Jonathan Moss befasst sich in seiner 2019 erschienenen Studie mit den Beweggründen, Erfahrungen und politischen Identitäten von Frauen, die zwischen 1968 und 1985 in industriellen Streiks im Vereinigten Königreich aktiv waren. Der zeitliche Rahmen ist bewusst gewählt: Die 1970er-Jahre werden als eine Zeit der Arbeitskämpfe beschrieben, in der gewerkschaftliche Organisation und Streiks neue Höhen erreichten. Zugleich stellte diese Zeit aber auch eine Periode dar, in der die britische Frauenbewegung an Fahrt gewann. Von Frauen ausgerufene und organisierte Arbeitskämpfe werden als zentrale Momente betrachtet, in denen Arbeiterinnen Durchsetzungsfähigkeit demonstrieren, gegen ungleiche Geschlechterordnungen protestieren und ein größeres Mitspracherecht in der Organisation ihrer Arbeit verlangen konnten. Die zunehmende Präsenz von Frauen in den Fabriken bildet den sozialgeschichtlichen Ausgangspunkt der Studie, der Equal Pay Act von 1970 und der Sex Discrimination Act von 1975 die zentralen politischen Meilensteine, die nicht nur eine Folge dieser Proteste darstellten, sondern auch immer wieder Zündstoff für weitere Arbeitskämpfe lieferten.
Moss kombiniert für seine Untersuchung Oral History, die Analyse von Archivbeständen, vor allem der relevanten Gewerkschaften, sowie von Zeitungen und Zeitschriften. Sein erklärtes Ziel ist es, Einblicke in die Erfahrungen von Frauen mit Arbeitsprotesten zu geben und das Verhältnis von Feminismus, politischen Aktivismus am Arbeitsplatz und Gewerkschaftsarbeit zwischen 1968 und 1985 besser verstehen zu können. Er interessiert sich dabei insbesondere dafür, wie seine weißen, sich der working class zugehörig sehenden Interviewpartnerinnen ihre politische Mobilisierung begründen. Um ein zentrales Ergebnis vorweg zu nehmen: Moss arbeitet überzeugend die wichtige Rolle heraus, die das jeweilige private Umfeld und das konkrete Arbeitsumfeld für die Politisierung der Interviewpartnerinnen spielte. Damit reiht sich seine Untersuchung in eine zunehmende Anzahl von Studien ein, die den Geschlechteraspekt der britischen Arbeitsproteste der 1970er- und 1980er-Jahre betonen.1
Das Buch ist in fünf Kapitel gegliedert: Ein sozialgeschichtliches Hintergrundkapitel, das die notwendigen Informationen zur Einordnung der jeweiligen Beispiele liefert, bildet den Einstieg; vier Kapitel mit je einer Fallstudie folgen. Im Einstiegskapitel konstatiert Moss eine steigende Anzahl von Frauen in der Erwerbswelt nach 1968, wobei dies aber nicht impliziere, dass Männer und Frauen gleichbehandelt worden seien. Vielmehr sei die wachsende Kritik an der ungleichen Behandlung der Geschlechter am Arbeitsplatz als Teil einer größeren Neubewertung von Geschlechterrollen zu verstehen, die seit der Nachkriegszeit in Großbritannien abgelaufen sei. Das Verhältnis der streikenden Frauen zu Gewerkschaften und Frauenbewegung sei dabei nicht unkompliziert gewesen: Während sich die Gewerkschaften lange gegenüber Frauen in ihren Reihen abwertend verhalten und auch bei den durch Frauen initiierten Streiks nicht immer unterstützend eingegriffen hätten, habe das Women's liberation movement als mehrheitliche Bewegung der weißen Mittelklasse Probleme gehabt, die streikenden Frauen für ihre Sache zu gewinnen.
Diesem Überblick folgen vier Teilkapitel, die sich je einem Arbeitskampf widmen: zunächst der Streik der Maschinennäherinnen in den Ford-Werken in Dagenham 1968, der Streik in den Trico-Werken in Brentford 1976, die Blockade der Schuhfabrik Sexton im Jahr 1972 und die anschließende Gründung der Kooperative Fakenham Enterprises sowie ein erneuter Streik der Maschinennäherinnen in den Ford-Werken in Dagenham 1984/85. Moss arbeitet sorgfältig die unterschiedlichen Nuancen der Streiks heraus: So sei Dreh- und Angelpunkt der Streiks in Dagenham beide Male die Eingruppierung der Näherinnen in eine höhere Gehaltsgruppe gewesen, während es im Arbeitskampf in den Trico-Werken direkt um Entgeltgleichheit gegangen sei. In den Protesten in Fakenham sei es hingegen um den Erhalt von Arbeitsplätzen und den Konflikt mit der zuständigen Gewerkschaft gegangen.
Moss will den Streikenden ihre Handlungsmacht wiedergeben: Er versteht ihre Streiks nicht allein als Resultat feministischer Agitation und verstärkter gewerkschaftlicher Organisation, sondern als Ausdruck der wirtschaftlichen und sozialen Bedeutung ihrer Arbeit sowie als Zeichen ihrer Selbstbestimmung. Zugleich sollen etablierte populäre Narrative, die die gemeinschaftsbildende Funktion der Proteste aus der nostalgischen Rückschau betonen, mit den individuellen Erinnerungen der Frauen kontrastiert werden, um zu einem stärker nuancierten Verständnis der Proteste zu gelangen. Für dieses Ziel ist sein Zugang gut gewählt: Gerade der Streik der Näherinnen im Ford-Werk in Dagenham im Jahr 1968, der durch den Film Made in Dagenham aus dem Jahr 2010 und dem darauf aufbauenden Musical popularisiert wurde, erscheint dadurch in neuem Licht.
Moss moniert, dass weder Film noch Musical die Auswirkungen des Arbeitskampfs auf die Streikenden thematisiert hätten. Während der Film den Streik als Meilenstein der Entgeltgleichheit von Frauen und Männern feiert, sei der Arbeitskampf jedoch genau deshalb von den beteiligten Frauen vor allem als Niederlage gedeutet worden. Denn die Näherinnen hatten die Anerkennung ihrer Kompetenzen verlangt, die eine Einordung in eine höhere Gehaltsgruppe erfordert hätte. Diese Forderung sei jedoch von den männlichen Gewerkschaftsführern unter den Tisch fallen gelassen worden. Dadurch, dass sie „nur“ eine Gehaltserhöhung unter der Maßgabe der Entgeltgleichheit erhielten, nicht aber eine neue Eingruppierung, hätten sie offiziell weiterhin als weniger qualifiziert als die männlichen Arbeiter gegolten. Damit seien trotz angehobenem Lohn die zentralen Forderungen der Streikenden nicht erfüllt worden.
Bei der Lektüre des Bandes bleiben allerdings Fragen methodischer Art offen: Auch wenn in der Einleitung die Chancen und Probleme der Oral History eingehend thematisiert werden, wäre doch gerade in den Kapiteln der Fallstudien – quasi am Ort des Geschehens – stellenweise mehr Reflexion über den Konstruktionsakt des Erinnerns wünschenswert gewesen. Zwar wird vereinzelt auf die Bedeutung aktueller Debatten für die Bewertung der Vergangenheit hingewiesen, eine konsequente Kritik bleibt jedoch aus. Zudem erscheint das Sample, auf das der Autor seine Teilstudien aufbaut, mit zwei bis vier Interviewpartnerinnen pro Arbeitskampf als Basis für eine kritische Überprüfung etablierter Narrative über die jeweiligen Streiks zuweilen eher schmal.
Dennoch: Gerade durch den Blick auf eine Zeit, in der sich die Strukturen der Erwerbsarbeit grundlegend änderten, eröffnet die analytische Perspektive neues Potenzial, Praktiken der Sinnstiftung in den Blick zu nehmen. Dabei bietet sich eine geweitete thematische Ausrichtung durchaus an. Moss selbst räumt seinen Fokus auf Frauen der weißen Arbeiterklasse als ungewollte Beschränkung ein. Ein umfassendes Projekt, in dem unterschiedliche Formen der Sinnbildung von Arbeitsprotesten anhand unterschiedlicher Akteursgruppen nach den Kategorien Ethnie, Klasse und Geschlecht konsequent analysiert werden, erscheint nach der Lektüre des Bandes ein lohnendes Unterfangen. Gerade hier könnte sich eine doppelte zeitliche Perspektive – die Deutung zur Zeit der Interviews, Dekaden später, und zur Zeit des Geschehens – ebenso wie Moss‘ Ansatz, nationale Narrative mit lokalen Deutungen zu kontrastieren, fruchtbar erweisen. Der gut lesbare Band liefert einen anschaulichen Einstieg in ein Feld, aus dem in Zukunft noch mehr Forschungen zu erwarten sind.
Anmerkung:
1 Vgl. beispielsweise Florence Sutcliff-Braithwaite / Natalie Thomlinson, National Women against Pit Closures. Gender, trade unionism and community activism in the miners’ strike, 1984–5, in: Contemporary British History 32 (2018), S. 78–100; Carol Stephenson, Pies and essays. Women writing through the British 1984–1985 coal miners’ strike, in: Gender, Place & Culture 20 (2013), S. 218–235.