Geschrieben am 1. Dezember 2021 von für Crimemag, CrimeMag Dezember 2021

Robert Rescue: Sind doch nur Kinder

Erftstadt – Aus einer kleinen Geste ist eine große Hilfe geworden. Davon wurden Mia Engels (9) und Karla Lutze (8) aus Gymnich und ihre Eltern selbst überrascht. Aber einmal angefangen, lockte ihr Waffelverkauf, um Spenden für die Flutopfer zu sammeln, viele an, die helfen wollen. Kamen am ersten Tag der Sammelaktion am vergangenen Samstag rund 200 Euro zusammen, haben die beiden Mädchen inzwischen knapp 17 000 Euro zusammengetragen.

„Ja, ein bisschen müde sind wir schon“, sagte Mia am Freitag, nachdem sie mit ihrer Freundin bereits sechs Nachmittage lang süße Sachen verkauft hatte. „Aber wir wollen noch ein letztes Mal am Samstag und Sonntag Waffeln anbieten“, kündigte sie an. „Manche kaufen gleich zehn oder 15 Waffeln“, erzählte Karla. „Oder geben 30 Euro für eine Waffel.“

„Eine ältere Dame stellte ein Waffeleisen und Teig zur Verfügung“, berichtete Mias Mutter. „Am nächsten Tag standen plötzlich 600 Eier auf dem Tisch. „Und immer wieder kommen Nachbarn mit Spenden vorbei.“

Der Verkauf der süßen Sachen startet an diesem Samstag und Sonntag ab 13 Uhr an der Schützenstraße 20 in Gymnich. Die Spendensumme soll danach an die Stadt übergeben werden.

1.) Der Mann vom Finanzamt

„Na, ihr lieben Kinder. Habt ihr auch einen Gewerbeschein für euren Waffelstand? Wie sieht es mit der Umsatzsteuer-Voranmeldung aus?“

„Ach, der Herr Kasulke! Mal wieder im Dienste des Finanzamtes unterwegs? Und dann gleich so arschig? Wir haben hier einen Nachweis über unsere Gemeinnützigkeit und einen Freistellungsbescheid. Sie kennen Karlas Vater, nicht wahr? Er ist schließlich Ihr Chef.“

„Nun, wenn das so ist. War jetzt auch nicht ernst …“

„Jaja, Herr Kasulke. Wann immer wir Kinder hier im Dorf was auf die Beine stellen, um in Not geratenen Menschen zu helfen, kommen Sie an und machen den Alman.“

„Also, ich weiß jetzt wirklich nicht, was das …“

„Sie sind vor zwei Jahren hier im Dorf aufgetaucht und haben inzwischen zwei Häuser gekauft und drei Eigentumswohnungen in der Stadt. Kann man sich das vom Gehalt beim Finanzamt leisten, fragen wir uns da? Mein Vater fragt sich das ganz besonders. Er sagt beim Abendbrot häufiger „Ich glaube, der Kasulke lässt sich schmieren, aber ich habe ihm noch nichts nachweisen können.“

Und dann noch diese ganzen anderen Sachen, von denen wir wissen. Irgendwas mit Darknet und Kindern, um es mal für uns beide altersgerecht zu formulieren. Da sind so einige Geschichten im Umlauf, die sind wirklich schlimm.“

„Also ich geh jetzt. Schönen Tag …“

„Nein, nein, Herr Kasulke. Sie haben noch keine Waffel gekauft.“

„Dann nehme ich eine Waffel, ja, eine Waffel nehme ich.“

„Eine Waffel, Herr Kasulke? Ist das nicht ein bisschen wenig für die Flutopfer? Wir meinen, die haben ihre Häuser verloren, Häuser, die sie mit eigenen Händen aufgebaut haben, auf die sie jahrezehntelang gespart haben. Ist da eine Waffel nicht der Hohn? Vielleicht können wir über den Preis diese Verachtung etwas kompensieren?“

„Ja, klar. Wie viel?“

„30 Euro für eine Waffel. Das wäre ein Zeichen der Anteilnahme, das hier im Dorf sicherlich positiv, wenn auch nur geringfügig, wahrgenommen wird. Ach, und vormerken: wir sind Samstag und Sonntag auch noch hier.“

2. Der Nazi

„Finde ich gut, Kinder, was ihr hier macht. Auch wenn ich glaube, dass das gar nicht passiert ist. In den Nachrichten der Systempresse stehen so viele erfundene Sachen. Also wenn das so passiert sein sollte und vor allem die Fehler, die gemacht wurden, so von wegen Vorwarnung und so, dann kann ich nur sagen: Früher hätte es das nicht gegeben. Ich spende euch 600 Eier von meinem Hof, für den Fall, dass das doch passiert sein sollte. Aber seht zu, dass eure Spenden nicht an die Syrer gehen. Schlimm, sowas.“

„Die Syrer?“

„Ja, Syrer. In der Lügenpresse steht, dass da Syrer mithelfen. So von wegen, wir wollen was zurückgeben von der Hilfe, die wir in Deutschland erfahren haben. Abschieben hätte man die sollen.“

„Die 600 Eier nehmen wir gerne. Aber wir fragen uns, ob ihre Frau damit einverstanden ist?“

„Wegen den Eiern? Damit hat die nichts zu schaffen. Das sind meine Eier.“

„Wir meinen nicht die Eier. Wir meinen die rassistische Kackscheiße, die sie hier verbreiten. Und ihre fragwürdigen, widersprüchlichen Aussagen bezüglich des Realitätsgehaltes einer Katastrophe, die von den Medien objektiv berichtet wird. Einer Katastrophe, an der wir alle eine gewisse Mitschuld tragen, wobei die, in unserem Fall, aufgrund unseres Alters und unser Unmündigkeit geringer ausfällt als Ihre.

Was wir aber insbesondere meinen, wenn es um die Ansicht ihrer Frau geht, die im übrigen wegen ihrer Mitwirkung im Kirchenkreis sowie im Vorbereitungskomitee für unsere Dorfkirmes, eine sehr hohe Wertschätzung im Dorf genießt …“

„So geht das nicht, Karla, das ist ein total komplizierter Satz. Aus der Nummer kommst du nicht mehr raus. Außerdem ist unser Nachbar nach den ersten zehn Worten intellektuell nicht mehr mitgekommen.“

„Also, kurzgefasst, wir fragen uns, wie Ihre aus Algerien stammende Frau Ihre fragwürdigen Aussagen bezüglich syrischer Mitbürger kommentiert?“

„Die hat da gar nichts zu sagen. Das sind meine Eier.“

„Das mit den Eier hatten Sie schon gesagt. Darum ging es auch nicht. Es ist im Dorf bekannt, dass Sie ein Nazi sind und bestimmte Organisationen finanziell unterstützen. Es ist ebenso bekannt, dass Ihre Frau die Hosen anhat. Daher würde es uns brennend interessieren, wie sie diese Aussagen bewertet.“

„Jetzt ist aber mal gut, Kinder. Wie es bei mir zuhause läuft, geht euch nichts an. Macht hier weiter. Ihr werdet auf gar keinen Fall mit meiner Frau über bestimmte Dinge reden.“

„Ich fürchte, das können wir grundsätzlich mit unserem Gewissen nicht vereinbaren. Aber angesichts der Notlage der Flutopfer und unseres Engagements für diese sind wir bereit, ihrem Wunsch nach Diskretion temporär entgegenzukommen.“ 

„Was heißt das?“

„100 Eier täglich als Spende selbstverständlich und gerade sind Waffeln fertig geworden. Eben war der Herr Kasulke vom Finanzamt da und hat ordentlich gespendet, sehr ordentlich, muss man sagen. Sie scheinen Hunger zu haben. 4 frische Waffeln aus dem Waffeleisen von Oma Klüve werden den Hunger vertreiben.“

3.) Die Oma

„Ach Kinder, ich freue mich ja so, dass ihr die Strapazen auf euch nehmt, um den armen Menschen zu helfen.“

„Das ist nicht so schlimm, Oma Klüwe, wir machen das sehr gerne.“

„Hat euch denn das Waffeleisen gute Dienste geleistet?“

„Ja, Oma Klüve, einen Großteil der Einnahmen … äh … Spenden haben wir durch den Verkauf von Waffeln … äh … erreicht. Etwa 17 000 € sind zusammengekommen.“

„Ach, so viel? Meine Güte, ich hätte nicht gedacht, dass unsere Mitbürger so spendabel sind.“

„Nun ja … bei einigen mussten wir appellieren.“

„Ach Gott, dachte ich mir doch, dass die nicht von allein was geben. Aber trotzdem, das Ergebnis kann sich doch sehen lassen. Soll ich euch morgen noch etwas von meiner Bärlauch-Konfitüre mitbringen? Wie hat die denn den Leuten gemundet?“

„Ja bitte, Oma Klüve. Die Konfitüre ist der Renner, alle wollen die haben.“

„Na gut, dann werde ich die morgen mitbringen. Ich muss los, Kinder. Macht nicht zu lange, ihr habt doch schon soviel geleistet.“

„Ja, Oma Klüve.“

1 Minute später:

„Sie hätte die Blutspuren an dem Waffeleisen entfernen können.“

„Ach, lass doch. Immerhin wissen wir jetzt, was aus Opa Gustav geworden ist.“

„Melden wir das?“

„Um Gottes willen, doch nicht Oma Klüve. Die ist eine Gute. Sie wird schon ihre Gründe gehabt haben, die Ehe mit Opa Gustav vorzeitig zu scheiden. Das muss uns und andere nichts angehen.“

„Und die Konfitüre?“

„Die geben wir dem Nazi oder Kasulke morgen mit.“

„Gute Idee.“

„Guten Tag, Herr Bürgermeister.“

Robert Rescue bei CrimeMagZu seiner Webseite mit Terminen, Veröffentlichungen etc. geht es hier, einen einschlägigen Beitrag von ihm finden Sie in der Anthologie „Berlin Noir“ und beim Talk Noir im Neuköllner Froschkönig ist er regelmässig unser Stargast.

Im Herbst 2020 Corona zum Trotz erschienen: Robert Rescue: Das Leben hält mich wach. Berlins müdester Lesebühnenautor trotzt dem alltäglichen Wahnsinn mit Humor. Edition MundWerk, Berlin 2020. 146 Seiten, 12 Euro.

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