Rezension über:

Christian Henke: Coblentz. Symbol für die Gegenrevolution. Die französische Emigration und Kurtrier 1789-1792 und die politische Diskussion des revolutionären Frankreichs (= Beihefte der Francia; Bd. 47), Ostfildern: Thorbecke 2000, 424 S., ISBN 978-3-7995-7441-9, EUR 49,08
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Rezension von:
Thomas Höpel
Zentrum für Höhere Studien, Universität Leipzig
Redaktionelle Betreuung:
Sven Externbrink
Empfohlene Zitierweise:
Thomas Höpel: Rezension von: Christian Henke: Coblentz. Symbol für die Gegenrevolution. Die französische Emigration und Kurtrier 1789-1792 und die politische Diskussion des revolutionären Frankreichs, Ostfildern: Thorbecke 2000, in: sehepunkte 2 (2002), Nr. 1 [15.01.2002], URL: https://www.sehepunkte.de
/2002/01/3784.html


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Christian Henke: Coblentz

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Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um die überarbeitete Fassung einer 1997 angenommenen Dissertation. Christian Henke will in seiner Arbeit zeigen, wie "Coblentz" in den Jahren 1789 bis 1794 zu einem signifikanten Symbol für die Gegenrevolution wird, das bis heute in den politischen Auseinandersetzungen auftaucht. In der Einleitung stellt er dar, dass es ihm um den Bedeutungswandel des Begriffes in der politischen und öffentlichen Diskussion in den Anfangsjahren der Revolution geht. Der Schwerpunkt der Arbeit soll deshalb auf der Diskussion des Emigrantenproblems in der französischen Nationalversammlung liegen, die Arbeit will ein "Beitrag zur Bewusstseinsgeschichte der revolutionären Epoche" [15] sein. Zum Verständnis der Debatten in der Nationalversammlung will er zudem die reale Situation in Koblenz während der Anfangsjahre der Revolution darstellen. Dem folgt eine Diskussion des Forschungsstandes, der meines Erachtens zu sehr auf einer beschreibenden Ebene bleibt und die qualitativen Brüche in der Forschung gerade der letzten zwei Jahrzehnte unzureichend herausstellt. Schon im Gefolge der sozialgeschichtlichen Wende der Emigrationsforschung, die 1951 durch Donald Greer [1] eingeleitet wurde, kam es zu einer Überprüfung von ideologisch geprägten Vorurteilen der republikanisch-revolutionsfreundlichen beziehungsweise der royalistisch-revolutionsfeindlichen Historiographie, in die Henke die bisherige französische Emigrantenforschung einteilt. Schließlich wurde auf einer wegweisenden Tagung in Rennes 1985 die Gleichsetzung von Emigration und Konterrevolution in Frage gestellt.[2] Das baute die noch bestehende Stigmatisierung von Emigrationsforschung und die verhärteten Positionen in der französischen Revolutionsforschung ab.

Die Arbeit gliedert sich nach dem einleitenden Kapitel in zwei Teile: einen umfangreichen Teil, der die Geschichte der Emigration seit 1789 mit einem Schwerpunkt auf der Zeit von 1791 und 1792 und damit der Emigrantenansammlung in Koblenz darstellt, und einen zweiten Teil, der weit sparsamer ausfällt und die Diskussionen in der Nationalversammlung in den Blick nimmt. Diese Randstellung des zweiten Teils verwundert etwas, da er doch eigentlich laut Einleitung der zentrale Abschnitt der Arbeit sein sollte.

Teil eins liefert dann eine sehr gründliche Darstellung der Emigration zwischen 1789 und 1792. Henke behandelt kurz die Anfänge der Emigration, dann ausführlich die Geschichte der Emigrantenkolonie in Koblenz, die Intentionen und Aktivitäten der emigrierten französischen Prinzen, die Beziehungen und Konflikte zwischen den französischen Emigranten und der einheimischen Bevölkerung sowie den Kurtrierer Ständen. Dem folgt ein Kapitel über die militärische Rüstung der Emigranten in Kurtrier und die Organisation der Emigrantenarmee sowie ein Kapitel, das den Feldzug gegen Frankreich im Herbst 1792 und die Beteiligung der Emigranten dabei darstellt. Henke hat die Literaturlage gut aufgearbeitet und mit weiteren Quellen ergänzt, er kommt auch zu einigen Nuancierungen und bringt neue Detailinformationen (gerade in der Frage der Finanzierung der Emigranten und der Unterstützung durch den Kurtrierer Erzbischof). Allerdings geht er nicht grundlegend über bereits vorliegende ältere Studien (insbesondere Franz Liesenfelds Arbeit von 1912) hinaus. Vielmehr zeigt sich der Autor sehr detailverliebt (insbesondere im Kapitel vier über die Armee der Prinzen), was auf Kosten der Darstellung übergreifender und grundlegender Entwicklungen und eigener Kommentare geht. Die positivistische Anhäufung von Informationen wird leider auch nicht in Kapitelzusammenfassungen noch einmal geordnet beziehungsweise in eigenen grundlegenden Thesen dargestellt. Henke lässt sich in seinen Urteilen vielmehr stark von bereits vorliegenden Arbeiten über die Emigranten in Kurtrier leiten und verurteilt die Haltung der französischen Prinzen, denen es vor allem um Prunk und Etikette ging, und die die eigentlichen Aufgaben (nämlich die Ausrüstung und Organisation ihrer Truppen) hintan gestellt hätten.

Nun hat aber bereits Max Weber zu Beginn unseres Jahrhunderts darauf hingewiesen, dass "'Luxus' im Sinne der Ablehnung zweckrationaler Orientierung des Verbrauchs [..] für feudale Herrenschichten nichts 'Überflüssiges', sondern eines der Mittel ihrer sozialen Selbstbehauptung"[3] ist. Die adligen Emigranten in Koblenz, die das Ancien Régime in jeder Hinsicht wiederherstellen wollten (wie Henke übrigens selbst sagt), konnten deshalb wohl schwerlich bei eben diesem Versuch der unbedingten Restauration nach bürgerlichen Rationalitätskriterien vorgehen. Im Gegensatz dazu, aber ebenfalls irritierend, wird der Comte de Provence von Henke durchgehend als "Monsieur" bezeichnet; Henke übernimmt damit die bei Hofe gebräuchliche Bezeichnung des ältesten Bruders des französischen Königs und ersten französischen Fürsten, folgt mithin dem Sprachgebrauch der Emigranten. Den jüngeren Bruder Mirabeaus, der als Erster bewaffnete Emigranteneinheiten aufstellte, betitelt Henke dagegen etwas despektierlich mit seinem Spitznamen 'Mirabeau-Tonneau', 'Mirabeau das Fass'. Die in der Einleitung dargestellten Leitfragen werden im ersten Teil der Arbeit höchstens marginal behandelt.

Der zweite Teil der Arbeit kann deshalb als gesonderter und vom ersten Teil losgelöster Abschnitt betrachtet werden. Die Einteilung in drei Kapitel ist unausgewogen: Kapitel eins und zwei umfassen lediglich je zwei Seiten und stehen einem langen dritten Kapitel gegenüber. Dabei dient Kapitel eins der (nicht besonders gelungenen) Verknüpfung mit dem ersten Teil der Arbeit, während Kapitel zwei einen Exkurs darstellt, der Zusatzinformationen zur Bedeutung der freien Rede in den ersten französischen Nationalversammlungen liefert und eigentlich in das umfangreiche dritte Kapitel hätte integriert werden müssen. Kapitel drei widmet sich dann der "Genese des Begriffs Coblentz" (297) in den Diskussionen der ersten Nationalversammlungen. Henke geht dabei chronologisch vor und ordnet die Diskussionen in Unterkapiteln zur Verfassungsgebenden Nationalversammlung, zur Gesetzgebenden Nationalversammlung und zum Konvent, wobei der Teil zur Gesetzgebenden Nationalversammlung am ausführlichsten ausfällt. Das ist angemessen, da die Diskussionen um die Emigranten hier zunahmen und eben mit Koblenz, dem Aufenthaltsort der französischen Prinzen, in Verbindung gesetzt wurden. Besonders ungünstig fallen hier seine mitunter unglückliche Wortwahl und seine unklaren Formulierungen auf, die aber auch in den anderen Kapiteln der Arbeit festzustellen sind. Als Beispiele zu nennen wären unter anderem Formulierungen wie die von der "Geburt und Herausbildung des Begriffs Coblentz" (311) oder die ständig benutzte Wendung von der "Zerstreuung der Emigranten". Henke stellt dar, wie es allmählich in den Diskussionen in der Assemblée Législative dazu kam, dass mit der Ortsangabe Koblenz eine Ansammlung französischer Revolutionsgegner assoziiert wurde, die Vokabel seit dem Sommer 1792 schließlich von allen Gruppierungen der Assemblée Législative zur Stigmatisierung des politischen Gegners eingesetzt wurde. "Geburt und Herausbildung des Begriffs Coblentz" meint daher die Herausbildung eines Kampfbegriffes zur Stigmatisierung des politischen Gegners, der als konterrevolutionär eingestuft wird. Allerdings kann man Henkes Beweisführung hier nicht folgen, da die Assoziation mit der konterrevolutionären Emigrantenansammlung im rheinischen Erzstift der Jahre 1791/92 stets im Hintergrund präsent bleibt, der Begriff also eigentlich nie völlig losgelöst davon gebraucht wird. Auch die von Henke dafür gelieferten Beispiele lassen eine solche Interpretation kaum zu. Zugleich wird der Gebrauch von Coblentz als synonymer Begriff für französische Revolutionsgegner im allgemeinen vom Autor bereits zu einem Zeitpunkt konstatiert, zu dem es noch um die inhaltliche Definition der Emigrationsfrage überhaupt ging, die Ortsangabe Coblentz noch stets mit weitergehenden Attributen versehen wurde und die Zielrichtung gegen bestimmte Emigrantenansammlungen deutlich war. Seine empirischen Befunde untermauern den angeblich grundlegenden Bedeutungswandel des Begriffes Coblentz in weiten Teilen nur unzureichend: Seine detaillierten Angaben darüber, wann, wie und von wem die Vokabel in den politischen Auseinandersetzungen der Assemblée Législative benutzt wird, interpretiert er auf eine Weise, die nicht in jedem Falle schlüssig scheint. Sinnvoll für die Nutzung des politischen Kampfbegriffes Coblentz in der französischen Öffentlichkeit wäre es gewesen, nicht nur die Debatten der Assemblée Législative und teilweise die des Jakobinerklubs zu beleuchten, sondern auch zu untersuchen, inwieweit und mit welcher Bedeutung der Kampfbegriff Coblentz in der Presse benutzt wurde.

Die Zusammenfassung wiederholt noch einmal die grundlegenden Aussagen der vorangegangenen Kapitel, sie kann aber nicht das Auseinanderklaffen der Arbeit in zwei separate Teile überbrücken. Kurz leuchtet ein Gedanke auf, auf den Henke bereits zuvor stärker hätte eingehen können, nämlich die Rolle und die Bedeutung, die Coblentz als gegenrevolutionäres Symbol dabei hatte, dass in der revolutionsfreundlich orientierten Bevölkerung Ängste geschürt und die Bevölkerung im tagespolitischen Kampf gegen ein angebliches aristokratisches Komplott mobilisiert wurde. Henke weist darauf hin, wie von den führenden Köpfen der Revolution insbesondere in den Jahren 1791 und 1792 die vor allem aristokratische Emigration dazu genutzt wurde, die Öffentlichkeit für die Revolution zu gewinnen. Sie stilisierten die Emigranten und insbesondere deren Zentrale Koblenz dabei zu einer Gefahr für die Revolution, eine Gefahr, an die sie selbst nicht glaubten. Henke betont zugleich die in der Forschung oft vernachlässigte Rolle, welche die Emigrantenansammlung in Koblenz für die Anheizung der kriegerischer Stimmung in Paris gespielt hat. Hier hätte man sich aber gewünscht, dass er stärker auf den Vermittlungsprozess von den Debatten in der Assemblée zur Öffentlichkeit eingegangen wäre. Auch der erste Teil der Arbeit hat seine Verdienste, hat der Autor doch Informationen aus verschiedenen Werken zur Koblenzer Emigrantenkolonie zusammengetragen und durch bislang unbeachtete Quellen angereichert. Es fehlen aber die grundlegenden neuen Erkenntnisse sowie einfach die Verzahnung mit seiner eigentlichen, in der Einleitung formulierten Problemstellung beziehungsweise eine tatsächliche Problemstellung für diesen Teil. Für alle, die einen Einblick in die Emigrationsbewegung der ersten Jahre der Revolution von 1789 gewinnen wollen, ist die Arbeit sicher zu empfehlen, allerdings muss man einen etwas umständlichen Stil und zahlreiche inhaltliche und stilistische Wiederholungen in Kauf nehmen.

Anmerkungen:

[1] The Incidence of the Emigration during the French Revolution, Cambridge 1951.

[2] Der Tagungsband erschien unter dem Titel Les Résistances à la Révolution, hrsg. von François Lebrun und Roger Dupuy, Paris 1987. In ähnlicher Richtung argumentieren Roger Dupuys De la Révolution à la Chouannerie (Paris 1988), verschiedene Beiträge im Tagungsband Widerstände gegen Revolutionen 1789-1989, hrsg. von Matthias Middell, Leipzig 1994 sowie Jean-Clément Martin, Contre-Révolution, Révolution et Nation, Paris 1998.

[3] Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 1956, S. 659.

Thomas Höpel