Geschrieben am 14. April 2018 von für Crimemag, CrimeMag April 2018, Kolumnen und Themen

Essay: Markus Pohlmeyer zu Blade Runner 2049

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Liebe und Einsamkeit, transhuman und nach der Apokalypse

I

Die Welt von „Blade Runner 2049“ (2017, Regie: Denis Villeneuve) ist das Ergebnis eines Blackouts; die digitale Memoria wurde zerstört; Vergangenheit scheint nur noch über Fragmente rekonstruierbar. Es gibt nun eine weitere Generation von Replikanten, die jetzt ihren Schöpfern absolut untertan sind. In einem Bonuskurzfilm auf der DVD wird ein Replikant von seinem Schöpfer Niander Wallace vor die Wahl gestellt, ihn oder sich zu töten. Er bringt sich selbst um. Alte, im Verborgenen lebende Replikanten, da unberechenbar, werden von neuen Blade Runnern – in dieser Kastengesellschaft ganz unten angesiedelt – gezielt gesucht, gejagt und „in den Ruhestand versetzt“ – ausgelöscht, um diesen Euphemismus zu übersetzen. Bei solch einer Jagd wird das Skelett einer alten Replikantin entdeckt, die ein Kind zur Welt gebracht hat – im Grunde eine Unmöglichkeit.

Ökologischer Kollaps. Meilenweit Slums. Gigantische Konzernpyramiden. Virtuelle Simulationen all-überall erzeugen die Illusion einer besseren Welt; im Stadtbild von Los Angeles – die Stadt der Engel – und im Alltag überschreiben sie digital den dunklen Verfall mit grellen Farben. Extraterrestrische Kolonien sind omnipräsente Fluchtwege. Sie werden aber nie gezeigt.

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Officer K, neues Blade Runner-Modell, lebt mit Joi, einer KI (Künstlichen Intelligenz), zusammen; sie zelebrieren das Leben eines durchschnittlichen Ehepaars. Von Joi erhält K später seinen anderen Namen Joe; nur ein Vokal macht die Differenz zwischen den beiden aus! Beide sind künstlich generiert worden: sie digital, er via DNA. Am Anfang durchläuft Joi viele Frauenrollen, in vielen modischen Varianten; aber sie entwickelt sich immer mehr zu einem Individuum, indem sie mehr Freiraum erhält – durch einen sog. Emanator (Emanation = „[…] das Hervorgehen aller Dinge aus dem Einen, und zwar so, daß das Eine das Vollkommene ist und bleibt und das Hervorgegangene mit zunehmender Entfernung von dem Einen immer unvollkommener wird […]“[1]). Joi kann ihre Wohnung verlassen und nach draußen treten, in den Regen; dort versucht sie, Joe zu berühren – eine der schönsten, zärtlichsten und traurigsten Szenen des Films! Eine Reinszenierung des antiken Pygmalion-Stoffes: jener Bildhauer, der von Venus Leben für seine perfekte Frauenstatue erfleht und es auch erlangt![2] Joi wird fortschreitend menschlicher, je mehr ihre digitale Genese in den Hintergrund tritt und sie eine Evolution zum Menschlichen durchläuft – eine umgekehrte Emanation!

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Sie engagiert schließlich eine Sexreplikantin, überblendet jene mit ihrer eigenen Gestalt, um Joe noch intimer, noch näher zu sein. Es entstehen irritierend-faszinierende Szenen während des Synchronisationsprozesses; Joe wird mit vielen Händen berührt: echten wie virtuellen. Bilder überlagern sich. (Doch die Differenz bleibt: Körper und Simulation fallen wieder auseinander!) In dem Science Fiction-Film HER (2013) – ein Mann verliebt sich in die Stimme einer KI – findet sich eine ähnliche Szene: die Fusion von KI und Frau scheitert jedoch, weil der Geliebte eben die Simulation von Identität zweier Individuen in einem Körper nicht anerkennen kann und will. Ein Wunsch nach Verkörperlichung als Weg zur Unio (mystica) – spiegelverkehrt zu jenem Streben nach Vergeistigung jenseits des Körperlichen! Der Körper erweist sich für eine KI als inkarnatorische Utopie, um eben der Seinsweise des geliebten Menschen, nämlich seiner Leiblichkeit, nahezukommen – im Falle von K ist diese jedoch selbst eine imitierende, künstlich hergestellt. (Um des Vergleiches und der Analogie willen: es entsteht so eine implizite Christologie: zwei Naturen in einer Person zu sein.) Und werden nicht auch wir Zuschauer durch den Film überblendet?

„Meine These ist, dass es der Zuschauerkörper in seiner geistigen und sensorisch-affektiven Resonanz auf das Filmgeschehen ist, […] was der Leinwand allererst einen dreidimensionalen Körper leiht und somit die zweite Dimension des Filmgeschehens in die dritte seines spürenden Körpers kippt.“[3]

Joy – wird letztlich durch einen Gewaltakt vernichtet; aber sie kann Joe noch bekennen, dass sie ihn liebe. Ein Exkurs: in dem Buch „Strafe“ von Ferdinand von Schirach gibt es eine Story „Lydia“, die bl7Science Fiction-mäßig anmutet, und doch schon im Jetzt spielt: ein Mann verliebt sich in eine Puppe – und diese Beziehung weiß er auch gewalttätig zu verteidigen. Es kommt zu einem Verfahren. Der Sachverständige erklärt, es sei „[…] eine Industrie entstanden, die menschenähnliche Puppen aus Silikon mit Stahl- oder Aluminiumskeletten herstellt. […] Bald werden in sie Computer eingebaut, damit sie sprechen können. [… D]ie Besitzer haben zu diesen Puppen oft Beziehungen, die weit über das Sexuelle hinausgehen. Für manche Menschen werden sie zu Lebenspartnern. In Japan gibt es sogar eine Bestattungszeremonie für die Puppen, wenn ihre Besitzer wirkliche Menschen heiraten.“[4]

II

Niander Wallace, ein second creator, ist wie Homer ein blinder Seher, der nur mit Hilfe fliegender elektronischer Augen die Welt wahrzunehmen vermag – ein blinder Uhrmacher[5] sozusagen. Wie in dem Vorgängerfilm spielt auch hier das Auge eine bedeutende Rolle: ältere Replikanten, die sich das rechte Augen entfernen, um nicht als solche erkannt zu werden; und K, der eine Drohne benutzt, um wie ein allwissender Autor die Außenwelt zu sondieren, und der doch nicht alles zu sehen vermag, was ihn innerlich betrifft. Niander Wallace, eine Gott-Figur, der menschliche Spielzeuge/Sklaven bzw. Engel baut (Ein Gott leistet sich standesgemäß einen himmlischen Hofstaat!) – so seine Bezeichnung für die bl8neuen Replikanten, die er nach Belieben erschafft und wieder vernichtet. So wird beispielsweise ein aktuelles Modell aus einem überdimensionierten Plastiksack heraus ‚geboren‘ – eben nur ein Konsumprodukt – ohne Mutter, ohne Vater. Darum fragt Niander auch seine Replikantin: warum sie nicht, wenn sie das ‚kingdom of heaven‘ betrete, verkünde – denn sie ist ja auch in der Hermeneutik ihres Schöpfers ein Engel; und deshalb dieses christlich aufgeladene Zitatfeld! –, ein Kind sei uns geboren?[6] Eine Anspielung auf den Begriff Evangelium: eine frohe Botschaft. Nianders Schöpfungen, keine körperlosen Geistwesen, und doch geistig überlegen, sind unfähig, sich zu vermehren – im Gegensatz zu den Produkten des genetisch brillanten Gottes der Genesis; sie sind nur Wegwerfware. Oder handelt es sich um Mord? (Wäre es auch Mord, eine KI zu töten?) Überflüssig solche Fragen, denn dieser Konzern scheint über jedem Gesetz zu stehen …

Deckard, der alte Blade Runner – Replikant oder Mensch, wer wüsste es? – und Rachael[7], eine Replikantin aus der Zeit vor dem Blackout, mit der er einst floh (1982, unter der Regie von Ridley Scott), konnten ein Kind zeugen, wie wir in einer Art Detektivgeschichte erfahren; eine neue Art sei so entstanden; darum wurde es vor dem Zugriff der Humanen versteckt. Wallace sucht nun das messianische Kind mit Hilfe seiner Replikantin, seines Todesengels. 

Selten, so mein Eindruck, treten ‚echte‘ Menschen auf: als Plünderer, vegetieren in Slums und zwischen Müllbergen oder sind Kinderarbeiter (erschütternd!), die Schrott für Kolonieschiffe ausschlachten, wie Massenvieh in Fabriken eingesperrt. Alles und Alle sind Ressource. Alles und Alle werden geplündert.

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Das ist sehr nahe an unserer Gegenwart. Die dystopische Präsentation von Natur und Stadt mag für uns in dieser Radikalität noch fremd erscheinen und wirkt doch unterschwellig wie ein Blick auf eine drohende Alternative für unseren Planeten. Ein Damm schützt die Stadt vor dem Meer; verstrahlte Regionen; rötlichgolden-schimmernde Wüsten; voll mit gefallenen menschlichen Titanenskulpturen. Götterdämmerung. Ein verkrüppelter Baum, ein gelbes Blümchen, ein Spielzeugpferdchen aus echtem Holz: Relikte, Fossilien, Erinnerungen aus unserer Gegenwart. Die kaputte, öde Welt (siehe T. S. Eliots The Waste Land) wird nun aber virtuell überschreib- und manipulierbar, kann aus der Vergangenheit zurückgeholt werden als Kunstprodukt, so wie Rachael II. Wallace legt nämlich Deckard gewissermaßen alle Reiche der Welt zu Füßen,[8] und zwar in Gestalt seiner geliebten, toten Rachael, die er ihm nun als reproduzierte präsentiert. Doch der lakonische Satz von Deckard, sie habe aber grüne Augen gehabt, zerstört die Verführung, indem er die Grenzen der Kopierbarkeit markiert: durch Einmaligkeit. Und das impliziert: Deckard hat den Tod, hat ihren individuellen Tod akzeptiert. Durchaus eine Parallele in der Handlung, denn Joy erscheint später Joe als überlebensgroßes Verführungshologramm – es ist eine andere Joy, eine Konsumware; die wahre FREUDE dagegen war ein Individuum, unwiederholbar.

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Deckards Tochter, nun erwachsen, hat K ihre Erfahrungen eingegeben: a second life. Von einer Immunschwäche gezeichnet, kann sie nur in einem abgeschirmten Raum überleben, in dem sie virtuelle Welten generiert – grüne Wälder beispielsweise. Als Deckard seine verlorene Tochter wiederfindet, kann es zu keiner Berührung kommen; nur durch eine Scheibe sieht er sie, legt seine Hand darauf; Michelangelos Schöpfer kann Eva nicht berühren; oder: Schneewittchen im gläsernen Sarg. Während K draußen echten Schnee bewusst wahrnimmt, schwer verwundet von der finalen Auseinandersetzung mit dem Todesengel, generiert sie, der weibliche Messias, innen künstlichen Schnee. „Die universale Maschine von der Turing träumte, hat die Struktur eines gläsernen Sargs. Was immer digitalisiert ist, liegt dort aufgebahrt wie das Schneewittchen, und vermag jederzeit wieder ins Leben zurückgerufen zu werden.“[9]

Indizien, Erinnerungen (künstliche – authentische?) und ein (echtes) Holzpferd bringen Joe vorerst zu der Annahme, er wäre dieses besondere Kind: nicht gemacht, sondern geboren (Vgl. dazu im Credo die Aussage über den Sohn Gottes: „aus wahrem Gott gezeugt, nicht geschaffen“[10]!) – bis diese Hoffnung, ein echter Junge zu sein (das Pinocchio-Motiv!), wie es Joy formuliert, bitter enttäuscht wird – seine Erinnerungen waren die Erinnerungen einer anderen, nämlich die der Tochter. Und somit ist Deckard nicht sein Vater, sondern der Konzern … Dennoch: die posthumane Evolution entgleitet den humanen Schöpfern, entmachtet sie. Viele Leerstellen bleiben, die Bildlandschaften, Gemälden gleich, wirken nach; und viele Verweise, vor und zurück, weben ein komplexes Netz von Bedeutungen. Die zitierten religiösen, vor allem christlichen Motive (und hier müsste sich der Blick aber auch noch auf den Buddhismus richten) sind integraler Bestandteil einer Welt, in der Menschen die Rolle von Göttern einnehmen und somit paradoxerweise die Apokalypse provozieren. Stellte nicht die Schlange im Paradies in Aussicht, so zu sein wie Gott?[11]

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Ein Film von ergreifender Einsamkeit der Akteure: die Einsamkeit der Schöpfer setzt sich in ihren Geschöpfen fort; von minimalistischer Fülle und reduktionistischer Weite, von übervollen Leerstellen, einzig und doch verwoben mit dem Davor. Ein verzweifeltes Morgen in einem so stillen Filmmeisterwerk, das schreit. Wo Erhörung? Von wem?

(In)Direkte Zitate aus Blade Runner 2049 (DVD).© 2017/2018 – ALCON ENTERTAINMENT/SONY PICTURES

Markus Pohlmeyer lehrt an der Europa-Universität Flensburg

[1] Wörterbuch der philosophischen Begriffe, hg. v. A. Regenbogen – U. Meyer, Hamburg 2013, 177.
[2] Vgl. dazu Ovid: Metamorphosen X 243-297.
[3] C. Voss: Der Leihkörper: Erkenntnis und Ästhetik der Illusion, München 2013, 117.
[4] F. von Schirach: Strafe. Stories, München 2018, 68.
[5] Vgl. dazu R. Dawkins: The Blind Watchmaker, PENGUIN BOOKS 2006.
[6] Vgl. dazu Lk 2,1-20.
[7] Vgl. dazu Rahel, die Mutter Benjamins: Gen 35,16-20.
[8] Vgl. dazu Mt 4,1-11.
[9] M. Burckhardt: Vom Geist der Maschine. Eine Geschichte kultureller Umbrüche, Frankfurt am Main – New York 1999, 338.
[10] H. Denzinger: Enchiridion …/ Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen, hg. v. P. Hünermann, 37. Aufl., Freiburg im Breisgau u.a., 1991, 83.
[11] Vgl. dazu Gen 3,1-24.

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