die dabei waren, das Gelände abzusuchen.

    Jantzek hatte einen schmalen Streifen des Weges abstecken lassen, auf dem alle anderen sich zu bewegen hatten, um bloß keine Spuren zu zerstören oder gar ein paar eigene zu hinterlassen.

    Jantzek hatte sich auch schon ausgiebig vor dem verstörten älteren Herrn, der die junge Frau aus dem Wasser gezogen hatte, über Zeugen ausgelassen, die, statt direkt die Polizei zu rufen, mit völlig sinnlosen Rettungsaktionen nur alles zertrampelten.

    Maria hatte den eingeschüchterten Mann schließlich beiseitegenommen und ihm aufgetragen, sich – in ausreichendem Sicherheitsabstand zu Jantzek – ans Ufer zu setzen und nicht vom Fleck zu rühren, bis sie wiederkam.

    »Kein Schritt daneben! Verstanden?«, brüllte Jantzek ihnen noch einmal zu.

    »Genau. Nicht dass wir hier noch irgendwelche Spuren verwischen.« Alsberger drehte sich um.

    »Sie bleiben gefälligst hier! Verdammt noch mal, Alsberger, Sie sind hier bei der Kripo und nicht im Mädchenpensionat. Sie müssen sich endlich daran gewöhnen, dass wir mit Leichen zu tun haben. Die sehen nun mal nicht immer schön aus, wenn man ihnen den Hals umgedreht oder ihnen ein Loch in den Kopf geschossen hat!«

    Und das war der Freund ihrer Tochter! Wie konnte sich Vera nur in dieses Sensibelchen verlieben.

    Maria hatte sich fast an ihn gewöhnt, in letzter Zeit sogar manchmal gedacht, dass Alsberger doch ein ganz patenter Kerl war und es gar nicht so verkehrt wäre, wenn er ihr Schwiegersohn werden würde. Sie hatte ihn sogar vor ein paar Monaten, als sie beide halb tot vor Sorge um Vera waren, einmal geduzt. Aber in Situationen wie dieser machte er alles wieder zunichte.

    Alsberger stand da, mit hängenden Schultern.

    »Die Frau ist tot! Oder glauben Sie, die greift gleich nach Ihrem Bein, um Sie zu Neptun in den Neckar zu ziehen? Die tut Ihnen doch nichts!«

    »Das ist es nicht«, murmelte er.

    »Was dann?«

    Seine Stimme war so leise, dass Maria Mühe hatte, ihn zu verstehen.

    »Man kann einen toten Körper beschreiben, aber das Grauen, das diese Frau erlebt hat, was ist damit? Was für entsetzliche Angst muss sie gehabt haben? Was für ein Monster muss das gewesen sein, dass er sie auch noch festbindet.«

    Alsberger sah mit einem seltsam entrückten Gesichtsausdruck auf den Fluss.

    »Man kann es noch spüren. Die Angst. All das Schreckliche, was hier passiert ist. Wie ein böser Geist, der noch da ist.«

    Maria verschlug es die Sprache. Böse Geister! Was sollte sie denn darauf noch erwidern? Vielleicht die Weihrauchampel rausholen und den Pfarrer bestellen?

    Zum Glück kam Jörg Maier, der Rechtsmediziner, den Weg entlang.

    »Nehmen Sie sich ein Beispiel an ihm. Der hat schon weit Schlimmeres gesehen als das hier und noch nie auch nur mit der Wimper gezuckt.« Und bissig fügte sie hinzu. »Egal wie viele böse Geister über einer Leiche rumschwirren.«

    Endlich ein vernünftiger Mensch. Einer, der nicht cholerisch war und gleich herumschrie und der auch ganz bestimmt nicht an Geister glaubte. Maria freute sich, ihn zu sehen. Denn Jörg Maier war zudem noch ein attraktiver Mann, groß, schlank, mit grauen Schläfen. Und einigen Eheproblemen, die dazu geführt hatten, dass seine Frau ausgezogen war und er und Maria etliche nette Abende miteinander verbracht hatten.

    »Hallo, ihr zwei!«, begrüßte er sie und lächelte, sodass die kleinen Fältchen um seine Augenwinkel sichtbar wurden.

    »Schön, dass du da bist«, erwiderte Maria, während Alsberger, die Hände in den Manteltaschen vergraben, mit finsterer Miene nickte.

    »Na, dann wollen wir uns mal ansehen, wen es diesmal erwischt hat.«

    Er stellte seine Tasche ab und beugte sich zu der Toten.

    »In der Tasche hat er übrigens eine Fliegenklatsche, falls noch ein paar Geister da sind«, raunte Maria Alsberger zu.

    Es war genau der Moment, in dem der Rechtsmediziner jäh hochfuhr und einen Schritt zurückwich. Ein Schritt, der ihn zu nah ans Ufer kommen ließ. Er schwankte und versuchte mit rudernden Armbewegungen das Gleichgewicht zu halten.

    Alsberger sprang auf ihn zu, um ihn festzuhalten. Doch er stolperte, fiel nach vorn. Und gab Jörg Maier den letzten entscheidenden Stoß.

    Unglücksraben

    Es war ein einziger Alptraum. Aber einer, der sich leider nicht vertreiben ließ.

    Die nasse Hose klebte an Marias Beinen, und in ihren Schuhen spürte sie den kalten Schlamm des Neckars. Vor ihr stand Jörg Maier, tropfnass, mit einer Decke um die Schultern. Er verarztete Alsberger, der am Ufer saß.

    Die beiden waren von Mitarbeitern der Spurensicherung umringt, die mit besorgten, manche auch mit belustigten Gesichtern, zusahen. Ihr Chef, Jantzek, stand ein paar Meter entfernt, der Gruppe den Rücken zugewandt, die Hände in die Seiten gestützt, und starrte auf das gegenüberliegende Ufer.

    Nicht nur Maria war in den Fluss gesprungen, um Jörg Maier wieder auf die Beine zu helfen. Alle, die es gesehen hatten, waren zu Hilfe geeilt, und sosehr Jantzek auch geschrien hatte, niemand hatte sich mehr um irgendwelche Absperrungen gekümmert. Überall auf dem gepflasterten Pfad konnte man kleine Wasserlachen und die Abdrücke von verschlammten Schuhen sehen.

    Unglücksrabe Alsberger war beim Versuch, Jörg Maier festzuhalten, der Länge nach hingefallen. Er hatte, nachdem er gelandet war, kurz den Kopf gehoben und den Grund für seinen Sturz gesehen: Sein rechter Fuß hing unter dem linken Bein der Toten. Seitdem schwieg Alsberger, und das Entsetzen stand ihm ins Gesicht geschrieben.

    Von einer kleinen Platzwunde an der Stirn zog sich ein rotes Rinnsal Blut über seine Wange. Hätte man ihn neben die tote junge Frau gelegt, niemand hätte daran gezweifelt, dass hier ein grausamer Doppelmord geschehen war.

    Ein bisschen Aufmunterung konnte nicht schaden.

    »Und, Alsberger, wie sieht es aus?« Maria bückte sich zu ihm. »Werden Sie es überleben, oder sollen wir noch einen Sarg dazubestellen?«

    »Maria!«, mahnte Jörg Maier.

    Aber Alsberger schien sie gar nicht gehört zu haben. Er starrte weiter vor sich hin.

    Es blieb Maria keine Zeit, sich etwas Besseres auszudenken. Jantzek war zu ihnen getreten. Sie kannte den Leiter der Spurensicherung schon seit vielen Jahren. Er war ein Choleriker, der schnell herumschrie, aber meistens war es dann auch wieder gut. Seinen momentanen Gesichtsausdruck kannte Maria allerdings noch nicht.

    Seine Augen hatten sich zu schmalen Schlitzen verengt. Er sah aus wie eine Schlange, die gleich nach vorn schnellen würde, um ihr Opfer mit einem einzigen Biss voll Gift zu pumpen. Und dieses Opfer war, daran gab es keinerlei Zweifel, Alsberger.

    »Alle wieder an die Arbeit«, fuhr er seine Männer an.

    Als der kleine Trupp sich aufgelöst hatte, baute er sich vor Alsberger auf, die Hände immer noch in die Seiten gestützt. Es war unschwer zu merken, dass er seine Wut nur mühsam im Zaum halten konnte.

    »Das wird Konsequenzen haben!«, brachte er gepresst hervor. Dann drehte er sich um und zischte Maria im Vorbeigehen zu: »Bring dieses Weichei hier weg, sonst passiert ein Unglück.«

    Maria verstand Jantzeks Zorn nicht ganz. Schließlich hatte Alsberger, zugegebenermaßen etwas ungeschickt, nur versucht, Jörg Maier zu helfen. Aber ihren Assistenten von hier wegzubringen war wahrscheinlich wirklich eine gute Idee. Neben einer Leiche verarztet zu werden war sicher nicht das, was ihm im Moment guttat.

    »Ist alles in Ordnung mit ihm?«, fragte Maria.

    Jörg Maier nickte. »Das ist nur oberflächlich. Nichts Schlimmes passiert. Aber der junge Kollege braucht jetzt einen Kaffee, und wir brauchen wohl ein paar trockene Kleider.«

    Er schaute zu der Leiche.

    »Ich kenne die Frau übrigens. Sie heißt Rikner oder Rinkner oder so ähnlich. Sie hat bei einer Bekannten von mir in der Apotheke gearbeitet. Nettes Mädchen.«

    Dass Jörg Maier nicht vor irgendwelchen bösen Geistern erschrocken zurückgewichen war, das hatte Maria sich schon denken können.

    »Kennst du sie näher?«

    »Nein. Ich bin ihr ein paarmal in der Apotheke begegnet, mehr nicht. Machte einen ganz patenten Eindruck. Sie hat mich nur einmal kurz gesehen, und beim nächsten Mal wusste sie gleich wieder, wer ich war.«

    Er trat zu der toten jungen Frau und beugte sich hinunter. Vorsichtig hob er ihren Kopf an.

    »Da ist Schaum im Mund. Sieht am ehesten nach Ertrinken aus. Wegen der Tatzeit melde ich mich noch mal. Das kann ich so auf die Schnelle nicht sagen. Dazu brauche ich die Wassertemperatur und muss wissen, wie kalt es heute Nacht war.«

    Mit einer fast zärtlichen Geste strich er ihr die nassen Haare aus dem Gesicht.

    »Davor habe ich immer Angst gehabt. Dass mal jemand dabei ist, den ich kenne.«

    Maria wusste, was er meinte. Man sah den Menschen vor sich, sah ihn lachen, hörte seine Stimme, hatte Bilder im Kopf, die ihn lebendig werden ließen. Und die Schutzmauer, die sie brauchten, um an ihrer Arbeit nicht zu verzweifeln, wurde brüchig.

    »Lass die Obduktion doch von jemand anderem machen«, schlug sie vor.

    »Ist schon gut. Geht schon.« Er nahm seine Tasche und schaute zum Neckar. »Sieht irgendwie unheimlich aus, findest du nicht?«

    Nebel stieg empor, zog sich in die Höhe und schwebte in grauen Fetzen über dem Wasser. Feine Gespinste, die bald zerrissen, sich neu zusammenfügten, auf der Wasseroberfläche zu tanzen schienen, um sich schließlich im Nichts aufzulösen.

    Wie Geister, die bei Anbruch des Tages nach und nach verschwanden.

    Maria brachte Alsberger nach Hause. Kein großer Umweg. Er wohnte wie sie in der Heidelberger Weststadt, nicht allzu weit von ihr entfernt.

    Sie fuhr nicht gern Auto in Heidelberg. Zu enge Straßen, zu viel Verkehr, und die Parklücken waren entschieden zu klein. Eigentlich war Alsberger daher nicht nur ihr Assistent, sondern auch ihr Chauffeur. Diesmal aber saß er auf dem Beifahrersitz und hatte noch immer kein Wort gesagt.

    »Und, was macht der Kopf? Soll ich Sie lieber zum Krankenhaus fahren?«

    Wie üblich hatte Maria am Bismarckplatz versäumt, sich rechtzeitig einzuordnen. Während sie hektisch die Spur wechselte, sagte Alsberger endlich etwas. Allerdings so leise, dass Maria es nicht verstand.

    »Vielleicht könnten Sie so laut reden, dass ich eine winzig kleine Chance habe, Sie zu verstehen?«

    »Ein Weichei, hat er gesagt. Ich habe es genau gehört«, kam es schließlich von der anderen Seite.

    Erstaunlicherweise klang Alsberger nicht einmal beleidigt, obwohl er gern beleidigt war. Eher erschüttert.

    »Nun nehmen Sie sich das nicht so zu Herzen. Sie kennen Jantzek doch. Wenn der wütend wird, weiß er nicht mehr, was er sagt. Morgen ist das alles wieder vergessen.«

    »Sie denken doch das Gleiche über mich.«

    »Ach was! Natürlich nicht.«

    Hoffentlich sah er jetzt nicht rüber. Wahrscheinlich wurde ihre Nase gerade so lang, dass sie damit gleich an die Windschutzscheibe stoßen würde.

    »Nein. Sie denken nur, dass ich ins Mädchenpensionat gehöre.«

    Also doch beleidigt. Alles andere wäre ja auch ein kleines Wunder gewesen.

    »Das war doch nicht so gemeint, Alsberger.«

    Ihre Nase war schon wieder ein Stück länger geworden. Sie konnte es genau spüren. Angestrengt schaute sie auf die Heckklappe des Kombis vor ihr. Jetzt sollte sie wohl am besten mal etwas Nettes sagen.

    »Ich habe nur gemeint, dass Sie besser ins Mädchenpensionat gehen sollten, weil die Frauen Ihnen da lebendig zu Füßen liegen würden und nicht tot. Und wir beide wissen doch, dass Ihnen das eindeutig lieber ist, oder?«

    Sie lächelte ihm zu. Aber als sie seinen Gesichtsausdruck sah, fiel es ihr wieder ein: Alsberger verstand ihre

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