Die Zahl geschichtswissenschaftlicher Veröffentlichungen zu Jugendbewegungen des 20. Jahrhunderts auch im östlichen Europa ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen.1 Sándor Horváth bereichert diese Forschungslandschaft nun um einen weiteren Beitrag: Ausgehend von einem Gerichtsprozess gegen eine 1969 verhaftete, lose zusammenhängende Gruppe Jugendlicher zeichnet er gesellschaftliche Diskurse über Jugendliche im sozialistischen Ungarn der 1960er-Jahre nach. Anhand der angeblichen Hooligan-Gang legt er dar, wie Polizei, Presse, Jugendhilfe und staatliche Jugendorganisationen zusammenarbeiteten, um ein Narrativ über missliebige Jugendsubkulturen zu konstruieren. Horváth zeigt, wie die staatlichen und jugendlichen Akteur:innen in einen gesellschaftlichen Diskurs eingewoben waren, der einerseits staatssozialistische Verhaltensnormen für Jugendliche formulierte beziehungsweise abweichendes Verhalten markierte, andererseits der fortlaufenden Rechtfertigung bestehender Machtverhältnisse diente.
Der antisowjetische, blutig niedergeschlagene Aufstand 1956 führte der ungarischen Staatspartei die Notwendigkeit neuer Legitimations- und Herrschaftsformen nach dem Ende des Stalinismus deutlich vor Augen. Die staatlichen Institutionen verließen sich fortan nicht mehr allein auf Zwang und Repression zur Durchsetzung ihrer Politik. Alles, was die gesellschaftliche Ordnung potenziell bedrohte, wurde zum Feindbild erklärt. Ähnlich wie in westlichen, aber auch sowjetischen (Fach-)Diskursen wurde in diesem Zusammenhang Jugendlichen eine erhöhte Gewaltbereitschaft zugeschrieben; man erklärte sie zu Erben der „Konterrevolution“ von 1956. Durch die heraufbeschworene Angst vor neuer Instabilität, so Horváth, erhoffte sich das Regime gesellschaftliche Unterstützung. Polizei, Jugendhilfeinstitutionen (Jugendamt sowie Kinder- und Jugendheime) und sozialistische Presse beteiligten sich an diesem Diskurs und legitimierten damit auch ihre eigenen Machtpositionen.
Horváth beginnt mit einer Schilderung des sogenannten „hippie strolls“ im Juli 1969. Dem Gedenken an den verstorbenen Rolling Stones-Gitarristen Brian Jones hatten sich achtzig bis hundert Teilnehmer:innen angeschlossen, von denen Zeug:innen später behaupteten, sie hätten ein nationalsozialistisches deutsches Militärlied gesungen (Horváth selbst hält eine obszöne ungarische Version desselben Liedes für wahrscheinlicher). Vier von ihnen wurden noch am Veranstaltungsort festgenommen, der Rest floh. Die Sicherheitskräfte übergaben die Festgenommenen an die Politische Abteilung der Polizei, die daraufhin Akten für über hundert Jugendliche anlegte, die sie als „Hooligans“ und Mitglieder einer „Gang“ klassifizierte. Im Februar und April 1970 wurden insgesamt zehn dieser Jugendlichen von einem Gericht wegen „staatsfeindlicher Anstiftung“ zu Hafturteilen von acht Monaten bis zwei Jahren verurteilt, die sie aufgrund einer Amnestie anlässlich des 25. Jahrestages der sowjetischen Befreiung Ungarns jedoch nicht vollständig verbüßen mussten.
Die festgenommenen Jugendlichen – so Horváth – „had simply been enjoying youthful abandon (and committing some petty crime)“ (S. 3). Als politische Akte hätten sie ihr Verhalten selbst nicht interpretiert; ihr Interesse habe in erster Linie westlicher Mode und Musik gegolten. Bereits vor ihrer Verhaftung nahmen sie wahr, wie sozialistische Jugendzeitschriften sie und andere arbeitslose Jugendliche darstellten, die sich an bestimmten, als gefährlich gebrandmarkten Orten Budapests trafen. Das, was sie über sich lasen, inkorporierten sie in ihre Identitätskonstruktionen und identifizierten sich dabei vorrangig mit ihrer Charakterisierung als „dropout“ (S. 184). Der politischen Diffamierung ihrer Praktiken schenkten sie zunächst kaum Aufmerksamkeit.
Der Prozess 1970 trieb die Zuschreibung der Staatsfeindlichkeit auf die Spitze: Der Jugendlichen per se attestierten Gewaltbereitschaft fügte er die Chiffre 1956 hinzu, wonach westlich-imperialistische sowie nationalistische Kräfte Jugendliche aus prekären Verhältnissen zum Aufstand angestiftet hätten. Als Begründung nutzte die Anklageschrift das angeblich gesungene nationalsozialistische Militärlied. Laut Horváth übernahmen die Jugendlichen in der Folge allmählich die politische Interpretation ihres Verhaltens und wandten sich teils immer radikaleren Ideen zu, auch im nationalistischen Spektrum.
Diese Argumentation entwickelt Horváth in neun Kapiteln. In The Hippie Stroll und The Trial: Casting beschreibt er zunächst Lebenswege und Festnahme der Angeklagten sowie das über sie konstruierte Narrativ staatsfeindlicher Hooligans. Polizei- und Gerichtsquellen zufolge bedingten die dysfunktionalen Familien der Angeklagten ihre staatliche Inobhutnahme in Kindheit und Jugend und prädestinierten sie für politisch motivierte Straftaten. Ausgehend von diesem Narrativ untersucht Horváth in How Hooligans Are Made, wie gerade Jugendliche, die staatlich formulierte Verhaltensnormen verweigerten, im öffentlichen Diskurs zunehmend als gewaltbereit und staatsfeindlich dargestellt wurden. Horváth verweist hier auf ähnliche Kriminalisierungstendenzen in sozialistischen und kapitalistischen Gesellschaften seit den 1950ern, wobei das ungarische Vorgehen vor allem in der Regierungspropaganda über 1956 wurzelte.
In den darauffolgenden Kapiteln (Youth Protection; The Police and Uses of Urban Space; The Socialist Tabloid Press) fächert Horváth die Hauptakteur:innen des Jugenddiskurses auf und zeigt, wie sich Sicherheitsorgane, Jugendhilfe und Presse daran beteiligten. Kinder- und Jugendheime glichen ihm zufolge eher „correctional institutions“ (S. 94) als sicheren Zufluchtsorten. Sowohl Jugendhilfe als auch die verschiedenen Polizeiorgane erklärten nonkonforme Jugendliche zum Sicherheitsrisiko für die soziale Ordnung und kooperierten laut Horváth deshalb in Kontrolle und Überwachung der Jugendlichen. Im Einklang mit der kriminalisierenden Darstellung von Jugendlichen wurde auch der Raum, in dem sie sich bewegten, als Ort der Destabilisierung gesellschaftlicher Ordnung angesehen. So präsentierte die Polizei Budapest als „opposition between chaos and order, a place where law-abiding citizens came into conflict with hooligans“ (S. 143) und rechtfertigte auf diese Weise Überwachungsmaßnahmen und Interventionen im öffentlichen Raum. Die sozialistische Presse griff dieses Narrativ propagandistisch auf. Ihr zum Vorteil gereichte dabei die Beliebtheit von Kriminalgeschichten und -berichterstattung: Solche Erzählungen befriedigten zum einen die Vergnügungslust des Publikums und transportierten zum anderen Ideologie und moralische Normen der Regierung.
Die Kapitel 7 (Protest in a Diary), 8 (Girl in the Gang) und 9 (Memory) befassen sich schließlich mit den Subjekten des analysierten Diskurses, den Jugendlichen selbst. Kapitel 7 stellt insofern eine Besonderheit dar, als Horváth anhand eines Tagebuchs die Stellungnahmen eines der Angeklagten selbst analysieren kann. Wie genau Jugendliche sich in ihren Identitätsbildungsprozessen zu den öffentlichen, das heißt staatlich sanktionierten Diskursen verhielten, ist aufgrund mangelnder Quellen schwierig nachzuvollziehen. Umso spannender ist das besagte Tagebuch, aus dem hervorgeht, wie Jugendliche Aspekte ihrer medialen Darstellung internalisierten und die ihnen in der Presse zugeschriebenen Eigenschaften sogar zum stilgebenden Muster machten. Dies bestätigt auch Kapitel 9, das sich mit der Erinnerung der ehemals Angeklagten an die Ereignisse befasst: Die Diffamierung als staatsfeindliche Hooligans bewirkte, dass sie Jahre später von einer politischen Subkultur sprechen, obwohl sie sich in den 1960ern politisch desinteressiert gezeigt hatten.
Kapitel 8 widmet sich der Rolle von Gender in der Konstruktion des Gang-Narrativs. Dabei weist Horváth auf eine Einschränkung hin: Mädchen und Frauen würden in den Quellen kaum erwähnt. „[I]t is as if the youth problem was primarily a problem for young men.“ (S. 11) Mit dem Kapitel greift er diese Leerstelle zwar auf, arbeitet aber nicht klar heraus, inwiefern das staatliche Vorgehen gegen eine junge Frau oder der Jugenddiskurs von spezifischen Weiblichkeits-Vorstellungen und -Normen geprägt war. Weil zudem die Auseinandersetzung mit Gender-Identitäten eine grundlegende Rolle in der Identitätsbildung von Jugendlichen spielt, wäre es lohnend gewesen, auch in den Kapiteln zu Polizei, Jugendhilfe und Presse konsequent die Frage nach Gender-Perspektiven zu beleuchten, anstatt diesen Aspekt in ein eigenes Kapitel auszulagern.
Horváth legt eine gelungene Untersuchung vor, die vor allem durch den Ansatz überzeugt, zunächst die biografischen Hintergründe der verhafteten Jugendlichen und die Anklage gegen sie zu betrachten und davon ausgehend Diskursinhalte und -beteiligte aufzufächern. Deren handlungsleitende Motive und Zwänge arbeitet Horváth systematisch, präzise, und immer unter Verweis auf internationale Zusammenhänge heraus. Überzeugend und lebendig erläutert er dabei auch, wie die Regierung mutmaßliche Verbindungen zu den „Konterrevolutionären“ von 1956 zur Rechtfertigung ihrer Maßnahmen heranzog, solange sich dies mit Erhaltung der sozialen Ordnung und Stabilität der gesellschaftspolitischen Verhältnisse legitimieren ließ. Selbst diejenigen, die 1956 noch Kinder waren, konnten zu Erben der ‚Konterrevolution‘ erklärt werden. Besonders leicht gelang dies augenscheinlich bei nonkonformen Jugendlichen, auf die weite Teile der Gesellschaft ohnehin mit Misstrauen blickten. Die systeminhärenten Konflikte, so zeigt Horváths Analyse, wurden hier durch die Statuierung eines Exempels an (konstruierten) „enem[ies] of the people“ (S. 2) kanalisiert und zur Stärkung bestehender Machtverhältnisse genutzt.
Der Argumentation liegt eine breite Auswahl an Quellen zugrunde. Neben Archivalien, durch den Autor geführten Interviews und populärkulturellen Quellen sticht besonders das erwähnte Tagebuch hervor, mit dem auch eine der sonst marginalisierten Stimmen Raum erhält. Unterstützt wird die Analyse durch eine Vielzahl zeitgenössischer Bilder, die illustrierend im Buch abgedruckt sind. Insgesamt handelt es sich bei Children of Communism um eine gut strukturierte Studie, deren englische Übersetzung über die Sprachbarriere des Ungarischen hinweghilft und deren Lektüre unbedingt zu empfehlen ist.
Anmerkung:
1 Beispielsweise Juliane Fürst / Josie MacLellan (Hrsg.), Dropping out of Socialism. The Creation of Alternative Spheres in the Soviet Bloc, Lanham 2016; Matthias Schwartz / Heike Winkel (Hrsg.), Eastern European Youth Cultures in a Global Context, Basingstoke 2016.