Schuld ist nur das Publikum: Geschichten aus dem Theater
Von Georg Markus
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Über dieses E-Book
-Die großen Theaterdynastien
-Wer war der erste Schauspieler?
-Theaterskandale
-Künstlerportraits und Begegnungen mit den bedeutendsten Schauspielern der Jahrhunderts
-Heiteres und Ernstes vom Theater und seinen Stars
-Pointen aus dem Kabarett
-Das Geheimnis des Ifflandrings
-u. v. m.
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Schuld ist nur das Publikum - Georg Markus
BERUF: SCHAUSPIELER
Von der Steinzeit nach Hollywood
Wer war der erste Schauspieler?
Vom Steinzeit-Mimen zum römischen Theater-Sklaven
Fasziniert hat dieser Beruf immer schon. Ob zu den Urzeiten des Menschen, da Tanz und Grimasse Ausdruck der Fruchtbarkeit waren, ob im klassischen Altertum oder gar erst in unseren Tagen, da die Schauspieler zu Idolen wurden. Der soziale Aufstieg ihrer Profession ist unvergleichlich: Im alten Rom noch Sklaven, im Mittelalter mit dem Teufel im Bunde, versteckte man auch vor hundert Jahren noch »die Wäsch’«, wenn die Komödianten kamen. Heute hingegen wird jede Gelegenheit, an ihrer Seite gesehen und fotografiert zu werden, genützt, auch und vor allem von den Spitzen des Staates. Fast ist man versucht zu sagen: Hielten sich die Könige einst Hofnarren, so hält sich so mancher Hofnarr heute seinen König. Ein Hofnarr hat es gar selbst zum König gebracht: der Westerndarsteller Ronald Reagan, als er 1980 Präsident der Vereinigten Staaten wurde.
Wer aber war der erste Schauspieler auf Erden? Vielleicht Adam, als er Eva das Paradies vorspielte. Natürlich, der Spieltrieb steckt in jedem Menschen, wir aber wollen uns hier mit den Profis, mit jenen, die das Spiel zu ihrem Beruf, oft auch zu ihrer Berufung, gemacht haben, beschäftigen.
Der Ur-Schauspieler – Vorfahr von Laurence Olivier, Elisabeth Bergner, Oskar Werner – lebte vor 50 000 Jahren, am Ende der Altsteinzeit. Diese frühen Mimen standen auf keiner Bühne, ihr Spiel inmitten ihrer Stammesbrüder diente vielmehr ganz profanen Zwecken: Im Tanz vermittelten sie der jeweils jüngeren Generation zwei lebenswichtige Erfahrungen: wie man sich Nahrung beschafft und wie man sich – fortpflanzt! Die ersten Schauspieler waren also Lehrer für Jagd und Sexualkunde. Wie die späteren Romeo- und-Julia-Darsteller spielten sie ihrem Publikum die Liebe vor, wenn auch mehr auf das Körperliche als auf das Seelische konzentriert.
Mit seinem phallischen Spiel, zusammengesetzt aus Bewegung, Urlaut und Grimasse, feierte der Steinzeitmensch aber auch die alljährliche Erneuerung der Natur, und er meldete bei den Göttern den Wunsch nach Regen an.
Im dritten Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung wurde die Mimik dann musikalisch untermalt. Bei Ausgrabungen in Mesopotamien fand man Harfen, Flöten und Schalmeien, die aus dieser Zeit stammen. Auf Felszeichnungen zeigten sich die Mimen mit Rentier- und Wolfsköpfen.
Ernste Szenen wurden zur Auflockerung der sich über Tage und Wochen hinziehenden »Vorstellungen« von Spaßmachern unterbrochen, die zum Gaudium des Publikums etwa darstellten, wie sich eine Frau mit einem Mann entfernt, worauf sich der von ihr Gehörnte aus Rache mit einer anderen amüsiert.
Doch wahre Schauspielkunst konnte sich erst mit dem Entstehen der Schriftzeichen entfalten. Waren die frühen Mimen ausschließlich auf ihr Improvisationstalent angewiesen, so schuf die sich im griechischen Altertum neu etablierende Berufsgruppe der Schriftsteller die literarischen Voraussetzungen, um aus vormals kultischen Handlungen Kunstwerke entstehen zu lassen. Die Dichter Aischylos, Sophokles, Euripides und Aristophanes verhalfen mit ihren Tragödien und Komödien dem Theater zu seinen ersten Höhepunkten. Die Geburtsstunde des Schriftstellers wurde somit auch zur eigentlichen Geburtsstunde des Schauspielers (wobei gerade in den Anfängen viele Autoren die Interpreten ihrer eigenen Werke waren).
Im wesentlichen war das Spiel der griechischen Mimen – vorerst in Chorszenen, später dann auch als Einzeldarsteller – auf zwei Schauplätze beschränkt: das idealisierte Bild der Götter auf der einen Seite und der Alltag der Bürger auf der anderen. Sie charakterisierten Figuren wie den Arzt, den Koch, den Bauern, den Matrosen, den Dieb, den Sklaven, die Kupplerin oder die Hebamme. Die männlichen Darsteller traten nach wie vor mit einem übermächtigen Phallus aus Leder auf, weiters mit dickem Wanst und feistem Hinterteil.
Der wohl bekannteste Name eines altgriechischen Schauspielers ist Thespis, der um 530 v. Chr. lebte und – zu Ehren des Fruchtbarkeitsgottes Dionysos – die erste Tragödie aufführte. In seinen Anfängen angeblich mit einem Wagen (»Thespiskarren«) für eine Art Wanderbühne unterwegs, erhielt er später in Athen ein festes, vom Staat bezahltes Engagement, bei dem er oft – durch Masken unkenntlich gemacht – in drei verschiedenen Rollen hintereinander auftrat.
Freilich mußte Thespis seine Verse eher brüllen als sprechen, faßte doch das riesige Rund des oben offenen Dionysostheaters bis zu 17 000 Zuschauer. Am alten Tanzplatz an der Akropolis gelegen, war die Bühne von Holzgerüsten umgeben, auf denen das Publikum Platz nahm. Als die Sitzreihen bei diversen Vorstellungen mehrmals zusammenbrachen und unter den Zuschauern immer wieder Opfer zu beklagen waren, wurden sie durch steinerne Traversen verstärkt.
Waren die hellenischen Dramen bis zum fünften vorchristlichen Jahrhundert nur bei obszönen Gelagen, auf Märkten und Dorfplätzen aufgeführt worden, so wurden sie etwa hundert Jahre später erstmals auch an den vornehmen, ja sogar an königlichen Höfen gezeigt. Ab diesem Zeitpunkt gab es in Athen auch die ersten Sprechschulen.
Um einen Schritt weiter gingen die Akteure in Rom, die sich bereits zu kleinen Spielgruppen vereinigten, denen ein Direktor – der Archimimus – vorstand. Die Römer waren die ersten, die ohne Masken auftraten. Sie führten also das Mienenspiel ein – und hatten auch ihre »Stars«: von Roscius, Pylades und Bathyllos wird berichtet, daß sie prinzipiell nur Hauptrollen spielten. Es gab Schauspieler, die sich eigene Sklaven hielten, deren Aufgabe es war, zufällig vorbeikommende Passanten durch Zuruf darüber aufzuklären, wer ihnen sogleich begegnen würde.
Doch im Gegensatz zu ihren »Kollegen« in Athen, wo Schauspieler angesehene, vom Kriegsdienst befreite und auch sonst privilegierte Mitbürger waren, gehörte das Heer der römischen Mimen, so sie nicht als »Stars« eine Sonderstellung hatten, dem niedrigsten sozialen Status an. Der Großteil war unfrei – es gab nicht wenige römische Edelmänner, die sehr gut von den Einkünften leben konnten, die ihnen ihre Schauspieler-Sklaven abliefern mußten.
Vielfach hing deren Ansehen auch von den Launen und Interessen des jeweiligen Herrschers ab: Während es Kaiser Tiberius seinen Senatoren untersagte, Schauspieler in ihrem Haus zu besuchen, war Caligula den Mimen sehr gewogen. Nero, der die Komödie liebte, ließ einen Schauspieler hinrichten, weil er in ihm einen Nebenbuhler sah. Prinzipiell war es in allen Epochen des Römischen Reiches erlaubt, einen Schauspieler, der eine Dame verführt hatte, zu töten.
Die Gliederung in einzelne Sparten ist beim römischen Theater schon fortgeschritten. Da ist der Liebhaber, dann der – meist mit kahlem Schädel, Mütze, übergroßen Ohren und pausbäckigem Gesicht – auftretende Narr, der für seine tölpelhaften Streiche mit Maulschellen belohnt wird. Und die ungetreue Ehefrau. Männer zeigten mit erigiertem Penis, daß das Triebhafte nach wie vor im Vordergrund, auch des theatralischen Lebens, stand. Frauen wurden in Rom erstmals auch von Frauen verkörpert. Cicero schreibt von der schönen Mimin Dionysia, »ihr Spiel habe ihr jährlich 200 000 Sesterzen eingebracht«. Die weiblichen Schauspieler trugen prunkvolle Gewänder oder geschickt gebundene Umhängetücher, die ihre Reize kaum verhüllten.
Da die Miminnen zu den schönsten Frauen Roms zählten, waren sie bei den Herrschern überaus begehrt. Eine von ihnen war Cytheris, der man ganz außergewöhnliche Verführungskünste nachsagte. Einst als Sklavin freigelassen, soll sie ein luxuriöses Leben geführt haben, das von Marc Anton finanziert wurde. Sie hatte den großen Feldherrn derart in ihren Bann gezogen, daß er sogar eine Diskussion über sein Verhältnis mit der Schauspielerin in aller Öffentlichkeit zuließ.
Die größte »Karriere« freilich machte die Akteurin Theodora, Tochter eines Bärenwärters im Zirkus, deren Darstellungskünste ebenso witzig wie schamlos waren. Um 520 n. Chr. wurde sie die Gattin Justinians, der als glanzvollster Kaiser des byzantinischen Reichs in die Geschichte einging. Die Rachsucht der ebenso klugen wie grausamen einstigen Mimin war im Volk überaus gefürchtet.
Doch auch Frauen wurden nur selten akzeptiert, die meisten waren nicht »gesellschaftsfähig«. So war es Bäckern verboten, eine Schauspielerin zu heiraten, zumal diese als Dirnen galten. Und ein Senator, dem eine Schauspielerin ein Kind gebar, durfte dieses nicht für legitim erklären.
Schauspieler und Tiere sind verboten!
Die Verfolgung eines Berufsstandes
Durch das Vordringen römischer Legionen nach Norden lernten auch die Germanen das Mimentum kennen. Römische Gaukler gelangten in Begleitung der Truppen über den Rhein und fanden in deutschen Landen ein dankbares Publikum. Es waren vor allem freigelassene und entlaufene Gladiatoren, die in der Fremde ihr Glück suchten, sich mit den germanischen Volkssängern vermischten. Das antike Theater freilich, die Dichter und deren Stücke, gerieten mit dem Untergang des weströmischen Reiches vorerst in Vergessenheit.
Das muntere Völkchen der Possenreißer indes zog musizierend, mimend und tanzend durch die deutschen Lande und fristete ein karges Leben. Die Spielleute, Minnesänger, Troubadoure, Buffones waren nicht nur die Unterhalter, sondern auch die »Journalisten« des frühen Mittelalters, da sie Kriegsereignisse, Moritaten und andere Geschehnisse besangen und so zu den einzigen Informationsträgern der Bevölkerung wurden. Vornehme Haushalte hielten es für ihre Pflicht, Gäste während des Mahls durch Künstler unterhalten zu lassen, wogegen wiederum Priester von der Kanzel herab heftig polemisierten, Schauspieler zu »Genossen des Teufels« erklärten. Das Konzil zu Aachen befahl im Jahre 816 den Geistlichen, »Festlichkeiten, zum Beispiel Hochzeitsfeiern an fürstlichem Hofe, sofort zu verlassen, sobald Gaukler und Spielleute auftreten«. Eine andere Verordnung verbietet Bischöfen, Äbten und Äbtissinnen, sich »Possenreißer, Falken und Habichte zu halten«.
Schauspieler, in einem Atemzug mit Tieren genannt, waren im Mittelalter rechtlos, gehörten keinem Stande an, galten als unehrliche Leute. Welch großer Schritt von hier zu den Stars des 20. Jahrhunderts, die sich dem sie anhimmelnden Publikum in ihren Villen mit Swimmingpool und goldener Badewanne, im Rolls-Royce und im Privatjet präsentieren. Die mittelalterlichen Gaukler parodierten in übertriebener, grober und obszöner Form Berufsstände, traten in passender Verkleidung als Richter, Quacksalber, Ritter, Bettler, Mönche oder Nonnen auf. Sie zogen von Haus zu Haus, stellten auf Straßen und öffentlichen Plätzen Gerüste auf, von wo aus sie, lebhaft gestikulierend, ihre Texte deklamierten. Nur die meist sehr primitive Grundhandlung stand vor Beginn der Aufführung fest, Monologe und Dialoge wurden improvisiert.
Wurde das Theater lange Zeit von der Kirche bekämpft, so war gerade sie es, die im 11. und 12. Jahrhundert der Schauspielkunst zu neuer Blüte verhalf. Ursprünglich nur von Geistlichen und Klosterschülern vorgetragen, wurde das Mysterienspiel bald auch zur künstlerischen Heimat religiöser Laien. Mit dem Wachstum der Städte in dieser Zeit und dem Aufblühen eines neuen Bürgertums, insbesondere der Handwerker, konnten die ersten Mimen seßhaft werden.
Die Texte wurden jetzt immer weniger gesungen, wurden realitätsbezogener. Man unterschied Haupt- und Nebenrollen, schrieb den Inhalt der Szenen nieder, führte Proben ein. Ab dem 13. Jahrhundert erhielten die ersten Gaukler staatliche »Gnadengeschenke« als Spielhonorar, etwa zweihundert Jahre später standen einige bereits im Solde einer Stadt. Das Bürgerrecht freilich hatten sie noch immer nicht.
Die Lieder, Fastnachtsspiele, Tragödien und Komödien des Nürnberger Schuhmachers und Meistersingers Hans Sachs (1494 bis 1576) bilden den Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. Sie wurden von verschiedenen Truppen, deren Interpreten in ihren Zivilberufen Bürstenbinder, Schneider, Kürschner, Glaser oder Bäcker waren, in geräumigen Privathäusern, Klöstern und Gasthaussälen, meist ohne Dekoration, aufgeführt. Wenn die Darstellung sagenumwobener Gestalten wie Odysseus, Tantalus oder Fortunatus durch die Handwerker auch oft unfreiwilliger Komik nicht entbehrte, trug sie doch viel zur Popularisierung des Theaters beim Stadtbürgertum bei. Ob sie Väter oder jugendliche Liebhaber spielten, ob Anstandsdamen oder Naturburschen, die »Meistersinger« agierten in allen Rollen im gleichen Tonfall, mit den gleichen Gesten und Gebärden.
Wirklich professionell wurde das Theaterspielen neuerlich in Italien, wo – etwa zur selben Zeit – die Commedia dell’arte entstand. Die in der Renaissance wiederentdeckten Inhalte der Antike wurden mit aktuellen Themen aufgefrischt und von maskierten Stegreifspielern dargestellt. »Signori comici sono arrivati!« rief ein Mitglied der Theatergesellschaft aus und schlug auf die Trommel, um für die abendliche Vorstellung im Palazzo der Stadt, in der Osteria oder einer zur Bühne umfunktionierten Jahrmarktbude zu werben. Ihm folgten mit ohrenbetäubendem Lärm die schönsten Künstlerinnen und andere Mitglieder der Truppe.
Zum ersten Mal nach tausend Jahren erlangten die Komödianten sowohl in der Bevölkerung als auch bei Hof wieder eine gewisse Form der Anerkennung. Tourneen führten sie durch Europa, sie spielten in London, Paris, Dresden, Prag, Wien. Im norditalienischen Ferrara entstand um 1530 das erste öffentliche Theater.
Francesco Andreini, 1548 in Mantua geboren, war einer der berühmtesten Vertreter der Commedia dell’arte. Er erfand den »Capitano Spavento della Val d’Inferno«, dessen mörderische Abenteuer das Publikum ebenso begeisterten wie die von ihm kreierte Figur des sizilianischen Dottore. Andere schufen den venezianischen Kaufmann Pantalone, die Diener Arlecchino und Truffaldino, das verführerische Dienstmädchen Colombina, Juristen, Philosophen, diverse Liebespaare, Bauernlümmel und Plebejer, die allesamt bald zu den ständig auftretenden Typen der Commedia dell’arte wurden.
Ein legendärer Commedia-Darsteller war auch der Neapolitaner Tiberio Fiorelli, der sich Scaramuccio nannte und mit seiner Frau, der Schauspielerin Marinetta, zahlreiche Tourneen unternahm. Der Herzog von Toskana schenkte dem populären Ehepaar einen prächtigen Landsitz. Als sich Marinetta auf diesen zurückzog, reiste Tiberio Fiorelli ohne sie von einem Engagement ins andere. Bereits sechzigjährig, verliebte er sich in die Soubrette Anna Doffan, die ihm 1673 einen Sohn gebar. Mit zweiundsiebzig erlag er der erotischen Ausstrahlung der 22jährigen Pariser Grisette Marie Duval, die – nach dem Tod Marinettas – seine zweite Frau und auch Mutter eines weiteren Kindes wurde. Marie machte dem alternden Commedia-Star die letzten Jahre seines Lebens zur Hölle, bestahl und verprügelte ihn, setzte ihm Hörner auf, die, nach ihrer eigenen Aussage vor Gericht, »so hoch wie die beiden Türme von Notre-Dame« waren. Tiberio Fiorelli, der einst gefeierte Scaramuccio, starb achtundachtzigjährig. Selbst das zügellose Leben mancher Comici dell’arte spielte jetzt keine Rolle mehr, sie bildeten einen anerkannten Berufsstand, dessen hervorragende Vertreter an königlichen Höfen und vor dem Kaiser in Wien gastierten oder als Hofnarren sogar fest angestellt waren.
Die Entfaltungsmöglichkeiten des Schauspielers waren letztlich immer abhängig von den Dichtern ihrer Zeit und ihrer Sprachregion. Goldoni in Italien, Lope de Vega in Spanien, Shakespeare in England, Molière in Frankreich, Goethe in Deutschland und Grillparzer in Österreich schufen unsterbliche Meisterwerke, die den Schauspielern die Grundlagen ihrer Kunst lieferten.
Shakespeare, 1564 in Stratford-on-Avon als Sohn eines Handschuhmachers geborenes Universalgenie, war Dichter und Schauspieler. Er selbst wies seine Kollegen Taylor und Lowin, die als erste seinen Hamlet und seinen Heinrich VIII. verkörperten, in ihre Rollen ein. Die Leseproben fanden im Wirtshaus statt, die Aufführungen in dem von seiner Truppe gegründeten Globe Theatre in London. Die Zeit der Commedia dell’arte und ihre Stegreifspiele gehörte der Vergangenheit an, Shakespeares realistische Figuren eroberten die Bühnen in aller Welt.
Anfangs freilich ohne jeden literarischen Anspruch. Die Kunde von Shakespeares Dramen sprach sich unter den Theaterleuten anderer Länder zwar schnell herum, doch sollten seine Texte noch lange nicht über den Kanal gelangen. So wurden die Inhalte von Romeo und Julia, König Richard III., Der Kaufmann von Venedig, Ein Sommernachtstraum oder Was ihr wollt in freiem Spiel und ohne Nennung des Autors »nachempfunden«, unter anderen auch von der Truppe des berühmten »Kursächsischen Hofkomödianten« Magister Johannes Velten. Es muß schrecklich gewesen sein!
Dafür kann Velten (1640 bis 1693), der »Stammvater der deutschen Berufsschauspieler«, für sich das Verdienst in Anspruch nehmen, als erster Molière in korrekter Übersetzung auf deutschen Bühnen aufgeführt zu haben. Er war es auch, der Frauenrollen ausschließlich von Frauen interpretieren ließ (was damals noch gar nicht selbstverständlich war). Freilich saß er auch an der Quelle: Seine Ehefrau und deren Schwester gehörten dem Ensemble an.
Als Othello im 18. Jahrhundert dann in der ersten deutschen Übersetzung des Originals aufgeführt wurde, fielen die Hamburgerinnen reihenweise in Ohnmacht, und König Lears Flüche, die auf seine Töchter niederprasselten, verursachten mehrere Fehlgeburten. Man mußte sich mit der neuen Form der dramatischen Kunst erst vertraut machen.
»Ich bitte Sie, um Himmels willen,
lachen Sie über mich!«
Warum das Publikum schuld ist
Sechsundzwanzig Jahre alt war er damals, der Herr von Goethe, als er in Weimar eine Dilettantenbühne gründete, die sich bald zur Wirkungsstätte von Berufs- und Hofschauspielern entwickeltn sollte. Herr von Schiller unterstützte ihn als Dramaturg, wobei die Dichterfürsten gegenseitig die Werke des jeweils anderen inszenierten.
Während der Generalprobe von Shakespeares Macbeth in der Bearbeitung von Schiller müssen die beiden Herren feststellen, daß Heinrich Voß, der Darsteller der Titelrolle, seinen Text mehr als mangelhaft beherrscht. Während Goethe zornig aus seiner Loge »Der Mann kann ja kein Wort von seinem Text« brüllt, versucht Schiller einzulenken. Überraschenderweise geht die Premiere anderntags, man schreibt den 14. Mai 1800, gut über die Bühne, worauf Schiller zu seinem Regisseur Anton Genast sagt: »Sehen Sie, Genast, ich habe recht gehabt. Er hat zwar ganz andere Verse gesprochen, als ich geschrieben habe, aber er ist vortrefflich!«
Goethe ließ seinen treuen Helfer Johann Peter Eckermann später in 91 Paragraphen »Regeln für Schauspieler« niederschreiben, in denen er auf die Beherrschung der Sprache und der Bewegung (§ 1) ebensolchen Wert legt wie auf »gesteigerte Rezitation« (§ 20) und »Körperhaltung: Brust herausgekehrt, die obere Hälfte der Arme bis an die Ellbogen etwas an den Leib geschlossen« (§ 37). Um schließlich zusammenzufassen: »Alle diese technischgrammatischen Vorschriften mache man sich zu eigen nach ihrem Sinne und übe sie stets aus, daß sie zur Gewohnheit werden. Das Steife muß verschwinden und die Regel nur die geheime Grundlinie des lebendigen Handelns werden.« Wer gegen Goethes Regeln verstieß, mußte in Weimar mit drakonischen Strafen rechnen. Bei Zuwiderhandeln gab es für Schauspieler Stubenarrest, dessen Einhaltung von einer vor der Haustüre postierten Schildwache überprüft wurde!
Naturgemäß ist die Schauspielkunst in jeder Generation neuen Strömungen unterworfen. Einst zählte es zu den edelsten Pflichten des Mimen, sich »durch Verleugnen des eigenen Ichs« der Kunst des Dichters zu unterwerfen. Für den Komödianten und Theaterdirektor Friedrich Haase galt vor hundert Jahren als Kennzeichen des guten Schauspielers, »so weit hinter der Rolle verborgen zu bleiben, daß man oft minutenlang den Spieler nicht erkennt«. Und der Burgschauspieler Josef Lewinsky meinte am Beginn unseres Jahrhunderts: »Wir dürfen nie vergessen, daß wir nur die Diener der Dichter sind, deren Gestalten wir darzustellen haben!«
Ganz anders Max Reinhardt, fündfundzwanzig Jahre später: »Das Heil kann nur vom Schauspieler kommen, denn ihm und keinem anderen gehört das Theater.«
Daß die Stimmen Albert Bassermanns