Geschrieben am 1. August 2020 von für Crimemag, CrimeMag August 2020

Dokumentarfilm „Die Tochter des Spions“

Der eigene Vater das größte Rätsel

Von Bodo V. Hechelhammer 

Der Dokumentarfilm »Die Tochter des Spions« ist eine 86-minütige Produktion der beiden Regisseure Jaak Kilmi (46) und Gints Grube (47) aus dem Jahr 2019 und handelt von der Lettin Ieva Lesinska und ihrem Vater, dem KGB-Spion Imants Lesinskis, der 1978 in die USA überlief. Durch ihren Vater gerät die Tochter selbst unfreiwillig und unwissend in die Mühlen eines Spionagespiels im Kalten Krieg.

Die19-jährige Ieva Lesinska wächst nach der Scheidung ihrer Eltern bei ihrer Mutter in der Sowjetunion auf. Ihr Vater ist für den sowjetischen Geheimdienst (KGB) seit 1956 tätig. Er macht Karriere und wird als Höhepunkt sogar 1976 in die USA nach New York entsandt, wo er als Mitglied der sowjetischen Mission bei den Vereinten Nationen (VN) arbeitet. Die wahre geheimdienstliche Profession ihres Vaters, ist Ieva lange Zeit nicht klar. Sie trifft ihn alle paar Monate lediglich in Cafés und Restaurants. Der eigene Vater wird so zu einer alltagsfernen Projektionsfläche ihrer kindlichen und jugendlichen Idealvorstellungen. In New York will sie ihren Vater nur kurz besuchen, der als loyal gegenüber Moskau gilt.

Doch plötzlich offenbart sich dieser ihr nicht nur als langjähriger Mitarbeiter des KGB, sondern sogar als seit 1960 für den amerikanischen Auslandsgeheimdienst Central Intelligence Agency (CIA) arbeitender Doppelspion. Er konfrontiert seine Tochter damit, in den USA bleiben und überlaufen zu wollen. Sie muss in jungen Jahren eine Entscheidung fürs Leben fällen. Auch sie kann ein neues Leben an seiner Seite beginnen. Tatsächlich entscheidet sie sich für ihren ihr unbekannten Vater, bekommt wie er eine neue Identität. Und so wird aus der gebürtigen Rigaerin eine DDR-Emmigrantin mit amerikanischem Pass. Als Eyelyn Dorn muss sie von nun an eine neue Identität leben, denn in ihre alte Heimat kann sie nicht mehr zurück. Glücklich wird sie dadurch aber nicht, denn sie lebt nun selbst ein Leben voller Geheimnisse und Reglementierungen. Eine Entscheidung, die sie von Jahr zu Jahr mehr in Frage stellt, erst recht, als ihr Vater 1985 unter mysteriösen Umständen ums Leben kommt.

Als schließlich die Sowjetunion zusammenfällt und Lettland unabhängig wird, kehrt sie 1991 in ihre alte Heimat Riga zurück. Ein normales Leben kann sie jedoch auch hier nicht wirklich führen. Denn ihr wird bald klar, wie sehr die Taten und Geheimnisse ihres Vaters ihr eigenes Leben bestimmt haben. Im Blick zurück zeigt es sich als ein fremdbestimmtes Leben, über das sie selbst jenseits der Oberfläche im Grunde so gut wie gar nichts weiß. Eine Biografie, deren Wegmarkierungen durch Spionage definiert sind. Ihr eigener Vater erweist sich dabei als das größte Rätsel, weshalb sie eine Spurensuche, vielmehr einen Selbstfindungsprozess beginnt, der schließlich als bildhafte Coulage von Archiv-Aufnahmen und nachgestellten Szenen inszeniert wird.    

Der Dokumentarfilm der beiden baltischen Filmemacher wirkt düster und erzählt eine Geschichte in einem durchgehend traurigen Grundton. Er zeichnet retrospektiv das zentrale Kapitel einer Familiengeschichte aus Sicht einer Tochter nach, die sich vor allem über ihren Vater definiert. Sie bedient sich dabei cineastischer Rekonstruktionen, unsichere Blicke zurück in die unklare eigene Vergangenheit. Diese Blicke erscheinen zwar konzipiert wie durch ein Brennglas, entwickeln in Wahrheit jedoch am Ende keine Schärfe und Klarheit über die Vergangenheit. Der Kern der familiären Spionagegeschichte bleibt verschwommen. So wie der ganze Film selbst. Dies geschieht vermutlich sogar mit Absicht, denn die Spionage ist zwar das zentrale Thema, bleibt gleichsam selbst jedoch nur eine Projektionsfläche für die eigentlich entscheidende geheimnisvolle Vater-Tochter-Beziehung. Ein verzweifelter Versuch der Rekonstruktion anhand unvollständiger Puzzleteilchen. Die Kernfragen der väterlichen Spionagetätigkeit werden in auffälliger Weise aber gar nicht konsequent angegangen: Warum hatte sich Imants Lesinskis überhaupt entschieden für das KGB zu arbeiten und was war über Jahrzehnte seine Aufgabe dort? Welche Motive lagen seiner Entscheidung zu Grunde, mit dem sowjetischen Geheimdienst so radikal zu brechen, um ab 1960 als Doppelagent für die CIA zu arbeiten? Welche Informationen hat er über zwei Jahrzehnte für die Amerikaner geliefert? Und warum endete seine Spionagetätigkeit für die CIA Ende der 70er Jahre und sein Überlaufen wurde eingeleitet? War sein Ableben tatsächlich ein Auftragsmord? Auf all diese zentralen Fragen zur Spionage im Kalten Krieg bietet der Film keine überzeugenden Antworten, obgleich einordnende Informationen darüber durchaus recherchierbar sind, den er spielt lediglich mit der Welt der Geheimdienste, ohne tiefer einzudringen. Zeitzeugen dienen im Film daher nicht der fachlichen Einordnung und Aufklärung, sondern sollen vielmehr den Zuschauer erschrecken und vor Augen führen, wie grausam und menschenverachtend die Welt der Geheimdienste scheinbar ist. 

»Die Tochter des Spions« läuft seit dem 23. April in den Kinos – nun ja, in einigen – und wurde am 7. Juli 2020 im Sputnik Kino in Berlin-Kreuzberg gesehen. Im Anschluss fand noch eine Fachdiskussion mit dem Publikum statt. Weiterführende Informationen und zahlreiche Dokumente zur Geschichte von Imants Lesinskis sind beispielsweise über den Electronic Reading Room (ERR) der CIA online einsehbar.

Bodo V. Hechelhammer

Sein Buch „Spion ohne Grenzen. Heinz Felfe – Agent in sieben Geheimdiensten“ bei uns von Alf Mayer hier besprochen. Seine Texte bei CulturMag hier.