Rezension über:

Andrea Gáldy / Sylvia Heudecker (eds.): Collecting Nature, Newcastle upon Tyne: Cambridge Scholars Publishing 2014, XXXIII + 232 S., ISBN 978-1-4438-6055-0, GBP 41,99
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Rezension von:
Raphael Beuing
Bayerisches Nationalmuseum, München
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Raphael Beuing: Rezension von: Andrea Gáldy / Sylvia Heudecker (eds.): Collecting Nature, Newcastle upon Tyne: Cambridge Scholars Publishing 2014, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 1 [15.01.2016], URL: https://www.sehepunkte.de
/2016/01/26858.html


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Andrea Gáldy / Sylvia Heudecker (eds.): Collecting Nature

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Der vorliegende Band ist der fünfte, der aus einem Kolloquium der Arbeitsgruppe "Collecting & Display" hervorgegangen ist, und er umfasst elf der insgesamt 16 Beiträge, die auf der Tagung "Collecting Nature" in der Schwabenakademie Irsee im Mai 2013 gehalten wurden. Hinzu kommt eine Einführung von Arthur MacGregor, der einen Überblick des Sammelns von 'Naturalia' in der Frühen Neuzeit gibt (xix-xxvi). Wenn der Rezensent hier das titelgebende "Nature" im Sinne der Sammlungssparte der Kunstkammern zwischen 16. und 18. Jahrhundert auf 'Naturalia' einengt, so ist dies für den Beitrag MacGregors gerechtfertigt, während für das gesamte Spektrum dieses Tagungsbandes "Nature" in aller Bedeutungsvielfalt stehenbleiben muss.

Das unmittelbare Sammeln von Objekten aus der Natur ist Thema nur in zwei Aufsätzen. Einem bizarren Gegenstand, nämlich dem Sammeln von Bernstein mit Einschlüssen von Tieren, widmet sich Rachel King (1-18), die bereits mehrfach über andere Erscheinungsformen von Bernstein in der Kunst und als Sammlungsobjekt publiziert hat. King geht Fragen der Aufbewahrung dieser Objekte innerhalb der Ordnungssysteme von Sammlungen ebenso nach wie der zeitgenössischen Diskussion von Fälschungen und ihrer Erwähnung in der Literatur.

Anne Harbers beschreibt das Zusammenspiel der schwedischen Königin Luise Ulrike und des Botanikers Carl Linnaeus, insbesondere im Hinblick auf die naturhistorischen Sammlungen in Schloss Drottningholm (137-149). Während sich erstere im aufklärerischen Sinne als Philosophin beschrieb und mit ihren ambitionierten, durch Linnaeus entschieden gemehrten und publizierten Sammlungen das Ansehen der Monarchie steigern wollte, stand letzterem eine Studiensammlung und die Erweiterung des naturkundlichen Wissens vor Augen. Die unterschiedlichen Interessen der beiden ergänzten sich so mit hervorragendem Ergebnis.

Gärten sind in der Geschichte der frühen Sammlungskultur oftmals übergangen worden, und Miriam Hall Kirch rückt daher die - allesamt verlorenen - Gärten Ottheinrichs von der Pfalz und damit mittelbar das Sammeln der Flora in das Zentrum ihrer Betrachtungen (97-108). In Neuburg an der Donau legte Ottheinrich den Fürstengarten sowie einen Dachgarten auf dem Schloss an, denen dann in Heidelberg der Herrengarten folgte. Aufschlussreich ist die Korrespondenz Ottheinrichs mit Ulrich Fugger (1526-1584), der ihn wiederholt mit exotischen Pflanzen versorgte, nicht aber im Sinne eines gegenseitigen humanistischen Austauschs, sondern als bezahlter Zulieferer.

In mehreren Aufsätzen steht sodann die bildgewordene Natur im Mittelpunkt des Interesses. Das Thema ihrer Dissertation gab den Beitrag von Angelica Groom vor, "Collecting Zoological Rarities at the Medici Court", genauer unter den letzten beiden Medici (19-35). Großherzog Cosimo III. hegte ohnehin ein großes Interesse an der Zoologie, und er beauftragte den Maler Bartolomeo Bimbi mit bildlichen Darstellungen lebender Spezies aus den Sammlungen der Medici zur Ausstattung der Villa Ambrogiana. Bimbi schuf auch Gemälde von Monstrositäten, also Fehlbildungen, die das frühaufklärerische Interesse Cosimos demonstrieren. Unter dessen Nachfolger Gian Gastone wurde die Gemäldeserie unter Rückgriff auf ausgestopfte Tiere fortgeführt, was Rückschlüsse auf das Präparieren von Tieren in Florenz einige Jahrzehnte zuvor erlaubt.

Exotischen Vogeldarstellungen des Goldenen Zeitalters der Niederlande, vor allem im Werk des Melchior de Hondecoeter, widmet sich Joy Kearney (57-73). De Hondecoeter profitierte vor allem von dem Handel der Ostindienkompagnie, was seinen naturalistischen Bildern einen entscheidenden Vorteil gegenüber den Illustrationen in älteren Traktaten verschaffte.

Im Beitrag "The Birds in Mark Catesby's Natural History: Collected, Depicted, Commodified" stellt Shepard Krech III den englischen Naturhistoriker Catesby vor allem im Geflecht seiner Zeitgenossen, seine Bemühungen um Forschungsmaterial in den britischen Kolonien in Nordamerika und die Publikationsweise seiner "Natural History" vor (75-95). Eher gegen Ende betrachtet Krech die Darstellung von Vögeln, denen der "ornithophile" (95) Catesby mehr als die Hälfte seines Werks gewährte.

Im Zentrum der Forschungen von Ivo Raband steht Erzherzog Ernst von Österreich und seine Gemäldesammlung, die er in seiner kurzen Zeit als Statthalter der Spanischen Niederlande zusammenstellte (109-123). Da mehr als ein Drittel der Gemälde Ernsts Landschaften waren oder zumindest die Natur zum Sujet hatten, so Rabands These, sollten damit dezidiert die Niederlande oder zumindest ein Idealbild derselben dargestellt werden und wollte Ernst sich als Repräsentant dieses Landes inszenieren. Wiewohl vor kurzem bereits andernorts publiziert, vervollständigt das Inventar der Gemälde des Erzherzogs diesen Aufsatz.

Ausgangspunkt des Beitrags von Virginie Spenlé ist ein Bronzemörser aus dem Kunsthandel, der - wie vier ähnliche Exemplare in Museumsbesitz - aufgrund der Naturabgüsse auf der Wandung Wenzel Jamnitzer zugeschrieben wird (37-56). Jenseits der zügigen, aber diskussionswürdigen Zuschreibung von Naturabgüssen an Jamnitzer im Allgemeinen beschreibt Spenlé, wie Jamnitzer die Technik des Naturabgusses vor allen anderen Goldschmieden zur Perfektion trieb und sich selbst als Wissenschaftler begriff. Zudem erlaubt der Mörser verschiedene Aufschlüsse über seine Verwendung und fürstliche Experimentierfreude.

Mehr über den Transfer von Wissen im Allgemeinen geht es in dem Aufsatz von Iordan Avramov, "The Correspondence of Henry Oldenburg and Circulation of Objects at the Early Royal Society of London, 1660-1677" (125-136). Der Autor führt eine Reihe von Beispielen an, wie die Kommunikation in Oldenburgs weitgespanntem Netz funktionierte, das er für den Aufbau der Sammlung der Royal Society nutzte. Informationen wurden mit verschiedenen Graden von Zuverlässigkeit empfangen, und selbst wenn Objekte versandt wurden, führten die begleitenden Angaben nicht notwendig zu deren genauem Verständnis.

Dem Sammeln und Präsentieren weniger von 'Naturalia' als vielmehr von wissenschaftlichen Instrumenten in frühneuzeitlichen Bibliotheken wendet sich Inga Elmqvist Söderlund zu (151-168). Wissenschaftliche Instrumente erweitern die in den Büchern angesprochenen Themen, bieten oft eine größere Anschaulichkeit und hätten, so die These der Autorin, als "conversation piece[s]" (165) eine soziale Funktion; letzteres ist aber sicher eher eine willkommene Folge und weniger eine Anforderung a priori gewesen.

Zahlreiche sammlungshistorische Untersuchungen der letzten Jahre widmen sich bereits den 'Naturalia' in einzelnen frühneuzeitlichen Kunst- und Wunderkammern, und diverse Ausstellungen und Studien haben bereits Berührungspunkte zwischen Kunst und Natur [1] explizit und detailliert thematisiert, doch sind diese stets geografisch und zeitlich enger begrenzt. Aufgrund des sehr weiten Spektrums, der objektbezogenen wie auch der wissenschaftshistorischen Ansätze und der verschiedenen hier angesprochenen Kunstgattungen fügen sich die Aufsätze des vorliegenden Werkes kaum zu einem Überblick über die Sammlungsgeschichte von "Nature" zusammen, was freilich von einem so breiten Thema und zumal in einem Tagungsband schlechterdings nicht zu erwarten gewesen wäre. Umso mehr ist es das Verdienst dieses Bandes, den Blick auf einen weiten Kontext gerichtet zu haben, und es bleibt ein vielgestaltiger Blütenstrauß aus ergiebigen Einzelstudien, die aufzeigen, wie sich Natur als Sammlungsgegenstand im Zusammenspiel mit der Kunst manifestieren kann.

Während allein die auf dem Schutzumschlag abgebildeten Kunstkammergefäße in farbigem Hochglanz erstrahlen, ist abschließend die mäßige Qualität der durchgehend in Schwarz-Weiß gehaltenen Bilder zu vermerken, denen dem Thema entsprechend etwas mehr Gewicht zu gönnen gewesen wäre.


Anmerkung:

[1] Zum Beispiel: Wilfried Seipel (Hg.): Die Entdeckung der Natur. Naturalien in den Kunstkammern des 16. und 17. Jahrhunderts, Wien 2006; Jutta Kappel: "... wann wir alles der Gebühr nach betrachten, bewundern und beschreiben wolten". Zum Zusammenspiel von "naturalia" und Goldschmiedefassungen, in: Die Faszination des Sammelns. Meisterwerke der Goldschmiedekunst aus der Sammlung Rudolf-August Oetker, hgg. v. Monika Bachtler u.a., München 2011, 166-173; Sabine Haag (Hg.): Echt tierisch! Die Menagerie des Fürsten, Wien 2015.

Raphael Beuing