Geschrieben am 1. Februar 2024 von für Crimemag, CrimeMag Februar 2024

Thomas Wörtche zu Doug Johnstone

Tiefenbohrung

In „Eingefroren“ buddelt Doug Johnstone tief, aber er hebt keine Gräber aus, sondern gräbt in den Seelen seiner Figuren. Eine Besprechung von Thomas Wörtche.

„Eingefroren“, der neue Roman des schottischen Schriftstellers Doug Johnstone, ist die Fortsetzung seines Titels „Eingeäschert“. Johnstone erzählt hier die Geschichte der drei Skelf- Frauen fort. Großmutter Dorothy Skelf, ihre Tochter Jenny und deren Tochter Hannah. Das Trio betreibt ein Bestattungsunternehmen in Edinburgh und gleichzeitig eine Privatdetektei.  Das ist eine schräge Kombination – und ziemlich schräg beginnt auch dieser Roman: Während einer Beerdigung kachelt ein Auto, von einem Polizeiwagen verfolgt, auf den Friedhof, erwischt beinahe Dorothy Skelf, und fällt in ein offenes Grab. Der Fahrer ist tot.

Das könnte der Beginn einer schwarzen Komödie sein, die „Eingefroren“ aber deutlich nicht ist. Die drei Frauen haben je ihre eigene Agenda: Dorothy möchte herausfinden, wer der Todesfahrer war; Jenny wird von ihrem Ex-Mann Craig, ein oberfieser Mörder und Vergewaltiger, erst telefonisch gestalkt, und dann, als er aus dem Knast entkommt, bedroht. Und Hannah, die daran zu knapsen hat, dass ihr Vater ein Ungeheuer ist, versucht herauszufinden, warum sich ein netter alter Professor anscheinend grundlos umgebracht hat. 

Man muss den Vorgänger-Roman nicht unbedingt kennen (obwohl es schon hilfreich wäre), um zu verstehen, dass die Skelf-Frauen unter enormen Druck stehen.  Dorothy sucht Ruhe und Entspannung bei ihrem Schlagzeugspiel, Jenny, immer noch tief verletzt, dass ihr Exmann sie und ihre Mutter hatten umbringen wollen, versucht zögerlich eine neue Liebesbeziehung zu dem Maler Liam aufzubauen, und Hannah tut sich schwer, Hilfe von ihrer Therapeutin und ihrer Freundin Indy anzunehmen. 

Und dann brechen eben neue dramatische Ereignisse herein. D.h., so dramatisch ist das alles oberflächlich gesehen gar nicht, bis eben auf die Action mit dem schurkischen Ex-Gatten.  Johnstone gräbt tiefer – seine Heldinnen sind permanent mit den „letzten Dingen“ konfrontiert, mit Tod und Verlust, mit den diversen Sinnfragen des Daseins, mit menschlichen Katastrophen, die gerade nicht im klassisch Verbrecherischen wurzeln, sondern in der Conditio Humana.  Entsprechend hoch ist der Anteil von Befindlichkeit  und Gefühl in diesem Roman, es wird viel geweint und gegrübelt, die Probleme werden immer wieder neu gewendet und betrachtet, was leider auch zu ein paar Redundanzen führt.  Egal,  die drei Frauen stellen sich bravourös ihren Leben, sie kämpfen, sie mögen Wunden und Narben haben, aber sie kommen durch. Ein Cliffhanger deutet auf ein weiteres Buch der Skelf-Saga hin.

„Eingefroren“ ist einer der Romane, deren Sujet(s) das Genre zu definieren scheint. Doch nur weil eine Privatdetektei vorkommt, ein gemeiner Mörder und jede Menge Tod ist das Buch noch längst kein „Krimi“, kein „Privatdetektiv“-Roman, in dem Sinne, wie das die landläufigen Vorschriften für „Genre“ vermutlich verlangen. „Genre“ ist, so gesehen, ein zu eng gewordenes Gefäß, aus dem immer mehr Texte ausbrechen, obwohl sie – paradoxerweise  –  eigentlich Themen von „Genre“ bearbeiten. Deswegen ist „Eingefroren“ einfach ein sehr interessanter Roman.

Doug Johnstone: Eingefroren (The Big Chill, 2020). Deutsch von Jürgen Bürger. Polar Verlag, Stuttgart 2023. 393 Seiten, 26 Euro.

© 01/2024 Thomas Wörtche

Anm. d. Red.: Siehe auch das Interview von Ulrich Noller „Das Leben feiern, hundertprozentig“ mit Doug Johnstone in unserer Dezember-Ausgabe.

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