Rezension über:

Birgit Schwarz: Auf Befehl des Führers. Hitler und der NS-Kunstraub, Stuttgart: Theiss 2014, 320 S., zahlr. s/w-Abb., ISBN 978-3-8062-2958-5, EUR 29,95
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Rezension von:
Regine Dehnel
Kulturstiftung der Länder / Deutsch-Russischer Museumsdialog, Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Jessica Petraccaro-Goertsches
Empfohlene Zitierweise:
Regine Dehnel: Rezension von: Birgit Schwarz: Auf Befehl des Führers. Hitler und der NS-Kunstraub, Stuttgart: Theiss 2014, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 11 [15.11.2016], URL: https://www.sehepunkte.de
/2016/11/28002.html


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Birgit Schwarz: Auf Befehl des Führers

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Das zentrale Thema der Publikation von Birgit Schwarz ist Adolf Hitlers Rolle im nationalsozialistischen Kunstraub. Bereits im Haupttitel ihres Buches - "Auf Befehl des Führers" - wird dessen exponierte Rolle im "größten Kunstraub aller Zeiten" (11) signalisiert.

Wie im Vorwort angekündigt, orientiert sich "die Darstellung der Ereignisse [...] am Kriegsverlauf und gibt einen Überblick über die Vorgänge in den einzelnen Ländern" (10).

Allem vorangestellt beleuchtet die Autorin in Kapitel 1 den "Führervorbehalt". Am 18.6.1938 in einem geheimen Schreiben erstmals kommuniziert, betraf dieser zunächst "Bilder und sonstige Kunstwerke", die durch "Beschlagnahme staatsfeindlichen, im besonderen [...] jüdischen Vermögens in Österreich" (18) in die Hände des Reiches gefallen waren. Der "Führervorbehalt" regelte Hitlers "Verwertungsanspruch" (9). Er formulierte seinen Willen, die Entscheidung über die Kunstwerke "persönlich zu treffen" (18).

Die stetige Erweiterung des "Führervorbehalts" zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch. Experimentierfeld ist dabei zunächst Österreich, Hauptakteur Hans Posse, seit 1.7.1939 "Sonderbeauftragter für das Führermuseum Linz" (82). Am 24.7.39 erfolgt auf dessen Vorschlag hin die Ausweitung des Vorbehalts auf "die nur sichergestellten Bilder und sonstigen Kunstwerke" (88). Ab 11.10.1939 gilt er auch für "den mittlerweile von öffentlichen Stellen erfassten geistlichen (klösterlichen) Kunstbesitz" (90).

Systematisch arbeitet die Autorin ihre Grundthesen heraus:

Hitlers Führervorbehalt zielte nicht nur auf das Führermuseum in Linz. Von Beginn an ging es auch darum, "Kunstwerke in erster Linie den kleineren Städten in Österreich für ihre Sammlungen zur Verfügung zu stellen" (18).

Hans Posse "war Hitlers Dämon, der seinen Auftraggeber antrieb und den Kunstraub radikalisierte" (9).

Die Quelle, die der MFAA-Offizier S. Lane Faison in Vorbereitung der Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozesse für den "Linz Report" (Hitler's Museum and Library) verwendete, "war im Grunde genommen völlig unbrauchbar, weil grob mangelhaft" (13).

Der Bestand des "Führermuseums" war nicht identisch mit jenen knapp 4.000 Kunstwerken, die die Alliierten im Münchner Führerbau sicherstellen konnten. Ebenso wenig aber war das "Führermuseum" das "größte Museum der Welt" (102).

Mitnichten kam Hitler - im Vergleich zu anderen Akteuren des NS-Kunstraubs: dem Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg etwa - zu spät. Vielmehr garantierte der "Führervorbehalt" grundsätzlich einen "Erstzugriff" (265) auf die gesamte NS-Raubkunst und "war umfassend" (67). Der "Verzug" aber war beabsichtigt und diente Hitlers Wunsch nach Geheimhaltung.

Hitler und Posse waren keineswegs desinteressiert an Kunstwerken aus Polen, Tschechien, der UdSSR. "Für Hitler wie [...] für die NS-Kunstgeschichte war jegliche bedeutende Kunst [...] deutschen beziehungsweise 'arischen' Ursprungs" (112). Entsprechend erfolgte deren Vereinnahmung bzw. war zumindest vorgesehen.

Einzelne ihrer Thesen hat Birgit Schwarz bereits in früheren Publikationen dargelegt. So problematisierte sie schon in "Hitlers Museum" [1] die Überinterpretation des "Führermuseums" als "größtes Museum der Welt" und die Überbewertung des "Linz Report" von L. Faison für die Rekonstruktion des "Führermuseums". Bereits dort hatte sie verdeutlicht, dass der "Führervorbehalt" nicht nur dem Aufbau des "Führermuseums" nutzen sollte. Näherte Schwarz sich 2004 "mit einem museologischen Blick dem Führermuseum" [2], richtet sich dieser in der besprochenen Publikation nun "auf die Struktur des NS-Kunstraub" (10).

Die Kapitel 2 und 7 - "Der 'Führer' als Kunstsammler" (19ff.) bzw. "Heimführung" (137ff.) - erweitern und bereichern dieses zentrale Thema. In ersterem geht die Autorin auf Hitlers "Selbstkonzept als Künstler und Kunstsammler" (43) ein. Sie arbeitet gegen den schlechten Ruf an, den Hitler als Kunstsammler hatte und den sie auf Speer zurückführt. Das zweitgenannte führt vor allem in den Unterkapiteln "Deutsche Kunstraub-Paranoia" und "Deutscher Kunstraub-Revanchismus" die Verstrickungen renommiertester Wissenschaftler und Museumsleiter in den nationalsozialistischen Kunstraub vor Augen.

Überaus fakten- und kenntnisreich, auf Basis umfänglichster Archivstudien u.a. in den Bundesarchiven Berlin und Koblenz sowie im Bundesdenkmalamt in Wien rekonstruiert Birgit Schwarz die Abfolge der Ereignisse oft bis auf den Tag genau. Der wissenschaftliche Apparat aus Anmerkungen, Quellen, Literatur und Personenregister umfasst 50 Seiten.

Häufig polemisch, Thesen und Antithesen rhetorisch geschickt gegeneinander setzend, baut sie ihre Darstellung unter Einbeziehung und in Auseinandersetzung mit zahlreichen Publikationen anderer Autoren und Autorinnen. Darunter finden sich sowohl frühere ost- und westdeutsche Standardwerke als auch Schlüsselwerke der jüngeren Vergangenheit: Brenner [3], Seydewitz [4], Wulf [5], Petroupolus [6], Heuß [7], Löhr [8], um nur einige zu nennen.

Nicht allem wird man möglicherweise folgen, nicht alles so gewichten wollen, wie Birgit Schwarz:

War es wirklich ein Muster, "nach dem Hitler die Leitungsfunktionen des Kunstraubs" (64) mit verhinderten Künstlern besetzen ließ?

Löste die Durchsetzung des "Führervorbehalts" den "Verteilungskampf" (196) zwischen diversen Nutznießern des Kunstraubs aus oder war dieser nicht schon längst im Gang und Teil des Systems?

Die eine oder andere Kleinigkeit ist kritisch anzumerken: die nicht immer glückliche Abbildungsqualität (50), einzelne Namensverwechslungen (Max oder Fritz Dworschak, 84), Redundanzen (z.B. 54, 77, 83ff., 256). Schwerer wiegt, dass manchmal die Distanz zum Material verloren zu gehen scheint. Vermögensentzug wünschte man sich, als eine Vorform des Raubes, in Anführungszeichen gesetzt (56), ebenso Sicherstellung (59). Damalige Argumentation wirkt - möglicherweise durch den Wechsel der Zeitform - gelegentlich wie eigene Meinung (59). Und angesichts des sehr kritischen Umgangs der Autorin mit Faisons "Linz Report" und dessen Nutzung durch andere Autoren und Autorinnen hätte man sich beim Zurückgreifen auf andere Nachkriegs-Selbstzeugnisse (beispielsweise Kajetan Mühlmann, Ernst Schulte-Strathaus) etwas mehr Zurückhaltung gewünscht.

In der Regel gut lesbar, streitbar und engagiert, ist gleichwohl ein Standardwerk entstanden. Die weitere Forschung, egal ob zu den Tätern oder zu den Beraubten, ob zu Adolf Hitler oder zu den Strukturen des Kunstraubs wird gut daran tun, darauf zurückzugreifen und sich damit auseinanderzusetzen.

Dass dabei nicht alles gleich intensiv und dicht mit Fakten unterlegt ist, dies betrifft u.a. die Darstellung zum Kunstraub in der Sowjetunion, ist dabei nicht der Autorin anzulasten. Es spiegelt vielmehr allgemeine Desiderate der Forschung.


Anmerkungen:

[1] Birgit Schwarz: Hitlers Museum. Die Fotoalben Gemäldegalerie Linz. Dokumente zum "Führermuseum", Wien / Köln / Weimar 2004.

[2] Ebenda, 9.

[3] Hildegard Brenner: Die Kunstpolitik des Nationalsozialismus, Reinbek bei Hamburg 1963.

[4] Ruth und Max Seydewitz: Die Dame mit dem Hermelin. Der größte Kunstraub aller Zeiten, Berlin 1963.

[5] Joseph Wulf: Die bildenden Künste im Dritten Reich, Frankfurt am Main / Berlin / Wien 1983.

[6] Jonathan Petroupolus: Kunstraub und Sammelwahn. Kunst und Politik im Dritten Reich, Berlin 1999.

[7] Anja Heuß: Kunst- und Kulturgutraub. Eine vergleichende Studie zur Besatzungspolitik der Nationalsozialisten in Frankreich und der Sowjetunion, Heidelberg 2000.

[8] Hanns C. Löhr: Das Braune Haus der Kunst. Hitler und der "Sonderauftrag Linz", Berlin 2005.

Regine Dehnel