Imperium ohne Rätsel: Was bereits die DDR-Aufklärung über die NSA wusste
Von Klaus Eichner
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Buchvorschau
Imperium ohne Rätsel - Klaus Eichner
Das Buch
Erstens hat die Aufklärung der DDR schon in den 70er und 80er Jahren mitbekommen, dass die NSA gegen die eigenen Verbündeten intensiv spionierte. Zweitens hat der Bundesinnenminister zu Beginn der 90er Jahre alle diese Belege aus der Gauck-Behörde entfernen und in die USA fliegen lassen, und drittens schließlich verfolgt Klaus Eichner, einst Chef-Analytiker der HV A für die US-Geheimdienste, noch immer sehr aufmerksam, was sich auf diesem Felde tut. Als Edward Snowden im Vorjahr enthüllte, was das MfS bereits in Ansätzen wusste, schrie die Welt empört auf. Aus gutem Grund. Als die DDR es tat, kehrte man dies unter den Teppich. Reine Propaganda, hieß es immer. Von wegen.
Der Autor
Klaus Eichner, Jahrgang 1939, Mitarbeiter des MfS von 1957 bis 1990. Letzter Dienstgrad Oberst. Zunächst in der Spionageabwehr, danach in der Hauptverwaltung Aufklärung tätig. Seit 1974 Analytiker im Bereich IX/C der HV A, spezialisiert auf Geheimdienste der USA. Von 1987 bis zur Auflösung der HV A Leiter des Bereichs C (Auswertung und Analyse) der Abt. IX (Gegenspionage).
Von Klaus Eichner erschienen in der edition ost u. a. »Headquarters Germany«, »Angriff und Abwehr«, »Konterspionage« (beide gemeinsam mit Gotthold Schramm), »Deckname Topas« (zusammen mit Karl Rehbaum).
Impressum
ISBN eBook 978-3-360-51031-0
ISBN Print 978-3-360-01864-9
© 2014 edition ost im Verlag Das Neue Berlin, Berlin
Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin
Das Neue Berlin Verlagsgesellschaft mbH
Neue Grünstraße 18, 10179 Berlin
Die Bücher der edition ost und des Verlags Das Neue Berlin erscheinen in der Eulenspiegel Verlagsgruppe.
www.edition-ost.de
Klaus Eichner
Imperium ohne Rätsel
Was bereits die DDR-Aufklärung über die NSA wusste
Der US-Präsident wies Darstellungen zurück, die USA wollte
– anders als bei anderen Verbündeten –
mit Deutschland kein No-Spy-Abkommen schließen. Die Vereinigten Staaten hätten mit »keinem unserer engsten Partner« einen vollständigen Spionageverzicht vereinbart. Stattdessen gebe es »eine Reihe von Partnerschaften und Prozeduren«, die das Verhältnis der befreundeten Dienste regeln würden. Deutschland werde dabei
grundsätzlich nicht anders behandelt als andere Alliierte.
Tagesschau, 2. Mai 2014, 22.50 Uhr
Carney, Snowden und wir
Er sah aus, wie man sich gemeinhin einen Ami vorstellte: Bürstenhaarschnitt, Kinnbärtchen und eine Figur, die sich nicht unbedingt als sportlich bezeichnen ließ, aber fit im Kopf, mit kleinen flinken Augen hinterm Brillenglas, freundlich und offen in der Rede, die keinen doppelten Boden zu kennen schien und frei war von jeder abwägenden Berechnung. So stellte er sich im Herbst 2010 im Verlag in Berlin vor, wo er sich um eine Stelle beworben hatte.
So hatte ich ihn auch vor mehr als zwei Jahrzehnten erlebt. Dazwischen lagen das Ende der HV A, der Untergang der DDR, sein Kidnapping durch bewaffnete Agenten des Air Force Office of Special Investigation (AFOSI) in Berlin 1991, die Verurteilung zu 38 Jahren Haft, weil er als »Whistleblower« – wie später etwa Bradley Manning oder Edward Snowden – Ausspähgeheimnisse der USA offenbart hatte.
Als Unteroffizier der Fernmeldeaufklärung der US Air Force war Carney 1982 nach Westberlin versetzt worden. Dort, im Diedersdorfer Weg in Berlin-Marienfelde, unterhielt das Electronic Security Command (ESC), der Geheimdienst für elektronische Auflärung der US-Luftwaffe – damals noch unter der Bezeichnung Air Force Security Service (AFSS) –, einen gut ausgebauten Stützpunkt. Von diesem wurden im Auftrag der NSA die Luftstreitkräfte des Warschauer Vertrages aufgeklärt und überwacht. Der junge Unteroffizier Carney war dort als Sprachenspezialist tätig. Zunehmend wurde ihm die kriminelle Seite dieser Tätigkeit bewusst. Sie galt »nicht der Verteidigung von Westeuropa«, wie er in einem Interview mit der jungen Welt vom 6. November 2013 bekannte, »noch weniger dem Erhalt des Friedens«. Im Laufe der Zeit erarbeitete er aus Unmut darüber eine Liste der aktiven und der geplanten Vorhaben, die er als gefährlich einschätzte. »In der Regel handelte es sich um Projekte, die die Lahmlegung oder Sabotage der Kapazitäten der elektronischen Kampfführung der Warschauer Vertragsstaaten zum Ziel hatten.« Diese Liste gab er der Aufklärung der DDR zur Kenntnis. Daraus entwickelte sich schließlich eine konstruktive Zusammenarbeit. Seine Informationen liefen über meinen Tisch: Seit 1957 Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR, war ich zu jenem Zeitpunkt als Analytiker in der Hauptverwaltung Aufklärung tätig, spezialisiert auf die Geheimdienste der USA.
»Kid«, so sein Deckname bei uns, war sehr aktiv. »Ich habe unzählige Provokationen beobachtet und teilweise auch selbst daran teilgenommen, bei denen nicht nur der Luftraum der DDR absichtlich verletzt wurde, sondern auch Flugzeuge und Menschenleben auf beiden Seiten rücksichtslos aufs Spiel gesetzt wurden. Ich sorgte dafür, dass solche Projekte zunichte gemacht wurden, ohne dafür die Sicherheit der Vereinigten Staaten zu gefährden. Der von mir angerichtete Schaden betrug nach Angaben der USA damals etwa 13 Milliarden Dollar.«
So Carney in seinem jW-Interview 2013.
Jeffrey M. Carney im Verlag, 19. Oktober 2010 (Foto: Robert Allertz)
1985 floh er in die DDR, zwei Jahre später wurde er als »Jens Karney« bei uns eingebürgert. Er bekam einen Ausweis, auch einen Reisepass, ging arbeiten und wählen, zahlte Steuern und erhielt, wie alle Ostdeutschen, nach dem 3. Oktober 1990 bundesdeutsche Dokumente.
Der Verfassungsschutz lieferte den Amerikanern die ersten Hinweise auf Karneys frühere Tätigkeit. »Dort glaubte man ganz naiv, von den USA vor einer eventuellen Verhaftung informiert zu werden«, sagte Jeffrey Martin Carney alias Jens Karney. Was natürlich nicht geschah. Die US-Agenten lauerten im Winter 1990/91 »auf den Bahnhöfen der U-Bahnlinie 2, wo ich damals als Fahrer arbeitete«. Am 21. April 1991 wurde Karney »auf der Straße von bewaffneten Angehörigen der AFOSI entführt und zum Flughafen Tempelhof gebracht. Mir wurde jeder Kontakt zu deutschen Behörden verweigert, obwohl ich deutscher Staatsbürger war. Auch das Recht auf einen Anwalt wurde mir abgesprochen. Am nächsten Morgen wurde ich nach Frankfurt am Main geflogen, von dort ging es mit einer anderen Maschine weiter – Destination: USA.«
In jenem erhellenden Interview wurde Jeffrey M. Carney auch gefragt, ob er Edward Snowden raten würde, in die Bundesrepublik zu kommen. »Sehen Sie, weder die deutsche Souveränität noch das internationale Recht haben verhindert, dass ich unter den Nasen der deutschen Behörden mit Waffengewalt verschleppt wurde.« Und sarkastisch beendete er das Gespräch mit der Feststellung, dass die NSA ihre Feinde nie vergesse …
Der Vorgang Carney, obgleich einmalig, ist dennoch exemplarisch in vielerlei Hinsicht. Hier finden sich alle Ingredenzien, die beim gegenwärtigen NSA-Skandal sichtbar wurden. Was Wunder: So wird dort seit Jahrzehnten gearbeitet.
Erstens: Die USA scheren sich einen Dreck um Recht und Gesetz anderer Staaten. Sie verstehen sich als »The greatest nation on earth«, auch der aktuelle US-Präsident handelt und redet so, etwa am 24. September 2013 vor der UNO-Vollversammlung: »Ich glaube, dass Amerika außergewöhnlich ist.« Damit ist alles gerechtfertigt, legitimiert Washington jeden Rechtsbruch, jeden militärischen Einsatz, jede Ausspähaktion. Das ist nicht Ausdruck einer kranken Psyche von Politikern, sondern eines aggressiven politischen Systems in seinem imperialem Drang