Zwischen Muli und Maler Mulo
Über den Briefwechsel zwischen Elias Canetti und Marie-Louise von Motesiczky
Von Oliver Pfohlmann
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseIn ihrem Tagebuch zog Marie-Louise von Motesiczky ein deprimierendes Resümee: „ganz ohne C. Welt ohne Sinn“, notierte die Malerin 1977, „mit C. endlose Quälerei.“ C. stand für den Schriftsteller Elias Canetti, die Liebe ihres Lebens. Einer Freundin gegenüber bezeichnete sie ihn einmal als ihre „persönliche Katastrophe“. Canettis Urteil war weitaus drastischer: Mit der ihm eigenen Lust an der rhetorischen Vernichtung seiner Nächsten charakterisierte er seine langjährige Geliebte als „Made“, der sich alles in Verdauung übersetze; sie sei jemand, der sich wie Mehltau auf jede Freude lege.
In „Party im Blitz“, Canettis Erinnerungen an seine Exiljahre in England, sparte er Marie-Louise von Motesiczky einfach aus. Und verschwieg so, wieviel er der Malerin verdankte, nicht zuletzt finanziell. 1942 hatte er ihr zum Dank für ihre Unterstützung in Schönschrift eine erste Auswahl seiner aphoristischen „Aufzeichnungen“ geschenkt; damals war der Autor des Romans „Die Blendung“ in England noch ein Niemand. Jahrelang überließ ihm seine Geliebte in ihrem Haus in West Hampstead ein eigenes Arbeitszimmer, in dem er ungestört an seinem Hauptwerk „Masse und Macht“ arbeiten konnte. 1954 schrieb er seiner Geliebten von seinen Erlebnissen in Marokko – diese Briefe waren so etwas wie Keimzellen seines großen Reiseberichtes „Stimmen von Marrakesch“. Der nun erstmals veröffentlichte Briefwechsel zwischen Elias Canetti und Marie-Louise von Motesiczky dokumentiert eine tragische Liebesbeziehung und große Künstlerfreundschaft. Sie währte ein halbes Jahrhundert und endete erst mit Canettis Tod 1994.
„Liebster Pio, hat’s Ihnen nicht ein bisschen leid getan dass Sie keine Hand erhoben haben als ich meine Kofferln zum Taxi trug? Ich habe noch lange nachgedacht ob das englische Schüchternheit oder spanischer Stolz oder orientalische Überlegenheit (den Frauen gegenüber) ist. Machen Sie kein finsteres Gesicht – ich necke Sie ja nur – darf ich Sie nicht mehr necken? Deshalb bin ich doch eigens nach London gezogen – damit ich Sie wieder ein bisschen necken kann.“
Schon in der Anrede spiegelt sich das ungleiche Verhältnis zwischen den beiden Künstlern wider: Während Canetti Motesiczky duzt, spricht sie ihn zeitlebens mit Sie an – und markiert so ihre Verehrung für den Mann, den sie als ihr intellektuell überlegen bewundert. Warum sie ihn „Pio“ nennt, ist unbekannt; sein Kosenamen für sie, „Muli“, dürfte eine – bezeichnende – Verkürzung ihres Vornamens Marie-Louise sein. Tatsächlich war Motesiczky, die einer der vornehmsten jüdischen Familien Wiens entstammte, so etwas wie Canettis treu wartendes, sogar lange auf ein Kind von ihm hoffendes Maultier. Während er ihr mit seiner legendären Eifersucht noch hinter Büschen auflauerte, wies sie jeden anderen Verehrer ab. Als einer sich das Leben nahm, war Canetti herzlos genug, ihr die Schuld dafür zu geben.
Kennengelernt hatten sich die beiden Flüchtlinge aus Wien erst 1940 im Londoner Exil. Wenig später trafen sie sich auf der Flucht vor deutschen Bombenangriffen in Hampstead wieder und wurden ein Paar. Auch Veza Canetti war anfangs mit der Malerin befreundet. Veza, Canettis Gattin, tolerierte als mütterliche Hauptfrau eines wachsenden Harems das Treiben ihres Mannes, ging aber bald schon auf Distanz zur jüngeren Rivalin, was die Malerin lange kränkte: „Das was im Anfang war und zwar: dass ein wunderbarer beinahe allwissender Mann gerade mich ausgesucht hat um mich für immer zu sich zu nehmen, – dass er mich besser und reiner und stärker machen will – dieses Gefühl ist im Grunde nie vergangen. Und selbst in den bittersten Kränkungen und Zweifeln ist alles doch nur deshalb so schwer weil ich immer noch meine es müsse so und nicht anders sein. […] Sehen Sie – dass die Vesa [!] nicht wirklich grosszügig zu mir ist, sondern nur anscheinend und in Worten und dass Sie darin auf ihrer Seite stehen (bei Ihnen aus sehr komplizierten Gründen) das ist schwer zu ertragen. Ich glaube das ich dazu geschaffen wäre, zu einer ersten Frau liebevoll und ehrerbietig zu sein.“
Motesiczky war nicht die einzige, die dem äußerlich nicht gerade attraktiven Canetti verfiel. Mit seiner psychischen Macht konnte er Frauen für immer „stempeln“, um es in seinen Worten zu sagen. Neben der Malerin gab es noch die aus Wien stammende Friedl Benedikt und die englische Autorin Iris Murdoch. Von letzterer malte Motesiczky in Canettis Auftrag eines ihrer bedeutendsten Porträts.
Marie-Louise von Motesiczky war eben nicht nur Canettis „Muli“, sie war auch sein bewunderter „Maler Mulo“, von dem jedes Bild, wie er ihr prophezeite, in die Geschichte der Malerei eingehen würde. Er sollte Recht behalten. Dem Maler Mulo – dem männlichen Künstler im Weib – machte Canetti unermüdlich Mut, wenn Motesiczky einmal wieder an ihrer Kunst zweifelte. Ein ums andere Mal rief er diese große Schülerin Max Beckmanns, die es mit ihren lyrisch-expressiven Werken zur Blütezeit der abstrakten Kunst schwer hatte, zum Malen auf. Ihre Bilder ließ er immer gelten – auch dann, wenn er einmal wieder seinen alttestamentarischen Zorn über seine Geliebte ergoss. Anlässe, sich gekränkt zu fühlen, gab es für ein „Genie“ naturgemäß viele: „Die schönste und beste Zeit zwischen uns war die, als Du wirklich und ernsthaft an meinem Werk beteiligt warst, denn da wusste ich, dass Du mich liebst. Du bist nie dazu ,gezwungen’ worden, wie Du später in einem Augenblick zerstörenden Schwachsinns gesagt hast. Gezwungen hat Dich Dein Gefühl für mich und vielleicht auch die Einsicht, dass Du es mit dem Lebenswerk eines der gewaltigsten Geister zu tun hast, die je gelebt haben. Das bin nämlich ich, falls Du es vergessen hast. Wenn Du Dich ein wenig dazu gekriegt hättest, im Manuskript zu lesen, das sieben Jahre!!!!! bei Dir lag (seit dem Herbst 1950), statt Aufsätze von Kretins über Deine eigene Kunst, in der Du ein Meister bist, zu lesen und zu kommentieren (!!!), wärst Du nie so in die Irre gegangen: Du hättest nie vergessen, wer ich bin, und Du hättest auch nicht das kostbarste und schönste Gefühl Deines Lebens, das für mich, so gefährden können.“
Den „Maler Mulo“ bewunderte Canetti nicht zuletzt für seine Beobachtungsgabe, die sich auch in Motesiczkys Briefen voller Sprachlust und Witz widerspiegelt. Heute gelten ihre Porträts, darunter zahlreiche von Canetti, als der bedeutendste Teil ihres Werkes. Lange Jahre, in denen sie auf den Schriftsteller wartete, war sie an ihr Londoner Haus gefesselt, weil sie ihre betagte Mutter pflegen musste. Und schuf eindrucksvolle Bilder der bettlägerigen, fast kahlen alten Dame, die 1978 mit 96 Jahren starb. Verglichen mit Motesiczkys anrührenden Kunstwerken wirken Canettis Lamenti über seinen Erzfeind, den Tod, nur wie lächerlicher Egozentrismus: „Ich kann hier keine alte Frau sehen, ohne in Schreck zu erstarren. Wie haben es alle gemacht, dass ihre Mütter noch leben. Bin ich das einzige Monstrum auf dieser Welt. Hab ich so viel über den Tod geredet, nur um ärger zu versagen. Hat Gott den Augenblick gewählt, indem er mich am tiefsten treffen konnte. Wieviel Menschen habe ich, die ganz für mich da sind? Einen? Keinen? Kannst Du es sein? […] Warum bist Du mit dem langen Leben Deiner Mutter belohnt worden und ich nicht? Bin ich so viel schlechter als Du? Ich habe es nicht gewusst. Ich habe nichts gewusst.“
Motesiczkys Hoffnung, Canetti würde sie nach dem Tode Vezas 1963 heiraten, erfüllte sich jedoch nicht. Tatsächlich entzog er sich ihr, während sein literarischer Ruhm wuchs, mit seinen Reisen durch Europa immer mehr. Er wurde zu einem, wie sie einmal klagte, „Liebhaber ohne Adresse“, durfte sie ihm doch nur noch postlagernd schreiben. Nur durch Zufall erfuhr sie 1973, dass Canetti schon seit zwei Jahren wieder verheiratet war, mit der Kunstrestauratorin Hera Buschor, und sogar Vater einer Tochter geworden war. Ein Verrat, den ihre Freundschaft zwar überstehen sollte, nicht aber ihre Liebe: „Ich war nie ein eifersüchtiger oder besitzergreifender Mensch – aber nun mit 67 Jahren bin ich durch das was geschehen ist – wie eine schreckliche giftige Einspritzung – eine Injektion von fremden Stoffen – sehr erkrankt. Ich bin so verzweifelt dass ich das Kindchen nicht lieben darf – dass es nicht meines ist […] Manchmal meine ich Sie wissen nicht wie einer Frau zumute ist wenn der eine Mensch kommt von dem sie glaubt an diesem kleinen Tisch bei dieser Lampe – wenn sie die Teller hinstellt, da ist’s am besten. Alle Fröhlichkeit des Tages und das Gelingen hängt davon ab.“
Marie-Louise von Motesiczky starb 1996 im Alter von fast 90 Jahren in London.
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