Geschrieben am 1. März 2024 von für Crimemag, CrimeMag März 2024

Bloody Chops – März 2024

Joachim Feldmann (JF), Tobias Gohlis (TG), Sonja Hartl (SH) und Alf Mayer (AM) über:

Max Annas: Berlin, Siegesallee
Candice Fox: Stunde um Stunde
David Hewson: Die Medici-Morde
Shehan Karunatilaka: Die sieben Monde des Maali Almeida
Stephan Ludwig: Zorn. Schwarze Tage
Michael Lüders: Strahlendes Eis
Patricia Melo: Die Stadt der Anderen
Adam Morris: Bird
Fabio Stassi: Die Seele aller Zufälle

Weil das Leid so schwer ist

(TG) In fast allen seinen Romanen, so auch in Berlin, Siegesallee, der im Jahre 1914 spielt, thematisiert Max Annas das Thema der Gegenwehr und des Überlebens Schwarzer in einer von Weißen dominierten Welt. Hier wehren sich Joseph (aus einer Händlerfamilie in Kamerun, Student der Nationalökonomie, Anwärter auf ein Theologiestudium), Ernst (Gärtner und Hausdiener aus Deutsch-Südwest, sehr belesen, erfahren in Krieg und Kampf), Friedrich (Sohn eines Kammerdieners, gebildet, Bote eines Schneiders mit Ambitionen auf einen eigenen Salon) gegen die Demütigungen des Alltagsrassismus, die Unterdrückung ihres Volkes und den deutschen Überlegenheitswahn. Zusammen mit der glühenden Frauenrechtlerin Florentine vom Baum töten sie zwei Militärs, und, als dies nicht das erwünschte antikolonialistische Fanal auslöst, planen sie, den Kaiser zu ermorden.

Max Annas skizziert in einem extra altertümlichen Deutsch die wilhelminische Gesellschaft ganz wunderbar. Bei den Gängen durch Tiergarten, Wedding oder Botanischen Garten hört man das Laub und die Ratten rascheln, teilt die Gefühle der Protagonisten. Da wir den Ausgang der Geschichte kennen, den Annas nicht geändert hat, verläuft sich sein Roman ein wenig in Satire und Verzweiflung. Bedrückend die Briefe, die der nach Kamerun zurückgekehrte Joseph an Florentines Bruder und seinen Herzensfreund Thomas schreibt. Sie reichen zeitlich bis in den Zweiten Weltkrieg und bezeugen eine Möglichkeit der Deutschlandliebe, die sicher sehr selten gewesen ist: Joseph beschließt, sich dem antinazistischen Kampf  in Nordafrika (Rommel!) anzuschließen.

Annas hat eine historische Phantasie geschaffen, in der die Morde leicht fallen, weil das Leid so schwer ist.

Max Annas: Berlin, Siegesallee. Rowhlt Hundert Augen, Hamburg 2024. 285 Seiten, Hardcover, 22 Euro.

Aus weißer Perspektive, unerbittlich

(AM) Australien hat klar – und immer noch – ein Rassismus-Problem. „Ein großes Loch mitten in der Identität“ nennt das Stephen Greenall („Winter Traffic“). „Blackfellers“, das ist down under ein Wort wie Neger oder Nigger, manche Aborigines verwenden es selbst offensiv, eine Form von trotzigem Stolz und Subversion. Stämme und Gruppen nennen sich „Mob“. Australisches Fernsehen und die Populärkultur sind heute immer noch eines: vorwiegend weiß. Da hilft keine Fackelträgerin bei den Olympischen Spielen. Noch eben jetzt, im Oktober 2023, gab es 60,5 Prozent NEIN!!!-Stimmen bei einem Referendum für erweiterte Stimmrechte der australischen Ureinwohner.

Auf dieses Feld tritt Adam Morris mit seinem Roman Bird. Die Hauptfigur ist ein junger westaustralischer Noongar Aborigine namens Carson. Wir lernen ihn als Gefangenen kennen, dann ist er auf Bewährung frei, dann wieder im Gefängnis. Seine Lebensumstände würgen ihn wie eine Schlinge, je mehr er kämpft und sich wehrt, desto enger zieht sie sich zu. Es wird nicht friedlich enden. Adam Morris ist Musiker und Songwriter. Das merkt man seiner Sprache an. Das Buch ist polyphon gebaut, hat gut eineinhalb Dutzend Personen. Sie sind überwiegend weiß. Adam Morris ist das auch. Sein Roman ist Teil seiner Doktorarbeit – in Australien darf man das, Alan Carter und Andrew Nette, Garry Disher und Dave Whish-Wilson haben so etwas bereits gemacht. „Whiteness and Australian Fiction“ lautet Adams Thema, das ist natürlich ultra-spannend, weil dieses Feld nicht gerade breit bearbeitet ist.

Morris – phantastisch übersetzt on Conny Lösch – verschont seine Leser nicht vor dem Gefängnishorror, dem Durchhängen und der Perspektivlosigkeit draußen und eben wieder und wieder dem Knast, vor dem Absurden und dem Komischen, dem Brutalen. Zwischen 2007 und 2011 war er selbst als Kunst-, Tanz- und Musiklehrer in westaustralischen Gefängnissen tätig, sprach und arbeitete mit Hunderten indigener Männer, jung und alt, war so etwas wie ein Medium für sie, interagierte mit ihnen, verlieh ihren Emotionen und Gefühlen Ausdruck oder half ihnen dabei.

In Westaustralien, und das ist im Rest des Kontinents nicht anders, liegt der Anteil der indigenen Gefängnisinsassen bei rund 50 Prozent. Man muss das ins Verhältnis setzen zum sonstigen Bevölkerungsanteil, da machen indigene Australier nämlich ganze 3,8 Prozent aus. Von 1991, dem Einsatz einer „Royal Commission into Aboriginal Deaths in Custody“, bis Juni 2022 ist die unvorstellbare Zahl von 516 Aborigines in Polizeigewahrsam in Australien zu Tode gekommen, alleine 59 vom Juni 2021 bis 2022. Bereits 1991 hatte Royal Commission für einen Zeitraum von zehn Jahren 99 Todesfälle untersucht und war zu dem Schluss gekommen: „Wenn Weiße in Polizeigewahrsam im selben Verhältnis gestorben wären … hätten wir es mit fast 9.000 Toten zu tun.“ 

Adam Morris weiß: „Notwendiger Teil jedes antirassistischen Projekts ist es, den Weißen ihr Weißsein sichtbar, den eigenen Diskurs damit und die sozialen und kulturellen Praktiken klarzumachen, all die materiellen Bedingungen, die diese Dominanz verstecken und bemänteln helfen.“ Das leistet sein großartiger Roman.

Adam Morris: Bird (2020). Aus dem Englischen von Conny Lösch. Edition Nautilus, Hamburg 2023. 303 Seiten, 20 Euro.

Die Sehnsüchte der Armen

(TG) So wie Garry Disher der australische, ist Patrícia Melo unser brasilianischer Stargast. Mit jedem ihrer auf Deutsch erschienenen Bücher befand sie sich – seit es die Krimibestenliste gibt, oft monatelang – unter den zehn besten Kriminalromanen des Monats, zuletzt genau vor drei Jahren mit „Gestapelte Frauen“, eine Anklage gegen den in Brasilien grassierenden Femizid.

Einen ähnlich mörderischen Gegner hat sie sich jetzt mit Die Stadt der Anderen vorgenommen: die Obdachlosigkeit. Die Praça Matriz (einer der vielen gleichlautenden Plätze in der 13-Millionen-Metropole São Paulo) ist der Überlebensmittelpunkt einer Gruppe von Armen und Obdachlosen und ihrer Sehnsüchte. Der Müllsammler Chilves (er nennt sich vornehm „Recycler“), die schwangere Prostituierte Jéssica, der Totengräber und venezolanische Flüchtling Chacoy, viele von ihnen Schwarze – in der Not finden sie zusammen. Das Elend Brasiliens wird gespiegelt in einer Gated Community reicher Europäer. Bei einem Einbruch in die Häuser der Wohlhabenden – Ziel ist die Besetzung leerstehenden Wohnraums – werden einige Frauen vergewaltigt und ermordet. Anlass für die Polizei, die Obdachlosen als Verdächtige zu terrorisieren. Warmherzig und einfühlsam teilt Melo die Sehnsüchte der Armen. Kein Zweifel an ihrer Parteinahme.

Und an der Kraft der Literatur: Der Dichter Iraquitan gewinnt mit seiner Sammlung der Sprüche der Straße breite Zustimmung der Paulistas und kann sich von den Tantiemen ein Haus kaufen. Das nächste Buch, das er schreiben wird, heißt „Die Stadt der Anderen“. Ein Zeichen der Solidarität.

Patricia Melo: Die Stadt der Anderen (Menos que um, 2022). Aus dem Portugiesischen von Barbara Mesquita. Unionsverlag, Zürich 2024. 400 seiten, 26 Euro.Tobias Gohlis ist Begründer und Sprecher der Krimibestenliste. Zu seinem Krimiblog Recoil geht es hier.

Geiselnahme im Forensiklabor

(SH) Vor zwei Jahren ist ihre Tochter Tillie verschwunden, nun wollen Ryan und Elsie Delaney die Untätigkeit des Los Angeles Police Departments nicht mehr hinnehmen: Sie brechen in Los Angeles in das forensische Labor ein, in dem das LAPD seine Proben untersuchen lässt, und nehmen drei Geiseln. Jede Stunde, so die Drohung der Delaneys, werden sie fortan einen DNA-Beweis in einem noch ungeklärten Fall vernichten – und zwar solange, bis die Polizei ihre Tochter gefunden hat.

Mit dieser ebenso simplen wie genialen Ausgangsidee schafft Candice Fox in Stunde um Stunde von Anfang an sehr viel Zeitdruck und damit Spannung: Unter den Proben befinden sich so manche „One-Shots“ – winzige biologische Proben, die nur einmal untersucht werden können. Werde diese Proben vernichtet, ist der Beweis unwiederbringlich verloren. – Drei One-Shots hat auch Detective Charlie Hoskins in dieses Labor gebracht: Fünf Jahre war er undercover bei einer Motorradgang, kurz vor den Ereignissen im Labor ist seine Tarnung aufgeflogen. Einen Anschlag auf sein Leben hat er gerade so eben überlebt. Alles, was ihm von dieser Arbeit bleibt, sind diese drei Proben. – Lynette Lamb hingegen wittert eine Chance: Eigentlich sollte sie seit wenigen Tagen beim LAPD arbeiten, aber sie wurde noch vor ihrem ersten Einsatz entlassen. Nun will sie ihren wiedergutmachen und beweisen, dass sie eine gute Ermittlerin ist. Während also vor Ort die Polizei inklusive FBI-Unterhändler und SWAT-Team die erpresserische Geiselnahme beenden wollen, versuc hat sie an der Seite von Charlie Hoskins herauszufinden, was damals mit Tillie Delaney passiert ist.

Mühelos hält Candice Fox über 400 Seiten ein hohes Tempo. Eine dichte Handlung, viele Wendungen, allerhand lustige Dialoge – „Stunde um Stunde“ will man nicht zur Seite legen. Aber Candice Fox entwickelt nicht nur verrückte und originelle Plots. Sie erzählt sie auch mit knappen Worten und oft schrägem Witz. Mittlerweile fehlt etwas von der Härte, die sie noch in ihren früheren Werken gezeigt hatte – sie ist routinierter geworden. Aber weiterhin gibt es allerhand clevere narrative Einfälle. Ein Beispiel: Charlie versucht nebenbei die Frau zu finden, die ihm das Leben gerettet hat – und sie versucht auch ihn zu finden. Erzählt wird in der direkten Rede einer Reihe erfolgloser Anrufe bei Menschen, die möglicherweise ihre Identitäten kennen könnten. Das ist romantisch – und bietet noch eine allerletzte Überraschung.

Das Buch überzeugt zudem mit den Hauptfiguren: Er ist abgeklärt, sie übereifrig. Er hat manches zu verbergen, sie muss noch abhärten. Zusammen haben sie eine gute Dynamik, vor allem, weil Candice Fox niemals übertrieben psychologisiert oder alles allzu ernst nimmt. „Stunde um Stunde“ ist ein spannender und sehr unterhaltsamer Auftakt zu einer neuen Reihe.

Candice Fox: Stunde um Stunde (Fire with Fire, 2023). Aus dem australischen Englisch von Andrea O’Brien. Herausgeben von Thomas Wörtche. Suhrkamp Verlag, Berlin 2023. 476 Seiten, 18 Euro.

In guter Absicht

(JF) In dramatischem Tempo schmilzt das Eis in der Arktis, aber nicht alle geraten darüber in Panik. Was nicht nur für die Inuit eine Katastrophe ist, sehen andere als Chance. Denn bald könnte der Weg zu gewaltigen Rohstoffvorkommen frei sein. Und Profitinteresse kennt keine Skrupel. Das ist das Szenario für einen lebensgefährlichen Einsatz des Agentenduos Sophie Schelling und Harald Nansen, die für den fiktiven norwegischen Geheimdienst E39 arbeiten. Denn es gilt ein Umweltdesaster von gigantischen Ausmaßen zu verhindern.

Michael Lüders, streitbarer Nahost-Experte, erfolgreicher Sachbuchautor und seit neuestem Europawahl-Kandidat für das Bündnis Sahra Wagenknecht, schreibt Thriller mit aufklärerischem Impetus und in guter Absicht. Das ist engagierte Literatur par excellence. Mit all ihren Stärken und Schwächen. Strahlendes Eis, der dritte Band seiner Reihe um Schelling und Nansen, ist in dieser Hinsicht beispielhaft. Ein packend geschilderter Einsatz in der grönländischen Schneewüste vereitelt diabolische Pläne zur Entsorgung toxischer und nuklearer Altlasten im Polarmeer. Schwieriger ist es allerdings, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, wie der dritte, vor allem in Oslo spielende, Teil des Romans zeigt. Ein scheinbar raffiniert eingefädelter Erpressungsversuch bringt nicht das gewünschte Ergebnis. Zudem tauchen immer wieder Bösewichte auf, die Schelling und Nansen an den Kragen wollen. Eine rechte Idee für ein sinnvolles Ende ist nur schwer zu erkennen. Erzählerisch ist das ziemlich unbefriedigend. Wahrscheinlich setzt der Autor deshalb auf umfängliche Erklärungen. Und lässt es kurz vor Schluss noch einmal so richtig krachen.

Michael Lüders: Strahlendes Eis. C. H. Beck, München 2024. 346 Seiten, 18 Euro.

Grandioses Buch der Abschweifungen

(TG) Das Gedächtnis von Fabio Stassi möchte ich haben. Denn angeblich schreibt er, im Hauptberuf Bibliothekar an  der Biblioteca di Studi Orientali der römischen Universität Sapienza, seine Romane, auch Die Seele aller Zufälle, auf der Fahrt zur Arbeit im Zug. Selbst ein Laptop mit mehreren Terabyte Romanen, Schlagern und Comics wäre zu umständlich zu bedienen, um all die Anspielungen, Nebenverweise, Assoziationen und Literaturinterpretationen hervorsprudeln zu lassen, die Stassi uns in diesem einen Buch liefert. Sein Detektiv Vince Corso aber, Aushilfslehrer und Bibliotherapeut, hat sie alle im Kopf. Er ist, um Borges, eines der Vorbilder Stassis zu zitieren, eine wandelnde „Bibliothek von Babel“.
Im Unterschied zu Kukafkas „Notizen“ (hier nebenan in dieser Ausgabe) ist es mir gelungen, die eigentliche Kriminalhandlung auf 300 Zeichen zusammenzufassen. Der Kosmos aber, den Stassi nebenbei aufmacht, ist unerschöpflich. Loben muss man den Wagemut seiner deutschen Verlegerin Monika Lustig, und die Leistung seiner Übersetzerin Annette Kopetzki, dieses Buch der Abschweifungen überhaupt zu wagen, denn es fordert ambitionierte Leser.

Um nur ein Beispiel zu aufzuführen: Zum Schluss soll Corso diesen Zeitungsausschnitt lesen:
„Zwei Frauen meines Alters, eine kannte ich sogar. Ermordet, wenige Meter von hier. In diesem Viertel zu wohnen, wird langsam gefährlich.“ Darin versteckt sich  ist ein doppelter literarischer Hinweis. Zum einen auf den Roman „Ich töte wen ich will“ den Stassi als folgenden in der Serie um Vince Corso geschrieben hat. Zweitens auf den berühmten Roman von Carlo Emilio Gadda „Die grässliche Bescherung in der Via Merulana“ (hier von Alf Mayer besprochen). Der ist 1946 erschienen, spielt aber 1927 in der Hochzeit des Faschismus, den Gadda subtil beschimpft. Dieses Hauptwerk der italienischen Kriminalliteratur dient hinwiederum Stassi so sehr als Vorlage, dass er seinen Detektiv Vince Corso in der Via Merulana wohnen lässt und wie Gadda Rassismus und Nationalismus der römischen Gegenwart attackiert.

Eine Empfehlung für die Lesehungrigen: Beginnen Sie mit „Die Seele aller Zufälle“, fahren Sie fort mit „Ich töte wen ich will“. Und noch eine kleine Notiz: Beachten Sie die geschummerte Typographie von Stassis Namen im Titel: Das ist nicht verdruckt, sondern Ausdruck eines Zufalls. Und damit auch einer Theorie des Krimialromans.

Fabio Stassi: Die Seele aller Zufälle (Ogni coincidenza ha un’anima, 2018.) Aus dem Italienischen von Annette Kopetzki. Edition Converso. Hardcover, Lesebändchen, 288 Seiten, 24 Euro.

Trickreiches Kabinettstück

(JF) Der englische Schriftsteller David Hewson ist ein Routinier im besten Sinne des Wortes, dessen Romane von gediegener Handwerkskunst zeugen. Die Medici-Morde, sein aktueller Ausflug in das beliebte Sujet der Historienkrimis, ist da keine Ausnahme. Allerdings spielt der Roman nicht im 16. Jahrhundert und auch nicht in Florenz, sondern im heutigen Venedig. Hier möchte der fernsehberühmte Historiker Marmaduke Godolphin die vermeintliche Wahrheit über die Morde an zwei Mitgliedern der Medici-Familie präsentieren.

Doch zuvor soll der pensionierte Archivar Arnold Clover, die Beweismittel, mehrere Kartons voll historischer Schriftstücke, überprüfen. Dann wird Godolphin ermordet aufgefunden. Und weil er ein skrupelloses Ekelpaket war, besteht kein Mangel an hochmotivierten Verdächtigen. Valentina Fabbri von der venezianischen Polizei befindet sich also in einer klassischen Situation. Da kommt ihr Clover, der den toten TV-Star und seinen Kreis schon kannte, als er in Cambridge studierte, gerade recht. Fraglich ist allerdings, ob seine Auskünfte verlässlich sind. Das fragt man sich auch während der Lektüre des Romans, denn David Hewson lässt den Archivar die auf unterschiedlichen Zeitebenen spielende Geschichte, deren Doppelbödigkeit sich erst am Ende offenbart, selbst erzählen. 

Mit „Die Medici-Morde“ ist David Hewson ein trickreiches Kabinettstück gelungen. Intelligentes Amüsement vom Feinsten ist garantiert.

David Hewson: Die Medici-Morde. Ein Venedig-Krimi (The Medici Murders, 2022). Aus dem Englischen von Birgit Salzmann. Folio Verlag, Wien – Bozen 2024. 308 Seiten, 22 Euro.

Mordermittlung in der Zwischenwelt

(TG) Dieser Roman, der 2022 mit dem Booker-Preis ausgezeichnet wurde, hat wie Sri Lanka, das Land aus dem er kommt und von dem er handelt, eine lange und verworrene Geschichte. Der 1975 im Süden Sri Lankas geborene Shehan Karunatilaka veröffentlichte es zunächst 2020 als „Chats with the Dead“ in Indien, dann kam Covid 19, er schrieb es für ein internationales Publikum, das nicht so mit den politischen Interna seines Landes vertraut war, um. Bis es 2022 vom unabhängigen englischen Verlag Sort of Books unter seinem jetzigen Titel Die sieben Monde des Maali Almeida herausgebracht wurde.

Die lange Kriminal-, Liebes- und Politik-Geschichte im Kommentar zur Krimibestenliste kurz zusammengefasst: „Der schwule Spieler und Kriegsfotograf Maali Almeida ist tot. Sieben Tage hat er in der Zwischenwelt der Geister, um Vorgeschichte und Ursache seines Todes aufzuklären. Zwischen Liebsten, Verwandten, Mördern, Politikern und Dämonen versucht er, im Bürgerkriegschaos seines Landes Sinn zu erkennen.“

Im Zentrum des Politthrillers stehen Fotos von Bürgerkriegsgräueln von 1983, die Maali versteckt hat. Sie belasten den aktuellen Verteidigungsminister und die von ihm befehligten Todesschwadronen.

Shehan Karunatilaka: Die sieben Monde des Maali Almeida (The Seven Moons of Maali Almeida). Aus dem Englischen von Hannes Meyer. Rowohlt Verlag, Hamburg 2024. 544 Seiten, 30 Euro.

Beträchtlicher Unterhaltungswert

(JF) Die Romane von Stephan Ludwig um den kettenrauchenden Hauptkommissar Claudius Zorn und seinen multitalentierten Sidekick Schröder gehören zu den erfolgreichsten deutschsprachigen Krimireihen.  Das ist auch nicht verwunderlich, bedient der Autor doch gekonnt die Bedürfnisse seines Lesepublikums nach skurrilen Ermittlern, bizarren Mordfällen und wendungsreichen Plots versetzt mit einer gehörigen Portion Tragik. Schwarze Tage, der dreizehnte Band der Serie, ist da keine Ausnahme.

Zorns Lebensgefährtin Frieda kommt bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Am Lenkrad des Autos, von dem die junge Staatsanwältin erfasst wird, sitzt ein schwer betrunkener junger Mann. Ein verheerender Schicksalsschlag, aber kein Fall für die Kripo. So scheint es zumindest. Doch das hält Zorn und Schröder nicht davon ab, Ermittlungen aufzunehmen. Und bald werden sie fündig. Was schon daran zu merken ist, dass sich das BKA in Gestalt eines smarten Kriminaloberrates einschaltet. Auch der tatsächliche Plot folgt bekannten Mustern. Die Stichworte „Familienbande“ und „organisierte Kriminalität“ sollten neben dem Hinweis, dass die Spur in den Nahen Osten führt, reichen. 

All diese Ingredienzien, präsentiert von einem Erzähler, der seine Mitteilsamkeit in entscheidenden Momenten zu zügeln versteht, sorgen für den nicht unbeträchtlichen Unterhaltungswert dieses Spannungsromans.

Stephan Ludwig: Zorn. Schwarze Tage. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2024. 352 Seiten, 13 Euro.

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