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Anästhesieforschung: Wie Propofol bewusstlos macht

Im Normalfall balanciert das Gehirn seine Aktivität auf einem schmalen Grat der Erregbarkeit aus. Messungen zeigen, was geschieht, wenn ein gängiges Betäubungsmittel ins Spiel kommt.
Im OP
Was letztlich die Bewusstlosigkeit auslöst, wenn ein Narkosemittel in die Blutbahn gebracht wird, ist noch immer nicht genau verstanden.

Im Umgang mit Narkosemitteln, etwa dem sehr verbreiteten Propofol, hat die moderne Medizin zwar ein enormes Erfahrungswissen angehäuft. Wie solche Mittel genau auf das Gehirn und seine Aktivität wirken, ist in Teilen allerdings bis heute unverstanden. So weiß man, dass Propofol an bestimmte Nervenzellen andockt und dadurch deren hemmende Wirkung auf die neuronale Aktivität im Gehirn verstärkt. Wie das zu Bewusstlosigkeit führen kann, untersuchte ein Forschungsteam um Ila Fiete vom Massachusetts Institute for Technology in Tierexperimenten. Ihr Fazit: Ja, Propofol fördere zwar die Hemmung der Hirnaktivität, sorge aber zugleich dafür, dass das Gehirn durch Übererregung in chaotischen Aktivitätsmustern versinke. Dadurch trete ab einem gewissen Punkt Bewusstlosigkeit ein.

Im Normalzustand operiert ihnen zufolge das Gehirn immer möglichst nah an der Schwelle zum Chaos – dort, wo die Erregungsausbreitung im System gerade noch durch die hemmenden Schaltkreise eingefangen werden kann. Das ermöglicht es dem neuronalen Netzwerk, schnell auf ankommende Reize zu reagieren. Die Erregungskaskaden breiten sich dann rasant über das Hirn aus, kurz darauf pendelt sich die Aktivität jedoch wieder an dem kritischen Punkt ein.

Fiete und ihre Kollegen erfassten durch implantierte Elektroden die elektrischen Vorgänge im Hirn von Rhesusaffen. Ein statistisches Verfahren verriet ihnen, wie schnell die Aktivitätsspitzen nach eingehenden Reizen wieder abflauten. Erhöhten sie im Verlauf einer Stunde die Konzentration von Propofol, beobachteten sie, wie das Abflauen immer länger dauerte. Bis schließlich die Hirnaktivität gar nicht mehr aus dem chaotischen Zustand zurückfand und Bewusstlosigkeit eintrat.

Dass Propofol mit seiner Verstärkung hemmender Neurone einen solchen Effekt hervorrufe, wirke paradox, sagt Fiete. Es lasse sich aber erklären, weil verschiedene hemmende Schaltkreise untereinander verknüpft sind. Erhöht man die Hemmwirkung der einen, bremsen diese auch die anderen, die dann nicht mehr stark genug sind, um die Hirnaktivität insgesamt herunterzuregeln. »Das Ergebnis ist eine allgemeine Zunahme der Hirnaktivität«, so Fiete.

Auch andere Narkosemittel könnten nach dem gleichen Prinzip wirken, vermuten die Autoren. Ein genaueres Verständnis der Wirkungsweise und der äußerlich messbaren Merkmale einer einsetzenden Bewusstlosigkeit könnten helfen, die Wirkstoffe präziser und womöglich sogar individuell noch angepasster zu dosieren.

  • Quellen
Neuron 10.1016/j.neuron.2024.06.011, 2024

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