Rezension über:

Géza Alföldy: Die epigraphische Kultur der Römer. Studien zu ihrer Bedeutung, Entwicklung und Erforschung. Herausgegeben von Angelos Chaniotis und Christian Witschel (= HABES. Heidelberger Althistorische Beiträge und Epigraphische Studien; Bd. 50), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2018, 678 S., 185 Abb., ISBN 978-3-515-12236-8, EUR 89,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Werner Eck
Universität zu Köln
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Werner Eck: Rezension von: Géza Alföldy: Die epigraphische Kultur der Römer. Studien zu ihrer Bedeutung, Entwicklung und Erforschung. Herausgegeben von Angelos Chaniotis und Christian Witschel, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2018, in: sehepunkte 19 (2019), Nr. 12 [15.12.2019], URL: https://www.sehepunkte.de
/2019/12/32472.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Géza Alföldy: Die epigraphische Kultur der Römer

Textgröße: A A A

Als Géza Alföldy am 6. November 2011 so unerwartet auf der Akropolis in Athen verstarb, hatte er den Plan entwickelt, "eine große Zahl der von ihm verfassten epigraphischen Studien in einem dreibändigen Sammelwerk vorzulegen." Darin sollten "auch kleinere Arbeiten zu bestimmten Inschriften sowie Rezensionen aufgenommen werden" (12). Sie hätten die schon vorliegenden Sammelbände, die ebenfalls in der Reihe "Habes" erschienen waren, komplettiert. Die beiden Herausgeber haben aus verschiedenen Gründen, die sie in ihrem Vorwort darlegen, von dem Gesamtplan abgesehen und sich auf "Untersuchungen zur Entwicklung und spezifischen Ausprägung der Inschriftenkultur... im (westlichen) Imperium Romanum sowie in einzelnen Regionen des Reiches" beschränkt (13). Insgesamt haben sie neben der noch von Alföldy selbst formulierten Einführung: Zur Geschichte der epigraphischen Forschung, mit der diese Sammlung beginnt (19-31) vierundzwanzig meist größere Arbeiten aufgenommen (wenn man die beiden Appendices, die dem Beitrag über Ronald Syme hinzugefügt wurden, nicht eigens zählt). Sie sind in der überwiegenden Zahl, insgesamt siebzehn, unter die Überschrift: "Die epigraphische Kultur der Römer", dem Herzstück des Bandes, subsumiert (35-390), die restlichen sieben unter der Überschrift: "Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der epigraphischen Forschung" (391-537). Vier dieser Beiträge sowie die beiden Appendices waren bisher unpubliziert, einer ist stark überarbeitet und ergänzt. Es folgen ausführliche, nach epigraphisch-prosopographischen Kategorien gestaltete Indizes. Der Band enthält schließlich 185 Abbildungen, ohne Ausnahme von sehr hoher Qualität, die den für Inschriften so essenziellen Aspekt der visuellen Kenntnis und Kontrolle ermöglichen.

Der Inhalt des Bandes konzentriert sich vor allem auf Untersuchungen, die sich mit der spezifischen Ausprägung der römischen Inschriftenkultur im (westlichen) Imperium Romanum, nur gelegentlich auch im östlichen Teil befassen. Vor allem die verschiedenen Regionen auf der iberischen Halbinsel mit der Betonung auf Städten wie Tarraco, Saguntum, Segovia und Segobriga sowie Italien und dort vor allem die Metropole Rom (Arbeiten zu Oberitalien liegen bereits in einem eigenen Band vor) stehen im Mittelpunkt der meisten Untersuchungen. Es sind die Regionen und Städte, zu denen Alföldy auch seine gewichtigsten und langlebigsten Werke, die Faszikel zu CIL II2 (insgesamt vier zum conventus Tarraconensis, dazu Mitarbeit an einem Faszikel zum Conventus Cordubensis) und zu CIL VI 8, 2 und 3, vorgelegt hat. Wie sehr ihm gerade das epigraphische Material dieser beiden Regionen vertraut war und wie stark es auch seine Sichtweise auf die Bedeutung der lateinischen Inschriften geprägt hat, ist in allen Beiträgen spürbar.

Alföldy lebte mit diesen Texten. Wer ihn persönlich näher gekannt hat, dem tritt er in den hier versammelten Aufsätzen mit all seiner epigraphischen Leidenschaft entgegen. Er sah in den Inschriften das entscheidende Kommunikationsmittel im Imperium Romanum, die sich seit Augustus zu einem Massenmedium entwickelt haben; die Inschriften hätten - so sein mit großem Nachdruck vorgetragenes Credo - "bei der Formierung der Mentalität breiter gesellschaftlicher Gruppen und bei deren Ausrichtung an den Normen und Idealen Roms" eine entscheidende Rolle (WE) gespielt (71). "Mit der Perpetuierung dieser Wertvorstellungen trugen sie" - wie er immer wieder betont - "gewiss nicht unerheblich zur Stabilität und Kontinuität der politischen, sozialen und kulturellen Ordnung Roms bei" (72). Sein zentraler Begriff ist "die epigraphische Kultur Roms", ein Begriff, der weit zutreffender deren Rolle beschreibt als der inzwischen inhaltsleer gewordene, weil ubiquitär verwendete Begriff "epigraphic habit". Alföldy demonstriert, wie die Verwendung von Inschriften in der gesamten römischen Gesellschaft Wurzeln schlägt, wesentlich angetrieben durch die politische Wandlung hin zum Prinzipat. Deren gezielte und massenhafte Verwendung durch Augustus in Rom und außerhalb (73-116) und in deren Sog durch die stadtrömischen und bald auch die italischen Eliten führte dazu, dass auch große Bevölkerungsgruppen in Italien und zunehmend in den Provinzen den Wert dieses Mediums für sich selbst erkannten, wodurch epigraphische Dokumente sich noch heute fast überall dort finden, wo die römische Herrschaft Fuß gefasst hatte.

Obwohl Alföldy die Verwendung von Inschriften in ihrer gesamten Breite und in allen ihren Verästelungen kennt, konzentriert er sich wesentlich auf die Inschriften, die mit dem Ziel geschaffen wurden, die memoria an Personen oder Handlungen für die Zukunft zu bewahren. Er verwendet dafür ganz wesentlich den Begriff "monumentalisierte Inschriften" (56), der im deutschen Sprachkontext freilich eine, möglicherweise irreführende Konnotation erhält. Die Tendenz zur "Monumentalität" hat jedoch der Begriff "monumental writing" bei Greg Woolf, von dem Alföldy seine Begrifflichkeit übernommen hat, eben nicht. Weit adäquater scheint der daneben verwendete Begriff "Memorialepigraphik" zu sein, der auch noch auf die simplen Grabtituli in Mausoleen zutrifft. Alföldy schreibt diesen auf dauerhaftes Material geschriebenen Inschriften, vor allem, soweit sie im öffentlichen Raum an Gebäuden, unter Statuen oder Weihgeschenken an Gottheiten und schließlich in großem Umfang an größeren oder kleineren Grabbauten zu lesen waren, einen ganz wesentlichen Einfluss auf die Formierung und die Mentalität der römisch geprägten Gesellschaft zu. Dass die Auftraggeber dieser Texte die Wertvorstellungen, die sie von sich und der Gesellschaft hatten, darin ausdrückten, ist sicher; doch ob sie damit die gesellschaftlichen Vorstellungen derjenigen, die die Texte lasen oder deren Inhalt vielleicht erahnten, erst schufen, daran kann man Zweifel haben. War es nicht eher umgekehrt so, dass diese Vorstellungen bereits vorhanden sein mussten, um so durch die epigraphischen Dokumente bestätigt werden zu können? Vielleicht kann man das durch die Überlegung stützen, dass unter Ehrenstatuen direkt oder indirekt im Inschriftentext natürlich die Gründe genannt wurden, die zur Errichtung der Ehrenmonumente geführt haben. Doch weit ausführlicher waren all die Worte, mit denen die Dedikanten bei der Aufstellung einer Statue dem Publikum die Verdienste der Geehrten oder die Werte, für die der Geehrte ein Exemplum bildete, schilderten. Sind die Texte der Memorialinschriften nicht weitgehend nur der Reflex dessen, was in bestimmten, vor allem führenden Teilen der Gesellschaft akzeptiert war? Wurde also die Mentalität der Gesellschaft nicht eher auf anderem Weg geprägt als über die Inschriften? Wie auch immer: In diesen epigraphischen Dokumenten fassen wir für weite Regionen des Reiches die variierenden Mentalitäten, von denen wir sonst nichts wüssten.

Diese Hinweise zeigen schon, wie anregend alle Beiträge Alföldys sind, wie sie den Leser zum Mitdenken und zu einem eigenen Urteil zwingen. Alföldy hat zahlreiche fragmentarische Inschriften glänzend ergänzt und so deren Aussagekraft erheblich gesteigert. Man muss nur z.B. viele Texte in CIL VI 8, 3 betrachten, die wiederum in den meisten Beiträgen dieses Bandes eine prominente Rolle spielen. Gleiches gilt für nicht wenige Inschriften, die Alföldy bei zahllosen Reisen auf der iberischen Halbinsel gelesen und ergänzt hat. Viele dieser Texte, ergänzte und besser verstandene, haben ihren Niederschlag in fünf anregenden Kapiteln dieses Bandes gefunden haben (243-364), aus der Stadt Tarraco, aus der fast 2400 Inschriften erhalten sind), daneben die von Sagunt, Segobrica und Segovia. Gerade in der letztgenannten Stadt hat Alföldy sich sehr um die Lesung der einst am Aquädukt angebrachten Bronzebuchstaben bemüht (siehe hier 132-134). Dass dort vom Bau des gewaltigen Aquädukts gesprochen wurde, dass auch ein Kaiser in das Vorhaben eingeschlossen war, darf man mit Alföldy zutreffend annehmen. Doch da er den Text umfassend ergänzt, und zwar so, dass dieser aussagen soll, dort hätten Imp(eratoris) ... Traiani ... iussu ... Munizipalmagistrate den Aquädukt wiederhergestellt, kommen starke Zweifel an der Rekonstruktion auf. Denn kein Kaiser hat den Amtsträgern einer Stadt einen Befehl gegeben und dies in einer Inschrift dokumentiert. Einen Befehl konnten senatorische Statthalter, prokuratorische Ritter, ebenso kaiserliche Sklaven und Freigelassene erhalten, aber nicht die IIviri eines autonomen römischen Munizipiums. Das hatte ich mit ihm bereits bei der Erstpublikation diskutiert. Er blieb von seiner "Lesung" überzeugt, was auch in diesen Band eingegangen ist.

Im Rahmen einer kurzen Besprechung ist es nicht möglich, auf alle vielfältigen Phänomene einzugehen, die in dem Band angesprochen und diskutiert werden. Er ist ein abschließender Beweis für die großen Verdienste, die sich Géza Alföldy um die Entwicklung der epigraphischen Wissenschaft im Rahmen der Altertumswissenschaft, speziell auch in Verbindung mit der Archäologie, erworben hat. Alföldy hat Lebensbilder von fünf großen Gestalten entworfen (417-482), mit denen er jahrelang in intensivem Austausch gestanden hat: Ronald Syme, Hans-Georg Pflaum, Eric Birley, Herbert Nesselhauf und Harald von Petrikovits. Die hier vorgelegten Beiträge zeigen exemplarisch, warum ihm ein Platz in diesem noblen Stemma gebührt.

Werner Eck