Heike Knortz: Diplomatische Tauschgeschäfte. "Gastarbeiter" in der westdeutschen Diplomatie und Beschäftigungspolitik 1953-1973, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2008, 248 S., ISBN 978-3-412-20074-9, EUR 32,90
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Alexander Clarkson: Fragmented Fatherland. Immigration and Cold War conflict in the Federal Republic of Germany, 1945 - 1980, New York / Oxford: Berghahn Books 2013
Jochen Oltmer: Migration im 19. und 20. Jahrhundert, München: Oldenbourg 2009
Rudolf von Thadden / Steffen Kaudelka / Thomas Serrier (Hgg.): Europa der Zugehörigkeiten. Integrationswege zwischen Ein- und Auswanderung, Göttingen: Wallstein 2007
Das Buch der Karlsruher Sozialwissenschaftlerin hat eine erfreulich klare These: Die in den 1950er Jahren begonnene Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte durch die BRD sei weder von dieser initiiert worden noch habe die bundesdeutsche Regierung damit auf einen sich abzeichnenden Arbeitskräftemangel reagiert. Der bestimmende Akteur sei vielmehr das Auswärtige Amt gewesen, das bei der Aushandlung der Anwerbeabkommen klassischen außenpolitischen Erwägungen - Außenwirtschaft und Sicherheit - folgte, etwa wenn es darum ging, einen potenziellen NATO-Partner für sich einzunehmen.
Nun ist der Hinweis auf die manchmal vernachlässigte Bedeutung der Diplomatie für Migrationsprozesse sicherlich sinnvoll und in anderen Arbeiten bereits durchaus umgesetzt worden. [1] Allerdings besteht die Verfasserin auf einem Vorrang der Außenpolitik in der Migrationspolitik und dies, obwohl sich, wie von ihr auch eingeräumt, außenpolitische und wirtschaftspolitische Interessen an vielen Stellen überlagerten. Dies führt mitunter zu einem recht eigenwilligen Umgang mit der Sekundärliteratur. Da die bisherige Forschungsliteratur den von ihr formulierten Primat der Außenpolitik in der Migrationsgeschichte übersehen oder unterschätzt habe, setzt sich Knortz nicht mit ihr auseinander, sondern reduziert sie auf die Rolle von "Hilfsmittel[n]." (16)
Ein weiteres Leitmotiv des Buches bildet die Absage an eine Interpretation der frühen bundesrepublikanischen Wirtschaftsgeschichte als Erfolgsgeschichte: Laut Knortz verhinderte die Verfügbarkeit billiger Arbeitskräfte aus dem Ausland einen Strukturwandel in mit veralteten Technologien arbeitenden Industriezweigen. Daher sieht sie die 1950er und frühen 1960er Jahre eher als Vorgeschichte der späteren Wirtschaftskrise in den 1970er und 1980er Jahren. Ihre nationalökonomische Perspektive führt damit zu einer eher politischen als historischen Wertung von Migration als wirtschaftlicher Fehlentwicklung und positioniert das Buch letztlich in einer Antihaltung zu dem in der Geschichtswissenschaft der letzten Jahre dominanten Trend transnationaler und globaler Perspektiven. Dies spiegelt sich auch in Knortz' knapp gehaltenem Literaturbericht wider, den nahezu ausschließlich deutschsprachige Titel dominieren.
Forschung lebt vom Widerspruch. Grundsätzlich ist es daher erfreulich, wenn Studien nicht mit dem breiten Strom historischer Moden schwimmen. Aber hier stützt sich die Absage an aktuelle Trends auf schwache Argumente. Den Anspruch, große Teile der bisherigen Migrationsgeschichte durch ihre Studie zu revidieren, leitet die Verfasserin aus den von ihr ausgewerteten Quellen ab: den Beständen des Bundesministeriums für Arbeit, des Bundeskanzleramts, des Bundeswirtschaftsministeriums und insbesondere des Auswärtigen Amts. Auffallend ist dabei, dass die meisten Quellenzitate gerade nicht dem für die Argumentation des Buches zentralen Archiv des Auswärtigen Amtes, sondern den übrigen, in der Migrationsforschung durchaus bereits bearbeiteten Beständen entnommen sind.
Der knappe Quellenbericht bietet zwar ausgiebige Informationen zur Rechtschreibung in Quellenzitaten, Ausführungen zur Art der Quellen oder der methodischen Herangehensweise der Verfasserin suchen Leser indes vergeblich. Dafür werden Quellenzitate, die den Leitthesen der Autorin widersprechen, wenig überzeugend durch den Verweis auf hintergründige politische Entscheidungen entkräftet. So kommentiert Knortz zum Beispiel das recht eindeutige Zitat aus einem Kabinettsprotokoll der Bundesregierung von 1955, "Angesichts nahezu erreichter Vollbeschäftigung und sogar drohenden Arbeitskräftemangels plante die Bundesregierung, durch die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte dem Arbeitskräftemangel zu begegnen und dadurch gleichzeitig auf künftige Lohnforderungen dämpfend zu wirken" (34), folgendermaßen: "In [dieser] fraglicher Kabinettssitzung" sei "zwar mit diesem, von den seinerzeitigen politischen Akteuren vielleicht erhofften Aspekt argumentiert" worden, "im Bezug auf die politische Entscheidung sowie realwirtschaftliche Entwicklung" habe das jedoch "keine Rolle" gespielt. (35)
Die Gesamtbilanz dieser Studie fällt daher zwiespältig aus: Einerseits bereichert sie die migrationsgeschichtliche Diskussion um vielleicht nicht immer völlig neue, aber doch weiterführende wirtschaftsgeschichtliche Aspekte. Der Gesamtkontext, in den diese Aspekte eingebettet werden, bleibt in Anspruch, Konzeption und Durchführung allerdings problematisch.
Anmerkung:
[1] Johannes-Dieter Steinert: Migration und Politik. Westdeutschland - Europa - Übersee 1945-1961, Osnabrück 1995; Paul-André Rosental: Gibt es nationale Migrationspolitik? Über einige Lehren aus den zwanziger Jahren, in: Europa der Zugehörigkeiten. Integrationswege zwischen Ein- und Auswanderung, hg. von Rudolf von Thadden / Steffen Kaudelka / Thomas Serrier, Göttingen 2007, 69-78.
Jenny Pleinen