EWR 6 (2007), Nr. 5 (September/Oktober 2007)

Georg Peez (Hrsg.)
Handbuch Fallforschung in der �sthetischen Bildung/Kunstp�dagogik
Qualitative Empirie f�r Studium, Praktikum, Referendariat und Unterricht
Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren 2007
(231 S.; ISBN 978-8320-0244-0; 19,80 EUR)
Handbuch Fallforschung in der �sthetischen Bildung/Kunstp�dagogik Das Handbuch steht in einer Reihe zahlreicher Ver�ffentlichungen des Herausgebers Georg Peez zur qualitativ ausgerichteten empirischen Forschung in der Kunstp�dagogik. Es ist in drei Abschnitte gegliedert, die mit Unterrichtsforschung/Wirkungsforschung, Erforschung �sthetischer Praxis und Rezeption und Professionsforschung �berschrieben sind. Die zusammengestellten Forschungsberichte bearbeiten nicht nur diverse Aspekte der �sthetischen Wahrnehmung und deren Anwendungen. Es ergeben sich aus der eingenommenen fachlichen Perspektive auch Antworten auf methodologische Fragen, die f�r die empirische Sozialforschung, im Speziellen f�r die Bildungsforschung, allgemein von Interesse sind. In Hinblick auf die Schule k�nnen die dargelegten Einblicke in �sthetische Erfahrungen f�r die professionelle Planung, Begleitung und Reflexion solcher Prozesse hilfreich sein. Zudem werden Aspekte des Bildungswerts der musisch-�sthetischen Unterrichtsf�cher empirisch erfasst. Entsprechend breit ist die potentielle Leserschaft dieses Handbuchs: So sind Studierende und Praktiker(innen) resp. Lehrende in der Kunstp�dagogik genauso angesprochen wie alle, die sich zu gegenw�rtigen Anwendungen wissenschaftlich-empirischer Forschung im Bereich der �sthetischen Bildung informieren wollen.

In der Einf�hrung entwickelt Peez eine klare Begrifflichkeit in puncto qualitativ empirische Fallforschung. Andreas Brenne setzt die in der Einleitung begonnene grundlegende Begriffsarbeit fort, indem er das im Rahmen der �Grounded Theory� als beispielhaft erachtete Prozedere gegenstandsorientierter Theoriebildung vorstellt. Er erg�nzt die methodengest�tzte Beobachtung um das Korrektiv einer Interpretation von Fotografien. Seine Fallanalyse gibt Aufschluss �ber einen Prozess der Selbstbildung, der durch eine offene Lernsituation m�glich wird. Hubert Sowa evaluiert ein f�cher�bergreifendes Unterrichtsmodell, in dem kunst- und theaterp�dagogische Arbeitsweisen zur F�rderung einer kompetenten Selbstdarstellung von Sch�ler(inne)n einer 7.Hauptschulklasse eingesetzt werden. Zur Analyse der erhobenen Interviews und Videoaufzeichnungen entwickelt er auf der Grundlage der ph�nomenologischen Hermeneutik und mit Bezug auf gegenw�rtig diskutierte kulturwissenschaftliche Ans�tze sowie auf solche der philosophischen �sthetik ein empirisches Methodeninstrumentarium. Hans-J�rgen Boysen-Stern verweist in seinem Beitrag auf die besondere Aufgabe, das Unsagbare und Unscharfe �sthetischer Erfahrungsprozesse in pluralen Konstellationen zu ber�cksichtigen. Er fokussiert dabei auf einen interaktiven, durch Zuf�lle generierten, kreativen, sogar multisensoriellen und ganzheitlichen Umgang von Sch�ler(inne)n mit dem Computer. Dabei finden hermeneutische und ethnomethodologische Ans�tze Anwendung, die der Verfasser auf das spezifisch kunstp�dagogische Moment �dialogischer Nachahmung� bezieht. Ulrike Stutz widmet sich der Dokumentarischen Methode, mittels derer das Moment k�rperlich vermittelter Konstruktion thematisiert wird. Das Moment der Generierung unterschiedlicher Perspektiven parallelisiert Stutz mit dem �dichten Schema� eines Bildes, aufgrund dessen Deutungen, die an es herangetragen werden, durchkreuzt und mit Neuem konfrontiert werden. Dieses �Ereignis� beschreibt sie als das Moment eines Bildungsprozesses. Christine Heil befasst sich mit Kartierungen als Formen einer individuellen Dokumentation der Erfahrungen von Sch�ler(inne)n mit Kunstwerken. Ausgehend von dem Befund, dass das kartierte �Territorium� und die Karte selbst nur in ihrer Wechselwirkung Sinn ergeben, hebt sie aus kunstp�dagogischer Perspektive auf Prozesse der Herstellung von Dokumenten und die Entwicklung von Aufzeichnungsformen ab. Christina Griebel rekonstruiert aus kunstp�dagogischem Blickwinkel und mit Rekurs auf semiotische und ph�nomenologische Ans�tze die Mechanismen �sthetischer Erzeugung und Dokumentation von Wahrnehmungsgegenst�nden. Niels Br�ggen und Anja Hartung evaluieren mithilfe des Ansatzes eines �Kontextuellen Verstehens der Medienaneignung� das Projekt MIXTOUR, das im Rahmen des bundesweiten Modellversuchs �Kulturelle Bildung im Medienzeitalter� (KUBIM) steht und darauf abzielt, Jugendlichen M�glichkeiten multimedialer (Selbst-)Pr�sentation zu bieten. Unter R�ckgriff auf die Methoden der �teilnehmenden Beobachtung�, der �schriftlichen Befragung� und der Bildanalyse befasst sich Constanze Kirchner explorativ mit der Frage, inwieweit das Zeichnen am Computer geeignet ist, Gestaltungsinteressen von Sch�ler(inne)n im �bergang zum Jugendalter aufzugreifen und zu entwickeln.

Mit dem Ziel einer �Erforschung �sthetischer Praxis und Rezeption� formuliert Georg Peez mit Bezug auf die Ans�tze von Wilfried Lippitz und Philipp Mayring Schritte einer ph�nomenologischen Analyse. Anhand einer Szene ersten Kritzelns eines 13 Monate alten M�dchens zeigt er auf, dass das zeichnerische Begreifen und Erfassen eines Gegenstandes mit Verstehen verkn�pft ist. Bettina Uhlig stellt eine Fallstudie vor, die auf einem Interview und auf Fotoaufnahmen einzelner Stadien der Entstehung einer Kinderzeichung beruht. Untersucht werden die Bildpr�ferenzen eines 7-j�hrigen Jungen, die an von ihm zeichnerisch festgehaltenen Erinnerungen an ein ausgew�hltes Bild abgelesen werden. Anja Mohrs Interesse gilt dem Prozess des Kritzelns eines 7-J�hrigen am Computer, den sie teilnehmend beobachtet. Zudem interviewt sie das Kind und thematisiert das Geschehene in einem �offenen Gespr�ch� mit demselben. Sie deckt auf, dass es sich bei dem Kritzeln um eine durchdachte Auseinandersetzung mit dem Medium Computer handelt. Kirsten Winderlich rekonstruiert die �sthetischen Erfahrungen eines M�dchens im Tanz sowie die damit verbundenen Transformationsprozesse anhand von Fotos und Zeichnungen, die dieses M�dchen erstellt hat. Mit Transformationsprozessen befasst sich auch Constanze Rora, die mit Bezug auf die �Grounded Theory� drei verschiedene Modelle zu Prozessen der Transposition resp. der �bersetzung von Musik in eine andere Ausdrucksform entwickelt. Johannes Kirschenmann trianguliert quantitative und qualitative Interviewverfahren, um Aspekten der Computernutzung Jugendlicher der 9. Jahrgangsstufe verschiedener Schularten auf die Spur zu kommen. Seine Analyse der qualitativen Erhebung erfolgt nach Ma�gaben der �qualitativen Inhaltsanalyse� und solchen der �sequentiellen Feinanalyse�. Es zeigt sich, dass die Resultate der quantitativen Erhebung durch die der qualitativen korrigiert werden. Georg Peez und Sandra Setzkorn widmen sich anhand von Fotos, die sie ikonologisch analysieren, dem Lebensgef�hl eines jugendlichen �Breakers� und kommen zu dem Ergebnis, dass erst die Gruppe Individualit�t m�glich macht.

Unter der �berschrift Professionsforschung rekonstruiert Andrea Dreyer anhand eines �leitfadengest�tzten Interviews�, mittels einer Analyse von Studien- und Ausbildungsbedingungen und in einem kommunikativen Abgleich ihrer Ergebnisse mit der beforschten Seminarleiterin f�r das Fach Kunst (2. Phase) die Abh�ngigkeiten zwischen ihrer Berufsbiografie und ihrem Professionsverst�ndnis. Andrea Sabisch analysiert lernbegleitende Notations- und Dokumentationspraktiken von Studierenden, so genannte Grafien, in Bezug auf die an diesen zutage tretenden Br�che und erg�nzt die Dokumentarische Methode um diesen Indikator. Eva Schmitt f�hrt ein autobiographisch-narratives Interview mit einer Studentin, um ihre Motivation zu ermitteln, einen k�nstlerischen Beruf anzustreben; das Selbstverst�ndnis der Studentin und Fremdeinfl�sse erweisen sich als ineinander verwoben.

Das Unternehmen einer empirischen Rekonstruktion �sthetischer Bildungsprozesse ist nicht von ungef�hr sehr jung. Die �sthetische Erfahrung ist als ein nicht-reflexives, k�rperlich vermitteltes, gewisserma�en sp�rendes Gewusstsein des jeweils Wahrgenommenen stark selbstbez�glich und zudem in sich vielf�rmig und mehrdimensional. Insofern entzieht sie sich Rationalisierungen weitgehend. Dies erschwert sowohl das didaktische Pr�disponieren wie auch das Methodologisieren von �sthetischen Bildungsprozessen. Die Bedeutung einer methodologischen Ber�cksichtigung des Moments des Unverf�gbaren, wie sie in dem vorliegenden Band in vielen verschiedenen Fassetten vorgestellt wird, geht aber noch weit �ber den Bereich der kunstp�dagogischen Forschungen und Anwendungen hinaus.
Anja Kraus (Ludwigsburg)
Zur Zitierweise der Rezension:
Anja Kraus: Rezension von: Peez, Georg (Hg.): Handbuch Fallforschung in der �sthetischen Bildung/Kunstp�dagogik, Qualitative Empirie f�r Studium, Praktikum, Referendariat und Unterricht. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren 2007. In: EWR 6 (2007), Nr. 5 (Veröffentlicht am 04.10.2007), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/83200244.html