sehepunkte - 7 (2007), Nr. 11

Yvonne zu Dohna: Canova und die Tradition. Kunstpolitik am päpstlichen Hof (= Italien in Geschichte und Gegenwart; Bd. 26), Bern / Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2006, 399 S., ISBN 978-3631551165, EUR 56,60

Rezensiert von:
Johannes Myssok
Institut für Kunstgeschichte, Westfälische Wilhelms-Universität, Münster

Die Forschung zur Wendezeit 'um1800' hat sich in j�ngerer Zeit geradezu in zwei Richtungen gespalten: W�hrend eine Richtung, in Deutschland vor allem durch Werner Busch, Werner Hofmann und Steffi Roettgen vertreten, zu K�nstlern, Werken und ihrer Bedeutung forscht, interessiert sich die andere Richtung vornehmlich f�r die Institutionsgeschichte, namentlich die Entstehung des Museums, die Rolle der Akademien und den Kunstmarkt. Dabei beansprucht die letztere, vor allem aus dem angels�chsischen Bereich kommende und sich meist auf Francis Haskell berufende Richtung eine st�rkere historische Fundierung und mithin eine sicherere Methode.

Die nun als Buch vorliegende Dissertation von Yvonne zu Dohna l�sst sich sicherlich zu der genannten zweiten, institutionsgeschichtlich orientierten Richtung z�hlen. Der vollmundige Titel "Canova und die Tradition" f�hrt zun�chst in die Irre, denn es geht hier keineswegs um Canovas Bezug zur bildhauerischen Tradition Italiens, sondern wie sich dann durch den Untertitel verr�t, um "Kunstpolitik am p�pstlichen Hof". Wie sich bei der Lekt�re erschlie�t, spielt der Titel letztlich auf die Versuche unter Pius VI. und unter Pius VII. - vom sp�ten 18. bis ins fr�he 19. Jahrhundert - an, wieder an die gro�e Tradition der Kunstf�rderung in der Hochrenaissance anzukn�pfen.

Die vierzehn Kapitel des Buches streben den Nachweis von Canovas zentraler Rolle innerhalb der p�pstlichen Kunstf�rderung an, die sich nicht nur in den Ausstattungskonzepten der neuen Museen wie des Museo Chiaramonti, der vatikanischen Pinakothek und des Braccio Nuovo zeige, sondern insbesondere auch durch Canovas Bedeutung f�r die Verteidigung und dann auch f�r die R�ckf�hrung des italienischen Kulturguts. Ein gro�es Thema, zu dem ein gewaltiger Literaturberg existiert, den Dohna umfassend zur Kenntnis genommen und verarbeitet hat. Die Hauptthese der zentralen Rolle Canovas ist allerdings nicht so neu und in der einschl�gigen Literatur l�ngst ein Gemeinplatz, weshalb sich nat�rlich die Frage stellt, inwieweit die vorliegende Arbeit �ber die bisherige Forschung hinausgeht, oder ob "Canova und die Tradition" nur eine lesbare Kompilation der teilweise disparat ver�ffentlichten Forschung darstellt.

Die hierf�r entscheidenden Kapitel sind die beiden abschlie�enden zur Errichtung und Ausstattung des Braccio Nuovo und zum Freskenzyklus des Museo Chiaramonti, die beide bereits Gegenstand umfassender Studien, zum Teil aus j�ngerer Zeit, waren. In der Analyse des musealen Konzeptes zum Braccio Nuovo kann Dohna �berzeugen. Auch ihre ausf�hrliche Kontextualisierung des p�pstlichen Projekts mit den neuen Antikenmuseen in Berlin und M�nchen profiliert schl�ssig den zeitgen�ssischen Rahmen. Problematisch wird es hier wie an vergleichbaren Stellen der Arbeit allerdings, wenn es um die Wertung von Werken und Projekten geht. So kann angesichts von Sterns Fassade des Braccio Nuovo kaum von der "eindrucksvollsten Fassade des Vatikans" (123f.) gesprochen werden, und auch die Bezeichnung des Fl�gels als "H�hepunkt des p�pstlichen M�zenatentums" (139) - in einem Atemzug mit dem Petersplatz - scheint eine groteske Verzerrung der Wertigkeiten, die darin gipfelt, dass der Braccio Nuovo �ber die Grande Galerie des Louvre gestellt wird. Die �bersch�tzung der eigenen 'Helden' ist sicherlich ein typisches Ph�nomen von Dissertationen, doch sollte dies nicht so weit gehen wie hier, wo schlie�lich Papst und Canova in ihrem 'Kunstwollen' gleichgeschaltet werden und das ikonographische Programm des Fl�gels - so weit man �berhaupt von einem solchen sprechen kann - nicht nur auf Canova zur�ckgef�hrt wird, was sicherlich in weiten Teilen korrekt ist, sondern dieses auch noch als Ausdruck des p�pstlichen Triumphes �ber Frankreich interpretiert wird. Die Komplexit�t und Finesse des feinf�hligen Aufstellungs- und Ausstattungsprogramms entgeht auf diese Weise der Analyse, ebenso wie die damit verbundene Konzeption k�nstlerischer Qualit�t, die in dem vermeintlichen Werk des am meisten bewunderten K�nstlers der Antike, Phidias - dem Zeus von Otricoli -, in der Exedra des Fl�gels gipfelte und keineswegs in einem Programm politischer Ikonographie.

Yvonne zu Dohnas Ausf�hrungen zum Freskenzyklus des Museo Chiaramonti kn�pfen an Hiesingers grundlegende Studie zum Zyklus an [1], die sie in der Erkl�rung der Kontexte wortreich erweitert, dabei aber genauso neuere Literatur zum bedeutendsten K�nstler des Zyklus - Francesco Hayez - ignoriert [2], wie sie das vielschichtige Problem der nazarenischen Malerei in Rom, das f�r die Freskenfolge entscheidende Bedeutung besitzt, nur oberfl�chlich abhandelt und dabei hinter den Forschungsstand von Hiesinger zur�ckf�llt. Denn so interessant die Ank�ndigung, mehr �ber Canovas Verh�ltnis zu den Nazarenern zu erfahren, zun�chst klingt, muss man leider feststellen, dass sogar bei Hiesinger wiedergegebene Belegstellen willk�rlich verk�rzt werden, um Canovas ziemlich widerspr�chliches Verh�ltnis zu den deutschen Lukasbr�dern positiv zu zeichnen.

Wie unverzichtbar der Bezug auf Werke auch f�r vermeintlich rein historisch argumentierende Arbeiten ist, zeigt sich vor allem an den genannten Problemen. Das Fehlen eines solchen Bezugs wird in Dohnas Arbeit leider sogar am Abbildungsteil ersichtlich, in dem nicht nur Canovas Sp�twerk, der Wiener Theseus erschl�gt den Kentaur als das Fr�hwerk Theseus als Sieger �ber den Minotaurus in London ausgewiesen wird (Abb. 3), sondern auch anstelle des Gipsmodells zur Religio f�r St. Peter in der Accademia di San Luca nur eine weitere Ansicht der Protestantischen Religion in Belton (Abb. 85 und 86) zu sehen ist, deren Unterschiede keineswegs nur marginal sind.

Yvonne zu Dohnas Buch bietet einen guten Einstieg in das umfangreiche Thema der p�pstlichen Kunstf�rderung in Rom zwischen ca. 1780 und 1830. Auch die zentralen Fragen der Kunstpolitik in den schwierigen Jahren der napoleonischen Hegemonie �ber Europa sind mit dem Schwerpunkt auf Rom angesprochen und werden in einer gesamteurop�ischen Perspektive diskutiert, wobei die Nationalisierung von Kunst und Museen deutlich konturiert wird. Die Studie leistet damit einen Beitrag zur Rehabilitierung dieser meist als Verfallszeit beschriebenen Kunstepoche in Rom.


Anmerkungen:

[1] Ulrich Hiesinger: Canova and the frescoes of Galleria Chiaramonti, in: The Burlington Magazine, 120, 1978, 655-665.

[2] Fernando Mazzocca: Francesco Hayez. Catalogo ragionato, Milano 1994.

Redaktionelle Betreuung: Ekaterini Kepetzis

Empfohlene Zitierweise:

Johannes Myssok: Rezension von: Yvonne zu Dohna: Canova und die Tradition. Kunstpolitik am päpstlichen Hof, Bern / Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2006, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 11 [15.11.2007], URL: <http://www.sehepunkte.de/2007/11/12181.html>