Geschrieben am 1. Dezember 2020 von für Crimemag, CrimeMag Dezember 2020

Playing Video Games (3): „Through the Darkest of Times“

Wie hätte ich mich verhalten, wenn mir während der Nazidiktatur ein SS-Mann die Nase gebrochen hätte? Oder wenn die freundliche Nachbarin plötzlich Juden beschimpft hätte? Through the Darkest of Times bietet eine Annäherung an die Frage, wie man sich selbst in der Zeit des Dritten Reichs verhalten hätte. Das Video Game als das vielleicht immersivste Medium ist prädestiniert dazu, das herauszufinden. 

Through the Darkest of Times ist ein historisches Strategiespiel, bei dem man eine kleine zivile Widerstandsgruppe leitet und Runde um Runde, Woche um Woche in Berlin versuchen muss, von 1933 bis 1945 zu überleben und immer wieder Nadelstiche gegen das Regime zu setzen, bei den Bürger:innen ein Bewusstsein für die Verbrechen zu schaffen und ganz einfach für die Menschen um einen herum da zu sein. Die Gamedesigner Jörg Friedrich (Code & Design) und Sebastian Schulz (Art & Design) von Paint Bucket Games aus Berlin-Kreuzberg geben dem Ganzen den stilisierten Look einer düsteren Graphic Novel. Mit reduzierten Animationseffekten und einer klaren, aufs Wesentliche reduzierten Bildsprache.

Das atmosphärische Sounddesign von Almut Schwacke liefert etwas mehr Realismus. Der Soundtrack wurde extra mit einem kleinen Orchester eingespielt. Reduzierte Klangeffekte und konkrete Geräusche lassen die Zeit und den Zeitgeist lebendig werden. Das Hauptmedium des Spiels sind die Texte. Die vielen Dialoge und Stimmen zeichnen ein breites Bild der Gesellschaft und sorgen immer wieder mit ganz konkreten, menschlichen und zwischenmenschlichen Themen dafür, dass man die dramatische deutsche Geschichte aus einer ganz persönlichen und emotionalen Perspektive nacherleben kann. Die schrecklichsten Bilder werden nicht gezeigt – sie entstehen in der Phantasie der Spieler:in.

In dem Spiel ist man auch keine große Held:in. Nur ganz am Rand tauchen berühmte Figuren wie Erich Kästner auf. Man leitet einfach eine kleine zivile Widerstandsgruppe. Leistet Basisarbeit, hart und mit ganz spärlichen Mitteln. Hat mit seinen Hausbewohner:innen und Nachbar:innen zu tun, egal, ob diese Nazis sind oder sonst was. Menschen bleiben Menschen. Die Arbeitslosigkeit nimmt ab, der Hass nimmt zu, die ganze Welt ändert sich. Und als Spieler:in ist man mittendrin. Man plant von Woche zu Woche, erarbeitet sich Spenden, Unterstützer:innen, Material, Farbe für Parolen, Papier für Flugblätter, um mit aller Mühe gerade mal eine Handvoll neuer Unterstützer:innen zu gewinnen. Da ist ziemlich frustrierend – aber man lernt, sich anzupassen, auch mal die Füße still zu halten, sich zu sammeln, um dann wieder eine größere Aktion starten zu können. Dabei geht es auch darum, die Moral der kleinen Gruppe am Leben zu halten. Manchmal muss man eben auch mal zusammen einfach zu verbotener Musik Tanzen gehen oder eine geheime Ausstellung besuchen, um weitermachen zu können.

Hat man eine Zeit durchgehalten, wird die Erzählung durch die atmosphärisch vertonten Spielszenen weitergetrieben. Nach jeder Runde kommen auch persönliche Geschichten der Mitspieler zum Tragen. Mal ist jemand schwanger, hat Liebeskummer, hat die Nase voll von Ersatzkaffee und Ersatzfleisch, ein Ehemann tritt in die NSDAP ein oder eine Familie ist kurz vor dem Erfrieren, weil die Kohle gestohlen wurde. Schmerzhaft wird bewusst, wie lange allein schon die Zeit zwischen 33 und 36 war, wie Berlin sich veränderte, wie die bunte und vielfältige Kultur immer einseitiger wurde und dann nur zum Schein für die Olympischen Spiele und die Tourist:innen wieder gelockert wurde. 

Wenn man eine Spielwelt betritt, dann meist, um in eine bessere Welt zu gelangen, eine Welt, in der mehr möglich scheint als im tristen Alltag. Bei Through the Darkest of Times gelangt man in eine Welt, die abstoßender nicht sein könnte. Man ist ein:e ganz normal Bürger:in in Deutschland zwischen 1933 und 1945. Through the Darkest of Times ist ein Spiel, das auf den ersten Blick keinen Spaß macht und das Überwindung kostet. Aber es ist ein Spiel, dass einen belohnt, wie kaum ein anderes. Mihaly Csikszentmihalyi bringt es in seinem Buch Flow: The Psychology of Optimal Experience auf den Punkt: “Most enjoyable activities are not natural; they demand an effort that initially one is reluctant to make. But once the interaction starts to provide feedback to the person’s skills, it usually begins to be intrinsically rewarding.” So auch bei diesem Spiel. Eine Leistung, für die jetzt auch die Entwickler selbst auf der ganzen Welt mit renommierten Preisen belohnt werden. Z.B. sind sie bei den internationalen The Game Awards in der Kategorie GAMES FOR IMPACT nominiert. 

Through the Darkest of Times ist eine Erfahrung, die ganz neu für Unrecht und Widerstand sensibilisiert. Es zeigt, das Games helfen können, die Welt zu verstehen und Empathie zu entwickeln. Und: wie viel Kraft und Potential abseits von gutem Entertainment im Medium Game steckt. 

Through the Darkest of Times 
Veröffentlichung: 30. Jan. 2020
Entwicklung: Paintbucket Games
Publisher: HandyGames 
Credits und Website
Bildrechte: © Paintbucket Games

Bericht auf arte:

Christopher Werth bei uns hier.
Seine Kolumne:
Playing Video Games (2): … mit Shakespeare
Playing Video Games (1): „Firewatch“