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Hauptsache nichts mit Menschen
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eBook197 Seiten1 Stunde

Hauptsache nichts mit Menschen

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Über dieses E-Book

Seinen Humor entfaltet Paul Bokowski mit einer schleichenden Gewalt. Unbarmherzig schält er mit der Klinge seiner eigenen Neurosen so lange an allem Zwischenmenschlichen herum, bis das Absurde darin zum Vorschein kommt. Was bleibt, ist die schwerwiegende Befürchtung, dass das alles wirklich so passiert ist.
Die Geschichten Paul Bokowskis beginnen stets mit einer hochgezogenen Augenbraue. Sie erzählen von der Bürde eines unkündbaren Newsletters, den zwischenmenschlichen Grenzerfahrungen einer Schlager-Nackt-Party oder den einzigen NPD-Wählern mit Migrationshintergrund. Sie berichten von den sexuellen Vorzügen einer Hausratsversicherung, den Nachteilen essbarer Unterwäsche und Gefrierbeuteln mit der Aufschrift "Stefanie und Jürgen". Geschichten wie ein skeptischer Blick, nicht auf andere herab, sondern auf den stillen Nebenmann, der nicht weniger verstohlen zu uns hinüberblinzelt.
SpracheDeutsch
HerausgeberSatyr Verlag
Erscheinungsdatum1. März 2012
ISBN9783981489125
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    Buchvorschau

    Hauptsache nichts mit Menschen - Paul Bokowski

    beinhalten.

    ICH HÖRE WAS,

    WAS DU NICHT HÖRST

    DIENSTAG

    Ich habe den größten Teil des Vormittages damit zugebracht, einen Nachruf auf meine Großmutter zu schreiben. Meinen emotionalen Zustand würde ich als relativ stabil bezeichnen. Die nicht zu leugnende schriftstellerische Freude daran, sich in einer bisher völlig unbekannten literarischen Gattung auszuprobieren, relativiert die gelegentlichen Heulanfälle. Version Nummer eins, beendet gegen vierzehn Uhr, würde ich mit der mir so üblichen Bescheidenheit als nahezu grandios bezeichnen.

    Mutter dagegen zeigte sich am Telefon nur mäßig begeistert von meinem Nachruf auf Großmutter. Argumentativ untermauerte Kritik blieb sie mir dabei allerdings schuldig. Was sie nach eigener Aussage am meisten an meinem Nachruf störe, sei die Tatsache, dass Großmutter noch gar nicht tot ist.

    Es wäre nicht das erste Mal, dass ich meiner Mutter eine mangelhafte Fähigkeit zur Weitsicht vorwerfen muss. Ich habe versucht, eine zweite Meinung einzuholen, jedoch war Großmutter telefonisch leider nicht erreichbar.

    DA KENNE ICH KEINE SKRUPEL

    Ich stand ratlos vor meinem Briefkasten und wendete das cremefarbene Kuvert grübelnd in meiner Hand. Gelegentliche Anrufe meiner Eltern zu nachtschlafender Zeit (14.00 Uhr), insbesondere durch Mutter, war ich seit meinem Auszug vor vielen Jahren ja gewohnt:

    »Hallo Sohn. Schläfst du noch?«

    »Ja.«

    »Rate mal, wen ich eben getroffen habe!«

    »Keine Ahnung.«

    »Die Tante Inge.«

    »Wen?«

    »Na, die Tante Inge.«

    »Mutter, ich habe keine Tante Inge.«

    »Na doch, die Inge. Die kennst du. Mit der habe ich früher gearbeitet. Ihr Kinder habt immer ›Tante Inge‹ zu ihr gesagt.«

    »Welche Inge denn? Und was heißt hier überhaupt ›ihr Kinder‹? Ich bin Einzelkind, Mutter!«

    »Mensch! Du kennst doch die Inge noch. Die Schwarze!«

    »Wie ›die Schwarze‹!?«

    »Na, die hatte immer so schwarze Haare.«

    »Deswegen ist die Inge noch lange keine Schwarze!«

    »Na, siehst du! Du weißt doch, wen ich meine.«

    »Nein, Mutter! Ich weiß nicht, wen du meinst!«

    »Doch.«

    »Nein!«

    »Doch!«

    »Nein, Mutter! Ganz sicher.«

    »Ganz sicher?«

    »Ja. Ganz sicher. Wirklich. Ganz sicher!«

    »Doch, doch. Die Inge. Die kennst du. Da bin ich mir ganz sicher.«

    Noch immer drehte ich den cremefarbenen Briefumschlag in meiner Hand. Wäre es kein Brief, sondern eine E-Mail, ich hätte einfach auf den kleinen Mülleimer geklickt und die Nachricht wäre zu meinen anderen engen Freunden Vivienne Cox, Tamara Dickson und Mahnung Sparkasse in den Spamordner gerutscht. Das Medium ist die Botschaft. Da kenne ich keine Skrupel. Im Krieg und im Internet ist alles erlaubt.

    Dieser kleinen Postwurfsendung meiner Eltern allerdings, die mich mit ihrer D-Mark-Euro-Übergangsmarke anstarrte, hatte ich nichts entgegenzusetzen. Moment. Doch. Etwas gab es da: Vor dem Haus stand ein Briefkasten der Deutschen Post. In meiner Tasche spürte ich einen Kugelschreiber. Die Versuchung war gewaltig. »Unbekannt verzogen!« würde ich neben das Gesicht von Clara Schumann kritzeln. »Unbekannt verzogen!« und den Brief wieder auf seine Reise schicken. Eine Nachricht der Abweisung. Das wollte ich meinen Eltern antun. Wegdrücken! Aber ich konnte nicht. Schon in das Adressfeld hatte meine Mutter systematisch Schreibfehler eingearbeitet, einzig und allein, um Mitleid zu erregen und mich in eine wohlwollende Stimmung zu versetzen.

    Wenn man auf einem Flohmarkt etwas verkaufen will, dann muss man Mitleid erwecken. Sonst steht man am Ende des Tages noch da, mit all seinen CDs von Michael Jackson, Lena Meyer-Landrut und dem drehbaren Musikkassettenständer (da kann er noch so retro aussehen). Am besten schreibt man sich ein Schild. »Alles zum halben Preis« sollte darauf stehen, weil Geiz fast genauso gut zieht wie Mitleid. Das Schild schreibt man in Großbuchstaben. Das Wort »alles« allerdings mit nur einem »L«, das »N« von »halben« schreibt man spiegelverkehrt und in den i-Punkt von »Preis« macht man ein kleines Loch. Dann besorgt man sich ein Kind,

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