Rezension über:

Lars Atorf: Der König und das Korn. Die Getreidehandelspolitik als Fundament des brandenburgisch-preußischen Aufstiegs zur europäischen Großmacht (= Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte; Bd. 17), Berlin: Duncker & Humblot 1999, 439 S., ISBN 978-3-428-09652-7, EUR 68,00
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Rezension von:
Arndt Brendecke
Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Arndt Brendecke: Rezension von: Lars Atorf: Der König und das Korn. Die Getreidehandelspolitik als Fundament des brandenburgisch-preußischen Aufstiegs zur europäischen Großmacht, Berlin: Duncker & Humblot 1999, in: sehepunkte 2 (2002), Nr. 1 [15.01.2002], URL: https://www.sehepunkte.de
/2002/01/2165.html


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Diese Rezension erscheint auch in PERFORM.

Lars Atorf: Der König und das Korn

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Lars Atorfs Kölner Dissertation schickt sich an, Brandenburg-Preußens Machtpolitik auf den Boden des Getreidehandels zurückzuführen. Zwar ist das Thema nicht neu - Atorf knüpft an ältere Forschungs- und Editionsleistungen von Wilhelm Naudé, Gustav Schmoller und Stephan Skalweit an -, doch hebt er mit seiner konsequenten Durchleuchtung dieses grundlegenden Politikbereichs und seiner Anbindung an die Fragen des Aufstiegs Brandenburg-Preußens zwischen 1640 und 1806 die bisherigen Kenntnisse über den Zusammenhang von Brotversorgung und Macht auf ein neues und methodisch reflektiertes Niveau. In der Konzeption von Atorfs Arbeit spiegelt sich der Anspruch der Arbeiten von Johannes Kunisch, der die Dissertation betreute, wie auch von Ulrike Müller-Weil wieder, die strukturellen, innen- und wirtschaftspolitischen Voraussetzungen absolutistischer Machtakkumulation in den Blick zu bekommen.

Die Arbeit schreitet nach einem Überblick über die kameralistische Lehre chronologisch voran. Atorf entwickelt seine Geschichte der Getreidehandelspolitik entlang der Abfolge der brandenburgisch-preußischen Herrscher, und zwar unter Heranziehung ihrer diesbezüglichen programmatischen Aussagen, ihrer wichtigsten verwaltungs- und wirtschaftspolitischen Entscheidungen sowie mit den nötigen Exkursen zu einzelnen politischen und militärischen Vorgängen. In dieser Form des Aufbaus spiegelt sich die Tatsache wieder, dass Atorf Wirtschaftsgeschichte als Politikgeschichte schreiben möchte und diese - im Interpretament des absolutistischen Staatsausbaus -, auf Könige, Ministerien und Verwaltungsanstalten zulaufen lässt. Andere Akteure des Gesamtkomplexes 'Getreidehandel', zum Beispiel die Nachfrage des (internationalen) Marktes, die Getreideproduzenten, die Transporteure, die Kompaniechefs und ihr Kalkül, die Bäcker und Konsumenten, geraten nur gelegentlich ins Blickfeld und würden eine eigene Untersuchung verdienen.

Aus dem an der Abfolge der Herrscher orientierten Aufbau ergibt sich ein durchaus klassisches Bild der brandenburgisch-preußischen Geschichte. Unter dem Großen Kurfürsten zeichnet sich das politische Instrumentarium der Getreidehandelspolitik bereits in Ansätzen ab: Zwar stützte sich seine Politik noch hauptsächlich auf Exportregulierung, doch das Magazinsystem, das zum Standbein der Preisstabilisierung in Friedenszeiten werden sollte, bildete sich bereits aus. Hinsichtlich der Heeresverpflegung ist seit 1660 zwischen der in Friedenszeiten wirksamen Geldverpflegung einerseits zu unterscheiden, und dem im Krieg einsetzenden Naturalverpflegungssystem, wonach jedem Soldaten (zunächst) täglich zwei Pfund Brot aus dem Getreide der staatlichen Magazine zu backen war. Diese staatlichen Getreidemagazine entwickelten eine doppelte Funktion. Sie dienten, mit sich wandelnder Intensität, zum einen als Instrument der Preis- und Marktsteuerung, zum anderen als Basis der Heeresversorgung im Krieg.

Nach einer stagnativen Phase unter Friedrich III./I. erfolgen die grundlegenden administrativen Weichenstellungen in Brandenburg-Preußen schließlich unter Friedrich Wilhelm I., dessen Leistung bei der Systematisierung der Getreidehandelspolitik "kaum hoch genug eingeschätzt werden" kann. Sein Sohn, Friedrich II., gilt Atorf schließlich als der große Vollender des Systems, der auf dem so bereiteten Boden seine Machtpolitik entfaltete. Er gestaltete die Getreidehandelspolitik nicht nur, wie schon sein Vater, stets persönlich, sondern differenzierte das Spektrum ihrer Instrumentarien darüber hinaus, insbesondere hinsichtlich der Magazinpolitik, weiter aus.

Eine Leistung von Atorfs Studie liegt gewiss darin begründet, dass er durchaus die strategische Bedeutung der friderizianischen Getreidehandelspolitik erörtert, einzelne Leistungen und Versäumnisse wie zum Beispiel den strategisch und logistisch katastrophalen Vorstoß nach Böhmen von 1744 oder den Defensiverfolg Friedrichs im Siebenjährigen Krieg analysiert, aber darüber hinaus die Preis- und Versorgungspolitik im Frieden nicht außer Acht lässt, ja sie als eigenständigen Faktor des (auch demografisch zu verstehenden) Machtausbaus behandelt. Das Bedingungsfeld konkreter militärischer und außenpolitischer Entscheidungen erhält so gelegentlich eine enorme Tiefenschärfe. Besonders deutlich wird dies am Beispiel der ersten Teilung Polens, die Friedrich II. den Zugriff auf die Kornkammer Polen nun teils direkt, teils mittelbar, das heißt über die Sperrung der wichtigsten polnischen Exportwege, erlaubte.

Was nach Friedrich II. kommt, ist Niedergang: Liberale Reformen scheitern, die zweite und dritte Teilung Polens zerstören das System der informellen Kolonisierung der polnischen Kornkammer, die Staatskasse und die Getreidemagazine leeren sich.

Im Gesamtbild der Arbeit zeichnen sich drei argumentative Schwerpunkte ab: Den ersten stellt die Heeresversorgung durch Getreidemagazine dar, die letztlich den geostrategischen Operationsraum des Heeres definierten. Im Brot und im Getreide liegt, dass ist die Pointe der Arbeit, die Funktionalität militärischer Macht im Zeitalter stehender Heere begründet.

Den zweiten Schwerpunkt bildet die Getreidehandelspolitik im Frieden. Dem klassischen Instrument der staatlichen Preisgestaltung durch Import- und Exportregulierung trat zunehmend das der Preisgestaltung durch Magazinierung hinzu. In der Verknüpfung dieser beiden Bereiche spiegelt sich drittens der Prozess des absolutistischen Staatsausbaus wieder: Die politische, ökonomische, administrative und logistische Maschinerie, die die adäquate Magazinierung des Korns zu gewährleisten hatte, wirkt über den militärischen Bereich im engeren Sinne weit hinaus und begründet den Ausbau von Staatlichkeit wesentlich mit. Deutlich wird die Ausstrahlung der Getreidehandelspolitik in die Entwicklung moderner Staatlichkeit an einzelnen Notwendigkeiten, die aus der Magazinierung resultieren. So ließ sich Friedrich II. zum Beispiel kontinuierlich genaueste Ernteprognosen und -statistiken der einzelnen Provinzen vorlegen, um entsprechende Entscheidungen rationalisieren zu können, was seinerseits einen erheblichen administrativen Apparat erforderte.

Wirklich überzeugend ist Atorfs Argumentation nur in Hinsicht auf den ersten Schwerpunkt, das heißt auf die Verpflegungslogistik im Kriege, denn hierauf zielt der politikhistorische Ansatz. Als wirtschaftshistorische Arbeit ist Atorfs Studie hingegen nicht zu verstehen. Dass der im Verlauf der Studie nachgezeichnete konsequente Ausbau der Getreidehandelspolitik sowie der Magazine zwar ein notwendiger, letztlich jedoch kein hinreichender Grund für den Aufstieg gerade des brandenburgisch-preußischen Staates gewesen ist, hebt Atorf zuletzt selbst hervor. Der Aufbau von Magazinen erfolgte seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in fast allen europäischen Staaten. Dass er in Preußen letztlich konsequenter erfolgte als anderswo, ist eine Grundannahme des Buches, die indes nur durch vergleichende Studien sicher zu begründen wäre. Der Befund Atorfs ist letztlich nirgendwo spektakulär. Es gelingt jedoch, einen zentralen Sektor der Machtpolitik als solchen herauszuarbeiten und in einigen Fällen die Verbindungslinien zwischen Ökonomie, Staatlichkeit, Krieg, Außen- und Handelspolitik am Beispiel der Getreidehandelspolitik nachzuzeichnen. Atorfs Tugend, seine Arbeit chronologisch aufzubauen, jeden Argumentationsschritt anzukündigen, Begriffe zu definieren, Kapitel getrennt zusammenzufassen, wirkt gelegentlich mechanisch und allzu bescheiden, insbesondere dort, wo mit einem freieren Zugriff zugleich eine stärke Synthese der Gesamtproblematik hätte einhergehen können.

Arndt Brendecke