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Siegfried
Unseld, der Handlungsreisende |
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Titel, Rechte & Autoren Diese Reiseberichte sind l�ngst legend�r. In Unselds edierten Briefwechseln, beispielsweise mit Thomas Bernhard, Peter Handke, Wolfgang Koeppen und Uwe Johnson tauchen sie in den Fu�noten als Referenzen auf. Auch in den beiden "Chronik"-B�chern �ber die Jahre 1970 und 1971 sind einzelne abgedruckt. Daher kennt man einige Texte vielleicht schon, bisweilen aber, wie man �berrascht feststellt, bislang nur ausschnitthaft. Raimund Fellinger konzediert in seinem knappen, dreiseitigen Nachwort, die Subjektivit�t seiner Auswahl. Er weist darauf hin, dass die Reiseberichte im Laufe der Zeit immer mehr auch einen "semi-autonomen Charakter" entwickelten: Sie wurden von Unseld als eine Art Autobiographie angedacht. Freilich blieben sie immer interne Unterlagen, zirkulierten im Unternehmen. Die Weitergabe nach Drau�en war, wie Fellinger schreibt, "streng verp�nt". Der eigentliche Zweck solcher Berichte �Informationen und Anweisungen an die Mitarbeiter zu formulieren � wurde zunehmend sekund�r. Insbesondere zu den Reisen nach Japan, Israel, Mexiko und in das Moskau Ende der 1990er Jahre finden sich sehr viele touristisch-kulturgeschichtliche Bemerkungen, die heute, Jahrzehnte nach ihrem Entstehen, ihrerseits zeitgeschichtlichen Status beanspruchen k�nnen. Unselds Reisen waren aber keine Vergn�gungen. Die Berichte zeigen das immense Arbeitspensum des Verlegers. Immer geht es um "Pl�ne, Rechte, Autoren, Titel", �bersetzungen, Sammel- und/oder Gesamtausgaben, Neuentdeckungen bzw. Vervollst�ndigung von Werken. Unseld ruht sich nie auf seine Erfolge aus. Er ist von Anfang an auf Expansion gerichtet. Aber das Bewahren ist manchmal auch schwierig. Die Rechte-Situation bei Brecht ist fragil, voller Ausnahmen, und wird gleich zu Beginn zur Nagelprobe f�r den neuen Verlagsleiter. Einmal konstatiert er, dass im Raum "mehr Rechtsanw�lte als andere Leute" sitzen. Der Brecht-Dschungel. Als dann in den 1970er Jahren anl�sslich des Todes von Helene Weigel der Staat DDR die Brecht-Erben droht zu enteignen, bef�rchtet Unseld Schlimmes auch f�r den Verlag. Die fr�hen Paradepferde hei�en Brecht, Hesse, Johnson, Frisch, Benjamin, Adorno. Sie sind die "entscheidenden deutschen Autoren", auch im Ausland. Er will sie �bersetzt haben, mit ihnen die gro�en M�rkte erobern; englischsprachig vor allem. Aber von Beginn an erweiterte Unseld den verlegerischen Horizont �ber die deutschsprachige Literatur hinaus. Mal sind es die USA (bzw. New York), dann S�damerika, Osteuropa (Polen, Tschechoslowakei) oder Japan. Er trifft Schriftsteller, Agenten, �bersetzer, Rechteinhaber (und welche, die sich daf�r halten). Merkw�rdig f�r ihn, warum bestimmte Autoren beispielsweise in den USA nicht gefragt sind. So sind die St�cke von Frisch in den Staaten Ladenh�ter. Auch Verk�ufe der B�cher von Martin Walser und Ingeborg Bachmann sind in Amerika "schwierig". Gro� hingegen das Interesse zu Hesse, Brecht und sp�ter Habermas (letzterer sogar in Japan). Unseld ist stets sehr gut vorbereitet � die Flug- und Reisezeiten nutzt er zur Lekt�re. Weniges �berl�sst er dem Zufall und doch beh�lt er eine gewisse Spontanit�t. So mancher Name f�llt, der als Hoffnung ausgegeben wurde � und nie mehr geh�rt wurde. Oder es reichte nur zu einem Buch. Und manchmal klappt es einfach nicht wie etwa bei Murakami, der ihn "sehr �berzeugt" hatte. Immer auf der H�he Begr�bnisse spielen eine wichtige Rolle. Die Schilderungen der Beerdigungen von Hermann Hesse (er ist ganz aufgeregt, als er im Schreibtisch Hesses mit der Witwe noch Manuskripte entdeckt), Helene Weigel, Bohumil Hrabal und Hermann Lenz zeigen einen genauen Beobachter. Und sofort k�mmert sich Unseld um die Nachl�sse; das Gesch�ft muss weitergehen oder, wenn m�glich, expandieren. Was hat sich mit dem Tod des Protagonisten ge�ndert? Die Verhandlungen mit den Erben (meist Witwen) balancieren zwischen Piet�t, �konomie und den Interessen des Verlags. Besonders hier wird eine der zentralen Eigenschaften Unselds deutlich: Trotz seiner unb�ndigen Tatkraft und Zielorientiertheit wird er nie ungeduldig oder gar fordernd. Aber er ist stets hartn�ckig. Und er war immer auf der H�he der Zeit. Sechs Wochen nach dem Fall der Mauer reist er nach Ost-Berlin, um neue M�glichkeiten und Kooperationen zu eruieren. Als Wisława Szymborska 1996 den Nobelpreis erh�lt, besucht er Krakau und versucht die "scheue, sch�chterne, zur�ckhaltende" Frau f�r Lesungen im n�chsten Jahr in Deutschland zu gewinnen. Interessant, wie der Nobelpreis damals die Verkaufszahlen angekurbelt hatte. Auf das Wort von Georges Steiner von der "Suhrkamp-Kultur" war Unseld stolz. Vermutlich interpretierte er es als Beschreibung seines spezifischen Umgangsstils mit Autoren, �bersetzern und Rechteinhabern. Die Berichte zeigen mehr als nur einen Verleger. Er ist auch Lektor, feilt mit Uwe Johnson um jede einzelne �nderung und streitet mit Marianne Fritz stundenlang �ber Interpunktionen und Gro�schreibungen. Aber auch Beichtvater, Seelentr�ster, M�zen und gelegentlich auch Pr�gelknabe. Aber manchmal wird es selbst f�r den eloquenten und alerten Unseld zu viel. Das ist im Mai 1971, nach den Feierlichkeiten zum 60. Geburtstag von Max Frisch in New York. Die ganzen Tage bemerkte Unseld bei Frisch ein "gereiztes Schweigen", bis es dann pl�tzlich aus ihm herausbrach: Er war grandios ver�rgert, f�hlte sich "sch�big" behandelt und nicht ausreichend vom Verlag gefeiert. Frisch lie� seinem Zorn freien Lauf, k�ndigte Unseld die Freundschaft; er werde sich in Zukunft nur noch um Verlagsdinge mit ihm unterhalten. Unseld ist fassungslos und versuchte, seine "Verteidigungsposition" aufzubauen. Alles wird jetzt aufgerechnet, jedes Geschenk, jeder Brief, jede noch so indirekte Zuwendung. Frisch ist nicht zu bes�nftigen, auch nicht durch seine damalige Frau. Unseld spricht in sein Grundig-Diktaphon: "Was mu�te in diesen Mann gefahren sein? Gut, er hat ein Geschenk und eine Ehrung erwartet, aber kann man einem nicht-geschenkten Gaul ins Maul sehen? Und kann man sich wegen einer solchen Sache so erregen? Mir wurde wegen solcher Kleinlichkeit schlecht." Kurz zuvor hatte Frisch ihn gema�regelt, dass W�rter, die auf "-keit" enden, "falsch" seien. Am Ende ist selbst Unseld f�r einen kurzen Moment resigniert, dachte sogar daran, aufzugeben: "Auch ich habe ein Recht, nicht gedem�tigt werden zu wollen." "Keine andere Wahl" Irgendwie renkte es sich mit Frisch wieder ein, wie auch mit anderen Verlagsbeschimpfern. Zu wichtig war der Verlag f�r die Autoren geworden. Der Erfolg ist Unseld bisweilen selber unheimlich. In New York wird er Anfang der 1970er Jahre von Verlegern befragt, "wie es m�glich sei, eine solche anspruchsvolle Liste, wie sie der Suhrkamp Verlag habe, auch �konomisch durchzusetzen." Unseld kann das nicht beantworten. "Die vielen Fragen, die ich gerade in dieser Richtung erhielt, konnten fast dazu angetan sein, Zweifel in mir aufkommen zu lassen, ob uns unser Weg auf die Dauer m�glich ist. Doch ich glaube, da� wir gar keine andere Wahl haben." Es ist fast unvermeidbar, dass sich diese Frage heute stellt: Wie war es m�glich, dass Texte von Hermann Hesse, Bert Brecht, Max Frisch, Theodor W. Adorno, Peter Handke, Thomas Bernhard oder anderen Autoren Zigtausende Auflage erreichten? Und: Warum gibt es so etwas in dieser Form heute nicht mehr? Wer die Reiseberichte liest, kann mindestens eine Teilantwort finden: B�cher, sei es Prosa oder auch Sachb�cher (Benjamin, Habermas), hatten seinerzeit einen anderen Stellenwert. Sie besa�en Priorit�t: Auch wenn man nicht �bereinstimmte � es wurde gelesen, rezipiert, diskutiert. Es war ein Muss � wie heute (scheinbar) ein Netflix- oder Amazon-Prime-Abo, um �ber den neuen Serienhype informiert zu sein. Intellektualit�t galt nicht als elit�r, sondern als Lebensstil. Einige Texte Unselds bergen kleine �berraschungen. Etwa wenn von einem Treffen des Bundeskanzlers Ludwig Erhard und Journalisten und Intellektuellen (u. a. Ernst J�nger und eben auch Unseld) vom 23. Juli 1964 berichtet wird. Erhard, der durch seine Aussage gegen Hochhuth im Wahlkampf 1965 bis heute als Feind der Intellektuellen gilt, erscheint da in anderem Licht. Er bl�ht damals geradezu auf. Nachhaltige Wirkung hatte das wohl nicht. �berhaupt hat Unseld nie die N�he zur Macht gescheut. Mit Henry Kissinger ist er seit fr�hester Zeit befreundet und er nimmt dessen Vermittlungen gerne in Anspruch. Auch nimmt er an einem Staatsbesuch mit Bundespr�sident Herzog in Moskau teil. Hintergr�ndiges zu Jurek Becker und der Vermarktung der Serie "Liebling Kreuzberg" erf�hrt Unseld 1993 beim Besuch von Ulrich Plenzdorf, den man am liebsten, wie es ihm scheint, aus der Produktion entfernen m�chte. In einem Text von 1995 schildert Unseld seine Begegnung mit dem damaligen Schachweltmeister Anatoli Karpov in Baden-Baden (dass die Schachverb�nde damals gespalten waren und Garri Kasparow sich auch als Weltmeister betrachtete, l�sst Unseld au�en vor). Karpov spielte simultan mit 24 Personen, eine davon war Unseld. Der Text ist dahingehend interessant, weil er hier in einem Feld antritt, in dem er definitiv unterlegen ist. Die Schilderungen, wie er dies wahrnimmt und voller Stolz vermeldet 28 Z�ge durchgehalten zu haben, sind sehr erhellend. Am interessantesten sind allerdings seine Begegnungen mit Schriftstellern. Mehrmals sind Besuche bei Thomas Bernhard und Peter Handke abgedruckt; die Berichte zu Handke sind teilweise ausf�hrlicher wiedergegeben als im Briefwechsel, aber es gibt auch jetzt noch Auslassungen. Beide, Bernhard und Handke, geben einen Teil ihres Werkes an den Residenz-Verlag, was Unseld kr�nkt. Er will das Gesamtwerk und nicht mit Kollegen teilen. Imponierend die Texte zu Djuna Barnes (man m�chte sofort etwas von ihr lesen) und Amos Oz. Fr�h werden Hans Magnus Enzensberger und Alexander Kluge zu halboffiziellen Beratern (aber Unseld beh�lt immer die Kontrolle). Der gro�artigste Bericht ist die letzte Begegnung mit Samuel Beckett im Mai 1989 in Paris. Beckett ist gesundheitlich schwer angeschlagen und war umgezogen. Sein neues Domizil erinnert an ein Beckett-B�hnenbild und Unselds Beschreibung ist anr�hrend und ersch�tternd. Verlagsgeschichte ist Teil der Kulturgeschichte der Bundesrepublik Unseld entwickelte und erweiterte sukzessive ein Verlagsimperium. Aber auch dieser Noah auf der Verlagsarche Suhrkamp/Insel muss bisweilen eine Auswahl treffen. Beim Besuch bei Thomas Brasch 1993 beklagte Unseld, dass die Backlist ausged�nnt werden m�sse. Sie bestand damals aus 67 lebenden, j�ngeren deutschsprachigen Autoren. Wo f�ngt man an? Geht es nur um Autoren oder auch um B�cher? Als er Friederike Mayr�cker besucht, beschwert sie sich, dass etliche ihrer �lteren B�cher nicht mehr lieferbar seien. Unseld weist darauf hin, dass die neuen aber immer weiter erscheinen werden (das gilt gl�cklicherweise bis heute). Im Gegensatz zu den beiden "Chronik"-B�nden und den Briefwechseln Unselds mit seinen Autoren wurde hier auf Erl�uterungen in Form von Fu�- oder Endnoten vollst�ndig verzichtet. Das macht es bisweilen etwas schwierig. Wenn in einem Bericht �ber einen Thomas-Bernhard-Besuch von einem Prozess und einem potentiellen Vergleich die Rede ist, fehlt f�r den unkundigen Leser jegliche Information, dass es sich um das Skandalon des Buchs "Holzf�llen" handelt. Auch �ber die m�gliche "Enteignung" der Brecht-Erben in den 1970er-Jahren in der DDR gibt es keine Aufkl�rung. Nat�rlich kann man das alles im Internet nachschlagen, aber warum eigentlich? Die beiden neuen Ver�ffentlichungen � die Essays von Suhrkamp und Unselds Reiseberichte � sind nicht nur Dokumente einer Verlags-, sondern auch Teil der Kulturgeschichte der Bundesrepublik. Der Blick in die Vergangenheit zeitigt den Wandel, den diese Branche (und damit nat�rlich auch der Literaturbetrieb) in den letzten zwanzig Jahren durchgemacht hat. Einen Typus wie Unseld, der alles an sich zieht, gibt es heute nicht mehr, kann es nicht mehr geben, mindestens nicht mehr in dieser Dimension. Er w�rde zerrieben zwischen Meetings, �bersch�ttet mit Handyanrufen und m�rbe gemailt mit Manuskripten. Beim trauten Schwelgen im Vergangenen sollte man sich am Ende eine Passage aus einem Text von Peter Suhrkamp aus dem Jahr 1943 zu Herzen nehmen: "Der schwache Punkt in unserer Haltung ist das �bergewicht der Vergangenheit. Eine Geistigkeit, die nur aus der Vergangenheit lebt, ist immer gef�hrdet; jede Geistigkeit mu� in der Zukunft Anker werfen. Der konservative Geist in die Zukunft, das ist eine richtige Haltung." Und so w�nscht man dem Suhrkamp-Verlag, nicht ganz uneigenn�tzig weil man ja auch Leser ist, dass man auch weiterhin viele Anker in die Zukunft werfen m�ge.
Artikel online seit 24.06.20 |
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