Rezension über:

Marika Keblusek / Badeloch Vera Noldus (eds.): Double Agents. Cultural and Political Brokerage in Early Modern Europe (= Studies in Medieval and Reformation Traditions; Vol. 154), Leiden / Boston: Brill 2011, XV + 280 S., ISBN 978-90-04-20269-6, EUR 99,00
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Rezension von:
Sebastian Becker
Johannes Gutenberg-Universität, Mainz
Redaktionelle Betreuung:
Peter Helmberger
Empfohlene Zitierweise:
Sebastian Becker: Rezension von: Marika Keblusek / Badeloch Vera Noldus (eds.): Double Agents. Cultural and Political Brokerage in Early Modern Europe, Leiden / Boston: Brill 2011, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 4 [15.04.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/04/21735.html


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Marika Keblusek / Badeloch Vera Noldus (eds.): Double Agents

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Der anzuzeigende Band versammelt die Beiträge der im Dezember 2006 veranstalteten Abschlusskonferenz des Forschungsprojekts Double Agents: Cultural and Political Brokerage in Early Modern Europe, das von 2002 bis Anfang 2007 von der Netherlands Organisation for Scientific Research (NWO) und der Universität Leiden finanziert und durchgeführt wurde. Bereits 2006 erschien ein erster aus dem Projekt hervorgegangener, von Marika Keblusek, Baldeloch Vera Noldus und damals auch Hans Cools herausgegebener Sammelband, dessen Beiträge bereits aufzeigten, wer und was sich hinter dem Phänomen des frühneuzeitlichen "Agenten" verbirgt [1]. Der nun erschienene Band schließt daran an und zeigt, wie die Ansätze des Projekts in weiteren Einzelstudien auf Prozesse und Akteure des frühneuzeitlichen Informations-, Kultur- und Wissenstransfers übertragen werden können.

Auch im Fortsetzungsband rückt jene Charakteristik der Agenten in den Vordergrund, die der Titel des Projektes und des Bandes bereits andeuten: Eine "chamäleonartige Vielseitigkeit und Einsetzbarkeit" (6), die es unmöglich macht, die jeweiligen Akteure nur einem bestimmen Bereich zuzuordnen. Nie sind die in den Blick genommenen Diplomaten, Händler und Künstler nur in dem Feld unterwegs, in dem sie sich qua ihres Auftrags oder ihrer Mission vermeintlich bewegen sollten. Stattdessen übernahmen Agenten ganz unterschiedliche Aufgaben, für die sie unter anderem aufgrund ihrer Sprachkenntnisse, ihrer Bildung oder ihres Kunstverständnisses geeignet waren. Neben diesen Voraussetzungen waren es aber in besonderem Maße die berufsspezifischen - von der jeweiligen Profession geprägten - Netzwerke, durch die Agenten zu vielseitig einsetzbaren Maklern (brokers) werden konnten, denen für die Verbreitung und Zirkulation von Wissen und Kulturgegenständen so zentrale Bedeutung zukam. In Abgrenzung zu den jüngeren Studien zu frühneuzeitlichen Netzwerken oder Patronage rücken in dem vorliegenden Band die Hinter- oder Schattenmänner in den Vordergrund, die das eigentliche Gerüst von Transferprozessen bildeten. Die auf Beziehungsnetzwerke von Klienten und Patronen konzentrierte Forschung könnte, so die Herausgeberin Marika Keblusek, somit dazu angestoßen werden, auch über die oberste Ebene solcher Netzwerke hinausgehende Prozesse und Akteure des Kultur- und Wissenstransfers in den Blick zu nehmen (3).

Die enthaltenen neun Einzelbeiträge nehmen insgesamt Agenten aus drei unterschiedlichen Sphären in den Blick: Diplomaten (Kapitel 2-4), Händler (Kapitel 5-7) und Künstler (Kapitel 9-12). Diesen drei thematischen Blöcken sind jeweils Einführungen der Herausgeberin Marika Keblusek vorangestellt, die an Einzelbeispielen Funktionen und Spezifika dieser Personengruppen skizziert und grundlegende Überlegungen und Ergebnisse voranstellt (Kapitel 1, 5 und 8).

Den ersten thematischen Block des Bandes bilden Beiträge zur Rolle und Funktion von Diplomaten als Agenten oder Makler. Robert Hill zeigt, wie Sir Henry Wotton, Botschafter Jakobs I. in Venedig, auf den englischen Kunstgeschmack des beginnenden 17. Jahrhunderts wirkte und wie er sowohl in Venedig als auch nach seiner Rückkehr an den englischen Hof von seiner Stellung als Kunstexperte und Makler zu profitieren versuchte. Nach einem knapperen Beitrag zur Rolle und Stellung des Genuesen Giovanni Andrea Doria innerhalb des politischen Systems der Mittelmeerrepublik rückt in einem dritten Beitrag der niederländische Gelehrte und Politiker Gisbert Cuper in den Mittelpunkt. Bianca Chen zeichnet nach, wie Cuper nach seiner durch die Provinz Overijssel erfolgten Entsendung in die Generalstaaten die Vorteile eines politischen und eines gelehrten Netzwerks nutzte und in diesem Zusammenhang unterschiedliche, gleichwohl miteinander verbundene Funktionen wahrnahm.

Den zweiten thematischen Block bilden Beiträge zu Figur und Funktion frühneuzeitlicher Händler für den Kultur- und Wissenstransfer (Kapitel 5-7), wobei Händler in ihrer Funktion als Mittler und Mittelsmänner in den Vordergrund rücken. Wie in den vorhergehenden Beiträgen interessieren auch hier in besonderem Maße die Netzwerke und ihre Nutzung durch die in den Blick genommenen Akteure. Von zentraler Bedeutung waren dabei die Häuser der Händler. Sie entwickelten sich zu Informationszentren, von denen ausgehend Neues und Neuigkeiten ihre Verbreitung fanden. Händler wurden gerade wegen ihres aus ihren Handelsnetzwerken resultierenden Informationsvorsprungs zu politischen Korrespondenten. Weil sie vor Ort über wichtige Kontakte verfügten, kam ihnen als Kunstkennern und Distributoren, nicht selten auch als Sammlern, eine zentrale Funktion für den frühneuzeitlichen Kulturtransfer zu.

Ein eindrückliches Beispiel dafür stellt der Beitrag van Maartje von Geldern zu den Netzwerken des Niederländers Daniel Nijs dar (Kapitel 6). Van Geldern rekonstruiert den Aufstieg Nijs', der in der kunsthistorischen Forschung insbesondere durch den Erwerb der Sammlung des Herzogs von Mantua Ferdinando Gonzagas im Jahr 1620 bekannt ist. So wird deutlich, dass der Coup am Hof in Mantua keineswegs aus dem Nichts resultierte, sondern eine Folge des vorangegangenen Bedeutungsgewinns und der daraus erwachsenen Netzwerke des seit zehn Jahren in Venedig ansässigen Nijs' war. Die große Bedeutung des Handels mit den Niederlanden für die Serenissima hatte ihm einen rasanten Ansehensgewinn innerhalb der Republik und damit zusammenhängend auch bedeutende Kontakte und Ausnahmerechte gesichert. Wie wichtig die Netzwerke der Händler waren und wohin diese führen konnten, wenn die notwendige Flexibilität vorhanden war, zeigt Mauritius A. Ebben am Beispiel des Spaniers Gárcia de Yllán, der im 17. Jahrhundert in den spanischen Niederlanden zu erheblichem Reichtum kam, sein Geschäftsmodell durch die Tätigkeit als Kunstagent erweiterte und letztlich sogar zum Residenten Christinas von Schweden aufstieg, als diese sich in Antwerpen aufhielt.

Den dritten thematischen Block bilden die Beiträge zu einem Künstler, einem Musiker und einem Hofnarr. An diesen - von Keblusek unter der Großgruppe "Künstler" zusammengefassten - Akteuren wird deutlich, warum gerade diese Professionen eine besondere Eignung für die Tätigkeit als double agent mit sich brachten. Als Überbringer von höfischen Interna, Informanten, politische Agenten und - durch den Transfer von Objekten und der Vermittlung von Anstellungen für andere Künstler - auch als Makler profitierten sie von dem ihnen qua ihrer Aufgabe zugekommenen Sonderrecht bei Hofe: dem unbegrenzten und vom Zeremoniell gelösten Zugang zu Fürsten oder Monarchen. Bei allen drei Beiträgen (Badeloch Vera Noldus zu Michel Le Blon; Peter Hauge zu John Dowland und Susanne Kubersky-Predda und Salvador Salort Pons zu Gonzalo de Liaño) tritt gerade dieser Faktor hervor. "Zufällige" Gespräche über Kunstwerke oder Musik konnten als Einstieg dienen, um im vertrauten Umfeld auch Informationen zu erhalten, die für die eigene Person eigentlich nicht bestimmt waren. Wie ein Künstler aus diesem Informationsvorsprung Kapital schlagen konnte, zeigt Peter Hauge am Beispiel des Lautenisten John Dowland, der im 17. Jahrhundert im Dienst des dänischen Königs Christian IV. stand, gleichzeitig aber als Informant der englischen Krone tätig war oder sich zumindest darum bemühte. Dieses Changieren blieb allerdings von Christian IV. unbemerkt und trübte das bestehende Vertrauensverhältnis nicht.

Der thematisch breit aufgestellte Sammelband profitiert in erheblichem Maße von seinem Aufbau und von seiner Konzeption. Die angesprochene Dreiteilung ist hilfreich und zeigt die Vielseitigkeit des Phänomens "Agent". Der Eindruck, dass es sich nicht wie so oft um ein zusammengeschustertes Konglomerat von Einzelbeiträgen, sondern um eine Einheit handelt, resultiert nicht zuletzt aus dem klar umrissenen zeitlichen Untersuchungsrahmen. Bis auf den letzten Beitrag, der in dieser Hinsicht heraussticht, ergibt sich für den Leser ein eindrucksvolles, sich aus den vorgestellten Einzelergebnissen zusammensetzenden Bild dessen, was ein frühneuzeitlicher Agent zwischen dem 16. und frühen 17. Jahrhundert sein konnte und welche Funktionen und Aufgaben er innehaben konnte.

Ein gesammeltes Literaturverzeichnis sowie ein Register ermöglichen das schnelle Erschließen des Buches, das fraglos Anstöße geben kann, die die Forschung zum frühneuzeitlichen Kultur-, Ideen und Wissenstransfer, der Patronage und Netzwerkforschung weiter vorantreiben können. Einen Makel stellt jedoch der Preis von über 100 Euro dar, der die Rezeption des dabei nur 246 Textseiten umfassenden Bandes, so bleibt zu hoffen, nicht bremsen sollte.


Anmerkung:

[1] Michael Rohrschneider: Rezension von: Hans Cools / Marika Keblusek / Noldus Badeloch (eds.): Your Humble Servant. Agents in Early Modern Europe, Hilversum: Uitgeverij Verloren 2006, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 9 [15.09.2006], URL: http://www.sehepunkte.de/2006/09/11354.html (18.03.2013).

Sebastian Becker