Geschrieben am 1. Juni 2020 von für Crimemag, CrimeMag Juni 2020

Fotografie & Reallife: Street Scenes – Street Crimes (22)

Liebes CrimeMag-Publikum,

Kriminalliteratur wurde früher gerne als „Asphalt-Literatur“ abgetan. Wir finden, dass das ein Adelstitel ist. Wir mögen Asphalt, wir mögen Großstadt, wir mögen Realität. Deswegen präsentieren wir Ihnen hier eine neue Rubrik, die jeden Monat Bilder des Fotografen Carsten Klindt und manchmal Texte der Polizistin Nadja Burkhardt kombiniert: Street Scenes und Street Crimes. Aus Realität wird Kunst in Bild und Wort, fragmentarisch und  kaleidoskopisch. Freuen Sie sich mit uns! (Hier Auftritt Nr. 1Nr. 2, Nr. 3Nr.4Nr. 5, Nr.6, Nr.7, Nr. 8 und Nr.9, Nr. 10 und Nr. 11Nr. 12 und Nr. 13 und Nr. 14 und Nr. 15 und Nr. 16 und Nr. 17. Außerdem: Nr. 18Nr. 19Nr. 20., Nr. 21.)

„Noses On, Security!“ – NYC 2017 – © Carsten Klindt – www.carstenklindt.com

„Street Scenes“ ist eine Serie des Berliner Fotografen Carsten Klindt, aus der wir jeden Monat ein Foto präsentieren. Auf der Website von Carsten Klindt können Sie einzelne Bilder auch käuflich erwerben. Seine Homepage hier.

STREET CRIMES

Nadja Burkhardt ist aus Überzeugung Street Cop in Berlin. Und sie hat ein Auge für den alltäglichen Wahnsinn. Denn der ist zwar manchmal kleinteilig und unspektakulär, bildet aber den Zustand unserer Gesellschaft präzise ab. Und Nadja Burkhardt weiß auch, dass vieles sehr, sehr komisch ist. Deswegen ab jetzt bei uns jeden Monat  STREET CRIMES – Miniaturen aus dem Irrsinn ohne Ende, komisch, tragisch, real life …

„Ich bin Schauspieler am Theater, soll ich Ihnen irgendwas unterschreiben?“

„Nein, Sie müssen nichts unterschreiben, Sie sollen einfach nur gehen, bitte.“

„Ich weiß, dass ich nichts unterschreiben muss, aber dann haben Sie wenigstens etwas Wertvolles, wenn ich in 10 Jahren dann berühmt bin.“

Und dann lehnst Du dankend ab, wünschst ihm alles Gute für seine Karriere und hoffst für seinen Charakter, dass der Junge gerade einfach nur besoffen ist.


Nachtdienst. 

Das Abblendlicht vorne links am Funkwagen fällt aus, Leuchtmittel kaputt. Gnaaaaah.

Weil wir nicht zeitnah anderweitig Abhilfe schaffen können fahren wir eben zur Tankstelle und kaufen eine neue Birne. 

Während des folgenden Einbaus auf dem Gelände der Tankstelle dann plötzlich eine Stimme aus dem Hintergrund:

„Mein Freund ist Kfz-Mechaniker. Können wir Ihnen vielleicht helfen?“

Lächelnd drehe ich mich zu den jungen Männern um:
„Neenee, sehr lieb von Ihnen, aber is nur ne Glühbirne, kriegen wir hin. Aber danke für das Angebot.“

„Okay, aber wenn Sie Hilfe brauchen, dann sagen Sie bitte was. Dann können wir vielleicht mal ein wenig was von dem zurückgeben, was Sie tagtäglich für uns tun.“ 

Fein das.
Nadja leuchtet. 
Abblendlicht dann auch wieder.

Mit der Öffnung der Gaststätten normalisiert sich das Leben tatsächlich wieder.

Statt, wie in den letzten Wochen, nur eine Person pro Nachtschicht (wenn überhaupt ☝️), so waren es in diesem Dienst etwa 15 Personen an unterschiedlichsten Orten in meinem Revier, die feierlich schwankend den Gehweg vermessen haben oder in epischer Breite auf die Straße kotzten.

Und dann war da gestern dieser Moment, wo Dir die Festnahme eines Mannes praktisch auf dem Silbertablett serviert wird… 

Jener Mann, der vor 12 Jahren im Rahmen einer sogenannten Gefährderansprache verlauten ließ:

„Das ist doch Schikane hier! Ich ziehe aus dem Wedding weg! Aber nicht, bevor ich der rothaarigen Polizistin eine Bombe ins Haus gelegt habe!!!“

Woraufhin mein damaliger Abschnittsleiter anweisen ließ, dass ich über Monate hinweg nach dem Ende der Schicht durch die Folgeschicht nach Hause gefahren wurde….

…….und dann war da Corona, welches verhinderte, dass ich ihn festnehmen durfte. 

Der „Mann“ hat übrigens am letzten Wochenende seiner Mutter das Schlüsselbein gebrochen….

Kollege:
„Das mit der Maskenpflicht is aber auch doof. Hatte meine neulich vergessen und da durfte ich nicht einkaufen. Is doch scheiße sowas.“

Ich: „Yo, is wie Geldbörse vergessen. Darfste ooch nicht einkaufen und musst ooch nochmal nach Hause.“

Düdüm.

Das mit Corona ist ne wirklich miese Sache. 

Aber dass mir heute bei der Post keiner in den Nacken geatmet oder mir sein Paket in den Rücken gerammt hat, das war schon schön.

Carsten Klindt wuchs an der Nordsee auf und ist ausgebildeter Werbefotograf. Er wohnt seit über 20 Jahren in Berlin, betrieb elf Jahre lang eine Bar in Kreuzberg und arbeitet als freischaffender Fotograf. Der Werbung hat er schon lange den Rücken gekehrt. Neben Fotografie sind Noirs der Filmgeschichte eine Leidenschaft.

Nadja Burkhardt: „Jahrgang 1978, seit 1996 bei der Berliner Polizei. Nach der Ausbildung 4,5 Jahre Hundertschaftsdienst, seither im Schichtdienst als Zweier-Streife aufm Funkwagen. Mittlerweile Polizeikommissarin, nicht in Berlin geboren und aufgewachsen, aber definitiv ein Kind dieser Stadt. Mein Job ist gefährlich, nervenaufreibend und stressig. Und ich liebe ihn.“

Tags :