Geschrieben am 15. Juni 2018 von für Crimemag, CrimeMag Juni 2018

Garry Disher: „Leiser Tod“

disher 3293005284Neues vom Uhrmacher

Thomas Wörtche über Garry Dishers neuen Hal Challis-Roman

Es ist ein faszinierendes Paradox, Kontingenz wie nach einem Masterplan gestrickt aussehen zu lassen. Garry Disher, der Uhrmacher unter den Kriminalschriftstellern dieser Welt, beherrscht dieses Paradox blendend, er zelebriert es sogar mit deutlicher Wollust. So auch in seinem neuen Roman: Leiser Tod (Unionsverlag).

Detective Inspector Hal Challis von der Crime Investigation Unit von Mornington, New South Wales, hat eine Menge Ärger an der Backe. Seine Einheit ist notorisch unterbesetzt und schlecht ausgestattet, nicht alle seine Mitarbeiter sind Cracks auf ihrem Gebiet, und als Challis, dem wir hier zum sechsten Mal begegnen, in einem Zeitungsinterview auf diese Missstände hinweist, hat er richtig massiven politischen Ärger, die Bosse toben und drohen. Detective Sergeant Ellen Destry, mit der er endlich eine Beziehung eingegangen ist – Disher beherrscht auch das Soap-Prinzip perfekt – ist auf einer Fortbildungsreise, ihre maulige Tochter eine weitere Laus in Challis´ Pelz.

Und dann sind da noch die üblichen Verbrechen: Ein Vergewaltiger und Mörder treibt sich auf der „Peninsula“, der Halbinsel am Zipfel Australiens, herum, ein Bankräuber mit Schrotflinte marodiert durch die Gegend und eine Top-Diebin namens Grace oder Susan oder Anita sticht in ein noch viel tödlicheres Wespennest, dessen Verwurzelung bis ins revolutionäre Russland und ins chinesische Harbin reichen. Disparater geht´s nimmer, möchte man denken, aber dann setzt eben Dishers einzigartige Plotverknüpfungsstrategie ein – „Text Design“ auf hohem Niveau.

Am Ende sitzt jedes Partikelchen an seinem Platz, aber das heißt noch lange nicht, dass der Roman „mechanisch“, also voraussehbar, abläuft. Ganz im Gegenteil, denn ein überraschender Twist jagt den anderen. Einfach so, aus dem Blauen, aber dennoch völlig plausibel. Besonders die Profi-Einbrecherin ist Disher anscheinend ans Herz gewachsen. Sie ist eine nahe Verwandte im Geiste seines anderen Serienhelden, dem Gangster Wyatt, und somit eine weibliche Fortschreibung aus dem Gangster-Universum von Donald Westlake, ähnlich wie Crissa Stone aus der Produktion von Wallace Stroby. Frauen erobern die Welt des professionellen Verbrechens, zumindest in der Literatur.

Disher bietet jedoch mehr: Er verzahnt das Alltagsleben in Australien heute, das bei ihm nicht sehr gut wegkommt, über seine Figuren und ihre unterschiedlichen Mentalitäten so organisch mit den dazugehörigen Verbrechen, dass alles zusammen wie ein großes, träges, dahinfließendes Kontinuum erscheint, von dem nur eines gewiss erscheint: Es wird nicht besser. Am Ende verkauft Challis seine geliebte „Dragon Rapid“, das Flugzeug, das ihm einst den Spitznamen „Drachenmann“ gegeben hatte, und seinen Triumph. Jetzt fährt er einen BMW und ist zunächst einmal vom Dienst suspendiert. Was natürlich nicht bedeutet, dass wir uns Sorgen um ihn machen müssen. Oder doch?

Thomas Wörtche

Garry Disher: Leiser Tod. Ein Inspector-Challis-Roman (Whispering Death, 2012). Übersetzung: Peter Torberg. Unionsverlag, Zürich 2018. 352 Seiten, 22,00 Euro. Verlagsinformationen.
Ein exklusiver Textauszug hier.

Garry Dishers Website. Sein Jahresrückblick 2017 bei CrimeMag.
Alf Mayers Besuch bei ihm auf der Mornington Peninsula: „Der Schauplatz als Charakter.“ 
Weitere Texte zu Garry Disher bei CrimeMag:
Bloody Questions von Marcus Münterfering.

Reading ahead: Bitter Wash Road

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