Geschrieben am 2. Mai 2023 von für Crimemag, CrimeMag Mai 2023, News

Die Groschupf-O’Groschen Connection

Porträt einer Serienmörderin

Aus: Olga O’Groschen, Gebrauchsanweisung für Neukölln (1988)

Frau Kathmann nötigt den Neuköllnern besondere Bewunderung ab, da sie es geschafft hat, von einer gewöhnlichen Putzfrau zur Berufsmörderin aufzusteigen. Mit monatlich zwei Morden steht sie mittlerweile in der Neuköllner Kriminalstatistik an allererster Stelle. Ihre Bekannten sprechen von ihr mit warmen Worten, stellen ihre Bescheidenheit und ihren nimmermüden Tatendrang in den Vordergrund, vor allem aber ihre bleierne Gelassenheit bei Verfolgungsjagden mit der Polizei, die sie wieder und wieder zu packenden Straßenkämpfen gestaltet, ohne dabei jemals gefasst worden zu sein. Frau Kathmann fährt seit Jahren eine frisierte 750er-Honda, und wenn sie mit ihrer feuerspeienden Maschine über den Hermannplatz kachelt, verpackt in schwarze Lederklamotten und das schlohweiße Haar im Winde flatternd, dann ist jedem Neuköllner klar, warum sie schon zu Lebzeiten eine Legende ist.

Dabei hatte alles so alltäglich angefangen. Frau Kathmann wuchs im Rollbergviertel auf, als eines der sieben Kinder des Metzgermeisters Kathmann. Dreizehnjährig brannte sie mit einem Straßenbauarbeiter durch, bekam ein Jahr später das erste Kind, machte die erste Entziehungskur und beging ihren ersten Mord. In der Silbersteinstraße erwürgte sie mit bloßen Händen einen Pekinesen und servierte ihn, mit Käse überbacken, der Familie zum Abendessen. Ihre immer häufiger auftretenden Wutanfälle ließ sie anfangs noch an geparkten Kleinkraftfahrzeugen aus, ehe sie dazu überging, gerade volljährig geworden, altersschwachen und gebrechlichen Rentnern aufzulauern.

Da sich ihr Freund Manfred vollständig dem Suff ergeben hatte, nur noch zu Hause auf dem Sofa lag und auf den Wohnzimmerteppich kotzte, oblag ihr allein das schwierige Geschäft, die Familie zu versorgen. Mittlerweile waren drei Kinder dazugekommen. Durch ihre Putzarbeit in einem Büro und regelmäßige Raubüberfälle auf Supermarktkunden mit prall gefüllten Plastiktüten hielt sie sich und die Ihren knapp über Wasser. Doch bald schon wurde die Nervenanspannung zu groß. Sie begann unkontrolliert zu fressen. Ihre schwarze Strickjacke legte sie zu keiner Tageszeit mehr ab. Immer öfter verprügelte sie ihren hilflosen Mann. Doch erst im Alter von achtundzwanzig Jahren holte sie zu ihrem großen Rundumschlag aus. Es war ein Dienstag im März, da sie in einem beispiellosen Blutbad ihre sämtlichen Angehörigen erschlug, mehrere Motorräder zu Schrott fuhr und noch spätnachts in der Kneipe am Weigandufer, wo sie sich maßlos betrank, ein grässliches Massaker unter den Gästen anrichtete.

Seither lebt sie ohne festen Wohnsitz. Auch ihren Arbeitsplatz hat sie aufgegeben. Ihren Lebensunterhalt bestreitet sie aus dem Barvermögen, das ihre Opfer bei sich tragen; und nach besonders ergiebigen Beutezügen schmeißt sie rauschende Parties in völlig überraschten Eckkneipen. Nur gelegentlich wird sie noch jähzornig und geht dann meist auf einen nahegelegenen Friedhof, um wutschäumend in der schwarzen Erde zu wühlen, bis sie sich so weit beruhigt hat, dass sie die nächsten Stunden dumpf murmelnd durch die Neuköllner Gassen knattern kann. 

Insgesamt, sagen ihre Bekannten, ist sie ziemlich ausgeglichen und vergnügt und genießt ihren Ruhm.

Textauszug mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag aus:

Olga O’Groschen | Johannes Groschupf: Gebrauchsanweisung für Neukölln. Hirnkost Verlag, Berlin 2023/ 1998. 84 Seiten | Illustriertes Sachbuch, 18 Euro. – Die ersten 100 Exemplare werden vom Autor signiert ausgeliefert. Verlagsinformationen hier.

Anmerkung der Redaktion:
Dieser Text stammt aus der „Gebrauchsanweisung für Neukölln“, einer ironische Skizze der im Neukölln der 80er Jahre lebenden Bevölkerungsschichten, die Johannes Groschupf unter dem Pseudonym Olga O’Groschen schrieb, damals 24 Jahre alt, mit Collagen aus Überschriften, Fotos, Kleinanzeigen zu einem Copyshop-Heft zusammentackerte und unter die Leute brachte. Das Heft erlangte Kultstatus – jetzt ist es als Buch mit zahlreichen Leserstimmen und einem langen Nachwort im Hirnkost Verlag (2022 mit dem Deutschen Verlagspreis ausgezeichnet) noch einmal erschienen. 35 Jahre später. Echter Underground der später 80er.

„Nur noch ein Thema scheint gegenwärtig die Politiker sondern auch die Bürger dieser Stadt zu beherrschen und in zwei Fraktionen zu spalten: Wie finden Sie den Neukölln-Report von Olga O’Groschen?“

„Am Sonntag bei einem Frühstückskaffee unterhielten sich alle nur über Neukölln. Gut 50 Prozent bestellten bei mir Kopien, die anderen hatten sie schon unterm Kopfkissen. Danach haben sich die anwesenen Taxifahrer vorgenommen, Rundfahrten durch Neukölln zu organisieren.“

Johannes Groschupf mit Texten bei uns hier.
Elmar Krekeler: Laudatio auf Johannes Groschupf
Alf Mayer liest „Die Stunde der Hyänen“: Diesem Autor kann man sich anvertrauen 
Hans Hütt über „Berlin Heat“ von Johannes Groschupf: In der Hitze der Macht
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