Rezension über:

Ane Bysted / Carsten Selch Jensen / Kurt Villads Jensen u.a.: Jerusalem in the North. Denmark and the Baltic Crusades, 1100 - 1522 (= Outremer. Studies in the Crusades and the Latin East; Vol. 1), Turnhout: Brepols 2012, XIV + 393 S., ISBN 978-2-503-52325-5, EUR 75,00
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Rezension von:
Stefan Schröder
Faculty of Theology, Department of Church History, Universität Helsinki
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Stefan Schröder: Rezension von: Ane Bysted / Carsten Selch Jensen / Kurt Villads Jensen u.a.: Jerusalem in the North. Denmark and the Baltic Crusades, 1100 - 1522, Turnhout: Brepols 2012, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 11 [15.11.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/11/23111.html


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Ane Bysted / Carsten Selch Jensen / Kurt Villads Jensen u.a.: Jerusalem in the North

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Die vier Autoren des 2012 ins Englische übersetzten Gemeinschaftswerkes - die dänische Originalausgabe erschien 2004 - stellen ihre Arbeit in die Tradition des Comte Paul Edouard Didier Riant (1836-1888). Riant hatte in seiner 1865 publizierten bedeutsamen Dissertation [1] den Einfluss der Kreuzzüge auf Skandinavien sowie den Anteil skandinavischer Kreuzfahrer in den Kriegszügen zur Eroberung und Verteidigung des Heiligen Landes untersucht. Seine Arbeit steht am Beginn der bis heute anhaltenden intensiven Erforschung der Kreuzzugsbewegung. Die Autoren konzentrieren sich nun auf die Rolle Dänemarks in den im Ostseeraum geführten Kreuzzügen des 12. bis beginnenden 16. Jahrhunderts. Sie bedienen sich dabei einer weiten Definition der Kreuzzüge, die beispielsweise auch die mittelalterlichen Kampagnen gegen Heiden und Ungläubige auf der Iberischen Halbinsel, in Südfrankreich (Katharer) und eben im Baltikum als solche auffasst. Damit verbunden verfolgen sie das Ziel, die speziell in der dänisch-skandinavischen Historiographie vorrangig mit politisch-ökonomischen Motiven erklärten Unternehmungen in der Ostsee als Teil der europäischen Kreuzzugsbewegung zu interpretieren.

Der Band folgt einer chronologischen Ordnung und ist inklusive der Einleitung in 18 teils recht disparate Kapitel unterteilt. Diverse in graue Kästchen gefasste Einschübe mit Ausführungen zu Konzepten, Personen oder Begriffen (z.B. Indulgences, Bernhard of Clairvaux, the Word 'Finns', Crusade and Saunas) verleihen dem reich mit Abbildungen, genealogischen Tafeln und Karten ausgestatteten Band gelegentlich den Charakter eines Handbuches. Nur ganz vereinzelt ist gegenüber der Erstauflage neuere Forschungsliteratur nachgetragen.

Ein erster Schwerpunkt liegt auf der Vorgeschichte und dem Verlauf der Kreuzzüge gegen die Wenden im 12. Jahrhundert (Kap. 2 und 3). Speziell der Heerzug von 1147 wird in unmittelbarem Zusammenhang mit dem zweiten Kreuzzug gesehen, zu dem nach dem Verlust der Grafschaft Edessa drei Jahre zuvor aufgerufen wurde. Mit dem Blick auf die Predigten und Briefe Bernhards von Clairvaux sowie päpstlicher Bullen sehen die Autoren in der Auseinandersetzung mit den Wenden eine neue Dimension des Kreuzzuges, der nicht mehr nur die Rückeroberung ehemals christlicher Gebiete und Bekämpfung der Heiden umfasst, sondern auch deren Missionierung (49). Im Hinblick auf Dänemarks Engagement konstatieren die Autoren eine komplexe, von der Landnahme bis zum Raubzug reichende Melange aus Motiven. Gleichwohl seien die Kampagnen gegen die Wenden prinzipiell als Kreuzzüge zu werten (86). Ungenutzt bleibt hierbei der Ansatz, zwei der maßgeblichen und häufig herangezogenen historiographischen Quellen zu den Ereignissen - die Chronica Slavorum des Helmold von Bosau und die Saxonis Gesta Danorum von Saxo Grammaticus - unter dem Aspekt der Fremd- und Selbstzuschreibungen zu betrachten. Vor dem Hintergrund der Konstituierung von (kollektiven und kulturellen) Identitäten hätte die Lesart einer den heiligen Krieg gegen die Wenden legitimierenden Darstellung noch ergiebiger gemacht werden können. Dies gilt sowohl für Saxos 'Innenperspektive' als auch für Helmold, der die u.a. durch stete innere Zwistigkeiten charakterisierten Dänen wie die Wenden der Sphäre des Fremden zurechnet, vor der das Eigene konstruiert wird. [2]

Ein zweiter Schwerpunkt liegt auf den hoch- und spätmittelalterlichen Unternehmungen u.a. gegen Liven, Esten und Prußen im weiter östlichen Ostseeraum (Kap. 5, 7-10, 14). Aus der Lektüre ergibt sich das Bild eines permanenten Kreuzzuges, an dem dänische Kontingente nicht nur immer wieder beteiligt waren. Vielmehr ist er Teil einer dänischen Expansionspolitik, die im Kontext der gleichartigen Ambitionen anderer Mächte (Schweden, Deutscher Orden) im Baltikum zu betrachten ist. Mit der Eroberung und zeitweiligen Herrschaft über Estland verbinden sich entscheidende Geschehnisse, die prägenden Charakter für die dänische Geschichtsschreibung und das dänische Selbstverständnis hatten. Dazu gehört zweifelsohne auch die Legende des herabschwebenden Dannebrogs in der Schlacht von Lyndanisse 1219, auf deren Ausformung im 16. Jahrhunderts die Autoren eingehen.

Die folgenden Kapitel behandeln die Geschichte des in diesen Feldzügen begründeten und Dänemark zugehörenden estnischen Herzogtums. Der Fokus liegt zum einen auf den Beziehungen zum Deutschen Orden sowie den Bettelorden als neuen Akteuren im Baltikum nach 1230 (Kap. 11-12), zum anderen auf der changierenden Haltung hinsichtlich der orthodoxen Russen, die von den als Kreuzzug gewerteten Kämpfen der Schweden gegen Alexander Newski bis zu Überlegungen der Einbindung unter Papst Innozenz IV. reichen (Kap. 8, 12, 13). Eriks VI. mit hohem materiellem Aufwand betriebene Politik zur Stärkung der dänischen Position im Baltikum führte zu inneren wie äußeren Konflikten mit Schweden und dem Deutschen Orden (Kap. 15) und letztlich zum Niedergang der dänischen Herrschaft in Estland, die 1346 in den Verkauf des Herzogtums an den Deutschen Orden mündete (Kap. 16). Das letzte Kapitel behandelt die überwiegend im Kontext europäischer Initiativen gegen die Türken stehenden Kreuzzugsambitionen dänischer Könige im 14. und 15. Jahrhundert und diskutiert, inwiefern die Unterwerfung Schwedens mitsamt des Stockholmer Blutbades 1520 durch Christian II. als Kreuzzug gewertet werden kann (Kap. 17).

Ein thematischer Abschnitt zu Aspekten der Finanzierung, Organisation, Waffentechnik und Kreuzzugstheologie (Kap. 4) sowie kurzen Ausführungen zu dänischen Unternehmungen nach Finnland im Zuge der sogenannten Schwedenkreuzzüge (Kap. 6) vervollständigen die instruktive Studie, die auf einem breiten Quellenstudium beruht und auch archäologische Befunde miteinbezieht.

Leider fehlt ein die zahlreichen Einzelergebnisse zusammenführendes Kapitel. Ausblickartig werden am Ende auf zwei Seiten die Planungen König Christians II. für eine 1514 avisierte Expedition nach Grönland und weiter westwärts in Richtung des für Indien gehaltenen Amerika skizziert (Kap. 18), die den Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit und das Ende der dänischen Kreuzzugsgeschichte anzeigen sollen. Stattdessen wäre eine abschließende Einordnung des Stellenwertes der Kreuzzugsbewegung für Dänemark bzw. für den Ostseeraum ebenso hilfreich gewesen wie die Erörterung zu möglichen Wandlungen und der Reichweite des Kreuzzugsgedankens innerhalb des Untersuchungszeitraums. Vor diesem Hintergrund hätte man der vieldiskutierten Frage, durch welche Merkmale ein Kreuzzug charakterisiert ist, vielleicht einen neuen Aspekt abringen können. Es ist unzweifelhaft, dass das Motiv der Bekämpfung und Christianisierung der Heiden ein wichtiges Element in den militärischen Unternehmungen gewesen ist. Gerade der Ausblick auf Christians II. Politik gegen Schweden und seine Ambitionen gen Westen verdeutlicht, dass die Autoren über das einleitend aufgeworfene 'pluralistische' Verständnis hinaus sogar einen 'generalisierenden' Standpunkt vertreten, wonach alle zur Verteidigung bzw. Verbreitung des Glaubens geführten und mit dem Etikett eines heiligen Krieges versehbaren Auseinandersetzungen als Kreuzzug verstanden werden können. Dank der englischen Übersetzung wird die wichtige Studie einen bedeutsamen Platz in zukünftigen Forschungen sowohl hinsichtlich des Ostseeraums als auch zu den Kreuzzügen einnehmen.


Anmerkungen:

[1] Paul Riant: Expéditions et pèlerinages des Scandinaves en Terre sainte au temps des croisades, Paris 1865.

[2] Vgl. zu diesem Ansatz ausführlich Volker Scior: Das Eigene und das Fremde. Identität und Fremdheit in den Chroniken Adams von Bremen, Helmolds von Bosau und Arnolds von Lübeck (= Orbis medievalis, 4), Berlin 2002; David Fraesdorff: Der barbarische Norden. Vorstellungen und Fremdheitskategorien bei Rimbert, Thietmar von Merseburg, Adam von Bremen und Helmold von Bosau (= Orbis medievalis, 5), Berlin 2005.

Stefan Schröder