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Eifel-Bullen: Ein Siggi-Baumeister-Krimi
Eifel-Bullen: Ein Siggi-Baumeister-Krimi
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eBook321 Seiten4 Stunden

Eifel-Bullen: Ein Siggi-Baumeister-Krimi

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Über dieses E-Book

Zwei tote Polizisten liegen neben ihrem Streifenwagen auf einem Waldweg. Sie wurden mitten in der Nacht erschossen, und niemand kann sich vorstellen, wer das getan haben könnte. Das größte Rätsel aber stellt der Tatort dar, der nicht in ihrem Revier, sondern viele Kilometer entfernt vom Einsatzort liegt.

Polizeirat Kischkewitz ergreift eine ungewöhnliche Maßnahme: Er lässt den Tatort "einfrieren" - Mordkommission und Spurensicherung erhalten mehrere Stunden lang keinen Zutritt zum Geschehen.
Kriminalrat a.D. Rodenstock steigt ein, und mit ihm der Journalist Siggi Baumeister, der eigentlich keine Zeit für Morde gleich welcher Art hat, weil er sich um seinen alten Weggefährten kümmern muss, den Kater Satchmo, mit dem es zu Ende geht.
Gemeinsam versuchen sie, das Geheimnis der toten Polizisten zu lüften. Folgten sie einer Spur? Bekamen sie einen Tipp? Gab es ein geheimes Treffen? Der Beamte, der in der Nacht ihren Einsatz per Funk steuerte, kann nur sagen, dass irgendwann die Verbindung abriss ...
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum30. Nov. 2012
ISBN9783954411139

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    Buchvorschau

    Eifel-Bullen - Jacques Berndorf

    Herbsttag

    1. Kapitel

    Es gibt Tage, die so verquer beginnen, dass man sie am besten ausfallen lässt. Dies war so einer.

    Das Telefon schrillte, ich linste auf die Uhr und stammelte irgendetwas. Es war 5.28 Uhr.

    Rodenstock bestimmte mit seiner fiesesten Militärstimme: »Hör zu, du musst in drei Minuten in deinem Auto sitzen. Du fährst zu einer Familie namens Horst Walbusch in Daun-Boverath und stellst fest, wo die Ehefrau namens Nicole Walbusch, siebenunddreißig Jahre alt, heute Nacht war. Dann fährst du weiter nach Oberstadtfeld. Dort in der Kirchgasse 9 wohnt ein Mann namens Gerd Bludenz. Du stellst fest, wo der heute Nacht war und fragst ihn …«

    »Moment, Moment! Diese Nacht ist doch noch gar nicht zu Ende, und ich muss schließlich wissen, was ich denn …«

    »Keine Zeit, Junge«, schnarrte er und legte auf. So ist er nun mal, wenn die Pflicht ruft, unhöflich und beleidigend, impertinent und kulturlos.

    Wie üblich schaltete ich meinen Heimatsender SWR 1 ein, und unser geliebter alter Barde Udo Nuschel Lindenberg kam mit Hinterm Horizont geht’s weiter. Für Sekunden fasste ich wieder Mut, wurde geradezu fröhlich, aber gleich darauf dachte ich wieder: Wenn Rodenstock um 5.28 Uhr auf der Matte steht, kannst du alle Hoffnung fahren lassen.

    Ich war in jenen Tagen ohnehin etwas melancholisch, möglicherweise war es eine durchreisende Depression. Wahrscheinlich hatte das mit politischen Nachrichten zu tun, in die ich zuweilen hineinrutsche wie in einen bösen Film. Mein Landesvater hatte verkünden müssen, dass der Nürburgring endgültig pleite war. Es standen runde 330 Millionen staatliche Euro im Raum und das Versprechen, dass kein Cent davon den Bürgern aus der Tasche gezogen werde. Dann war die Rede von insgesamt über fünfhundert Millionen Hilfen. Jetzt bezahlten wir Bürger alles, der Eifel war im Grunde nichts zugutegekommen, nicht einmal eine Bretterbude, die Currywurst anbot. Ein paar Manager würden reiche Beute machen, und wahrscheinlich waren ihre Verträge so fein ziseliert, dass auch noch ihre Enkel absahnen könnten. So etwas macht missmutig.

    Kam hinzu, dass die Nachrichten aus aller Welt auch keine Hoffnung machten. Ein Syrer namens Baschar al Assad mit erheblichem Fluchtkinn und dem kindlichen Benehmen eines erfolglosen Seelsorgers bombardierte und massakrierte seine Bürger mithilfe der eigenen Armee und der ständigen Behauptung, es handele sich um aus dem Ausland eingeschleuste Terroristen. Und als feststand, dass dieser Syrer über Unmassen an Senfgas verfügten, tönte unser Außenminister jeden Tag zweimal äußerst drohend: Jetzt aber! Und es geschah gar nichts, außer dass die Syrer voller Angst versuchten, in die Nachbarländer zu fliehen und in Zeltlagern unterzukriechen, in denen es kein Trinkwasser gab und keine medizinische Versorgung. Dann wurde, als aktueller Höhepunkt die »Entscheidungsschlacht um Aleppo« angeboten.

    Sagen Sie selbst: Macht das hoffnungsfroh?

    In der Küchentür stolperte ich beinahe über meinen Kater Satchmo, der beleidigt mit erhobenem Schwanz vor mir herdackelte und mich keines Blickes würdigte. Er war aus irgendeinem Grund gekränkt, wandte mir grundsätzlich den Hintern zu, gab keinen Ton von sich, erzählte auch nichts von seinem Leben. Schmal war er geworden, hager fast, buchstäblich nur Haut und Knochen.

    »Hör zu, wir sind mittags bei der Tierärztin, und du wirst gründlich durchgecheckt. Also lass deine Allüren sein und benimm dich gut. Das Leben ist keine Südseeinsel. Versuch also erst gar nicht, mich mit schlechter Laune zu beeindrucken.«

    Er drehte nur demonstrativ den Kopf weg, Katzen sind ekelhaft arrogant.

    Unter Verzicht auf Wasser machte ich mich mit ein paar Kleidungsstücken schön und nahm den Weg zu meinem Auto über die Terrasse. Die Sonne schickte ihre ersten Strahlen in meine Bäume, und in diesen Strahlen tanzten unzählige Insekten, die im Morgenlicht wie Kometen aufblitzten. Das Pärchen Zaunkönige war schon wach und suchte nach Fressbarem, huschte pfeilschnell durch die Äste der Bäume. Der Dompfaff war auch da, auch das Pärchen Rotschwänzchen. Die Bachstelze demonstrierte wippend ihre ungeheure Schrittgeschwindigkeit im tiefen Gras an der Mauer. Die Amseln flogen ein, die im Frühjahr unter meinem Dach ihre Jungen großgezogen hatten.

    Da atmete ich langsam aus und dachte: Also, hier ist die Welt noch in Ordnung. Ich hatte keine Ahnung, wie falsch das war. Hätte ich das gewusst, oder auch nur geahnt, wäre ich in der Einsamkeit einer Bohrinsel verschwunden.

    Ich konnte mir lebhaft vorstellen, in welche Szenen ich geraten würde. Du klingelst bei einer Frau, sie steht völlig überrascht und halbwach im Negligé blinzelnd in der Haustür, und du fragst schelmisch: »Na, mein Liebe, wo waren Sie denn heute Nacht?« Sie wird eine Pfanne auf meinem Kopf zerbeulen, wenn sie zufällig eine in der Hand hat. Vom wirklichen Leben jedenfalls hat Rodenstock nicht die geringste Ahnung.

    Ich fuhr also nach Daun-Boverath, suchte die Straße und die Hausnummer, stieg aus und stand vor einem weißverputzten, freundlichen Einfamilienhaus mit einem hübschen Vorgarten, in dem eine Menge rotblühender Stauden standen. Ich klingelte, ich klingelte noch einmal, ich klingelte weiter, es geschah nichts. Dann tuckerte ein kleiner, roter Renault heran, hielt hinter meinem Auto. Eine Frau stieg aus, füllig, das dunkle, lange Haar wild, aber ordentlich gekämmt. Fröhlich gekleidet war sie. Ein einfacher, schwarzer Pulli mit einem weiten Ausschnitt und einem bunten, langen Rock.

    Sie fragte: »Was wollen Sie denn bei uns?« Ihr Gesicht war rundlich, mit freundlichen, braunen Augen, ohne das geringste Misstrauen, ein hübsches Gesicht.

    Weil mir absolut nichts einfiel, fragte ich: »Haben Sie die Nacht woanders verbracht?« Es war die mit absoluter Sicherheit dämlichste Frage meines Lebens, zu einer eindeutig abartigen Tageszeit.

    Sie antwortete: »Ja, ich habe bei einer Freundin geschlafen. Was kann ich für Sie tun? Oder kommen Sie von meinem Mann? Aber der ist ja noch auf Schicht.«

    Ich dachte: Okay, sie war nicht hier in dieser Nacht. Und sie behauptet: bei einer Freundin. Also nehme ich das mal und verschwinde wieder.

    Dann bemerkte sie unvermittelt lebhaft: »Wissen Sie was, ich mache uns erst mal einen Kaffee!«

    »Das ist sehr nett!«, erwiderte ich zaghaft.

    In diesem Moment kam eine sehr schmale, kleine Gestalt am Ende der Straße auf uns zu. Ein Mädchen oder ein Junge, vielleicht zehn, zwölf Jahre alt. Die Gestalt tanzte irgendwie, lief in Bögen, wirkte so, als wäre sie nicht von dieser Welt, als träumte sie.

    Bei der Frau neben mir ging etwas Erschreckendes vor sich. Sie straffte sich mit einem Ruck, sie hob schnell den Kopf, sie bog ihren ganzen Körper, sie schrie: »Das darf doch nicht wahr sein! Julian, du gehörst doch ins Krankenhaus!«

    Julian war blond, trug Wuschelhaare und einen reichlich zerbeulten, alten grünen Trainingsanzug. Er sagte sehr endgültig: »Krankenhaus ist scheiße, Mama!« Er war totenblass.

    »Junge, das geht aber doch nicht! Du bist einfach abgehauen!«

    »Ja, Mama«, sagte Julian und lehnte seinen Kopf an ihre Brüste.

    »Ich komme später wieder«, bemerkte ich hastig.

    »Da bin ich Ihnen dankbar«, sagte die Mutter und legte ihre Hände auf Julians Kopf. Sie setzte hinzu: »Dann ist auch mein Mann da, und wir können in Ruhe reden.«

    »So machen wir das!«, nickte ich.

    Ich wollte wütend Rodenstock anrufen und ihn darauf aufmerksam machen, dass seine Aufträge an mich geradezu idiotisch sind, aber ich dachte mir, dass er vermutlich nicht erreichbar sein würde. In derartig peinlichen Fällen war er niemals erreichbar.

    Also Gerd Bludenz, Oberstadtfeld, Kirchgasse 9.

    Es war nicht schwierig, das zu finden, aber die Adresse war eindeutig fragwürdig. Es war ein altes, vollkommen vergammeltes Bauernhaus mit anschließender, großer Scheune. Nach menschlichem Ermessen konnte niemand dort wohnen, denn die Gardinen in zwei Fenstern waren alt und gelb, und jemand hatte zwei Scheiben eingeworfen. Es gab keine Klingel, und die uralte Haustür war mit einem senkrecht über Tür und Zarge geschraubten Brett verschlossen. Die Tür stammte aus den Fünfzigern des vorigen Jahrhunderts. Das Brett war uralt, die Schrauben waren uralt, der Putz am Haus war bröckelig. Das Scheunentor war mit zwei schräg über die Torhälften geschraubten Latten gesichert. Das Tor selbst war vielleicht zum letzten Mal vor dreißig Jahren geöffnet worden, vor der linken Hälfte hatte sich ein Holunder angesiedelt, stolze vier Meter hoch, die Blütenstände würden viele Beeren tragen.

    Ich rief einige Male »Hallo!«, bekam aber kein Echo. Ich versuchte, das Haus von der linken Seite zu umrunden, hatte aber kein Glück. Der ehemalige Garten war ein Dschungel und unpassierbar. Ich versuchte es rechts und schaffte es immerhin zur Rückseite der Scheune und von dort hinter das kleine Wohnhaus.

    Da hatte jemand den wildwuchernden Rasen auf einem Quadrat von drei Metern geschnitten und einen Plastiktisch mit einem alten Sessel aufgestellt. Als ich absichtslos auf die Rücklehne des Sessels drückte, lief Wasser heraus. Der letzte Regen war vor einer Woche gefallen, zeitnah war diese Spur also nicht.

    Jemand hinter mir sagte krächzend : »Wat willste denn?«

    »Ich suche Gerd Bludenz«, sagte ich.

    Es war ein hagerer, misstrauischer, alter Mann, gebeugt von Arbeit und der Sorge ums Überleben. Er trug einen Blaumann über einem karierten Hemd und auf den weißen Haaren eine blaue Arbeitsmütze. Er sagte widerwillig: »Aber hier ist doch keiner.«

    »Das sehe ich auch«, murmelte ich. »Ich muss den Mann aber finden.«

    »Die Polizei sucht den bestimmt«, kommentierte er mit schmalen Augen.

    »Das weiß ich nicht«, murmelte ich. »Wann war er denn zuletzt hier?«

    »Oh, das weiß ich nicht. Aber das Haus soll dem ja gehören.«

    »Also, wenn es ihm gehört, dann muss er ja manchmal hier sein, oder?«

    »Na ja, aber da gibt es ja auch noch eine Frau«, überlegte er. »Aus Köln soll die sein. Und der soll er das Haus überschrieben haben.«

    »Und wo ist die Frau?«, fragte ich.

    Er breitete seine dünnen Ärmchen segnend aus. »Also, die habe ich seit Monaten hier nicht mehr gesehen. Die wär mir aber aufgefallen, ich wohne ja gleich schräg gegenüber.«

    »Und wann war der Gerd Bludenz zuletzt hier?«

    »Also, ich weiß das nicht«, versicherte er. »Kann Wochen her sein.«

    »Aber in diesem Haus kann doch kein Mensch wohnen«, murmelte ich. »Fenster kaputt, uralte Lappen als Gardinen, Fensterrahmen faulen, Verputz bricht ab.«

    Er kicherte hoch: »Da ist nicht mal Heizung drin. Das muss man sich mal vorstellen. Alles feucht, in den Wänden der grüne und schwarze Pilz. Nur ein alter Kanonenofen, sonst nichts. Nicht mal ein Herd. Da denkst du dir doch was bei, oder?« Er nahm die Kappe ab und kratzte sich am Kopf. Dann sah er mich listig an und fragte: »Du kriegst Geld von dem, oder?«

    »Darüber darf ich nicht reden«, antwortete ich. »Wie sieht er denn eigentlich aus?«

    »Ach, das weißt du nicht?«

    »Nein. Wie alt ist er denn?«

    »So um die vierzig, sage ich mal. Aber Genaues weiß ich nicht. Und seinen Pass habe ich nicht gesehen, wenn er überhaupt einen hat.« Das Grinsen dazu war eindeutig süffisant.

    »Wann hat er denn das Haus gekauft? Und wem gehörte das früher?«

    »Also, das war Jossens Mattes. Aber die Kinder wollten das nicht. Und dann starb seine Frau, und er ging ins Heim. Aber das ist lange her, so um die fünfundzwanzig Jahre. Wie man sagt, hat er dafür damals auch kaum was gekriegt. Ein Taschengeld vielleicht. Jedenfalls der, der es gekauft hat, hat es weiterverkauft an den Bludenz. Und der hat es vielleicht acht Jahre oder so. Aber er kommt selten in der letzten Zeit. Also seit der Geschichte mit der Polizei kommt er und ist gleich darauf wieder weg.«

    »Hilf mir mal«, sagte ich freundlich. »Wann hast du den Bludenz zum letzten Mal gesehen? Und was war mit der Polizei?«

    Er hielt den rechten Zeigefinger an seine Nase. »Drei Wochen würde ich sagen. Also, es muss ein Sonntag gewesen sein. Da kam er vorgefahren, ging kurz rein, eine Stunde vielleicht, und war dann auch wieder weg.«

    »Und was war mit der Polizei?«

    »Die Sache mit den Drogen«, sagte er merkwürdig tonlos mit schmalen Lippen. »Davon verstehe ich nichts. Aber er soll Drogen gekauft und weiterverkauft haben. Jedenfalls wurde er verhaftet und verhört, und die Polizei war hier und hat das Haus und alles durchsucht. Mindestens zwanzig Mann waren das. Aber ob sie was gefunden haben, weiß man nicht.«

    »Hier ist alles verrammelt. Wie kam er denn überhaupt rein in den Palast?«

    »Das ist die kleine Tür da, die schmale, grüne. Da geht es in den alten Gang zum Stall, also Schweinestall und dann rein ins Haus. Aber da hat er ja ein schweres Schloss drauf. Aber geschlafen oder so hat er da nie. Jedenfalls nicht in der letzten Zeit.«

    »Dann sag mir, wozu er denn das Haus überhaupt benutzt hat?«

    »Drogen?«, fragte er nach einer langen Pause. »Irgendwelche krummen Dinger? Junge, ich weiß es nicht.«

    Ich nahm eine Visitenkarte und hielt sie ihm hin. »Kannst du mich anrufen, wenn er auftaucht? Soll dein Schaden nicht sein.«

    Er sah die Visitenkarte an, nahm sie dann und murmelte: »Mal sehen, ob ich mich dran erinnere. Mal gucken.« Dann drehte er sich und ging langsam davon.

    Gut und sauber geordnete Eifeler Verhältnisse.

    Ich fuhr los und ließ es langsam angehen. Ich stellte mich in einen passenden Feldweg und rief Rodenstock an.

    »Der ist nicht da«, sagte seine Frau Emma bedrückt. »Der hat diese furchtbare Katastrophe in Eisenschmitt. Du könntest mal wieder vorbeikommen.«

    »Was ist so furchtbar in Eisenschmitt?«

    »Das weißt du nicht? Also, ich weiß so gut wie gar nichts. Das soll er dir lieber selbst sagen. Ruf ihn einfach an.«

    Also wählte ich Rodenstocks Handy an, und er meldete sich kühl und knapp.

    »Rodenstock hier. Ich sehe, du bist es. Wie steht es mit der Ehefrau?«

    »Die war heute Nacht bei einer Freundin, sagt sie.«

    »Und Bludenz?«

    »Das Haus ist verrammelt, feucht und unbewohnbar. Keine Spur von dem Mann. Was machst du in Eisenschmitt? Morgens um sechs Uhr fünfzig?«

    »Komm her, dann siehst du es.«

    »Und wo in Eisenschmitt?«

    »Auf dieser schmalen Straße zu dem ehemaligen Jagdhaus. Unübersehbar und jede Menge Konkurrenz für dich. Ich habe wirklich keine Zeit, also bis gleich.«

    Einen Augenblick lang fühlte ich mich so behandelt, wie man vor zweihundert Jahren mit einem Ladenschwengel umgegangen war, wie man Lehrlinge damals nannte. Irgendwann sollte ich Rodenstock sagen, dass ich seit geraumer Zeit erwachsen war und über so etwas wie ein eigenes Gehirn verfügte. Aber ich wusste auch aus langer Erfahrung: Wenn er ungewohnt sachlich und extrem kurz und ruppig mit mir umging, hatte es einen gewichtigen Grund.

    Eisenschmitt, das Dorf, das die Schriftstellerin Clara Viebig zu einem sehr berühmten Handlungsort gemacht hatte, als sie vor nahezu hundert Jahren den Roman Das Weiberdorf schrieb. Eisenschmitt war damals tatsächlich ein Weiberdorf gewesen, denn die Männer waren in Zeiten eines geradezu wahnwitzigen industriellen Aufbruchs in das Ruhrgebiet gegangen, um dort Geld zu verdienen, in elenden Heimen zu hausen und tagtäglich so lange zu arbeiten, bis sie die Arme nicht mehr hochbrachten. Damals, es war im Jahr 1904, ließ ein jagdbegeisterter, reicher Mann aus Köln ein Jagdhaus in Eisenschmitt bauen, das seither vielgestaltig genutzt worden war. Als die Jäger verschwanden, zog ein Waisenhaus ein, im Zweiten Weltkrieg ein Lazarett, dann ein katholisches Heim für Waisen unter der Leitung von Nonnen. Es wurde später privat erworben und wohl auch genutzt, angeblich ein Verlag. Niemand wusste Genaues, es gab Gerüchte, dass nur noch eine alte Dame dort lebte, unbekannt und unbemerkt in den endlosen Räumen alt wurde und vollkommen verwirrt wie ein Geist durch den Bau schwebte, bis ein kluger Nachbar entschied, sie müsste schleunigst in ein Heim.

    Jetzt wartete der Bau darauf, anderen Bedeutungen zugeführt zu werden. Das Haus lag verrammelt an einer langen, gewundenen Auffahrt, die durch ein hohes Eisengitter verschlossen war. Haus Bergfeld, so hieß es, dämmerte still auf einem Hügel über Eisenschmitt neuen Bedeutungen zu. Angeblich hatten sich Käufer gemeldet, keiner wusste, wer das war. Eisenschmitt hatte gelernt, mit dem Haus zu leben, aber eigentlich war es dem Dorf gleichgültig, wer dort hauste und arbeitete.

    Das Dorf hatte zu Ehren der Schriftstellerin ein gut ausgestattetes Clara-Viebig-Zentrum eingerichtet, aber sie hatte dort niemals gelebt, wohl aber ausführlich recherchiert. Ihr Roman war vielschichtig, gut gelungen und beschrieb das Dorf der abwesenden Männer mit viel verstecktem Humor und guter Kenntnis der Eifel – noch heute ein Volltreffer.

    Also machte ich mich auf, durch die endlosen Wälder über Manderscheid in das kleine, schöne Dorf zu kommen. Ehrlich gestanden trödelte ich, denn was kann man schon morgens um sieben in der Eifel verpassen? Eigentlich nichts, außer du gleitest langsam und begeistert durch endlose Wälder, in denen erstaunlich wenig Verkehr zu vermelden ist, und in denen du in jeder Einmündung eines Waldweges haltmachen kannst, um ein wenig zu schlendern und das Leben zu verlangsamen. Damit du auch lernst, ruhig auszuatmen und einen Eichelhäher nicht für einen Seeadler hältst. Ich gebe zu, ich hätte gern eine Stunde Wald eingelegt.

    Es irritierte mich etwas, dass mir kurz hinter Manderscheid ein Kleinlaster von RTL und ein paar Meter weiter einer vom Sender SWR entgegenkamen. Aber die Fernsehleute trieben sich im Sommer so häufig bei uns herum, dass zu Unruhe kein Grund vorhanden war. Wahrscheinlich filmten sie Wanderer, oder Leute auf dem Mountainbike, oder die ganz großen Geräte beim Ernten.

    Ich fuhr hinunter in den Ort und stellte verwundert fest, dass die Hauptstraße vollkommen zugeparkt war. Und die Autos trugen alle möglichen Kennzeichen, nicht von Wittlich oder Daun. Sie kamen von überall her, im Wesentlichen aus Mainz, aus Köln, aus dem Ruhrgebiet, aus dem Ballungsraum Frankfurt. Es sah aus wie auf einem Kongress.

    In der scharfen Abbiegung der Hauptstraße nach links wollte ich nach rechts in die schmale Zufahrt in das Bachtal, konnte aber nicht, weil mich zwei gelangweilte Polizeibeamte weiterwinkten. Das Sträßchen war gesperrt, nichts ging mehr. Ich fuhr ein Stück weiter und parkte etwas schräg und unbeholfen, weil eigentlich kein Platz war. Dann ging ich zurück. Es standen kleine Grüppchen Leute zusammen und redeten miteinander, und sie sahen aus wie Eisenschmitter, nicht wie Kongressteilnehmer.

    An der Einmündung des kleinen Sträßchens informierte einer der Polizeibeamten freundlich: »Das hier ist gesperrt.«

    »Nicht für mich«, entgegnete ich und hielt ihm meinen Presseausweis unter die Nase.

    »Klar«, nickte er und gab den Weg frei.

    Vor den kleinen Häusern standen Frauen auf der Straße zusammen und schwätzten miteinander, Kinder waren neugierig und wurden zurückgehalten: »Tobias, nein, du darfst nicht dorthin! Wie oft habe ich das schon gesagt?!«

    Dann öffnete sich das kleine Tal, links war der Bach, geradeaus ging es zur Anfahrt auf das Jagdschloss. Da wieselten unglaublich viele Leute herum, die meisten Männer. Und unglaublich viele aus meinem Gewerbe: Leute mit professionellen Fotoapparaten und großen Teleobjektiven, Frauen und Männer mit Fernsehkameras auf den Schultern, Frauen und Männer, die etwas aufschrieben, Frauen und Männer, die rechts und links auf den Grasrändern saßen und auf irgendetwas warteten.

    Ich wollte etwas irritiert einfach in die Luft fragen: »Was ist denn hier los?«, als ich das rot-weiße Plastikband sah und die zwei Polizeibeamten davor. Ich ließ ungezielte Fragen sein und konzentrierte mich auf das Bild vor mir.

    Das schmale Asphaltband sah auf den ersten Blick sehr verwirrend aus. Es gab viele Fahrzeuge in den Wiesenrändern neben dem Asphaltband, die meisten von der Polizei. Es gab den Wagen eines Bestattungsunternehmers, der einsam in der Sonne stand. Und es gab einen Polizeistreifenwagen mit weit geöffneten Türen, um den mehrere zivile Beamte der Kripo herumstanden oder irgendetwas taten, betrachteten, miteinander redeten. Es war unschwer zu erkennen, dass dieser Streifenwagen das Zentrum aller Bemühungen war.

    Dann der Leiter der Mordkommission Kischkewitz, der auf einem etwas erhöhten Wiesenstreifen im Gras saß, den Kopf gesenkt. Ein paar Meter neben ihm Rodenstock, ebenfalls im Gras sitzend, den Kopf gesenkt. Sie schienen einfach in der Sonne zu sitzen und zu schweigen, weil sie mit irgendetwas nicht klarkamen. Sie wirkten sehr niedergeschlagen, wie zwei Inseln, die niemand erreichen kann.

    Ich rief Rodenstock an.

    »Ich bin hier und sehe dich!«

    »Das ist gut. Aber du kannst nicht hierher.«

    »Was ist denn los?«

    »Zwei Polizeibeamte sind erschossen worden. Sieht aus wie eine Hinrichtung. Die Leichen kannst du von dir aus nicht sehen, sie liegen links und rechts neben dem Streifenwagen.«

    »Wann ist das passiert?«

    »Wahrscheinlich gegen Mitternacht, vielleicht ein bisschen später, sagt die Medizintante.«

    »Und die Leichen liegen jetzt noch hier?«, fragte ich verblüfft.

    »Ja. Es gab einen riesigen, internen Stunk. Kischkewitz hat den Tatort eingefroren, Politiker haben sich eingemischt, es war sehr schlimm. Und das alles mitten in der Nacht.«

    »Ich will das sehen.«

    »Wir bringen die Leichen jetzt weg, dann geht das.«

    »Aber ich brauche Fotos von den Toten.«

    »Die kannst du von mir haben, Junge. Hunderte. Warst du bei den beiden Adressen?«

    »Ja. Aber gebracht hat es nichts. Diese Frau kam gerade nach Hause und sagte mir, sie habe bei einer Freundin geschlafen. Der Mann in Oberstadtfeld war wochenlang nicht in dem Haus, er ist verschwunden, jedenfalls nicht aufgetaucht. Was willst du von denen?«

    »Es besteht die Möglichkeit, dass dieser Bludenz geplant haben könnte, diesen Polizeibeamten hier zu töten. Bei der Ehefrau besteht die Möglichkeit, dass sie irgendetwas weiß. Dass sie ahnt, weshalb ihr Mann erschossen wurde, dass sie möglicherweise darin verwickelt ist, dass …«

    »Moment mal«, murmelte ich leise und stinksauer. »Heißt das, dass der Ehemann dieser Frau, die ich eben aufgesucht habe, einer der Polizeibeamten ist, die da tot neben dem Streifenwagen liegen?«

    »Genau das«, antwortete er. »Horst Walbusch, fünfunddreißig Jahre alt, Polizeibeamter im Schichtdienst.«

    »Und wer ist der andere?«

    »Der andere ist eine Frau, eine Polizistin. Gaby Schirmer, zweiunddreißig Jahre alt.«

    »Ich war also bei einer Frau, deren Mann erschossen wurde, und die davon noch nichts wusste?«

    »Jetzt hast du es verstanden. Sie wird zurzeit informiert.«

    »Da bin ich aber dankbar für so viel Fürsorge«, bemerkte ich mit triefendem Spott. »Und was soll ich sagen, wenn ich die trauernde Witwe irgendwann mal zufällig treffe?«

    »Du kannst die Wahrheit sagen: Du hast es nicht gewusst.« Dann fluchte er: »Herrgott, wir mussten sofort jeder nur denkbaren Möglichkeit nachgehen, wir hatten nichts, nicht den Hauch eines Verdachtes. Und den haben wir noch immer nicht.«

    »Also gut. Ein Mann, eine Frau, Polizeibeamte, stationiert in Wittlich, fahren in eine idyllische, kleine, behagliche Eifelgemeinde namens Eisenschmitt und werden dort in einer Nebenstraße erschossen und ...«

    »Falsch!«, sagte er düster. »Ganz falsch! Diese beiden Toten hier gehören nicht in die Polizeistation Wittlich, sie kamen aus dem Landkreis Daun. Sie sind hier in Eisenschmitt im falschen Landkreis. Und wir haben keine Ahnung, was die beiden hier mitten in der Nacht wollten.«

    »Sie sind euch also aus dem Ruder gelaufen?«

    »Genau das«, sagte er. »Sie waren plötzlich von Daun aus über Digitalfunk nicht mehr zu erreichen, sie antworteten nicht. Im Notfall wird automatisch ein Alarm ausgelöst, dann werden sie über GPS angesteuert. Ein Hubschrauber steigt in Winningen an der Mosel auf, Streifenwagen rasen los. Und wir hatten sie relativ schnell wieder auf dem Schirm. Aber sie waren tot. Die Frau, die den Streifenwagen fuhr, lag neben dem offenen Wagenschlag links, der Mann neben der rechten, offenen Vordertür. Beide sind sie mit einem Neun-Millimeter-Geschoss getötet worden. Der Kopfschuss, der die Frau tötete, wurde aus einer Entfernung von etwa zwanzig bis dreißig Zentimetern abgegeben. Der Mann wurde aus etwa drei Metern mit einem Schuss in den Kopf getötet.«

    »Und ihr hattet die Idee, dass die Ehefrau von Horst

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