Geschrieben am 1. Februar 2024 von für Crimemag, CrimeMag Februar 2024

HP Eggenberger über „Der letzte Wolf“ von S. A. Cosby

„Das Böse ist selten kompliziert“

Schießereien an Schulen sind in den Vereinigten Staaten von Amerika ja keine Seltenheit. Doch nicht hier, nicht bei uns, denken die Menschen im Charon County an der Ostküste in Virginia. Es ist offenbar auch nicht ein klassischer Amokläufer, der mit Schüssen an der lokalen Schule die Gemeinde in Angst und Schrecken versetzt. Einen Lehrer hat der junge Schwarze erschossen, bevor er durch die Kugeln der herbeigeeilten Deputys niedergestreckt wird. Dass es sich beim Opfer um den beliebtesten Lehrer der Schule handelt, irritiert auch jene afroamerikanischen Bürger, die überzeugt sind, dass der Täter sofort erschossen wurde, weil er Schwarz ist. Doch die Ermittlungen des Sheriffs zeigen, dass der vermeintlich vorbildliche Lehrer in perverse Morde verwickelt war.

Für Sheriff Titus Crown, selbst Afroamerikaner, ist es nichts Neues, dass er von Schwarzen ebenso angefeindet wird wie von rassistischen Rednecks. „In dem Augenblick, als er seine Kandidatur (Anm.: für das Amt des Sheriffs) ankündigte, hatte er sich dafür entschieden, in einem Niemandsland zu leben – zwischen Menschen, die an ihn glaubten, Menschen, die ihn wegen seiner Hautfarbe hassten, und Menschen, die ihn für einen Verräter seiner Rasse hielten.“

Titus Crown, ehemaliger FBI-Agent, der in seine Heimat zurückgekehrt ist und in der Kleinstadt vor einem Jahr zum Sheriff gewählt wurde, ist der Protagonist des neuen Romans von S. A. Cosby. Mit seinem vierten Roman Der letzte Wolf („All the Sinners Bleed“) hat sich der Afroamerikaner aus Virginia definitiv in die erste Reihe der aktuellen amerikanischen Noir-Autoren geschrieben. 

In seinem Debüt „My Darkest Prayer“, das erst 2023 auch auf Deutsch erschienen ist, wird ein Bestatter zum Ermittler im ländlichen Virginia. Den Durchbruch, auch in den USA, brachte sein zweiter Roman „Blacktop Wasteland“, ein spektakulärer Thriller um einen afroamerikanischen Fluchtfahrer. Es folgte der Rachethriller „Razorblade Tears“ (deutsch: „Die Rache der Väter“), in dem Cosby eine komplexe Geschichte, in der er Rassismus, Homophobie und Fremdenfeindlichkeit messerscharf seziert, in einen ebenso rasanten wie brutalen und zugleich hoch emotionalen und zutiefst menschlichen Actionreißer gepackt hat.

„Der letzte Wolf“ ist nun Cosbys erster Police procedural, also Polizeiroman. Auch hier überzeugt er mit einem komplexen Plot und durch die virtuose Erzählkunst. Rassismus ist auch hier das zentrale Thema, aber bei weitem nicht das einzige. Denn das Böse ist in erster Linie keine Frage der Rasse. Oder, wie Titus Crown einmal nüchtern feststellt: „Das Böse ist selten kompliziert. Es ist einfach nur beschissen dreist.“

Cosby, der selbst in einer Kleinstadt in Virginia lebt, beschreibt zudem eindrücklich den Alltag und das Leben in einem solchen Ort. Da gibt es großmäulige Rassisten, bigotte Prediger, alte Familien, die die lokale Wirtschaft und die Verwaltung in festem Griff haben, aber auch afroamerikanische Aktivisten, die für die Unterstützung von Crown bei der Sheriff-Wahl nun Gegenleistungen nicht nur erwarten, sondern auch einfordern. Etwa in Zusammenhang mit einer Konföderierten-Parade, bei der eine Konfrontation zwischen den Rassisten und ihren Gegnern droht. „In seinem Kopf war ihm klar, dass es 2017 war, dass der vierzehnte Verfassungszusatz vor über hundert Jahren verabschiedet worden war, und dass, auch wenn der Rassismus quicklebendig war, er als Sheriff jeden, ob weiß oder schwarz, verhaften würde, der über die Stränge schlug.“

Trotz klaren Worten zu grundsätzlichen Fragen droht „Der letzte Wolf“ nie zum Traktat zu werden. Von Anfang bis Ende ist es eine brillant erzählte, durchgehend spannende Geschichte, die durch die scharfe Beobachtung gesellschaftlicher und auch politischer Zustände zusätzlich pikant gewürzt wird. Ein weiteres Meisterwerk von Cosby. Kein Wunder, das nach „Razorblade Tears“ auch „All the Sinners Bleed“ bei Filmproduzenten auf mehr als nur Interesse gestoßen ist. Cosby denkt bereits darüber nach, wer Titus Crown spielen könnte.

S. A. Cosby: Der letzte Wolf (All the Sinners Bleed, 2023). Aus dem Englischen von Jürgen Bürger. Ars Vivendi, Cadolzburg 2023. 383 Seiten, 24 Euro.

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