Rezension über:

Sabine Martius / Sibylle Ruß (Hgg.): Historische Textilien. Beiträge zu ihrer Erhaltung und Erforschung (= Veröffentlichung des Instituts für Kunsttechnik und Konservierung im Germanischen Nationalmuseum; Bd. 6), Nürnberg: Germanisches Nationalmuseum 2002, 279 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-926982-79-7, EUR 58,00
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Rezension von:
Katja Schmitz-von Ledebur
Deutsches Historisches Museum, Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Katja Schmitz-von Ledebur: Rezension von: Sabine Martius / Sibylle Ruß (Hgg.): Historische Textilien. Beiträge zu ihrer Erhaltung und Erforschung, Nürnberg: Germanisches Nationalmuseum 2002, in: sehepunkte 2 (2002), Nr. 12 [15.12.2002], URL: https://www.sehepunkte.de
/2002/12/3447.html


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Sabine Martius / Sibylle Ruß (Hgg.): Historische Textilien

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Historische Textilien gehören zu den anfälligsten Sachzeugen unserer Vergangenheit. Unsachgerechte Behandlung kann oftmals irreparable Schädigung der Objekte zur Folge haben. Die beiden Restauratorinnen Anneliese Streiter und Erika Weiland, beide lange Zeit für die Textilsammlung des Germanischen Nationalmuseums tätig, haben sich in besonderem Maß um die Erhaltung und Erforschung von Textilien verdient gemacht. Ihnen ist die von Sabine Martius und Sibylle Ruß herausgegebene Aufsatzsammlung "Historische Textilien" gewidmet. Nicht weniger als 32 AutorInnen konnten für die Publikation gewonnen werden. Sie verfassten 28 Beiträge zur Textilforschung und -restaurierung.

Die Fülle der unterschiedlichen Aufsatzthemen erschwert zunächst den Zugang zu dieser Publikation, sie spiegelt jedoch gleichzeitig die große Bandbreite der Arbeit eines Textilrestaurators. Der Leser wird mit frühgeschichtlichen Bodenfunden ebenso konfrontiert wie mit textilen Innendekorationen des 19. Jahrhunderts, mit kleinen Gewebefragmenten ebenso wie mit Kostümen und großformatigen Tapisserien, er wird von der Analysierung, Reinigung und Konservierung der Textilien bis hin zu ihrer musealen Präsentation geführt. Erleichtert wird die Handhabung des Buches durch die kurzen Zusammenfassungen der einzelnen Aufsätze in deutscher und englischer Sprache, die jeweils zu Beginn der Beiträge zu finden sind. Zudem ist das Buch nach inhaltlichen Schwerpunkten in insgesamt vier Teilbereiche untergliedert.

Zur Arbeit des Textilrestaurators gehört es, Objekte zu erhalten und zu erforschen. Er analysiert ihre Struktur und ihren Erhaltungszustand und nimmt jedes noch so kleine Detail wahr, um eine individuelle Restaurierungsmethode zu entwickeln. Über diesen detailgenauen Blick verfügen ohne Zweifel die AutorInnen des ersten, der "Textiltechnologie" gewidmeten Teils der Publikation. Anhand ausgewählter Beispiele aus dem Arbeitsalltag dokumentieren sie den Umgang mit Textilien in konservatorischer Hinsicht. Ursula Hofmann beispielsweise stellt zwei koptische Leinentuniken des 5./6. Jahrhunderts vor, die textile Verzierungen tragen. Sie leistet einen Beitrag zur Einordnung der oftmals ohne ihren Träger erhaltenen Zierstücke in ihren ursprünglichen Kontext. Hannelore Herrmann richtet ihren Blick auf die sizilianischen Goldborten, so genannte "Palermitaner Borten", an der Kasel des heiligen Wolfgang aus Sankt Emmeram in Regensburg (12. Jahrhundert) und vergleicht diese mit zeitgleichen Objekten. Márta Járó widmet sich den verschiedenen Metallfäden in gewebten Textilien des 13. bis 16. Jahrhunderts. André Brutillot schließt diesen ersten Teil des Buches mit einem Beitrag zur Originalitätsfrage verschiedenartiger Schlitznähte in Tapisserien des 16. bis 18. Jahrhunderts ab.

Ebenfalls anhand von Beispielfällen aus der Praxis erörtern die AutorInnen des zweiten Themenkomplexes der Publikation die Methodik der Konservierung. Über die Problematik im Umgang mit textilen Ausgrabungsfunden referiert John-Peter Wild. Maria Theresia Worch diskutiert drei verschiedene Schädigungsstufen historischer Textilien, die entweder nähtechnisch beseitigt werden können, eine klebetechnische Konsolidierung verlangen oder umfangreiche Eingriffe auf Grund erheblicher Substanzschädigung erfordern. Schließlich widmet sich Elisabeth Jägers dem Einsatz der flüchtigen Bindemittel Cyclododecan, Camphen und Menthol zum Zweck der "Versiegelung und Stabilisierung" (79) textiler Objekte während Restaurierungs- und Reinigungsmaßnahmen oder zur Transportsicherung.

Im dritten und zugleich umfangreichsten Teil des Buches wird neben der Textiltechnologie und Konservierung auch die ästhetische und zugleich aus konservatorischer Sicht vertretbare Präsentation der Objekte und schließlich ihre schonende Aufbewahrung im Depot der Museen berücksichtigt.

Annemarie Stauffer und Felicitas Weiße bemängeln zunächst den fehlerhaften Umgang mit Textilien vor allem bei Notgrabungen, der oft irreparable Schäden wie Verhärtung und Versprödung der Objekte zur Folge hat. Eine wissenschaftlich fundierte Untersuchung steuert Petra Brachwitz zum Löwenstoff aus Sankt Servatius in Siegburg bei. Die Geschichte dieses großformatigen Seidengewebes byzantinischer Herkunft wird ebenso dokumentiert wie die Methode der Konservierung und der angemessenen Präsentation. Zudem gibt die Autorin einen Einblick in die Methoden der Textilrestaurierung am Anfang des 20. Jahrhunderts. Einen weiteren Beitrag zur Textilrestaurierungsgeschichte liefert Petra Hesse.

Wie schwierig sich oftmals die aus konservatorischer und ästhetischer Hinsicht befriedigende Präsentation von Textilien gestaltet wird anhand diverser Beispiele aus der Praxis belegt. Ada Hinkel dokumentiert die Anfertigung eines stützenden, gepolsterten Kissens und einer passgerechten Schachtel für ein ärmelloses Wams (um 1585) aus dem Germanischen Nationalmuseum. Ein Beitrag zur überzeugenden Präsentation von Spitzen kommt von Eva Jordan-Fahrbach. Diese fragilen, durchscheinenden Objekte stellten die Mitarbeiter im Herzog Anton Ulrich-Museum in Braunschweig vor ein spezielles ästhetisches Problem, da die Musterung der Objekte in der zweidimensionalen Präsentation besser erkennbar ist, die ursprüngliche Funktion der Spitzen etwa als Kragen, Engageant oder ähnliches eine dreidimensionale Präsentation erforderlich macht. Die Entwicklung eines möglichst neutralen Präsentationssystems, das sich für verschiedene Ausstellungsprojekte eignet, erörtert Blanda Winter anhand der Neueinrichtung der Studiensammlung im Museum für angewandte Kunst in Wien. Agnes Krippendorf schließlich beendet diesen dritten Themenkomplex mit einem Artikel über Konservierungsarbeiten an Textilien aus der Sammlung des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau, die in besonderem Maße den geschichtlichen und ethischen Stellenwert eines Objektes veranschaulichen.

Nicht alle Beiträge der umfangreichen Publikation können hier Erwähnung finden. In der Regel liegen ihnen ein oder mehrere konkrete Beispielfälle aus dem facettenreichen Arbeitsalltag der AutorInnen zu Grunde. Die Dokumentation technischer Analysen, Zustandsbeschreibungen oder individueller Restaurierungs- und Präsentationsmethoden ist - soweit im Rahmen eines Aufsatzes möglich - generell sehr ausführlich. Zahlreiches Fotomaterial, Umzeichnungen, technische Daten und tabellarische Aufarbeitung ergänzen die Aufsätze. Eine umfassende "wissenschaftliche Aufbereitung" (59) streben allerdings nicht alle AutorInnen an. Vielmehr stellen sie ihr profundes Wissen und ihre Erfahrungswerte zur Verfügung und geben Anstoß zur Weiterentwicklung der Forschungen.

Einen Beitrag zur Einordnung von Textilien in einen kunst- und kulturhistorischen Kontext, der in den ersten drei Teilen der Publikation zumeist vermisst wird, liefern die AutorInnen des letzten Teils der Aufsatzsammlung. Renate Baumgärtel-Fleischmann beispielsweise referiert über das Bamberger Rationale. Sie erörtert die Entwicklung und Bedeutung des Rationales im allgemeinen und den Gebrauch, die Geschichte und Ikonografie des Bamberger Stückes im besonderen. Erwähnt sei auch der Beitrag von Jutta Zander-Seidel. Sie beschäftigt sich mit der "objektspezifischen Realität" (223) von Textilien. So finden sich in Bildern des 15. und 16. Jahrhunderts Kopfbedeckungen mit zottiger Oberfläche, die meist als Pelz- oder Samthüte identifiziert werden. Anhand erhaltener Sachzeugnisse, unter anderem ein Filzhut mit Seidenflor (um 1600) des Germanischen Nationalmuseums, und erhaltener Nachlassinventare weist sie darauf hin, dass es sich vielmehr um Filzhüte mit nähtechnisch aufgebrachtem Faserflor handelt, die von Bauern aber auch von Mitgliedern der bürgerlichen und adeligen Oberschicht getragen wurden.

Nach der Lektüre der zahlreichen Aufsätze würde man sich eine kurze Reflektion, ein Resümee der breit gefächerten wissenschaftlichen Auseinandersetzungen wünschen, die wohl auf Grund der unterschiedlichen Themenstellungen ausbleibt. So stehen die Einzelbetrachtungen zunächst zusammenhanglos nebeneinander. In ihrer Gesamtheit jedoch reflektieren sie ohne Zweifel den derzeitigen Stand der Textilforschung und -restaurierung. Die Lektüre des Buches sei nicht nur Fachkräften empfohlen, sondern auch Laien, die sich für diese spezielle Wissenschaft interessieren und mehr über die textilen Objekte erfahren möchten, denen sie in der Regel nur in Glasvitrinen privater oder öffentlicher Sammlungen begegnen.


Katja Schmitz-von Ledebur