Erich Klibansky / Klaus Schäfer (Hgg.): Die Rechnungen der mainzischen Kellerei Amöneburg aus dem 14. Jahrhundert (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen; 28,2), Marburg: Historische Kommission für Hessen 2019, LIV + 418 S., 2 Farb-, 7 s/w-Abb., ISBN 978-3-942225-46-5, EUR 35,00
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Das Erscheinen einer neuen Edition mit spätmittelalterlichen Amtsrechnungen zu würdigen, ist an sich eine erfreuliche Aufgabe. Noch erfreulicher ist es, wenn man die Vollendung einer solchen Edition nach einer Bearbeitungsgeschichte von mehr als 90 Jahren vermelden kann.
Beide Herausgeber sind Schüler des Marburger Mittelalter- und Landeshistorikers Edmund Ernst Stengel (1879-1968), der zeitweilig auch Präsident der Monumenta Germaniae Historica war, aber die beiden Lebenswege sind getrennt durch das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte. Erich Klibansky promovierte bei Stengel 1922 mit einer Untersuchung über die topografische Entwicklung der kurzmainzischen Ämter in Hessen, die 1925 gedruckt wurde. In diesem Zusammenhang stieß er im Staatsarchiv Würzburg auf die außergewöhnlich frühen Rechnungen der Kellerei Amöneburg und erhielt von der Historischen Kommission für Hessen, der Stengel seit 1929 vorstand, den Auftrag, diese zu edieren. Beruflich entschied sich Klibansky, der jüdischer Herkunft war, allerdings, in den Schuldienst zu gehen. 1929 übernahm er die Leitung des privaten jüdischen Gymnasiums Jawne in Köln, in dem er segensreich wirkte. Bis zur Entfesselung des Zweiten Weltkrieges 1939 gelang es ihm, zahlreiche Schülerinnen und Schüler nach England zu bringen, entschloss sich selbst dann aber, in Deutschland zu bleiben, obwohl seine Lebens-, Arbeits- und Forschungsmöglichkeiten immer weiter eingeschränkt wurden. 1939 übergab er Stengel nolens volens das unvollendete Manuskript der Edition der Amöneburger Rechnungen, das damit vor dem Untergang bewahrt wurde. Klibansky selbst wurde 1942 mit allen Mitbewohnern, die im Gebäude seines jüdischen Gymnasiums lebten, nach Minsk deportiert und ermordet. Sein Bruder Joseph, der bereits 1934 aus Deutschland emigriert war, überlebte den Zweiten Weltkrieg und gab Stengel sein Einverständnis, die unvollendete Edition seines Bruders fertigstellen zu lassen, und dabei blieb es ungeachtet des Umstands, dass sich Stengel und Joseph Klibansky schließlich über die Frage, inwieweit auch die Historische Kommission für Hessen in der NS-Zeit ideologisch verstrickt war, entzweiten. Das Geleitwort von Andreas Hedwig als Vorsitzendem der Historischen Kommission geht darauf näher ein.
Edmund Ernst Stengel, dessen Rolle in der NS-Zeit noch immer nicht umfassend aufgearbeitet ist, konnte auch nach dem Zweiten Weltkrieg noch etliche akademische Schüler gewinnen, darunter Klaus Schäfer, der bereits den letzten Teilband von Stengels großer Edition "Nova Alamanniae" druckfertig gemacht hat (Hannover 1976), und der nun als Mitherausgeber der vorliegenden Ausgabe firmiert. Deren Fertigstellung hat ihn lange beschäftigt, und dabei wird vermutlich auch die Überlegung motivierend gewirkt haben, durch diese Veröffentlichung das Andenken Erich Klibanskys zu sichern. Man muss sich an dieser Stelle vergegenwärtigen, wie es den Manuskripten anderer jüdischer Wissenschaftler in der NS-Zeit ergangen ist. Von der Edition der Briefe des Erzbischofs Hinkmar von Reims, die Ernst Perels für die MGH bearbeitete, konnte die erste Lieferung 1939 nur ohne Namensnennung des Editors erscheinen. Ähnlich erging es Luitpold Wallach, dessen Name verschwiegen wurde, als seine Edition der Zwiefalter Chroniken Ortliebs und Bertholds 1941 mit Nennung zweier nichtjüdischer Historiker herauskam. Der Hamburger Historiker Richard Salomon konnte sein Editionsmanuskript über den langwierigen Prozess zwischen Hamburger Rat und Domkapitel im 14. Jahrhundert zwar ins amerikanische Exil retten und fertigstellen, doch wurde es erst zwei Jahre nach seinem Tod 1968 gedruckt. Selbst wer sein Leben vor den Nazis hatte retten können, bezahlte einen hohen Preis, da die gewohnten Arbeits- und Publikationsmöglichkeiten verloren waren. Der aus Halle emigrierte Rechtshistoriker Guido Kisch hat in seinen Erinnerungen eindrucksvoll beschrieben, wie hart es für emigrierte Wissenschaftler war, im Exil Fuß zu fassen (Der Lebensweg eines Rechtshistorikers, Sigmaringen 1975). Gleichwohl war alles besser, als - wie Erich Klibansky - deportiert und ermordet zu werden. Die vorliegende Edition trägt dazu bei, an sein grausames Schicksal zu erinnern, aber auch seine wissenschaftliche Leistung und damit seinen Namen der Vergessenheit zu entreißen.
Das mittelalterliche Erzstift Mainz war wie fast alle bischöflichen Hochstifte territorial stark zersplittert, umfasste aber mehrere größere geschlossene Gebiete am Untermain um Aschaffenburg, Miltenberg und Tauberbischofsheim, am Mittelrhein um Mainz und Eltville, an der Bergstraße um Heppenheim, im Eichsfeld und um Erfurt sowie in Nordhessen um Fritzlar und eben um Amöneburg. Außerhalb des Bistumsgebietes lag am Mittelrhein bei Koblenz Oberlahnstein, wo die Mainzer Erzbischöfe über eine einträgliche Zollstation verfügten. [1] Die Amöneburger Rechnungen reichen ebenso wie die Amorbacher Kellereirechnungen [2] nicht nur ungewöhnlich weit zurück, sondern sie gehören überhaupt zu den wenigen Amtsrechnungen, die von der Verwaltung des territorial weitläufigen Erzstifts Mainz erhalten geblieben sind. Insofern ist die vorliegende Edition nicht nur ein historiografiegeschichtliches Denkmal, sondern auch quellenkundlich ein Markstein. Da Schäfer zu diesen Fragen keine weiterführenden Hinweise gibt, sei zumindest auf die Zusammenstellung Mainzer Amtsrechnungen des 14. Jahrhunderts durch Mark Mersiowsky hingewiesen. [3]
Die Edition bietet auf rund 300 Druckseiten neun Rechnungen und verwandte Aufzeichnungen aus dem Zeitraum 1324 bis 1408, im einzelnen Abrechnungen des Amöneburger Kellners von 1324/25-1329/30, um 1330, um 1332-1348, um 1367 und 1343-1345, die ergänzt werden durch speziellere Aufzeichnungen wie Zinsregister, Aufzeichnungen über die Verpfändungen des Amtes, Zahlungen an erzbischöfliche Dienstleute (um 1330) und eine Zusammenstellung des Mainzer Besitzes um Amöneburg aus der Zeit um 1408. Die Stücke werden als Handschrift A bis I gezählt. Ergänzend werden in einem zweiten Teil elf weitere Quellen als Urkunden K bis U aus den Jahren 1312 bis 1339 abgedruckt. Ein Vorteil dieser Edition ist, dass die präsentierten Stücke fast vollständig in den Zeitraum bis 1374 fallen, der noch von den Regesten der Erzbischöfe von Mainz abgedeckt wird, wodurch natürlich die Auswertungsmöglichkeiten der Amöneburger Quellen erhöht werden.
In der ausführlichen Einleitung umreißt Schäfer die Bedeutung Amöneburgs als kirchliches und weltliches Zentrum der Mainzer Herrschaft in Nordhessen und schildert die erzbischöfliche Verwaltungspraxis, die sich einerseits adliger Amtmänner bediente, andererseits aber auf geistliche und bürgerliche Kellner als Verwaltungsfachleute zurückgriff, denen auch die Rechnungsaufzeichnungen zu verdanken sind. Geboten werden zehn Biogramme von Brunward aus Fritzlar bis Konrad von Melsungen. In ihren Biografien spiegeln sich die wechselvollen Verhältnisse des Erzbistums im 14. Jahrhundert wider, in denen konkurrierende Erzbischöfe auch konkurrierende Kellner ernannten. Für die Benutzung der edierten Rechnungen ist es sehr hilfreich, dass Klaus Schäfer den eigentlichen Texten Auflistungen voranstellt, die den Aufbau und die sachliche Gliederung der einzelnen Rechnungen verdeutlichen.
Der textkritische Apparat im Editionsteil beschränkt sich, da die Rechnungen durchweg nur in einer Fassung überliefert sind, auf Nachweise von Korrekturen und Nachträgen, während der Sachkommentar in wohldosierter Form Erläuterungen zu vorkommenden Personen und Orten bietet und durch Querverweise Zusammenhänge herstellt. Der reiche Inhalt der edierten Quellen wird durch ein kombiniertes Personen-, Orts- und Sachregister erschlossen. Da die Rechnungen durchweg in lateinischer Sprache aufgezeichnet wurden, verweist ein Glossar von den lateinischen Begriffen auf die deutschen Schlagworte im Register, von "ablutio" = Reinigung bis "zwisterna" = Zisterne.
Ein Abbildungsteil bietet zwei Aufnahmen des Manuskripts von Klibansky und ausgewählte Seiten der edierten Quellen. Auf den Grundlagen der Edition Klibansky hat Schäfer eine Druckfassung bearbeitet, die der künftigen Forschung ein Quellenmaterial zur Verfügung stellt, das für vielfältige Fragestellungen aussagekräftig ist: die Landesgeschichte Hessens und die Kirchengeschichte des Erzbistums Mainz werden von dieser Edition ebenso profitieren können, wie die Wirtschaftsgeschichte, die sich für die agrarische Produktion, für Löhne, Preise und Währungsverhältnisse interessiert, oder die Quellenkunde, die sich mit dem reichen Verwaltungsschriftgut des späten Mittelalters noch viel zu wenig beschäftigt hat. Die hier edierten Quellen beleuchten die Etablierung der Ämterverwaltung, die im deutschsprachigen Raum im 14. Jahrhundert ein allgemeiner und fundamentaler Vorgang war.
Anmerkungen:
[1] Die Rechnungen der mainzischen Verwaltung in Oberlahnstein im Spätmittelalter, bearb. von Otto Volk (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau; Bd. 47), Wiesbaden 1990.
[2] Christoph Bachmann: Die Amorbacher Kellereirechnung des Konrad Engilhard von 1340/41, in: Beiträge zur Erforschung des Odenwaldes und seiner Randlandschaften 6 (1997), 83-110.
[3] Die Anfänge territorialer Rechnungslegung im deutschen Nordwesten. Spätmittelalterliche Rechnungen, Verwaltungspraxis, Hof und Territorium (= Residenzenforschung; Bd. 9), Stuttgart 2000, 96-102.
Enno Bünz