Monumentale Edition eines modernen Klassikers
Über die „Briefe an Bertolt Brecht im Exil (1933–1949)“
Von Gerhard Müller
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDie Briefe, die Brecht verschickt hat, sind, soweit überliefert, in drei Bänden aus der Berliner und Frankfurter Brecht-Ausgabe versammelt (1998, Band 28–30), rund 2.400 Seiten umfassend. Die an ihn gerichteten Briefe aus seiner Exilzeit liegen nun in einer imposanten Edition des Verlags Walter de Gruyter vor: ebenfalls dreibändig, in größerem Buchformat, rund 2.000 Seiten stark.
Es handelt sich um etwa 1.500 Briefe von etwa 120 Briefpartnern/-partnerinnen Brechts. Darunter sind bekannte Namen wie Johannes R. Becher, Walter Benjamin, Ernst Bloch, Paul Dessau, Albert Einstein, Hanns Eisler, Lion Feuchtwanger, Kurt Kläber, Heinrich Mann, Thomas Mann, Erwin Piscator, Anna Seghers, Peter Suhrkamp, Sergej M. Tretjakow, Carl Zuckmayer und Arnold Zweig. Mit Spannung nimmt man die voluminösen Bände zur Hand.
Die Idee zu dieser Edition hatten der Herausgeber Hermann Haarmann und Erdmut Wizisla, der Leiter des Berliner Brecht-Archivs. Anfangs dachte man, 500 Briefe zusammenzubringen, die die erwähnte Berliner und Frankfurter Briefausgabe ergänzen sollten. Es sind wie erwähnt weit mehr geworden, was dann zu einem veritablen eigenständigen und (besonders was die Finanzierung anbelangt) komplizierten Forschungsvorhaben führte.
Zusammenfassend schreibt Haarmann: „Die hiermit vorliegenden Briefbände versammeln unveröffentlichte und bereits veröffentliche Briefe an Bertolt Brecht aus den Jahren 1933–1949 zum ersten Mal in einer selbständigen Edition. Damit lässt sich, die Briefe Brechts und die Briefe an Brecht nebeneinander gelegt und parallel gelesen, die Brecht-Korrespondenz dieser Periode in ihrem Wechselverhältnis nachvollziehen und studieren.“
Die Briefe sind jeweils ausführlich, und zwar direkt in Form von Fußnoten, kommentiert, und die Überlieferung wird im Detail verzeichnet. Ein Namenregister und ein Register der Werke Brechts finden sich im Anhang. Wer mag angesichts der Arbeit, die in dieser Briefausgabe steckt, noch nach Sach- und Ortsindex fragen? Einige Briefe an andere Personen – wie Helene Weigel und Margarete Steffin – sind eingereiht, sofern sie sich direkt auf Brecht beziehen.
Eine lange Einleitung des Herausgebers Haarmann, inhaltlich auf Fragen von Brechts Exilzeit zentriert und briefbezogen, eröffnet diese Edition. Es geht da unter anderem um Brechts Verhältnis zur Sowjetunion, um das epische Theater und die Zeitschrift Das Wort, um Brechts Aufenthalt in den USA, dann um sein Verhältnis zu Deutschland und Europa und die Rückkehr, um die Frühzeit der DDR und seine Theateraktivitäten dort.
Der erste edierte Brief stammt vom 27. Februar 1933 (Rudolf Voth, Verlag Felix Bloch Erben), der letzte vom 1. Juni 1949 (Ernst Rowohlt). Insgesamt, so ein sehr summarischer Ausdruck, dominiert die Thematik Literatur, Theater, schriftstellerisches Werk (Brecht war ja auch im Exil sehr produktiv); daneben kommt natürlich auch Politik ins Spiel, etwa in Briefen Bernard von Brentanos (in den ersten Exiljahren), der ihm zum „Verein“ (gemeint: KPD) schreibt, zumeist kritisch. Auch private Aspekte lassen sich nennen; berührend etwa sind Briefe von Brechts Sohn Frank, daneben Korrespondenzen Margarete Steffins (sie schickte Brecht auch etliche Gedichte). Immer wieder wird Brecht auf seine Briefschulden hin angesprochen. Und „zwischen den Zeilen“ erkennt man Not und Elend des Exils: Schwierigkeiten des Alltags, Geldsorgen, Wohnortwechsel und die Isolierung der Exilierten.
Mit diesen kursorischen Bemerkungen mag es hier sein Bewenden haben, denn was sollte man aus dieser umfangreichen und differenzierten Korrespondenz im Einzelnen herausgreifen? Dass Erwin Piscator lange Briefe zu Aufführungen schrieb; dass Walter Benjamin sich zu kulturpolitischen Fragen äußerte; dass Johannes R. Becher Brecht zur Mitwirkung am Pariser Schriftstellerkongress zur Verteidigung der Kultur ermunterte (1935); dass Fritz Erpenbeck immer wieder zur redaktionellen Gestaltung der Zeitschrift Das Wort schrieb; dass Alfred Einstein für die Zusendung des „Galilei“ dankte oder dass schon Anfang 1945 Karl Korsch und Herbert Ihering die „Nachkriegsepoche“ thematisierten und Brecht nach Deutschland zurückholen wollten?