Geschrieben am 1. Mai 2019 von für Crimemag, CrimeMag Dezember 2018, CrimeMag Mai 2019

Alf Mayer über „A Private War“

Die Frau, die nicht wegsah

Vor den Spiegel stellte er sich, entkleidet, und schrie und schrie: „Ich bin ein Mensch. Ich bin ein Mensch. Denn ich trage des Menschen Gestalt.“ (Hans Henny Jahnn, Perudja, 1929)

Einmal in diesem Film steht Rosamund Pike in einem halbdunklen Zimmer nackt vor dem Spiegel, full frontal nudity, sieht sich an wie eine Fremde – einer der vielen existentiellen Momente in dem von Charlize Theron produzierten Film, der bis auf einige special screenings in Deutschland gar nicht ins Kino kam.
Rosamund Pike verkörpert die amerikanische Kriegsreporterin Marie Colvin (1956 – 2012), auf Long Island geboren, ständig ruhelos zu den gefährlichsten Orten der Welt unterwegs. Eine Getriebene, eine Mutige, eine Kühne, eine Augenzeugin. Sie schrieb für die Londoner „Sunday Times“. Sie ist die Frau, die nicht wegsieht (so auch der Titel eines Porträts 2013 in der „Zeit“).
Pikes Performance hätte den Oscar verdient, wären die Welt und die Academy mehr am Realitätsgehalt dieses Journalistinnenporträts interessiert als nur für ein paar Momente in den Abendnachrichten. Für Colvin/ Pike ist es das Leben, buchstäblich. Ein Jahr zuvor hat Pike bereits in „Hostiles“ geglänzt (Besprechung in dieser CrimeMag-Ausgabe nebenan), dort ist sie vor Trauer stumm; als Marie Colvin nimmt sie Unfassbares auf sich, um das Schreckliche mitzuteilen.

Mit der Timeline „Elf Jahre vor Homs“ beginnt das unglamouröse Biopic: Maries Geschichte rückwärts. 2001 der Dschungel von Sri Lanka, ein Treffen mit einem tamilischen Rebellenführer. Und der Satz: „Wenn man über Krieg berichtet, muss man bereit sein, an Orte zu gehen, wo Menschen sterben – wo man selber sterben kann. Dafür muss man die eigene Angst hintanstellen.“ 

Schüsse, Detonationen auf der Tonspur. 
Schwarze Leinwand. 
Marie trägt künftig eine Augenklappe wie Moshe Dajan, Fritz Lang oder John Ford. 
Sie wird als „Foreign Correspondent of the Year“ ausgezeichnet. Überhaupt darf man sie getrost als die legitime Erbin der legendären Martha Gellhorn (1908 – 1998) ansehen. Mit dem Vietnamreporter Michael Herr ist sie sich einig: „War stories aren’t really anything more than stories about people anyway.“

Einmal wird sie bei einem Korrespondenten-Dinner gefragt, was denn künftige Journalisten von ihr und von ihrer Arbeit wissen sollten. Sie antwortet: „Dass es mir immer ein Anliegen war, an all diese Orte zu gehen und so darüber zu schreiben, dass auch andere sich darum kümmern.“ Ein anderes Mal sagt sie: „Ich sehe es mir an, damit Sie es nicht müssen.“

Neun Jahre vor Homs. Er: „Es ist zu gefährlich.“ – Sie: „Es ist überall zu gefährlich.“ 
Sie lernt den Fotografen Paul Conroy kennen (Jamie Dornan mit Bart), sie werden Gefährten. Kein Paar. Im Irak suchen sie ein Massengrab, der Bagger findet Gebeine. Die Klageschreie der Frauen sind kaum auszuhalten. Während Conroy fotografiert, redet Colvin mit ihnen, bleibt fokussiert in all dem Wehgeschrei.  Sie weiß: „Menschen interessieren sich für Menschen.“ 

„Ziemlich depressiv für einen Sonntagsaufmacher“, moniert ihr Chefredakteur in London. – Sie: „Wir müssen das Wesentliche erzählen.“
Einmal sieht man sie ein Buch von Martha Gellhorn lesen, „Das Gesicht des Krieges: Reportagen 1937-1987“. Die hat einmal gesagt: „Der Krieg geschieht den Menschen, jedem Einzelnen. Das ist wirklich alles, was ich zu sagen habe. Und mir scheint, dass ich das schon ewig sage.“

Sieben Jahre vor Homs. Sie: „PTSD ist was für Soldaten, ich hab das nicht.“ – Er: „Du hast mehr Kriege erlebt als die meisten Soldaten.“ 
Zwei kaputte Ehen, zwei Fehlgeburten. Einsamkeit. Alkohol. Schneller Sex. Einsamkeit. Härte und Verletzbarkeit.
Martha Gellhorn, 1945: „Für meine Einsamkeit gibt es keine Kur. Ich denke, ich muss damit leben bis ans Ende.“

Als Fotograf Conroy sie in der psychiatrischen Klinik besucht, sagt Marie: „Ich bin am glücklichsten mit einem Wodka-Martini in der Hand. Aber das Gequatsche in meinem Kopf hört nicht auf …“

2009, drei Jahre vor Homs, ist sie in Afghanistan.
Dann bei Gaddafi in Lybien. Ein Jahr vor Homs.
In Tschetschenien, wohin sie sich hatte schmuggeln lassen, wollte ein Rebellenführer ihr nicht die Hand geben, weil sie eine Frau sei. Sie hat den Männern gesagt: „In diesem Raum ist keine Frau, nur ein Journalist.“

„Was ist das für ein BH?“ – „Das ist La Perla. Wenn jemand meine Leiche aus nem Graben zieht, will ich, dass er beeindruckt ist.“ (Im Original: “If anyone digs my corpse from a trench, I want them to be impressed.”)

Ihr Chefredakateur, drei Monate vor Homs: „Niemand bei klarem Verstand würde tun, was du tust… Aber gibst du deine Überzeugung auf, welche Hoffnung bleibt uns dann noch?“

Nur Stunden, nachdem sie in einem Bericht für CNN den Beweis erbracht hat, dass Assad in Syrien unerbittlich Zivilisten und eben nicht Terroristenbanden bombardiert, stirbt Marie Colvin am 22. Februar 2012 in Homs im Bombenhagel. Nicht nur der französische Präsident hält es für einen gezielten Anschlag.

Annie Lennox, die schon Jahre keinen Song mehr veröffentlicht hatte, stimmt sofort zu, für den Film ein „Requiem for A Private War“ zu schreiben. Sie erzählt, dass eines der letzten Worte von Marie eine Frage gewesen sei: „Warum?“ Das gäbe ihr Gänsehaut.

So beginnt dann auch den Song, den sie schreibt:
Why do these cold stars burn bright …
Bring it on
Bring it on
Bring it on
Nothing will stop me.

Vielleicht muss man selbst Journalist sein, um würdigen und sehen zu können, wie der Film auch die Veränderungen in Technologie und Ethik des Journalismus in den letzten beiden Dekaden widerspiegelt. Es ist der erste Spielfilm des erfahren Dokumentarfilmers Matthew Heineman („Cartel Land“, USA 2015 – CrimeMag-Kritik von Sonja Hartl hier, und „City of Ghosts“, Syrien 2017). Er macht hier einen Film über eine Kollegin. Und zweifellos teilt er mit ihr die Haltung, dass es Aufgabe der eigenen Arbeit ist, Momente der Menschlichkeit zu zeigen – oder eben, dass und wo sie fehlt. 

„A Private War“ fühlt sich nicht wie ein Dokumentarfilm an, hat aber ganz offenkundig seine Lektionen im nichtfiktionalen Kino gelernt, etwa, in einer Szene zu bleiben, bis sie ausgekostet ist, anstatt schon wieder zur nächsten Plot-Attraktion zu hüpfen. Manchmal erinnert die Kameraarbeit an die frühen Oliver-Stone-Filme „Salvador“ und „Platoon“. Kein Wunder. Es ist der gleiche Kameramann: Robert „Bob“ Richardson.

Nur eines nervt mich an diesem Film – der Titel. Schon klar, er beruht auf dem gleichnamigen Vanity Fair-Artikel von Marie Brenner, der vier Monate nach Maries Tod erschien. Aber es geht eben genau nicht um die Privatsache von Marie Colvin, sondern um unsrer aller Kriege.

„Plötzlich wurde mir klar, warum unsere Geschichte solch ein Verhau ist: Die Menschen leben nicht lange genug. Wir alle lernen nur aus Erfahrung, und wir haben keine Zeit, sie dauerhaft und vernünftig umzusetzen.“ (Martha Gellhorn, Travels With Myself and Another)

Alf Mayer

A Private War (USA/Großbritannien 2018). Regie: Matthew Heineman. Buch: Arash Amel. Kamera: Robert Richardson. Schnitt: Nick Fenton. Musik: H. Scott Salinas, und ein Song von Annie Lennox. Mit: Rosamund Pike, Jamie Dornan, Stanley Tucci, Tom Hollander, Faye Marsay. Länge: 110 Minuten. Verleih und DVD: Ascot Elite.
Die DVD/BD enthält im Bonusmaterial den BBC-Dokumentarfilm Under the Wire (95 Min.) von Chris Martin, der Marie Colvin vor allem mittels Interviews mit Wegbegleitern und Kollegen porträtiert; vor allem ihr langjähriger Fotograf Paul Conroy kommt darin zu Wort. Länge: 95 Minuten

Annie Lennox überweist die Einnahmen aus ihrem Song an das Marie Colvin Journalist Network,eine Online-Community weiblicher Journalisten, die in der arabischen Welt arbeiten. Hören Sie sich ihren Song an, oben am Anfang dieses Artikel.

Why do these cold stars burn bright
All these cold stars.
Why do these cold stars burn bright
All these cold stars.

Bring it on
Bring it on
Bring it on
Nothing will stop me
Bring it on
Bring it on
Bring it on
Nothing will stop me

Still the world keeps spinning around you
Heaven knows were drifting apart
All the burning buildings surround you
All the world is falling down
All the world is falling down

Bring it on
Bring it on
Bring it on
Nothing will stop me
Bring it on
Bring it on
Bring it on
Nothing will stop me

Underneath the shooting stars
Fireworks tearing us apart
Tiny sparks and broken parts
Bruised and bleeding broken hearts
Hopelessness turned to despair
Shattered glass lies everywhere
Flying from the deadly blast
Armageddon’s come at last

Bring it on
Bring it on
Bring it on

Bring it on
Bring it on
Bring it on

Bring it on
Bring it on
Bring it on

Bring it on
Bring

Bring it on
Bring it on
Bring it on (Annie Lennox, 2018)

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