Die bedeutenden Historiker
Von Lars Hoffmann
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Die bedeutenden Historiker - Lars Hoffmann
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Vorwort
Eine Auswahl an bedeutenden Historikern zusammen stellen zu wollen, ist kein leichtes Unterfangen. Denn seit den ersten historiographischen Versuchen unter den Vorgängern des Herodot von Halikarnass gibt es eine Unzahl von Schriftstellern und Gelehrten, die sich mit der Geschichtsschreibung beschäftigt haben. Wem von diesen Leuten soll man nun eine größere Bedeutung beimessen und wem nicht? Als ein Gradmesser dafür könnte die Verbreitung des literarischen Werkes einzelner Historiker dienen, als ein anderer die Frage, ob der eine oder andere von ihnen Nachfolger fand und sich auf diese Weise so etwas wie eine Schule entwickelte. Doch beides ist recht bedenklich. Denn mit Blick auf etwaige Zeiterscheinungen verbietet es sich einerseits, hohe Auflagenzahlen als Erweis für die Qualität oder die Bedeutung eines bestimmten Autors heranzuziehen, andererseits lässt eine mehr oder weniger große Anhängerschaft bestimmter Historiker nicht unbedingt darauf schließen, dass der jeweilige geistige Urheber tatsächlich etwas Wesentliches geleistet hätte. Dies wird nämlich nicht die journalistische, sondern erst die viel größere historische Perspektive zeigen, die allein die Tragfähigkeit einer bestimmten Sichtweise im Blick auf zurückliegende Vorgänge unter Beweis stellen kann.
Daneben darf man nicht außer Acht lassen, dass es in der Geschichtsschreibung von Anfang an unterschiedliche Auffassungen darüber gab, was ein Historiker leisten kann oder leisten sollte. Der bereits erwähnte Herodot gehörte zu den rein beschreibenden Autoren, die möglichst viele Nachrichten über Gewesenes zusammentrugen, um die eigene Neugierde oder auch die der möglichen Leser zu befriedigen, während bereits sein Nachfolger Thukydides Erklärungen für bestimmte Abläufe suchte und das, was er schilderte, mit einem eigenen inhaltlichen und auch formalen Konzept versah. Die Geschichtstheorie und die Entwicklung historiographischer Methoden, beides Bereiche, in denen auch die zeitgenössischen Historiker so gerne schwelgen, sind also keineswegs eine Erfindung der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts, sondern gehörten von Anfang an dazu. Um dies zu erkennen, muss man allerdings dazu bereit sein, sich mit Geschichte nicht nur für den Zeitraum zu befassen, für den man sich zufälligerweise interessiert. Denn so wird jeder seine scheinbar revolutionären Entdeckungen machen oder Methoden entwickeln, obwohl sie doch keinesfalls neu sind. Noch bedenklicher wird es natürlich, wenn sich Geschichte etwa per ministerialem Dekret auf den Meinungsterror von geist- und phantasielosen Lehrplänen beschränken soll: Denn auf diese Weise wird nur noch das historische Wissen einer Vermittlung für wert geachtet, von dem eine gleichsam willkürlich zusammengewürfelte Gruppe etwa von ministerialen Fachleuten meint, es diene bestimmten politischen und pädagogischen Zwecken.
Schon bei Thukydides oder Livius findet sich die Auffassung, dass Personen Geschichte machen – ein Prinzip, das auch in die Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts Einzug hielt. Seither hat sich vieles geändert. Die theoretischen Modelle unserer Tage gehen eher von Systemen und Ereignisverkettungen aus. Alles wird als miteinander verschränkt gedacht, man sucht Kohärenzen, Stringenzen und Perseveranzen, man integriert und desintegriert, man konstruiert Geschichts- und Kulturräume, man ergründet die Interkulturalität, Nationen bilden sich oder werden von Historikern gebildet – kein soziologischer Entwurf wäre absurd genug, um daraus nicht wieder eine scheinbar neue Geschichtstheorie herleiten zu können. Das Einzelereignis bleibt dabei natürlich auf der Strecke oder stört allenfalls.
Wer in einem kleinen Buch bedeutende Historiker zusammenstellt, scheint damit möglicherweise wieder in das 19. Jahrhundert zurückzufallen, denn es bedeutet ja nichts anderes als Fakten aneinander zu reihen, indem man einzelnen Personen einen besonderen Wert beimisst, ohne dass man diese kohärent aufeinander beziehen könnte. Dennoch interessieren sich Menschen nun einmal genauso für andere Menschen wie für wissenschaftlich-theoretische Konstruktionen, und von daher haben auch solche Zusammenstellungen nach wie vor ihre Berechtigung. Denn sie vermitteln auch einen Eindruck davon, wie in einer bestimmten Zeit oder unter bestimmten politischen Voraussetzungen Geschichte geschrieben wird. Naturgemäß muss es dabei zu einer Auswahl kommen, die immer auch eine subjektive ist. Nicht alles lässt sich bekanntermaßen auf den Verlag und dessen editorische Platzvorgaben abwälzen, obwohl dies natürlich eine treffliche Ausrede wäre. Eine solche Auswahl muss aber auch den großen geistigen Bruch berücksichtigen, den die Renaissance für Europa brachte. Hier ändert sich nämlich der Charakter der Geschichtsschreibung, weil antike und mittelalterliche Historiker nun ihrerseits Objekte der historischen Forschung werden. Was etwa hat denn noch ein Thukydides mit einem Marc Bloch gemeinsam? Beide jedoch wollen erklärend über die Vergangenheit berichten, wollen dazu beitragen, dass man Gewesenes verstehend erkennt – und bedienen sich dazu natürlich des Stils und der Form ihrer eigenen Zeit. Kriterium für die Auswahl war nun, ob man nach einer gewissen historischen Distanz die hier genannten Persönlichkeiten noch kennt, und ob es nicht doch etwa allgemeiner Konsens ist, dass sie einen herausragenden Platz in der historischen Erinnerung einnehmen oder etwa die einzige Quelle für ihre Zeit sind. Dabei steht im Gefolge von Herodot der geographische Raum des sogenannten Abendlands im Vordergrund. Die arabische, persische oder auch chinesische Geschichtsschreibung jedoch konnte hier aus Platzgründen leider nicht berücksichtigt werden, und auch die Geschichtsschreibung Russlands, das beginnend mit der sogenannten Nestorchronik aus dem 12. Jahrhundert sehr wohl eine ganze Reihe sehr wichtiger Vertreter wie etwa Theodor I. Uspenskij oder Nikolaj P. Kondakov aufzuweisen hat, musste deswegen ausgeblendet werden.
Dennoch wird der eine oder andere Name fehlen, und anstelle von Johann Christoph Gatterer hätte etwa auch August Ludwig Schlözer stehen können. Dagegen fehlt etwa ein Christoph Keller (Cellarius), da seine Leistung für die Geschichtswissenschaft allenfalls darin besteht, ein heute heftig kritisiertes Epochenschema formuliert zu haben, das zwar in Lehrplänen noch immer nachwirkt, das letztlich aber doch unbrauchbar ist. Aus diesem Grund übrigens werden in dem vorliegenden Buch die traditionellen historischen Hauptepochen auch nicht voneinander abgesetzt. Andere Geschichtsforscher wie Johann Friedrich Böhmer, Georg Heinrich Pertz, Karl Lamprecht oder Eduard Meyer haben zweifellos sehr große Verdienste um ihre Wissenschaft erworben, doch hätte man für deren Aufnahme in die Liste den Umfang dieses Bandes in der Tat verdoppeln müssen, ein Band der somit nur Interesse an der Materie erwecken und zu eignen Recherchen ermuntern kann. Andere Autoren wie Friedrich Schiller, Wilhelm Dilthey oder Oswald Spenlger, die neben ihren Hauptdisziplinen auch für die Geschichtswissenschaft in Anspruch genommen werden können, wurden gleichfalls ausgelassen – mit Ausnahme jedoch von Karl Marx, weil dessen Geschichtstheorie Konsequenzen von welthistorischer Bedeutung hatte. Bewusst ausgeschieden wurden auch die Historiker, deren Tätigkeit überwiegend in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts fällt. Hier fehlt die zeitliche Distanz, um deren Wirkung zuverlässig einschätzen zu können. Oder es handelt sich um die Träger von zwar bekannten Kontroversen wie der sog. Fischer-Kontroverse zwischen Gerhard Ritter und Fritz Fischer sowie dem zum großen Teil auch persönlich motivierten Historikerstreit der 80er Jahre, bei denen es letztlich um die Frage der Verantwortlichkeit für Kriege und die (auch unlängst wieder aufgeflammte) Einmaligkeit bzw. Vergleichbarkeit bestimmter Verbrechen ging. Hier muss es die Zeit noch erweisen, ob die jeweilige Fragstellung nicht doch von zu lokaler, sprich deutscher, oder nur zeitbedingter Bedeutung war, um historisch tatsächlich wichtig werden zu können. Vice versa gilt dies natürlich auch für die Protagonisten der genannten Auseinandersetzungen.
Aus diesen Ausführungen geht hervor, dass das vorliegende Buch allenfalls eine bestimmte Auswahl an Historikern vorstellen will und kann. Dabei ist es jeder Leserin und jedem Leser natürlich anheim gestellt, bestimmte Personen für ergänzenswert zu halten oder sich ein Urteil zu bilden, warum dieser oder jener Geschichtsforscher in die Reihe aufgenommen wurde, ein anderer aber nicht. Wenn das erreicht werden könnte, wäre der Zweck dieses Buches bereits erfüllt.
Mainz, im Januar 2008 Lars Martin Hoffmann
Herodot aus Halikarnassos
Herodot (gr. Heródotos) aus der antiken Stadt Halikarnássos, die sich auf dem Gebiet des modernen türkischen Bodrum an der westlichen Ägäisküste befand, setzt man im allgemeinen an den Beginn der Geschichtsschreibung, als deren »Vater« ihn kein geringerer als Cicero bezeichnet hatte. Seine Heimatstadt war zu seinen Lebzeiten weithin bekannt, und sollte später durch das Grabmal des karischen Königs Maussolos, das zu den sog. Sieben Weltwundern der Antike gehörte, einen hohen kulturgeschichtlichen Stellenwert erlangen. Es ist natürlich immer mit Schwierigkeiten verbunden, will man für ein bestimmtes literarisches Genre einen festen Ausgangspunkt markieren, und ganz gewiss kam Herodot dabei der glückliche Zufall zu Hilfe, dass gerade sein Geschichtswerk als erstes der Nachwelt überliefert wurde, während von ihm benutzte schriftliche Quellen – wie etwa der Periodos des Hekataios von Milet (ca. 550 – ca. 480 v. Chr.) – gar nicht oder nur in spärlichen Auszügen erhalten sind. Geboren wurde Herodot um das Jahr 485 v. Chr. Seine Teilnahme an einem zunächst erfolglosen Umsturzversuch gegen Lygdamis, einen Tyrannen seiner Heimatstadt, zwang ihn vorübergehend ins Exil auf die Insel Samos, doch war er am gelungenen Sturz dieses propersischen Tyrannen im Jahr 454 v. Chr. wieder beteiligt. Aufgrund politischer Spannungen in Halikarnassos wanderte er etwa zehn Jahre später in die erst 444 v. Chr. gegründete athenische Kolonie Thurioi am westlichen Ende des Golfs von Tarent aus, soll aber nach einem unsicheren literarischen Zeugnis des Eusebios von Kaisareia bereits gut ein Jahr später in Athen gelebt haben, wo ihm die Gruppe der politischen Reformer um Perikles (ca. 490-429 v. Chr.) eine neue geistige Heimat bot. Zu seinen Freunden gehörte dabei unter anderem der Tragiker Sophokles, dessen literarisches Schaffen wiederholt Anspielungen auf Person und Werk Herodots erkennen lässt.
Seine Geschichten oder Berichte (griech. Historiai) hat Herodot, dessen Todesdatum etwa zwischen den Jahren 430 und 425 v. Chr. anzusetzen ist, allem Anschein nach in Athen verfasst. Verstorben ist er jedoch in seiner Wahlheimat Thurioi. Bis dahin müssen zumindest Teile des nach antikem Brauch zur Verlesung konzipierten Werkes publiziert gewesen sein, da sich inhaltliche Anspielungen darauf in den Acharnern des Komödiendichters Aristophanes finden, einer Burleske, die den Peloponnesischen Krieg (431-404 v. Chr.) zwischen Athen und Sparta parodiert und die 425 v. Chr. den Siegespreis der Lenäen, eines jährlich abgehaltenen Theaterwettstreits davontrug. Umstritten ist in der Forschung nach wie vor, wie Herodot an seine Informationen gelangte. Sicherlich trifft es zu, dass er längere Reisen innerhalb Griechenlands, nach Ägypten und auch bis Babylon unternommen und einen größeren Teil der Städte und Monumente selbst gesehen hat, die er in seinem Werk beschreibt. Allerdings sind in vielen Fällen die Unstimmigkeiten recht groß, weswegen Zweifel an seiner Zuverlässigkeit vor allem dann angebracht sind, wenn er über Vorgänge berichtet, die weit vor seiner Zeit liegen oder bei denen er sich einzig auf Augen- und Ohrenzeugen beruft.
Gleichwohl liegt dem Werk das ernsthafte Bemühen zu Grunde, die das antike Griechenland betreffenden historischen Ereignisse nach bestem Wissen für seine Zeitgenossen – und wahrscheinlich auch für die Nachwelt – festzuhalten. Dabei fällt auf, dass Herodot die Gründungsmythen der einzelnen griechischen Stämme oder auch die legendären Ereignisse, von denen etwa Homer in seinen beiden Hauptwerken berichtet, sehr wohl kannte. Allerdings geht er rasch darüber hinweg, um sich dann auf diejenigen Vorgänge zu beschränken, die er entweder noch selbst erlebt hat oder die nur so weit in der Vergangenheit zurücklagen, dass er dafür noch auf Quellen oder Gewährsleute zurückgreifen konnte, die er für verlässlich hielt. Allerdings bildet er in den Fällen, in denen er auf widersprüchliche Aussagen stieß, keine historische Synthese, sondern lässt die unterschiedlichen Darstellungen nebeneinander stehen, um es damit zu einer Aufgabe seines Publikums zu machen, welcher Ansicht man nun folgen will oder nicht. Die spätere Kritik sollte ihm aber gerade dies zum Vorwurf machen.
Für seine Darstellung legte Herodot seinen Historiai ein ganz bestimmtes gestalterisches Prinzip zu Grunde. Sein Bericht läuft nämlich auf die als unvermeidlich angesehene Konfrontation zwischen Griechen und Persern hinaus. Dafür laufen die Erzählstränge für die historische Entwicklung jeder Gruppe zunächst nebeneinander her, bis sie schließlich in der Schilderung der militärischen Auseinandersetzungen zusammenfallen.
Dabei beschränkt sich die Einleitung inhaltlich auf einen längeren Satz, in dem Herodot zum Ausdruck bringt, er wolle durch seine Arbeit sowohl menschliches Tun, als auch dasjenige vor dem Vergessen bewahren, was der menschliche Geist bei Griechen und Barbaren hervorgebracht habe. Daran schließt sich sogleich die Kriegsgeschichte an, denn die anhaltenden Spannungen zwischen Persern und Griechen waren das, was die erlebte Gegenwart des Autors am nachhaltigsten beeinflusste. Buch I ist den Lydern und deren König Kroisos (ca. 595 – ca. 546 v. Chr.) gewidmet, durch dessen politische Anmaßung es nach Herodot überhaupt erst zu jenem großen Konflikt kommen konnte, der die östliche Mittelmeerwelt gut 1000 Jahre lang bis zu den Siegen des byzantinischen Kaisers Herakleios (610-641) gegen die Perser unter ihrem Großkönig Chosraw II. in den Jahren 627 bis 630 begleiten sollte. Buch II schildert die Geschichte Ägyptens, um zu Buch III überzuleiten, das die Eroberung dieser Region durch den Perser Kambyses (gest. 522 v. Chr.) beinhaltet. Die Bücher IV bis VI beschreiben die Feldzüge des persischen Königs Dareios (549-586 v. Chr.) und beschäftigen sich insbesondere mit dem Ionischen Aufstand (500/499-494 v. Chr.) der griechischen Stadtstaaten Kleinasiens gegen die persische Oberhoheit. Am Schluss dieser Einheit steht der Bericht über die Schlacht bei Marathon (490 v. Chr.), in der Dareios das zahlenmäßig weit unterlegene Heer des Atheners Miltiádes nach heftigen Kämpfen bezwang. Die Bücher VII bis IX beschäftigen sich mit den Feldzügen des Xerxes (485-465 v. Chr.), den die Griechen schließlich in den Schlachten von Salamis (480 v. Chr.) und Plataíai (479 v. Chr.) an der Grenze zu Attika besiegten. Ihre politische Dominanz in Kleinasien büßten die Perser noch im selben Jahr ein, als es dort den Griechen bei Mykale gelang, die Flotte ihrer Gegner zu vernichten. Nach diesen Ereignissen nahm das politische und kulturelle Leben in Griechenland einen ganz entscheidenden Aufschwung: Es begann nun das sog. Goldene Zeitalter des Perikles (ca. 480-431 v. Chr.), das dem neu erstarkten Griechentum mit seinem Zentrum in Athen wichtige politische Reformen brachte und ein Geschichtswerk wie das des Herodot, das Zeugnis von einer gemeinsamen Anstrengung aller Griechen gegen einen scheinbar überlegenen, auswärtigen Gegner ablegt. Diese lange, schöpferische Friedensphase sollte bis zum Peloponnesischen Krieg der Jahre 431-404 v. Chr. andauern.
Die Einteilung in neun Bücher oder Hauptabschnitte, wie wir sie heute kennen, ist übrigens sekundär und hängt mit der Überlieferung des Textes zusammen. Wie viele der antiken Schriften gelangte auch das Werk Herodots in die große Bibliothek der Ptolemäer im ägyptischen Alexandria. Da die frühen Beschreibstoffe im Gegensatz zum Pergament, das sich erst im Lauf der Spätantike durchsetzte, von nur geringerer Haltbarkeit waren, mussten die auf Papyrus aufgezeichneten Werke von Zeit zu Zeit abgeschrieben werden. Für eine Papyrusrolle gab es bestimmte Standardmaße, wodurch auch die Textmenge beschränkt wurde, die man auf einer solchen Rolle unterbringen konnte. Denn zu dicke Rollen neigten zum Bruch des geklebten und gestampften Materials. Für umfangreichere Werke ergab sich somit eine Einteilung in einzelne Rollen bzw. Bücher von selbst. Dieser Vorgang gilt in gleicher Weise für viele andere der antiken Schriften, die wir heute noch kennen, und bei der späteren Übertragung in die Kodex- bzw. Buchform wurde diese Einteilung beibehalten. Ein Buch nach dieser antiken Rechnung umfasst etwa 1000 Gedichtverse, also z. B. zweieinhalb Mal so lang wie Schillers Glocke, und damit natürlich weit weniger als ein modernes Buch. Im Falle Herodots entstanden auf diese Weise eben jene neun Bücher, die der Tradition nach den neun Musen gewidmet gewesen sein sollen. Dafür jedoch finden sich in seinem Geschichtswerk keinerlei Anhaltspunkte. Überlegungen, warum ein bestimmtes Buch dieser oder jener Muse zugeordnet war, gehören somit in den Bereich der Spekulation.
Ausgabe:
Herodot. Neun Bücher zur Geschichte. Mit einer Einleitung von L. HOFFMANN. Wiesbaden 2007.
Weiterführende Literatur:
H. BICHLER, Herodots Welt. Der Aufbau der Historie am Bild der fremden Länder und Völker, ihrer Zivilisation und ihrer Geschichten. Mit Beilagen von D. FEIL und W. SIEBERER. Berlin 2000.
H. ERBSE, Studien zum Verständnis Herodots. Berlin u. New York 1992.
W. SCHADEWALDT, Die Anfänge der Geschichtsschreibung bei den Griechen. Herodot, Thukydides. Frankfurt a. M. 1992, S. 9-219.
Thukydides
Während sich Herodot in erster Linie mit jenem Konflikt beschäftigte, der die griechische Welt einigte und eine politisch wie auch kulturgeschichtlich herausragende Epoche einleitete, steht das Geschichtswerk des Thukydides (griech. Thukydídes) am Ende eben dieser Entwicklung: Er ist nämlich der Gewährsmann für den Peloponnesischen Krieg (431-404 v. Chr.), an dem er selbst, wenn auch wenig erfolgreich, aktiv beteiligt war und der der Dominanz Athens innerhalb der griechischen Stadtstaaten ein Ende bereiten sollte.
Geboren wurden Thukydides, über dessen Leben nur wenig sichere biographische Daten vorliegen, um das Jahr 460 v. Chr. in Athen, genauer gesagt in dem attischen Demos Halimos unweit der Stadt. Sein Vater trug den Namen Oloros, der für Könige des nordgriechischen Thrakien belegt ist, und aller Wahrscheinlichkeit nach war seine Familie im Zug der griechisch-persischen Auseinandersetzungen nach Attika gelangt. Über sich selbst spricht Thukydides an vier Stellen seines Geschichtswerks. Zunächst sagt er in Buch I 1.1, dass er Athener sei, um nun über jenen großen Krieg zwischen seiner Heimatstadt und den Spartanern zu schreiben, der der wichtigste und bedeutendste sei, der jemals stattgefunden habe. In seiner Einschätzung stehen diese Ereignisse also noch über Herodot und dem griechisch-persischen Krieg. In Buch V 26.1 heißt es, er wolle nunmehr zu den Vorgängen der Jahre nach 421 v. Chr. kommen, um die einzelnen Etappen der Auseinandersetzung der Reihe nach zu schildern, wie sie sich Sommer für Sommer und Winter für Winter bis zum Jahr 404 v. Chr. ereignet hätten, als es den Spartanern gelang Athen und den Piräus zu besetzen. Insgesamt habe sich dieser Krieg mit diversen Unterbrechungen über 27 Jahre hin erstreckt. Über seine kurze eigene Beteiligung gibt Buch V 26.5 Auskunft. Im Jahr 424 v. Chr. war Thukydides zum Strategen (Feldherrn/Oberkommandierenden) für die nördliche Ägäis ernannt worden, wo er in Thrakien, der vermeintlichen Heimat seiner