Lange Zeit wurden Emotionen in Bildungsdiskursen ausgeblendet. Gef�hle beim Lehren und Lernen wurden als hinderlich betrachtet und damit aus diesen Zusammenh�ngen verdr�ngt. Ein rationaler Zugang zu Bildungsprozessen schien der einzig m�gliche Weg, um individuelle Entwicklungsprozesse voranzubringen. �bersehen wurden hierbei die lernf�rderlichen, aber auch lernhinderlichen Aspekte, die durch Emotionen das Lernen begleiten. In den letzten Jahren wurde diese Engf�hrung jedoch nicht zuletzt durch empirische Ergebnisse der Neurobiologie sehr stark in Frage gestellt. Hier setzt das Buch von Wiltrud Gieseke an, die davon ausgeht, dass Emotionen eine zentrale Bedeutung in Lernprozessen einnehmen, vor allem unter der Perspektive des lebenslangen Lernens. Regulierung von Emotionen ist hierbei ein herausragendes Thema f�r die berufliche Weiterbildung, weil f�r immer mehr Berufe bzw. Arbeitspl�tze Kompetenzen verlangt werden, in denen Emotionen grundlegend sind. Gieseke weist daher schon in der Einleitung des Buches auf die Bedeutung von Emotionen f�r lebenslanges Lernen hin und unterstreicht dies durch die Er�rterung einer interdisziplin�ren Perspektive auf die Bedingungen lebenslangen Lernens. Wichtig ist ihr dabei immer die Frage nach der beziehungstheoretischen Sichtweise.
Kapitel 2, das erste inhaltliche Kapitel, enth�lt einen historischen Zugang zum Thema �Bildung und Emotionen�, wobei zun�chst die Ver�nderungen im Bildungsdiskurs unter der Diskussionslinie des lebenslangen Lernens betrachtet werden. Hier stellt die Autorin dar, dass der Bildungsbegriff eine wechselhafte Auslegung erfahren und erst in den letzten Jahren wieder Einzug in die Weiterbildungsdiskussionen gehalten hat. Mit dieser Kehrtwende gelangte auch die Frage der Emotionen, die bislang immer vernachl�ssigt worden war, st�rker in die bildungstheoretischen �berlegungen hinein. Als Vertreter k�nnen hierbei Klafki oder von Hentig hervorgehoben werden, die den Emotionen beim lebenslangen Lernen eine prominente Rolle zuweisen. Ausschlaggebend war nicht zuletzt auch die Anerkennung der Emotionsforschung und der neurobiologischen Forschung, die das Primat der Kognition zugunsten der wechselseitigen Abh�ngigkeit emotionaler und kognitiver Prozesse aufl�sten. Damit wurde auch deutlich, dass �Bildung und lebenslanges Lernen [�] aus der Perspektive der aktuellen Emotionsforschung nur �ber eine entwickelte Emotionalit�t gelingen [k�nnen], da erst mit ihr eine differenzierte Bewertung von Situationen, Sachverhalten und Entwicklungen m�glich ist� (18). Zu dieser Sichtweise gelangt die Autorin �ber den historischen Zugang, indem sie aufzeigt, dass seit der Aufkl�rung Kognition und Emotion als Dualit�t aufgebaut wurden und dabei das Gef�hl als Gegenpol zum Verstand aus Lernprozessen ausgeklammert wurde, wenn es auch vereinzelt � beispielsweise durch Schiller � Ans�tze dazu gab, die rationale und die emotionale Entwicklung parallel zu betrachten.
Nach Gieseke wurde durch diese Einteilung auch die Ablehnung des Bildungsrechts f�r Frauen begr�ndet. Sie zeigt auf, wie weitreichend sich die moderne Bildungstheorie auf die Polarisierung der Geschlechter in der Gesellschaft st�tzte und im entstehenden B�rgertum die Vorstellung von m�nnlicher �berlegenheit, gebunden an die Ratio, mit weiblicher Nachrangigkeit aufgrund der Emotionalit�t von Frauen verbunden wurde.
In Erg�nzung dieser Analyse stellt die Autorin den Bildungsbegriff in der Erwachsenenbildung vor und zeigt auf, dass Erwachsenenbildung und Weiterbildung als eine �Institution der Demokratie� (37) entwickelt wurden und jede Bildungspartizipation das Ziel hat, individuelle Ver�nderungen und Entwicklungen voranzubringen: �Die Subjektentwicklung steht in der Bildungstheorie im Mittelpunkt, sie zielt auf individuelle Selbsterziehung und nicht auf die Gestaltung der Gesellschaft� (39). Im weiteren Verlauf wurde dem Bildungsbegriff der Erwachsenenbildung eine deutliche politische Dimension beigemischt, um Individuen in den Stand der eigenen Urteilsf�higkeit bringen zu k�nnen.
In den 1960er-Jahren wurde Erwachsenenbildung dann als Anspruch an erweitertes Weltverstehen in einer sich verwissenschaftlichenden demokratischen Gesellschaft betrachtet. Mit Meueler wurde in den 1990er Jahren des letzten Jahrhunderts der Bildungsbegriff der Erwachsenenbildung nochmals neu formuliert, wobei er die Widerst�ndigkeit des Subjekts und die Anerkennung des Eigenwillens hervorhebt, da hierin die Entwicklungspotenziale liegen. Der Blick auf die Beteiligung von Emotionen an Lernprozessen wurde letztlich erst in den vergangenen zehn Jahren mit der Rezeption systemisch-konstruktivistischer Ans�tze in der Erwachsenenbildung klarer.
Im dritten Kapitel beschreibt die Autorin Emotionen aus psychologischer und neurobiologischer Sicht. �ber die Darlegung unterschiedlicher Konzepte zur Struktur von Emotionen geht sie n�her auf Freude und Angst als Elemente von Bildungsprozessen ein und h�lt fest, dass intrinsische Lernmotivationen vorrangig durch positive Emotionen unterst�tzt werden k�nnen. Deutlich wird auch, dass emotionale Gestimmtheiten in Bezug auf Lernen sehr stark von schulischen Lernerfahrungen beeinflusst werden und diese aktiviert werden, wenn die Lernarrangements im Erwachsenenalter denen aus der Kindheit und Jugend �hneln. Schlie�lich beschreibt die Autorin aus der Sicht der Neurobiologie das Zusammenwirken von Emotionen und Kognitionen. Interessant sind hier vor allem die Darlegungen im Anschluss an die Frage, wie Emotionen aus der Kindheit nachwirken. Gieseke kommt hier zum Schluss, dass �Gef�hle, Empfindungen, Vernunft und Entscheidungen [�] in einem engen Zusammenhang� (77) stehen und Planungs- und Entscheidungshandeln im pers�nlichen und sozialen Handeln durch das enge Zusammenwirken von Emotion und Kognition erwirkt werden.
In Kapitel 4 stellt die Autorin grundlagentheoretische �berlegungen zum Erlernen und Ausdifferenzieren von Emotionalit�t in den Mittelpunkt, wobei sie davon ausgeht, dass sich lebenslanges Lernen nur dann realisiert, wenn das Individuum � abh�ngig von Emotionen � die F�higkeit ausbildet, �Frustrationen zu verarbeiten, sich Neues anzueignen, sich Neugierde zu erhalten, sich umzustellen und neu zu beginnen� (89). Lernen bzw. Lernf�higkeit ist also abh�ngig von einer ausgebildeten Beziehungsf�higkeit, die in der fr�hen Kindheit ihren Ausgang hat und sich in der Ausbildung emotionaler Kompetenzen �u�ert. Lernen, so Gieseke, scheint nur m�glich �ber �Beziehungsbr�cken� (121) und ist insofern schwer mit Selbststeuerung zu vereinbaren; denn gerade soziale Beziehungen sind in Bildungskontexten die Motoren, die Entwicklungspotenziale unterst�tzen k�nnen.
Das f�nfte Kapitel betrachtet Inhalte von Bildungs- und Personalentwicklungsprozessen n�her. Gieseke greift hier unterschiedliche arbeitsweltliche Bereiche heraus und beschreibt zun�chst f�r den Managementbereich, der sich mit Aufgaben wie F�hren, Leiten, Motivieren, aber auch Umgang mit Konflikten auseinanderzusetzen hat, wie Emotionen hier f�rdernd oder hemmend auf Arbeitsprozesse wirken k�nnen. Sie favorisiert eine �resonante F�hrung� (149), die Selbstregulierung und neue Kreativit�t bewirken kann. Als zweiten Bereich betrachtet sie Dienstleistungsberufe n�her und macht deutlich, dass den emotionalen Kompetenzen in Dienstleistungsberufen, die neben Verkaufen und Bedienen auch das Betreuen, Pflegen und Heilen einschlie�en, eine besondere Bedeutung zukommt.
Das letzte inhaltliche Kapitel 6 versucht die ausgebreiteten Perspektiven wieder zusammenzuf�hren und Impulse f�r die erwachsenenp�dagogische Anschlussforschung zu geben sowie eine relationale Didaktik auszuf�hren. Hierzu geht Gieseke von ihrer Grundthese aus, dass Beziehung eine notwendige Begleitung und immanente Bedingung des Lernens bzw. der Entwicklung von Lernpotenzialen darstellt. Dabei grenzt sie sich mit ihrer Vorstellung von Beziehung und Bindung von den konstruktivistischen Ans�tzen von Siebert und Arnold ab, die ihrer Ansicht nach mit dem Konzept der Autopoiesis und Freiheit der Individuen den Beziehungsaspekt vernachl�ssigen und diesen auch mit dem Begriff der strukturellen Kopplung nicht auffangen k�nnen. In der Folge f�hrt Gieseke die beiden Positionen jedoch wieder zusammen; denn �Lernen im Erwachsenenalter ben�tigt Konstellationen, die in Freiheit auf Beziehung und Bindung fu�en� (221). Gerade die Anwesenheit von Freiheit und Beziehungen l�sst in Bildungsprozessen die unterschiedlichen Emotionen zu und erm�glicht, dass sich die Individuen aktiv entwickeln k�nnen, denn �Freiheit und Beziehung verweisen auf Wechselseitigkeit, auf Austausch und Dialog und sie meinen Lernen als umfassenden Prozess� (222).
F�r die relationale Didaktik, die den Blick auf die Verbindung der Lehr-/Lernkonstellationen richten will, ist die Frage nach den Beziehungsformen und f�rdernden Lernkulturen von Bedeutung. Auch hier grenzt sich Gieseke wieder deutlich von Arnold und Siebert ab, die � so Gieseke � eine eher allein auf das lernende Individuum gerichtete Perspektive einnehmen. Aber nur in einer relationalen Lehr-/Lernkonstellation k�nnen Bildungsprozesse realisiert werden, indem Lehrende eine zu �individuellen Entscheidungen und Bewertungen f�hrende beziehungsstiftende Lernatmosph�re� (231) schaffen. Damit versucht die relationale Didaktik den Raum zwischen Lernenden und Lehrenden zu beschreiben, der die lern- und entwicklungsf�rderlichen Elemente enth�lt.
Insgesamt ist Wiltrud Gieseke mit dem Buch zum �Lebenslangen Lernen und Emotionen� ein �berblick �ber die aktuelle Diskussion um die Bedeutung von Emotionen in Lernprozessen gelungen. Es enth�lt sehr viele Details und differenzierte Analysen unterschiedlicher Konzepte zum Bildungsbegriff und zum emotionalen Lernen und wird durch umfangreiches Material im Anhang (Kapitel 8) erg�nzt. Ganz deutlich wird auch, dass Lernen und Lehren jeweils aufeinander bezogene Prozesse sind und die Perspektive auf das �Dazwischen� auszudehnen ist. Hier h�tte man sich aber gew�nscht, dass der Aspekt der strukturellen Kopplung, den sie bei anderen Konzepten als eine Engf�hrung auf eine individuelle Perspektive kritisiert, st�rker ausgearbeitet worden w�re. Auf diese Weise lie�e sich dann sicherlich die Anschlussf�higkeit des Konzepts der strukturellen Kopplung an die beziehungstheoretische Perspektive deutlich machen.
Das Buch eignet sich eher f�r eine fortgeschrittene Leserschaft, weil die Kenntnis vieler Konzepte vorausgesetzt wird und manche Diskussionsstr�nge nur angedeutet bzw. mehr als Exkurse eingef�hrt werden. Hierzu z�hlt auch der Rekurs auf die Genderperspektive, die gerade in den letzten Jahrzehnten viele lernhindernde Aspekte aufgedeckt hat. W�re diese Perspektive noch konsequenter im Verlauf der Ausf�hrungen einbezogen worden, so w�re deutlich geworden, dass mit dem Blick auf das Geschlechterverh�ltnis exemplarisch die beziehungstheoretische Sicht aufgezeigt werden k�nnte. Die Lesbarkeit lie�e sich durch eine noch etwas deutlichere Strukturierung des Buches optimieren. Hier helfen zwar die zahlreichen Schaubilder und Tabellen, allerdings bleiben sie leider ohne �berschriften, so dass sie nicht immer leicht zu verorten sind. Trotz dieser eher formalen Einschr�nkungen kann das Buch f�r die Ausarbeitung einer erwachsenenp�dagogischen Anschlussforschung empfohlen werden, wobei vor allem die Hinweise auf die noch nicht unternommene Analyse der emotionalen Ebene in unterschiedlichen Dienstleistungsberufen weiter verfolgt werden sollte.
EWR 7 (2008), Nr. 2 (M�rz/April)
Lebenslanges Lernen und Emotionen
Wirkungen von Emotionen auf Bildungsprozesse aus beziehungstheoretischer Perspektive
(Erwachsenenbildung und lebensbegleitendes Lernen, Bd. 8)
(Erwachsenenbildung und lebensbegleitendes Lernen, Bd. 8)
Bielefeld: Bertelsmann 2007
(280 S.; ISBN 978-3-7639-3331-0; 29,90 EUR)
Claudia G�mez Tutor (Kaiserslautern)
Zur Zitierweise der Rezension:
Claudia G�mez Tutor: Rezension von: Gieseke, Wiltrud : Lebenslanges Lernen und Emotionen, Wirkungen von Emotionen auf Bildungsprozesse aus beziehungstheoretischer Perspektive (Erwachsenenbildung und leensbegleitendes Lernen, Bd. 8). Bielefeld: Bertelsmann 2007. In: EWR 7 (2008), Nr. 2 (Veröffentlicht am 15.04.2008), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978376393331.html
Claudia G�mez Tutor: Rezension von: Gieseke, Wiltrud : Lebenslanges Lernen und Emotionen, Wirkungen von Emotionen auf Bildungsprozesse aus beziehungstheoretischer Perspektive (Erwachsenenbildung und leensbegleitendes Lernen, Bd. 8). Bielefeld: Bertelsmann 2007. In: EWR 7 (2008), Nr. 2 (Veröffentlicht am 15.04.2008), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/978376393331.html