Geschrieben am 1. Oktober 2021 von für Crimemag, CrimeMag Oktober 2021

Robert Rescue: Keine Zeit zu sterben

Der prägendste Moment während des ersten Lockdowns war für mich der Blick auf das hauswandgroße Plakat zum James Bond Film „Keine Zeit zu sterben“ am Cineplex Alhambra. „Keine Zeit zu sterben“, wurde zu einer Losung für die ungewöhnlichen Verhältnisse jener Tage, wenn es auch einige gab, für die es dann doch Zeit war, aber aus anderen Gründen als COVID 19. Wie viele andere Weddinger auch blickte ich beim Hochsteigen aus der U-Bahn auf den markanten Charakter-Schädel von Bond-Darsteller Daniel Craig, der aus einem splitternden Autofenster heraus streng blickte, las die vier Worte und fühlte neue Entschlossenheit, den Widrigkeiten zu trotzen. Wir alle kamen von unserer neuen Arbeit in den Labors der Pharmaindustrie, wo wir unsere Gesundheit für den Test von Impfstoffen riskierten. Wir erhielten dafür nur wenige Cent Lohn und den Titel „Held der Forschung“. Von dem Geld konnten wir uns nichts kaufen, aber der Titel würde sich gut auf dem Grabstein machen. 

Normalerweise hingen die riesigen Plakate etwa 4 bis 6 Wochen, bevor eine Firma anrückte und mit einem Kran das alte abriss und ein neues anklebte, was gute zwei bis drei Tage Arbeit kostete. Das Bond-Plakat hing, meiner Erinnerung nach, etwa drei bis vier Monate dort. 

Ursprünglich sollte der neue Bond im April 2020 anlaufen, dann wurde er optimistisch auf den November verschoben, dann resigniert auf den März 2021 und schließlich wieder zuversichtlich auf den Oktober. Spötter ulkten, wenn das so weitergehe, könne man auch warten, bis ein neuer abgedreht sei und beide dann im Double-Feature zeigen. 

Der immer wieder verschobene Filmstart soll zu dem ungewöhnlichen Umstand geführt haben, dass Fans den halben Film schon kennen, weil immer wieder neue Trailer mit neuen Szenen auf YouTube gezeigt wurden. Vermutlich könnte man sich das Eintrittsgeld und die Kosten für eine große Cola und den Bottich Popcorn sparen, wenn man sich alle Trailer ansieht und sich den Rest der Handlung ausmalt. Das sollte nicht schwerfallen, denn sind wir mal ehrlich, eigentlich haben alle Bond-Filme die immergleiche Handlung. 

Auch das  eng verflochtene Produkt-Placement soll arg gelitten haben, so dass Sponsoren Nachdrehs verlangt haben, weil ihre Produkte zum Kinostart irgendwann nicht mehr aktuell seien. Dies betrifft vor allem Handys, Laptops und Autos. Verständlich, ein Handy, das schon ein Jahr alt ist, lässt sich im Oktober 2021 nicht mehr verkaufen, ebenso wie Laptops und von Autos ganz zu schweigen. Nachdrehs dürften sich schwierig gestalten, weil vermutlich Bond-Darsteller Daniel Craig allein alle diese Produkte in die Kamera hält und ob der sich ohne ausreichende Gage nochmal hinstellt, um in ein Handy „Hallo“ zu rufen oder auf einem Laptop „Wer das liest, ist doof“ zu tippen, erscheint fraglich. Kultiger wäre es vermutlich, wenn man die Produkt-Updates mit einer billigen Photoshop-Technik einbaut. Wenn es so richtig scheiße aussieht, wird es im Netz gefeiert und die Leute kaufen den Kram, vielleicht sogar den alten Kram, weil der ja auch irgendwie im Bond-Film drin war.

Als sich im Sommer 2020 eine Wiedereröffnung abzeichnete, traf ich die Chefin des Alhambra Kinos davor und wies sie darauf hin, dass die lange, äh, Hängezeit von „Keine Zeit zu sterben“ eine Motivation für die Weddinger gewesen sei. „Scheiße“, sagte sie, als hätte mein Hinweis sie an etwas wichtiges erinnert.

„Universal hat nicht dafür gezahlt, dass das so lange hing.“ 

So eine Sauerei, dachte ich im ersten Moment. Da hauen die Multimillionen für ihre Produktionen raus und dann unterstützen sie die Verwerter nicht mal mit einer Zahlung für beste Werbefläche im Kiez.

Aber wahrscheinlich gab es einen Vertrag mit einer festgelegten, was weiß ich, „Klebedauer“ und als der Lockdown kam, hat sich der Verleiher nicht mehr darum gekümmert und die Kinochefin hat die Reklame vergessen, aus Gram über ihr geschlossenes Kino. 

Aber Mehrkosten wird der verschobene Kinostart ohnehin verursachen. Vielleicht kann der Verleiher ja die traditionelle Premierenfeier von London in den Wedding verlegen und statt teuer Schnittchen gibt es einen Döner vom Imbiss gegenüber und für jeden eine Flasche Sternburg statt ein Glas Dom Pérignon. Das sollte genug Ausgleich für die unbezahlte Werbefläche sein.

Nach dem Lockdown ist vor dem Lockdown. Im Sommer letztes Jahr gab es dann mit dem Plakat zu „Tenet“ eine Abwechselung und als dann Jim Knopf und der Lokomotivführer Lukas die Glasfassade für sich einnahmen, konnte man fast glauben, alles gehe wieder seinen gewohnten Gang. Aber Jim Knopf trat in Konkurrenz zu James Bond, doch für uns Weddinger, die wir inzwischen zum Jobcenter fahren mussten, weil die Suche nach Impfstoffen abgeschlossen war, war das Plakat keine sonderliche Inspiration. Außer vielleicht die fantastische Insel Lummerland als ein sehnsüchtiger Ort ohne Lockdown, ohne YouTube-Wissenschaftler, ohne Intensivstationen, das musste der Ort sein, wo alle, die nach einem Jahr Pandemie noch halbwegs bei Trost waren, hinwollten.  

Jetzt ist Jim Kopf aber verschwunden. Dafür sind die Jungs und Mädels von „Fast and Furious“ am Start, und zwar zum neunten Male. Klar, schnelle Autos und Action, das geht als Film immer. James Bond wird danach dort hängen und Spötter werden ulken, dass es zwischen Plakat vorher und Plakat nachher keinen Unterschied gibt. Wir werden ein Deja Vu haben, aber der Titel wird uns nicht mehr so ansprechen wie ein Jahr davor. Und wir werden alle die Hoffnung haben, dass es diesmal bei der üblichen Rotation bleibt und nach sechs Wochen der Kran wieder auftaucht, um uns schon den Knaller-Film für Weihnachten zu präsentieren.

Robert Rescue bei CrimeMagZu seiner Webseite mit Terminen, Veröffentlichungen etc. geht es hier, einen einschlägigen Beitrag von ihm finden Sie in der Anthologie „Berlin Noir“ und beim Talk Noir im Neuköllner Froschkönig ist er regelmässig unser Stargast.

Im Herbst 2020 Corona zum Trotz erschienen: Robert Rescue: Das Leben hält mich wach. Berlins müdester Lesebühnenautor trotzt dem alltäglichen Wahnsinn mit Humor. Edition MundWerk, Berlin 2020. 146 Seiten, 12 Euro.

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